- 16.02.2019
- SG Wattenscheid 09 – Bonner SC 0:0
- Regionalliga West (IV)
- Lohrheidestadion (Att: 919)
Zwischen die Tour nach Birmingham und meinen ersten richtigen Urlaub 2019 (Ende Februar lockt einmal mehr der Balkan), wollte ich gerne noch einen Wochenendausflug platzieren. Leider fand ich weder für In-, noch für Auslandsreisen einen oder gar mehrere Mitstreiter. Daher entschied ich mich für einen aufwandsarmen Solotrip und bastelte mir einen kleinen Ausflug nach Nordrhein-Westfalen. Sonnabend Wattenscheid und Sonntag Remscheid war der Plan. Die Bahnfahrt kostete dank Verspätungsgutscheinen und BahnCard weniger als 10 € und eine Übernachtung im Remscheider Mercure Hotel (****) schlug mit 51,30 € zu Buche. Ich benötigte eh bis Ende Februar noch eine Übernachtung in einem gehobeneren Hotel der Accor Group, um mal wieder 2.000 Punkte für einen Übernachtungsgutschein beisammen zu haben. Also war das Ganze eher ein Nullsummenspiel.

Die Reise startete am Sonnabend ausnahmsweise mal zu einer erträglichen Uhrzeit. 9:40 Uhr wurde der IC 2044 in Hannover bestiegen und 11:32 Uhr in Dortmund wieder verlassen. Mit einem Nahverkehrszug ging es weiter nach Wattenscheid und High Noon betrat ich Bochumer Boden. Wobei, mit dieser amtlich korrekten Formulierung trete ich natürlich allen lokalpatriotischen Wattenscheidern auf die Füße. Denn Wattenscheid war bis 1976 selbstständige Stadt (erste urkundliche Erwähnung 880), wurde dann jedoch gegen großen Widerstand von Bochum eingemeindet.

In Wattenscheid steuerte ich als erstes den Profi-Grill an. Raimund Ostendorp, einst Demi-Chef de Partie im Düsseldorfer 3-Sterne-Restaurant Im Schiffchen (und auch mal eine kurze Zeit Koch bei Norbert Schu in Hannover), hat diese Imbissbude 1991 vom langjährigen Besitzer Kurt Kotzlowski übernommen. Vor etlichen Jahren bin ich durch die Medien auf den Profi-Grill aufmerksam geworden und habe ihn bereits mehrfach vor 96-Gastspielen im Pott besucht. Wenn ich heute mal direkt Wattenscheid ansteuere, darf eine Visite natürlich erst recht nicht ausbleiben.

Um vom Bahnhof zum Imbiss in der Bochumer Straße 96 zu gelangen, spaziert man zunächst durch ein ansehnliches Jugendstilviertel rund um die Graf-Adolf-Straße. Wattenscheid gibt es also auch in schön. Doch man braucht seine Augen nicht an die sehenswerten und über 100 Jahre alten Stadthäuser gewöhnen, denn schon nach wenigen hundert Metern kommt man auf die Bochumer Straße.

Dort sind nun nicht mehr die güldenen Hinweistafeln von Fachärzten, Anwälten und Steuerberatern an die Hauseingänge montiert, sondern Carrées mit vielen Klingelschildern. Tristes Grau beginnt langsam die Straßenzüge zu dominieren. Die meisten Häuser sind zwar halbwegs gut in Schuss, manche erinnerten mich jedoch stark an Bytom im polnischen Kohlenpott. Obwohl sie fast 1.000 Kilometer trennen, sind sich die Kohlereviere in Nordrhein-Westfalen und Oberschlesien architektonisch sehr ähnlich. Aber gut, gehörte schließlich beides während der Industrialisierung noch zum selben Staat.

Ebenso könnte man sich aufgrund eines Großteils der Familiennamen auf den Klingelschildern in Polen wähnen (zumindest, wenn man die ganzen orientalischen Namen in Wattenscheid einfach ausklammert). Nicht wenige Ruhrpolen, respektive deren Nachfahren, leben in Wattenscheid und den Nachbarstädten. Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wurde der riesige Bedarf an Arbeitskräften im Ruhrgebiet bekanntermaßen mehr und mehr durch Anwerbung im Osten gedeckt.

Kurt Kotzlowski, der mittlerweile verstorbene Vorbesitzer des alsbald erreichten Profi-Grills, scheint seine familiären Wurzeln auch östlich von Oder und Neiße gehabt zu haben. Witzigerweise hatten die beiden freundlichen Damen am Imbiss-Tresen einen osteuropäischen Zungenschlag. Arbeitsmigration aus dem Osten des Kontinents gibt es im Ruhrgebiet also immer noch.

