Hamburg 05/2022

  • 13.05.2022
  • HSV Barmbek-Uhlenhorst – Hamburger SV III 2:2
  • Oberliga Hamburg (V)
  • Stadion an der Dieselstraße (Att: 328)

Am Freitag den 13.Mai wollten InterCityBerger und ich unseren Kumpel Max in Hamburg besuchen. Bevor dieser in Kürze seine Zelte in der Hansestadt abbricht und nach Hannover zurückkehrt. Das entsprechende Tagesprogramm war auch schnell fixiert. Zwei Hamburger Sportvereine sollten sich am frühen Abend in Barmbek duellieren und anschließend würde man endlich mal wieder einen Kiez-Bummel starten. Berger und ich hatten richtig Bock und buchten den erstbesten ICE nach Feierabend. 14:20 Uhr sollte Abfahrt sein, aber weil der darauffolgende ICE um 14:35 Uhr ausfiel, durften wir noch dessen Passagiere aufnehmen und letztlich ging es im übervollen Schnellzug erst um 14:50 Uhr weiter gen Hamburg. Wir waren natürlich zu geizig für Sitzplatzreservierungen und hatten stattdessen vor die gesparten Euro für Feierabendbier im Bord Bistro zu investieren.

Gute Stimmung im Bord Bistro

Klappte auch ganz gut, wobei das Bistro ziemlich überfüllt war und die Wartezeit auf Pivo sich entsprechend zog. Jedoch gehörte eine multikulturelle Gruppe von Kieztouristen aus Stuttgart zu den ICE-Wechslern in Hannover und vertrieb schnell alle bürgerlichen Mitreisenden mit lauter Musik, Gegröle und wilden Tanzeinlagen. Zum Glück sehen Berger und ich nur aus wie Spießer, sind aber alles andere als bürgerlich. Wir hörten uns also an wie cool unsere Mitreisenden sind und plötzlich waren wir in deren Augen auch cool, wurden mit “Ey, Bra!” angesprochen und bekamen aus ihren Beständen die Biergläser weiter gefüllt. Denn das Personal des Bistros hatte bereits irgendwo in der Südheide entnervt die Rolläden runtergezogen. In den kurzweiligen 96 Minuten bis Hamburg hatten wir bestimmt 100 Mal etwas zu lachen (@InterCityBerger: Ich sage nur Tinnitus oder das Video mit dem Schaffner), aber Situationskomik kann ich an dieser Stelle sicher nicht gelungen wiedergeben.

Ein einsamer Glücksritter im Barmbek Express

In Hamburg erreichte uns dann als erstes eine Nachricht von Max, dass er es heute aufgrund von Umzugsstress nicht schafft. Toll, ein bisschen früher und Berger und ich hätten den ICE etwas weniger überfüllt abfahren lassen und uns erst in einem Biergarten und anschliessend im Huckebein die Hucke vollgesoffen. Aber der gegen 16:30 Uhr betretene Barmbek Express war wenigstens ebenfalls eine ehrliche Schankwirtschaft, in der wir uns sofort angekommen und angenommen fühlten. Dort stieß auch mein kunstschaffender Kumpel Lars auf ein paar Runden dazu, der mittlerweile schon ein paar Jahre in Hamburg lebt und den ich seit seinem Wegzug aus Hildesheim natürlich nur noch sporadisch sehe. Lars war zwar um 19 Uhr zu einer ginlastigen Soiree geladen und bei BU war ebenfalls um 19 Uhr Anstoß, aber wir liebäugelten allesamt um 18:45 Uhr noch mit einer weiteren Runde Bier. Als das Für und Wider abgewogen wurde, gönnte ausgerechnet Berger dem Wirt keine weiteren Einnahmen und sprach ein Machtwort: “Mein letztes Geld bekommst Du nicht, denn das ist nicht für Dich! Mein letztes Geld geb‘ ich für Fußball aus – für Barmbek Uhlenhorst!”

