Montevideo 09/2018

  • 01.10.2018
  • Vélez Sarsfield – Aldovisi 2:0
  • Superliga Argentina de Futbol (I)
  • Estadio José Amalfitani (Att: 18.000)

Nachdem der ziemlich beschissene Sonnabend noch ein halbwegs versöhnliches Ende mit dem Besuch der Argentinos Juniors und dem Abendessen auf Diego Maradonas Platz im Restaurant Chichilo gefunden hatte, dachten wir beim Zubettgehen eigentlich, dass es keinen tieferen Tiefpunkt geben wird und es wieder aufwärts geht. Nur der Reiseleiter hatte irgendwie ein mieses Gefühl und surfte nach Mitternacht im Bett nochmal im Internet. Und siehe da, etwas Unfassbares war geschehen. Das Unwetter, welches am Vortag in Buenos Aires schon für (unberechtigtes) Spieltagschaos sorgte, traf Montevideo volle Breitseite. Nachdem Samstagmittag der erste Kick des Spieltags wegen Sturm und Gewitter abgebrochen werden musste, kam der Uruguayische Fußballverband auf die glorreiche Idee den ganzen Spieltag abzusagen. Wären es nur die Samstagspartien gewesen, okay, aber der Sonntag musste ebenfalls dran glauben und die beiden geplanten Spielbesuche Danubio – Cerro (im Estadio Jardines del Hipódromo) und Rampla Juniors – Penarol (im Estadio Centenario) waren Geschichte.

Die Hafengegend von Buenos Aires

Besonders dem Centenario, den Spielort des ersten WM-Endspiels 1930, trauerte ich nun die ganze Nacht nach. Da der Rest schon schlief, zermarterte ich mir vorerst allein den Kopf über den Umgang mit der Horrormeldung. Stornieren konnte man den Trip nach Uruguay nicht und 115 € wären in den Wind geschossen, würden wir die Reise nicht antreten. In Buenos Aires drängte sich auch kein Jahrhundertspiel als Alternative auf, so dass ich irgendwann mit der Tendenz trotzdem nach Montevideo zu fahren einschlief.

Fährenfrühstück

Meiner Einschätzung schlossen sich am nächsten Morgen alle an und nachdem bereits am Fährterminal der Einreisestempel Uruguays im Pass landete, legte pünktlich um 8:15 Uhr die Fähre nach Colonia del Sacramento ab. Wir hatten nämlich geplant zunächst diese Buenos Aires am Rio de la Plata direkt gegenüberliegende Kleinstadt zu besuchen (UNESCO Weltkulturerbe) und von dort mit dem Bus weiter ins 170 km entfernte Montevideo zu reisen. Montagmorgen sollte es dann mit der Direktfähre aus Uruguays Hauptstadt wieder zurück nach Buenos Aires gehen.

Willkommen an Uruguays Küste

75 Minuten dauerte die Überfahrt, welche mit Frühstücken überbrückt wurde. Am Ziel organisierten wir uruguayische Pesos und spazierten bei schönem Wetter (heiter bis wolkig) durch die Altstadt von Colonia. Eigentlich hatten wir vor gehabt, dass es schon nach 90 Minuten weiter geht (Colonia ist wirklich sehr überschaubar), doch mangels fußballerischen Terminen blieben wir jetzt 4,5 Stunden und ließen uns alle Zeit der Welt für Uruguays älteste Stadt.

Basilika des Allerheiligsten Sakraments

Im Jahre 1680 wurde Colonia del Sacramento von den Portugiesen als Fort und Kirchspiel gegründet. Damals erhob Portugal Anspruch auf die Ostküste des Rio de la Plata, dem 290 km langen und bis zu 220 km breiten Mündungstrichter der großen südamerikanischen Ströme Río Paraná und Río Uruguay in den Atlantischen Ozean. Den Spaniern, die 100 Jahre zuvor Buenos Aires am gegenüberliegenden Ufer gegründet hatten, gefiel das gar nicht und sie eroberten das Fort der Portugiesen noch im selben Jahr. Dann gab es 1681 den Frieden von Lissabon und bis 1705 waren die Portugiesen erneut die Herren über Colonia. Im Spanischen Erbfolgekrieg wiederum gewannen die Spanier 1705 die Stadt und ihr Umland zurück und behaupteten sich bis zum Frieden von Utrecht (1713).

Der Leuchtturm von 1857

Jetzt folgte eine relativ lange portugiesische Herrschaft von 1714 bis 1762, doch meine langweilige Aufzählung ist noch lange nicht zu Ende. Denn der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) tobte als Protoweltkrieg auch auf dem amerikanischen Kontinent und 1762/63 eroberten die Spanier im Rahmen dieses bewaffneten Konflikts Colonia del Sacramento für mehrere Monate zurück. Mit dem Frieden von Paris (1763) wurde jedoch der portugiesische Anspruch von allen Friedensparteien anerkannt. Der neue und alte Herr über die Stadt behauptete sich diesmal bis 1777. Denn im neuerlichen Spanisch-Portugiesischen Krieg (1776 – 1777) eroberten die Spanier das ganze Gebiet des heutigen Uruguays, inklusive Colonia, von den Portugiesen zurück.