Dann sollte es endlich um die Wurst gehen und ich dachte beim Servieren erst, „Huch, sind die Würste kleiner geworden?“ Aber unter den knusprigen Pommes waren noch diverse Wurstscheiben versteckt. Für 4,50 € gibt es also weiterhin eine ordentliche und vor allem leckere Portion. Man schmeckt, dass die Sauce hausgemacht ist und die Wurst nicht in einer Fleischfabrik zum Discountpreis hergestellt wird. Dafür muss man natürlich kein Sterne-Koch sein, sondern einfach nur sein Handwerk verstehen und beim Einkauf der Zutaten auf Qualität setzen. Deshalb gibt es natürlich vielerorts gute Currywürste und man muss dafür nicht zwingend nach Wattenscheid pilgern.

Wenn man jedoch in der Gegend ist, sollte man den Profi-Grill unbedingt mal testen (auch die Frikadellen und Schnitzel haben einen guten Ruf!). Allein schon, weil das trotz dem guten Namen und der medienwirksamen Betreibergeschichte, immer noch ein klassischer Schnellimbiß im Pott ist. Mit Bauarbeitern, Frührentnern und Briefzustellern als Kundschaft. Ein Stück authentische Ruhrgebietskultur eben!

Nach dem fürstlichen Mittagsmahl (Wat lecker…) ging es wieder raus auf die Bochumer Straße und diesmal in Richtung Zentrum. Das lag auf halber Strecke zwischen Grill und Stadion und hatte mit der neoromanischen Friedenskirche (von 1875), der neogotischen Propsteikirche St. Gertrudis (von 1872) und der kleinen evangelischen Kirche am Alten Markt (von 1763) ein paar ganz ansehnliche Gotteshäuser zu bieten. Auch das Rathaus von 1883 (Neorenaissance) war ein Blickfang.

Doch ansonsten dominiert zweckmäßige Nachkriegsbebauung die verkehrsberuhigte Innenstadt und interessante Geschäfte existieren erwartungsgemäß auch keine. Backshops, Handyshops, 1€-Shops und die ganzen bekannten Textildiscounter beherrschen die Ladenzeilen. Wenn die 73.000 Wattenscheider mal so richtig shoppen wollen, geht es wohl nach Essen, Dortmund, Düsseldorf oder ins CentrO nach Oberhausen.

Vom Nordrand des Stadtkerns war es dann auch gar nicht mehr weit zum Lohrheidestadion. Man muss nur noch das denkmalgeschützte Gelände der einstigen Zeche Holland durchqueren und steht schließlich vor der Haupttribüne des 16.233 Zuschauer fassenden Stadions, in dem zwischen 1990 und 1994 vier Jahre am Stück die 1.Bundesliga gastierte. Für mich, als in den 1980er Jahren Geborener, ist die SG Wattenscheid 09 dementsprechend eine fußballnostalgische Kindheitserinnerung. Da kommen mir sofort Souleymane Sané, Sympatex und die Familie Steilmann in den Sinn. Und legendär, wenn auch vor meiner Zeit, war ebenfalls die Verpflichtung des argentinischen Nationalspielers Carlos Babington im Jahre 1974 (als damaliger Zweitligist). Wer ein paar tolle Anekdoten von Babington lesen will, schaut mal bei 11Freunde vorbei… Absolute Leseempfehlung von mir!

Bis 1999 konnte sich der Verein noch in der 2.Bundesliga behaupten. Doch als das Textilimperium des langjährigen Gönners Klaus Steilmann kriselte, gingen die Mittel für Profifußball, auf halber Strecke zwischen Bochumer Ruhrstadion und Gelsenkirchener Arena, sehr schnell aus. Wattenscheids Wirtschaft ist eben klein und potente Firmen von außerhalb suchen lieber die Strahlkraft der großen Nachbarclubs. 2010 erreichte man mit dem Abstieg in die 6.Liga schließlich den bisherigen sportlichen Tiefpunkt. Doch der Westfalenpokalsieger von 2016 spielt immerhin seit 2013 wieder viertklassig. Wenn auch von akuten Existenzängsten geplagt.