Ein paar treue Fans des HSV Barmbek-Uhlenhorst

Pech für den Schankwirt, Glück für BU. Denn 10 Minuten später entrichteten wir unsere 6 € Eintrittsgeld und ließen auch in den kommenden 90 Minuten einiges an Talern am Zapfhahn und am Grillrost. Das Bier lief einwandfrei die Kehle hinunter (ich glaube 2,50 € pro 0,3 l) und die Krakauer mundete ebenfalls (3 €). Doch in der 2.Halbzeit auch nochmal die Thüringer (3 €) zu testen war eine Fehlentscheidung. Vielleicht schmeckt die heiß oder wenigstens warm, aber wir bekamen tatsächlich kalte Bratwurst. Erinnerte an Grillpartys, wo der Gastgeber am Ende der Völlerei entscheidet “Ach komm, das letzte Paket Bratwurst haue ich auch noch auf den Grill. Vielleicht hat ja später noch jemand Hunger.” Und später ist dann vier Stunden später.

Diese Bratwurst war so enttäuschend für uns, wie die aktuelle Saison für die Fans des HSV Barmbek-Uhlenhorst. Denn heute war letzter Spieltag, aber BU stand bereits als Absteiger aus der fünftklassigen Oberliga Hamburg fest. Berger und ich hatten natürlich auf ein echtes Abstiegsendspiel am heutigen Abend gehofft, doch der HSV III hatte am Vorwochenende vorzeitig den Klassenerhalt eingetütet und BU musste den Abstieg hinnehmen. Anstatt eines packenden Abstiegskrimis, gab es nun zwei ohne Druck aufspielende Mannschaften. Dabei gehörte den Blau-Gelben der erste Durchgang und Desimeier (20.Min) und Erichsen (44.) sorgten für eine 2:0 Führung zur Pause.

Nordhausen? Das ist doch auch in Thüringen, oder?

Doch der Heimatverein des Weltmeisters Andreas Brehme passte die heutige Darbietung dem Grillmeister an. Nur die 1.Halbzeit war man richtig heiß und knackig unterwegs. Dem HSV III, angeführt vom Altinternationalen Marcell Jansen, gehörte dagegen der zweite Durchgang und ein Doppelpack von Mohamed Abd El Aal Ali (67. und 83.Minute) sorgte für eine gerechte Punkteteilung. Die Stimmung war für so einen Kick um die Goldene Ananas übrigens ganz okay. BU hat bekanntermaßen ein paar Barmbeker Originale in Fankluft auf den Rängen stehen und ein paar Fans des Hamburger SV waren sich auch nicht zu schade ihre 3.Mannschaft zu unterstützen. Zum Anpfiff gab es ein paar Papierschnipsel im Gästesektor und nach dem Treffer zum 2:2 rissen sie sogar noch zwei Fackeln und einen blauen Rauchtopf an.

So ein wichtiges Spiel und so ein wichtiges Tor, wer würde da nicht zünden?

Wenigstens ein Punkt zum Saisonausklang für den einstigen Zweitligisten (in der Saison 1974/75 war BU einmalig in der 2.Bundesliga Nord dabei und natürlich auch sonst jahrzehntelang eine gute Adresse im gehobenen Hamburger Amateurfußball), der sich nun nach neun Jahren in der fünftklassigen Oberliga wieder mit der Landesliga anfreunden muss. Personell steht natürlich ein Umbruch an, der auch den Trainer Jan-Hendrik Haimerl einbezieht. Dieser traf bereits im Vormonat und unabhängig vom Saisonausgang die Entscheidung sein Amt zur Verfügung zu stellen. Dazu Haimerl: “Die letzten zwei Jahre waren extrem intensiv, sehr kräftezehrend und unglaublich anstrengend für mich. Der große Umbruch im Sommer 2021 war für mich eine riesige Herausforderung und ein absoluter Kraftakt. Die vielen Unwägbarkeiten und negativen Erlebnisse in dieser Saison sind zudem nicht nicht spurlos an mir vorbei gegangen. […] Im Sommer steht erneut ein wirklich großer Umbruch bevor. Ich muss ehrlich zu mir selbst sein und mir eingestehen, dass ich dafür aktuell keine Kraft und nicht den dafür dringend benötigten vollen Akku habe.”

Das 2015 eröffnete Stadion an der Dieselstraße

Ähnlich wie der Trainer müssen sich auch die Thüringer des Grillmeisters in der 2.Halbzeit gefühlt haben, nachdem die heiße Glut unter ihnen erloschen war und die Wurstfasern zusammenschrumpelten. Dabei kommt Haimerl gar nicht aus Erfurt, Eisenach oder Suhl, sondern ist wie Berger und ich in der Dom- und Rosenstadt Hildesheim geboren (und als Spieler u. a. beim SV Bavenstedt auf Torejagd gewesen). Irgendwann verlegte sich der Lebensmittelpunkt nach Hamburg und Haimerl kickte noch ein bisschen für BU II. 2017 übernahm er die 2.Mannschaft als Trainer, reüssierte ordentlich und rückte im Sommer 2020 zur 1.Mannschaft auf. Die erste Spielzeit unter Haimerls Verantwortung war ansprechend (3.Platz am Saisonende), doch diese Saison lief es wahrscheinlich aus den von ihm selbst angerissenen Gründen nicht mehr gut. Erst hui, dann pfui… Schon wieder das Barmbeker Wurstphänomen!