Wie so viele Regionalligisten, ist die SG Wattenscheid 09 finanziell nicht auf Rosen gebettet. Im Winter drohte die Insolvenz, doch vor einem Monat konnte diese durch Crowdfunding, neue Sponsoren und eine Finanzspritze des aktuellen Aufsichtsratchefs und Unternehmers Ozughan Can abgewendet werden. Bis zuletzt hatte man übrigens erfolglos bei einem jungen Multimillionär geschnorrt. Doch auch wenn Leroy Sané einst in Wattenscheid mit dem Kicken begann, das Gebuhle um seine prominente Unterstützung ignorierte er komplett. Er hätte ja nicht zwingend seinen Wochenlohn von geschätzt 180.000 € spenden müssen. Ein Teilen der Crowdfunding-Aktion auf seinen Social-Media-Kanälen oder die Versteigerung von ein paar Devotionalien, hätte auch ohne Gefährdung seines eigenen Lebensstandards viel bewirken können.

Doch ich will jetzt gar nicht suggerieren, dass Sané herzlos oder geizig ist oder mittlerweile einen Scheiss auf seine fußballerischen Wurzeln gibt. Gut möglich ist auch, dass er bis heute gar nicht weiß, dass es um die SG Wattenscheid 09 schlecht bestellt ist und man um seine Hilfe gebuhlt hat. Die Social-Media-Kanäle werden bestimmt vollumfänglich von einer Agentur betreut und ansonsten entscheiden der oder die Berater, was von außen zu Sané durchdringen darf und was nicht. Damit sich der Superstar auf seinen Job konzentrieren kann (gut für das Einkommen aller Beteiligten) und ansonsten in seiner Freizeit ungestört seinen Hobbys nachgehen kann. Exklusive Shoppingtouren, Friseurbesuche, Trendrestaurants testen, Sportwagen fahren und was junge Millionäre eben sonst so machen.

Letztlich ging es, wie erwähnt, auch ohne das Zutun des Sohnemanns der Clublegende Souleymane Sané weiter. Muss es also nur noch sportlich mit dem Klassenerhalt klappen und dafür wäre ein Heimsieg gegen den Tabellennachbarn aus Bonn eine gute Sache. Gerade auch, um vielleicht eine kleine Euphoriewelle loszutreten und den zahlreichen Fans im Heimsektor eine Freude zu machen. Der harte Kern von ihnen war im Gegenzug bemüht für etwas Stadionatmosphäre zu sorgen. Gästefans gab es nebenbei auch. So ungefähr 50 Stück und mit einer Trommel, einer Zaunfahne und zwei kleinen Schwenkfahnen ausgestattet. Ohne im Vorfeld viel vom BSC-Anhang erwartet zu haben, wirkte das trotzdem recht dünne.

Immerhin hätten die Ex-Hauptstädter fast schon nach einer Minute jubeln dürfen. Doch der erste Torschuss der Partie ging knapp am Wattenscheider Gehäuse vorbei. Erschreckenderweise sind damit auch schon alle sportlichen Höhepunkte der ersten 45 Minuten erwähnt. Das war schon arg schlechter Fußball von beiden Teams. Beim Halbzeitpfiff wusste ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, dass schon die Hälfte rum war, oder ob ich mich grämen sollte, dass nochmal 45 Minuten ins Haus standen.

Musikalische Unterhaltung gab es nun u. a. von den Broilers mit „Meine Sache“ und den Kassierern mit „Das schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“. Tja, ’n Bier und vor allem ’ne Wurst hätte ich mir jetzt auch gerne gegönnt. Die angeblich beste Stadionwurst Deutschlands musste eigentlich zwingend getestet werden. Doch nicht nur die langen Schlangen schreckten ab, auch Barzahlung war nicht möglich. Man musste eine Pappkarte à 10 € zum Abknipsen erwerben, um an den Ständen einkaufen zu dürfen. Die Möglichkeit der Auszahlung einer etwaigen Restsumme wurde verneint und daher war das für mich als Einmalbesucher keine Option.

Kurz vor Wiederanpfiff wurde schließlich noch die Zuschauerzahl verkündet. 918 Leidensgenossen hatte ich heute. Das Ziel mit 2.287 Zuschauern in die Rückrunde zu starten (so viele Stadionbesucher, wie es Einzelspender bei der jüngsten Rettungsaktion gab), wurde somit deutlich verfehlt. Dennoch die bisher dritthöchste Resonanz in dieser Saison. Tja, Tradition hin oder her, die höherklassigen Alternativen sind nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt. Auch ich sah heute einige Fans in königsblauer Kluft an Wattenscheids Straßenbahnhaltestellen stehen (S04 empfing um 15:30 Uhr den SC Freiburg).

Immerhin wurde der zweite Durchgang einen Tick ansehnlicher. Während die Bonner (aktuell 14.Platz) mit einem Punkt zufrieden schienen, wirkte Wattenscheid (12.) plötzlich an einem Torerfolg interessiert. Beste Gelegenheit, unter fünf bis sechs Torschüssen, war ein Freistoß des US-Amerikaners Mael Corboz an die Latte (57.Minute). Ab der 75.Minute schien den 09ern jedoch langsam die Luft auszugehen und da nichts ganz Verrücktes passierte (z. B. ein Fernschusstor aus 50 Metern oder eine Slapstickeinlage eines Torhüters), bekam das Spiel folgerichtig das Endergebnis 0:0.

Nach dem Spiel ging es zu Fuß wieder ins Wattenscheider Zentrum und von dort mit dem Bus nach BO-Höntrop. Vom S-Bahn-Haltepunkt dieses Bochumer bzw. Wattenscheider Stadtteils sollte die Reise via Essen-Steele und Wuppertal nach Remscheid-Lennep fortgesetzt werden. Dabei verfolgte ich natürlich indirekt den schrecklichen Auftritt von Hannover 96 bei der TSG Hoffenheim. „Meld ab, den Rotz“, „Wollen die uns eigentlich verarschen?“, „Oh Gott, sind die scheisse“ und „Ist das eine Kackriege“ waren unter anderem die Kommentare langjähriger 96-Fans im Forum von http://www.das-fanmagazin.de.

Im Remscheider Stadtbezirk Lennep angekommen, wollte ich am serbischen Nationalfeiertag gern serbisch oder wenigstens so ähnlich speisen. Zum Glück gab es gleich in Bahnhofsnähe das Restaurant Balkan. Allerdings um 19:30 Uhr komplett ausgelastet. Sprach natürlich für den Laden und Besitzer Denis empfahl mir, so denn ich wolle, in einer Stunde nochmal reinzuschauen. Dann wäre bestimmt etwas frei. Also wurde halt schon vor dem Abendessen das Hotel aufgesucht und eingecheckt.

An der Hotelbar schnappte ich mir noch meine Welcome Drinks und schaute die Nachspielzeit von Hertha vs. Werder. Glückwunsch an Herrn Pizarro zum Titel ältester Bundesligatorschütze aller Zeiten. Mit Mirko Votava löst er eine andere Werder-Legende in dieser Rangliste ab und auf Platz 3 befindet sich übrigens mit Manfred Burgsmüller der nächste Bremer. Am Weserstrand darf man als Fußballer also noch würdevoll altern.

Dann ging es wieder ins Lokal von Herrn Bosnic und um 21 Uhr hatten sich die Reihen tatsächlich etwas gelichtet. Ich bekam einen Tisch und meine ersehnte Grillplatte (17,90 €). Nach dem Ausfall der Wattenscheider Zwischenmahlzeit und in Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit, hatte ich diese Fleischladung auch bitter nötig. War wirklich lecker und reichlich. Später hatte der Wirt auch noch Zeit für etwas Smalltalk. Es gab Restauranttipps für Belgrad und wir schwärmten zusammen von Ohrid, nachdem sich herausstellte, dass er dort ein Haus besitzt.
- 17.02.2019
- FC Remscheid – VfB Solingen 2:0
- Landesliga Niederrhein (VI)
- Röntgen-Stadion (Att: 303)
Am nächsten Morgen war ich natürlich schon früh wach und überlegte was bis 15 Uhr Brauchbares mit dem Tag anzufangen sei. Mir kam Schloss Burg im Solinger Stadtteil Burg an der Wupper als Ausflugsziel in den Sinn. Gegen 9 Uhr fuhr 250 m vom Hotel entfernt ein Bus nach Burg und brachte mich für 2,80 € binnen 35 Minuten an den Zielort. Inklusive einer kleinen Stadtrundfahrt durch Remscheids Kernstadt. Abgesehen vom Rathaus, scheint es dort architektonisch nicht viel Interessantes zu geben. Da war ich in Lennep schon besser aufgehoben.

Doch nun war erstmal Solingens schönster Stadtteil angesagt. Da die Burger Burg, bzw. das Burger Schloss, auf einem Berg errichtet wurde (ursprünglich eine mittelalterliche Höhenburg aus dem 12.Jahrhundert), musste jene Erhebung zunächst erklommen werden. Als die Serpentinen ihr oberes Ende gefunden hatten, stellte ich erfreut fest, dass der Eintritt heute gratis war (ansonsten 6 €). Grund dafür war eine Hochzeitsmesse in dem alten Gemäuer. Mein erster, und so Gott will (Inshallah!), auch letzter Besuch einer solchen Veranstaltung. Selten fühlte ich mich deplatzierter.