Ein Wandbild am Stadion (ganz rechts wusste Goycochea alles, nur halten konnte er ihn nicht)

Der leidensfähige BU-Anhang bekam nach Abpfiff noch 100 Liter Freibier als Dank für die Unterstützung. Allerdings laut Communiqué des Vorstands nur für Träger der BU-Farben. Tja, Berger war ganz in schwarz, weil das schlank macht und ich ganz in rot, weil das Leidenschaft und Aggressivität ausstrahlt. Die wollte ich nun an St. Paulis Tresen zeigen und fairerweise muss ich sagen, dass sich auch die Schwarze Madonna des Borsumer Kaspels in Topform präsentierte. Unsere vom richtigen Mindset (so wichtig!) getragene Performance nahm im Blauer Peter IV seinen Anfang. Ein Holsten Edel später wedelten wir jedoch schon unsere Flagge P und setzten Segel gen Hong Kong. In der nach der einstigen britischen Kronkolonie benannten Bar gab es Helles von Spaten für unsere durstigen Kehlen. Die Hong Kong Bar kann dir dabei natürlich auch etwas aus der Stadtgeschichte erzählen. Denn vor 93 Jahren ließ sich der chinesische Seemann Chong Tin Lam auf St. Pauli nieder und eröffnete zum Broterwerb jenes Lokal.

Die bunte Reklame verhieß schrille Vögel

1898 hatte die Reederei Hapag einen monatlichen Liniendienst zwischen Shanghai und Hamburg eröffnet und viele chinesische Seeleute gelangten als Heizer oder Wäscher auf den Linienschiffen in die Hansestadt. Einige blieben und eröffneten in Hafennähe Wäschereien, Restaurants oder Bars, so dass Anfang des 20.Jahrhunderts ein regelrechtes Chinatown auf St. Pauli existierte. Ab 1933 machte die zivilisationsferne Ideologie der Nazis jedoch auch nicht vor den chinesischen Mitbürgern halt und die Gewerbetreibenden wurden von staatlichen Stellen benachteiligt und drangsaliert. Im Mai 1944 kam es schließlich zur so genannten Chinesenaktion der Gestapo. 129 chinesische Männer wurden nachts aus ihren Betten geholt, verhört, gefoltert und anschließend in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Etliche seiner Landsleute verstarben durch Folter oder Zwangsarbeit, doch Chong Tin Lam überlebte und bekam 1948 seine Hong Kong Bar zurück.

Die namensgebenden goldenen Handschuhe

Anschließend steuerten wir frohes Mutes zwei gastronomische Institutionen an, in denen früher der Serienmörder Fritz Honka bevorzugt verkehrte. Zunächst durfte uns der Goldene Handschuh bewirten, den der damalige Profiboxer Herbert Nürnberg 1953 eröffnete und der in jüngerer Vergangenheit für Heinz Strunks Buch über Fritz Honka und die entsprechende Verfilmung namensgebend war. Der Elbschlosskeller gegenüber profitiert dagegen vom sehr guten Marketing des medienaffinen Eigentümers Daniel Schmidt, so dass beide Lokale nicht nur auf ihr gesellschaftlich eher abseitiges Stammpublikum setzen müssen, sondern sich mittlerweile mehr Touristen und Schaulustige als Luden, Vollzeitalkoholiker und Prostituierte im Ruhestand am Tresen tummeln. Beide Lokale sind übrigens 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet und entsprechende Nebenwirkungen wie einen Fußboden mit enormer Haftwirkung an den Schuhsohlen muss der Gast verschmerzen können.

An der Theke des Elbschlosskellers

Nach dem Traditionsdoppler am Fuße des Hamburger Bergs, querten wir die Reeperbahn und kehrten in der Davidstraße ins Anleger 15 ein. Kannten wir noch nicht, muss also neu sein. Scheint sich um ein Tanzlokal zu handeln, was sich tendenziell an touristische Partygruppen richtet. Nicht unser Fall, aber das eine Bier vom Fass tat uns jetzt auch nicht weh, ehe wir Zum Anker weiterzogen. Die Wirtin dort war zwar ziemlich kiebig, doch weil wir mit zwei anderen Gästen an der Theke ins Gespräch kamen, machten wir dem Namen der Kneipe gewissermaßen Ehre und legten erstmals für zwei anstatt nur eine Runde an einem Tresen an.

Zwei Gezapfte im Anleger 15

Unser nächstes Ziel war der Sportpub Tankstelle und weil der kürzeste Weg vom Anker zur berühmten Fankneipe der HSV-Anhänger durch die Herbertstraße führt, mussten wir da mal kurz mit Scheuklappen durch. Dann erzählte ich nicht nur von meinen vielen Erlebnissen in den Nuller Jahren hier, sondern wir gedachten bei zwei Runden Holsten vom Fass auch dem im Vorjahr 53jährig an Krebs verstorbenen Kneipengründer und Szene-Urgestein Ossi Maik, dessen Tod die HSV-Szene und den Kiez sehr bewegt hatte. Ruhe in Frieden!

Holsten in der Tankstelle

Anschließend sollte der Kiez-Bummel so langsam in Marys Treff (Bei Günter Jauch) ausklingen. Aber dort gab es wohl Abrechnungsprobleme mit anderen Gästen und als gute Betriebswirte wissen Berger und ich natürlich, dass eine ordentliche Buchführung fast so wichtig für den unternehmerischen Erfolg wie das richtige Mindset ist. Also nur kurz die Urinale beehrt und dann ging es weiter zur 1949 gegründeten Traditionskneipe Zum Silbersack. Übrigens haben wir ab dem Goldenen Handschuh in allen besuchten Kneipen die sanitären Anlagen aufsuchen müssen – gehst du nach dem fünften Bier das erste Mal, gehst du fortan nach jedem Bier – und sie waren fast alle sehr, äh… speziell.

In Mary’s Treff befinden sich die gekachelten Nebenräume im Untergeschoss

Im Silbersack gab es nochmal eine Knolle von Astra und ohne das Zutun von Andy Pimmel-Gate Grote wäre uns das vielleicht gar nicht möglich gewesen. Denn nach dem Tod der Gründerin im Jahr 2012 wollte keiner der Erben die Kneipe weiterführen und der Silbersack wurde vorübergehend geschlossen. Doch Stammgäste, Anwohner und Interessengruppen setzten sich für den Erhalt ein. Durch Vermittlung des damaligen Bezirksamtsleiters Andy Grote wurde der Silbersack an interessierte Pfeffersäcke aus der Hamburger Immobilienbranche verkauft. Aber die rund 20 Kaufleute, welche extra die Freunde des Silbersack GmbH & Co. KG als Betreibergesellschaft gegründeten, haben bisher tatsächlich keinen Schmu – Gruß auch an Pape an dieser Stelle (Insider) – mit der Immobilie angestellt. Mal ’ne gute Tat der großen Haie für die kleinen Fische oder vielleicht doch eher Whitewashing für die ganzen anderen Gentrifizierungen? Aber noch mehr fragte ich mich, ob ich jetzt eigentlich berechtigterweise „Andy, du bist so 1 Silbersack“ schreiben kann oder ich dann eine Hausdurchsuchung der Polizei wegen Beleidigung fürchten muss?

Zu Gast im Silbersack

Gegen 3 Uhr bestiegen Berger und ich schließlich eine Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof und dort sollte um 3:20 Uhr Abfahrt nach Hannover sein. Leider war der gastronomische Service im ICE 591 zu dieser frühen Stunde noch inaktiv, so dass wir unsere Sehnsucht nach koffeinhaltigen Heißgetränken nicht stillen konnten. Die Konsequenz waren schwere Augenlider und beinahe hätten wir den Halt in der Messe- und Expostadt verpennt. Doch eine gewisse Unruhe durch Ein- und Aussteigende ließ mich rechtzeitig aufschrecken. Wenn man schon vergisst sich den Sicherheitswecker zu stellen, muss man wenigstens auch mal Glück haben. Die Belohnung waren ofenfrische Börek und in Tafelwasser gelöste Elektrolyte als Frühstück, bevor es wie so ein Schichtarbeiter um 7 Uhr ins Bett ging.

Song of the Tour: Was denn bitte sonst?