Außer mir und den Ausstellern anwesend:
- Etliche heiratswillige Paare
- Zukünftige Bräute mit ihren besten Freundinnen (und viel Proseccodurst)
- Einzelne Frauen, deren Zukünftiger einen Weg gefunden hatte, um dieser Veranstaltung fernzubleiben
- Unverlobte Frauen, die einfach total auf Hochzeiten abfahren (wer denen mal in die Fänge gerät, muss nach der Verlobung wahrscheinlich durch die Hölle gehen!)
- Der 30er-Jahre-Mann. Auch auf die Gefahr hin jemandem, den ich kein Stück kenne, Unrecht zu tun. Aber da lief ein Typ rum, der wie frisch aus den 1930er Jahren importiert aussah. Vielleicht ist der auf dem Weg zur Wewelsburg ein paar Mal falsch abgebogen?

Außerdem war durch die Messe der Genuss des interessanten Burgmuseums beeinträchtigt. In der Kemenate und im Rittersaal war alles mit Brautkleidern und deren potentiellen Trägerinnen vollgestopft. Doch nachdem ich diese schönen Räumlichkeiten und weitere Räume mit Alleinunterhaltern, Deko-Anbietern und Fotografen hinter mir gelassen hatte, erreichte ich den Bergfried. Darin war, ganz ungetrübt vom heutigen Treiben, auf mehreren Etagen die Geschichte der Grafen von Berg aufbereitet. Und der Ausblick von oben lohnte sich natürlich ebenfalls.

Interaktiv erfuhr ich Interessantes über dieses Adelsgeschlecht, in dessen alter Stammburg ich mich heute befand. Der erste verbriefte von Berg war ein Deutzer Vogt namens Adolf im Jahre 1101. Dessen Frau Adelheid von Lauffen brachte die Gemarkungen am Wupperbogen mit in die Ehe, auf denen Sproß Adolf II. später diese Burg errichten ließ. Das Einflussgebiet der Grafen wurde in den nächsten Jahrzehnten weiter ausgebaut, ehe Adolf III. 1218 ohne männlichen Nachfahren auf einem Kreuzzug starb.

Der Bruder (seines Zeichens Erzbischof von Köln) und die Familie der Witwe (das Haus Limburg) stritten nun um das Erbe. Zwar setzte sich Erzbischof Engelbert I. mit Waffengewalt durch, starb jedoch 1225 und war, ex officio, ebenfalls kinderlos geblieben. Also kamen die Limburger doch noch an die Grafschaft. Das mächtige Kölner Erzbistum schielte allerdings in der Folgezeit weiterhin auf die Grafschaft vor den Toren ihrer Stadt.

Höhepunkt des blutigen Erbfolgestreits wurde 1288 die Schlacht bei Worringen. Johann I., Herzog von Brabant und Limburg, ging daraus siegreich hervor und nahm obendrein sein Gegenüber, den Erzbischof Siegfried von Westerburg, gefangen. Der hohe Geistliche wurde hier in Schloss Burg interniert. Das brachte dem Herzog ein hohes Lösegeld und viele politische Zugeständnisse ein. Außerdem gründete Johann im noch selben Jahr die Stadt Düsseldorf am Niederrhein. Als Gegenwicht zu Köln und somit der Grundstein der bis heute währenden Städterivalität zwischen Köln und Düsseldorf.

1380 wurde das rasant wachsende Düsseldorf zur neuen Residenzstadt der Herzöge von Berg und die Burg an der Wupper verlor an Bedeutung. Im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) wurde die Burg belagert, weitgehend zerstört und blieb jahrhundertelang eine Ruine. 1887 gründete sich schließlich ein bürgerlicher Verein zur Erhaltung der Schloßruine zu Burg a. d. Wupper und begann drei Jahre später mit dem Wiederaufbau. Dem Zeitgeist entsprechend, sollte die Rekonstruktion eine Art bergisches Nationaldenkmal werden. Heute befindet sich das rekonstruierte Schloss Burg im gemeinsamen Eigentum der drei bergischen Städte Wuppertal, Solingen und Remscheid und ist zugleich Wahrzeichen und Besuchermagnet der Region.

Nach meinem Rundgang im Pallas und Bergfried, schaute ich auch noch nochmal in den Batterieturm hinein. Dort ist die Gedenkstätte des Deutschen Ostens untergebracht. Im Innenraum des Turms steht das Mahnmal der Vertreibung des Bildhauers Kurt Schwerdtfeger. Außerdem werden mit Immanuel Kant (Ostpreußen), Joseph von Eichendorff (Schlesien) und Ernst Moritz Arndt (Pommern) drei geistige Kapazitäten des ehemaligen Deutschen Ostens durch Bronzebüsten geehrt. 11:30 Uhr läuteten, wie an jedem Tag um diese Zeit, die drei alten Glocken des Batterieturms (zwei sind ursprünglich aus der Jakobuskirche in Breslau, eine aus dem Königsberger Dom). Damit soll an das Schicksal von Kriegsvertriebenen in aller Welt erinnert werden.

Nach einer fast dreistündigen Besichtigung, ging es wieder runter ins Tal der rauschenden Wupper und von dort mit dem Bus zurück nach Lennep. Den Remscheider Stadtbezirk erreichte ich gegen 13:30 Uhr und hatte somit noch Zeit für einen Spaziergang durch die sehenswerte Altstadt. Dank des Frühlingswetters waren die Außenplätze der Bistros und Cafés am Marktplatz sehr gut besucht. Die ganze Altstadt wirkte auf mich wie ein schönes bauliches Ensemble. Bergischer Barock ist der vorherrschende Architekturstil der Gebäude hier, wovon ganze 116 Stück unter Denkmalschutz stehen. Für diesen traditionellen Baustil der Region sind die grünen Fensterläden, schwarzes Ständerwerk, weißes Lehmgefache, grau-schwarze Schieferfassaden und Bruchsteinsockel üblich.

Lennep hat bereits 1230 das Stadtrecht bekommen und ist somit der älteste Teil der 1929 gebildeten Stadt Remscheid. Im Spätmittelalter war Lennep eine der wichtigsten und größten Städte im Bergischen Land. Es war ein Zentrum der Tuchmacherei und wurde bereits im 13.Jahrhundert Mitglied der Hanse. Gebremst wurde die Entwicklung der Stadt allerdings von mehreren großen Brandkatastrophen. Die Schlimmste ereignete sich am 4.Oktober 1746, wobei fast die komplette Stadt niederbrannte. Beim Wiederaufbau bekam Lennep sein erwähntes barockes Antlitz. Während der Industrialisierung im 19.Jahrhundert verlor es allerdings den Anschluß an die Nachbarstädte wie Remscheid, welches im Dreikaiserjahr 1888 aus dem Kreis Lennep ausschied und kreisfreie Stadt wurde.

Sieben Jahre später entdeckte Lenneps größter Sohn am Physikalischen Institut der Universität Würzburg die X-Strahlen, welche im deutschsprachigen Raum und vielen weiteren Ländern ihm zu Ehren Röntgenstrahlen genannt werden. In einem Lenneper Patrizierhaus, unweit vom Geburtshaus des Tuchmachersohnes Conrad Wilhelm Röntgen, ist heute das Röntgen-Museum untergebracht. Einen Besuch hatte ich alternativ zum Ausflug nach Schloss Burg in Erwägung gezogen, aber doch wieder verworfen. Ich befürchtete wahrscheinlich zurecht, dass das Museum mich nicht einen ganzen Vormittag unterhalten könne.

Nun fehlte es an der Zeit für einen Museumsbesuch. Stattdessen nahte das heutige Hochsicherheitsspiel im Lenneper Röntgen-Stadion. Ja, richtig, Hochsicherheitsspiel! Das Hinspiel fand sogar unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und wurde vor vier Wochen von den Solingern auf neutralem Platz mit 4:0 gewonnen. Letztes Jahr fand sich kein Gastgeber für das befürchtete Krawallspiel (es durfte zwingend nicht in Solingen stattfinden), so dass es erst in der eigentlichen Winterpause nachgeholt wurde.

Dabei hat der VfB Solingen keine Fanszene im eigentlichen Sinne und Hooligans schon gar nicht. Es handelt sich um einen kleinen Stadtteilverein aus Solingen-Bavert, für den die aktuelle Teilnahme an der Landesliga der bisherige sportliche Höhepunkt der Vereinsgeschichte ist. Doch Remscheid und Solingen ist eben auch eine große Städterivalität und man rechnete wohl a) damit, dass die Szene Remscheid bei dem Auswärtsspiel richtig einen losmacht und b) die alte Szene von Union Solingen ebenfalls für das Spiel vor ihrer Haustür mobilisiert.

Da der VfB nur über einen kleinen Sportplatz verfügt und es nach dem Abriss des Stadions am Hermann-Löns-Weg (ehemals Heimstätte von Union Solingen) in ganz Solingen keine geeignete Sportstätte für Risikospiele mehr gibt, wurde verfügt, dass das Spiel auf neutralem Platz und ohne Zuschauer ausgetragen werden muss. Konspirativ erfuhren die Spieler erst am morgendlichen Treffpunkt, wo es überhaupt hingeht. Beim Duisburger SV wurde das Geisterspiel nun angepfiffen und außer sieben Zaungästen, die das Gelände der Sportanlage nicht betreten durften, fand das Spiel tatsächlich ohne Zuschauer statt.

Im zweitligaerprobten Röntgen-Stadion ist dagegen eine Fantrennung möglich und alle Verbandsauflagen wurden erfüllt. Sämtliche Fans des FC Remscheid hatten sich auf der Haupttribüne einzufinden, bzw. in der nördlichen Kurve, und alle Gästefans mussten in den Gästebereich der Gegengerade. Daher wurde man vom Ordnungsdienst schon beim Einreihen in die Schlange gefragt, ob man Remscheider oder Solinger ist. Ich war also heute Remscheider. Auch die nächste Gruppe wurde angequatscht: „Alles Remscheider hier?“ „Nee! Lenneper!“, rief ein älterer Herr und sorgte für Schmunzler.

Remscheid ist eben ein Zusammenschluss von diversen Kleinstädten und Dörfern zu einer Großstadt. Wie auch Wuppertal und Solingen, entstand Remscheid 1929 im Rahmen des Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets. Innerhalb Remscheids haben die Lenneper und Co natürlich ihre eigene Identität bewahrt und betonen diese oft. So wie es in Wuppertal auch u. a. Barmener und Elberfelder und in Solinger u. a. Ohligser und Höhscheider gibt, welche sich höchstens in der Fremde als Wuppertaler oder Solinger bezeichnen würden.

Der FC Remscheid ist allerdings kein originärer Lenneper Stadtteilverein (das ist eigentlich der VfL 07 Lennep). Der FC entstand 1990 durch die Fusion des VfB Remscheid 06/08 (zu der Zeit in Reinshagen heimisch gewesen) mit dem BVL 08 Remscheid (aus Lüttringhausen und als BV 08 Lüttringhausen in den 1980er Jahren insgesamt drei Saisons in der 2.Bundesliga aktiv gewesen). Der neue Vorzeigeverein der 110.000-Einwohner-Stadt bekam von der Stadt Remscheid ein profifußballtauglich renoviertes Lenneper Röntgen-Stadion als Fusionsgeschenk und bespielte dieses von 1991 bis 1993 tatsächlich nochmal in der 2.Bundesliga.

Danach war allerdings ausschließlich Amateurfußball angesagt. Teilweise spielte man sogar nur in der 7.Liga und war aus dem bundesweiten Fokus verschwunden. Das sollte sich erst 2015 wieder ändern, wenn auch nicht durch eine sportliche Erfolgsgeschichte. Nachdem man 2014 und 2015 den Aufstieg in die Oberliga Niederrhein knapp verpasste, begann die Saison 2015/16 katastrophal. Ein prominenter Name auf der Trainerbank sollte es nun richten. Dessen Verpflichtung wurde ein regelrechter PR-Coup, denn der FC Remscheid und Neu-Trainer Thorsten Legat landeten mit der Vorstellungspressekonferenz und weiteren Podiumsauftritten echte Hits bei YouTube (Link 1, Link 2).

Nach Legats Demission am 1.Mai 2016, immerhin damals noch einen Punkt vom ersten Abstiegsrang getrennt, stieg der FCR wenige Wochen später wieder mal in die siebtklassige Bezirksliga ab, schaffte jedoch sofort den Wiederaufstieg. Nach einem befriedigenden 12.Platz im Vorjahr, steht das Team von Trainer Sar (nicht verwandt oder verschwägert mit Saloth Sar!) abermals im Tabellenkeller. Die erwähnte Klatsche im Derbyhinspiel und das 0:1 am letzten Wochenende in Amern, sorgten derweil nicht gerade für einen entspannten Start ins Kalenderjahr 2019.

Den größeren Druck hatten heute also die Hausherren und wie zu erwarten, war das Duell zweier Abstiegskandidaten in der Landesliga kein Augenschmaus. Die Remscheider wirkten dabei einen Tick motivierter und hatten natürlich das Gros der rund 300 Zuschauer auf ihrer Seite. Im Gästeblock waren dagegen nur rund 20 Menschen auszumachen und diese waren wohl eher Angehörige der Spieler, denn eingefleischte Fans des VfB Solingen. Im Gegensatz zu den rund 60 Supportern auf der Heimseite, die sich hinter einem Banner mit der Aufschrift „Ihr für uns, wir für Euch! Gemeinsam zum Klassenerhalt!“ versammelt hatten, machte man nicht akustisch auf sich aufmerksam.

Jubeln durfte in den ersten 45 Minuten keiner, da die komplette 1.Halbzeit als Abtastphase durchging. Hier und da mal ein Warnschuss in die Arme der Torhüter und ansonsten viel Kampf im Mittelfeld. Von der Remscheider Fantribüne gab es jedes Mal Szenenapplaus für beherztes Einsteigen, während sich über Fouls der Solinger logischerweise immer lautstark und gestenreich echauffiert wurde. Die Spieler nahmen dieses verbale Zuspiel gerne an und es war auf beiden Seiten gelegentlich arg theatralisch. Der Schiedsrichter behielt jedoch kühlen Kopf und ließ sich bei der Spielleitung nicht beirren.

In der Halbzeit gönnte ich mir für faire 2,50 € eine leckere Bratwurst im Brötchen (Eintritt heute übrigens 6 € für einen überdachten Sitzplatz), musste den Nachdurst jedoch recht teuer für 2,70 € pro Gebinde (0,3 l) bekämpfen. Hätte ich Begleiter gehabt, hätte ich dennoch vorgeschlagen die 2.Halbzeit am Bierstand zu verbringen. Denn auch nach Wiederanpfiff blieb es eine zerfahrene Partie. War fußballerisch im Prinzip der selbe Rotz wie gestern, nur obendrein in Zeitlupe. Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und prophezeie, dass Hannover 96 in seiner aktuellen Verfassung sowohl die Remscheider, als auch die Solinger, locker mit 2:0 oder 3:0 besiegen würde.

Ich liebäugelte nach zwei Dritteln der Spielzeit so langsam mit vorzeitigem Aufbruch. Doch die Zugbindung meines Sparpreis-Tickets entpuppte sich nun als wahre Geißel. Gut, nach Wuppertal hätte ich theoretisch schon einen Zug früher nehmen können und dann dort knapp ’ne Stunde Aufenthalt gehabt. Aber was hätte ich da schon Besseres anstellen können? Also wurde sich auf die Zähne gebissen und bis zum bitteren Ende durchgehalten.

Und siehe da, rund 10 Minuten vor Schluss passierte doch noch etwas. Ferhat Ülker spielte einen Zuckerpass in den Lauf des Angreifers Dustin Najdanovic. In der 80.Spielminute schloss der FCR-Stürmer diesen schönen Spielzug zum 1:0 ab. Großer Jubel auf der Haupttribüne und die Mannschaft rannte geschlossen zum Fanblock. Mit der erlösenden Führung und den anpeitschenden Fans im Rücken, konnte der FCR die folgenden Angriffsbemühungen der Solinger im Keim ersticken und in der 88.Minute sogar noch das 2:0 erzielen.

Patrick Posavec (nicht verwandt oder verschwägert mit Srebrenko Posavec!) behauptete sich bei einem Konter gegen mehrere VfB-Verteidiger und den folgenden Querpass drückte Ferhat Ülker über die Linie. Drei wichtige Punkte für die Blauen aus Remscheid, während die Gäste aus der Klingenstadt nun wieder tiefer in den Abstiegskampf gezogen wurden.

Ich stratzte jetzt zum wenige hundert Meter entfernten Bahnhof und nahm die nächste S-Bahn nach Wuppertal-Oberbarmen. Dort hatte ich knapp 30 Minuten Aufenthalt und fand auf dem Bahnhofsvorplatz einen hochfrequentierten Dönerladen namens Wupper Grill. Ein halbes Dutzend Mitarbeiter schuftete im Akkord und fertigte arbeitsteilig und eingespielt in Windeseile eine hungrige Meute ab, deren Zustrom nicht nachlassen wollte. Ich gönnte mir eine Dönerrolle für 4,50 € und sollte damit für den Rest des Tages gesättigt sein.

Dann ging es via Hamm nach Hannover und die Fahrzeit wurde sich mit der Arbeit an diesem Bericht und der Aufzeichnung der aktuellen Ausgabe der TV-Sendung Doppelpass vertrieben. Martin Kind hatte heute nämlich seine Aufwartung gemacht und begeisterte einmal mehr mit seinen vor Jahren auswendig gelernten Satzbausteinen und alternativen Fakten. Selbst Reinhold Beckmann gelang es zeitweilig den alten Mann aus Burgwedel noch älter aussehen zu lassen. Was wäre nur in Hannover möglich, wenn es hier kritischen Journalismus gäbe?