Zentraler Platz der Altstadt

Spaniens Fahne wehte nun bis 1811 ein letztes Mal über der befestigten Stadt, doch die Besitzverhältnisse blieben weiterhin umkämpft. Von 1811 bis 1817 herrschten erstmal die Unabhängigkeitskämpfer der Liga Federal über die Provinz Banda Oriental (das Gebiet des heutigen Staates Uruguays). Im Buenos-Aires-Bericht hatte ich bereits kurz die Mairevolution von 1810 angeschnitten, welche das damalige spanische Vizekönigreich des Rio de La Plata (zu dem u. a. das heutige Argentinien und Uruguay gehörten) zerfallen ließ.

Romantische Gassen prägen das Altstadtbild

Argentinien wurde 1816 wirklich ein unabhängiger Staat, nach Uruguay streckte jedoch abermals Portugal seine Fühler aus, um dort das entstandene Machtvakuum zu füllen. Die Unabhängigskeitkämpfer der Liga Federal mussten sich dabei 1817 dem Vereinigten Königreich von Portugal und Brasilien geschlagen geben. Wir erinnern uns an meinen Bericht aus Petrópolis; seit 1807 residierte die königliche Familie Portugals in Rio de Janeiro und seit 1815 waren Portugal und Brasilien zwei seperate Königreiche, jedoch vereint in Personalunion.

Die Häuser im Kolonialstil sind bunt angestrichen

Und wir rufen uns in Erinnerung, dass Brasilien sich 1822 für unabhängig erklärte und der portugiesische Kronprinz, der in Brasilien Statthalter seines nach Portugal zurückgekehrten Vaters war, als Dom Pedro I zum ersten Kaiser Brasiliens gekrönt wurde. Entsprechend gehörte das heutige Uruguay ab 1822 zum Kaiserreich Brasilien.

Plaza de Armas

Seinen ersten Krieg musste Kaiser Dom Pedro I ab 1825 gegen die immer noch vorhandenen Freischärler in der Banda Oriental, sprich in Uruguay führen. Die so genannten Los Treinta y Tres Orientales (33 Orientalen) wurden dabei vom benachbarten Argentinien unterstützt. Am 27.August 1828 kam es zwischen den Konfliktparteien mit der Convención Preliminar de Paz in Rio de Janeiro schließlich zum Friedenschluss und der von Brasilien unabhängige Staat Uruguay war geboren.

Das typische Straßenplaster

Damit kann ich die öde Aufzählung beschliessen, denn seitdem hat sich an den Besitzverhältnissen der Stadt Colonia nichts mehr geändert (zwischenzeitliche Bürgerkriege in Uruguay klammere ich mal aus). Da auch das Stadtbild (der Altstadt) wenig Veränderung in den letzten Jahrhunderten erfahren hat, nahm die UNESCO Colonia del Sacramento 1995 in seinen Welterbekanon auf. Begründung: Das gut erhaltene Stadtbild veranschaulicht die gelungene Verschmelzung von portugiesischer und spanischer Kolonialarchitektur und des post-kolonialen Stils.

Ehrenwerte Hunde gab es auch in Colonia

War auch wirklich ganz nett auf dem groben Kopfsteinpflasterstraßen von Colonia rumzuspazieren und sich die alten Gemäuer anzuschauen. Außerdem war wenig los. Die meisten unserer Mireisenden von der Fähre wurden gleich am Hafen in die Busse zur Weiterfahrt nach Montevideo verfrachtet, da es bei der entsprechenden Paketbuchung keine Möglichkeit für einen Abstecher in die Stadt gibt. Wir hatten dagegen nur die Fähre gebucht und den Bustransfer erst in Colonia am Busbahnhof geklärt. Busverbindungen gibt es etliche pro Tag und ca. 10 € muss man für den Transfer in die Hauptstadt noch einplanen.

Caipis bei Buenos Vientos

Nachdem wir mutmaßlich alles Sehenswerte gesehen hatten, war es an der Zeit so genanntes Bier zu trinken und sich mit den lungernden Hunden der Stadt anzufreuden. Dazu ließen wir uns in Ufernähe bei der Bar Buenos Vientos nieder. Auf die ersten Biere folgten irgendwann Caipis, da die mit ca. 2,50 € genauso teuer wie Bier waren. Der Tag wurde nun langsam unser Freund und schneller als gedacht näherte sich die Uhr unserer Abfahrtszeit (14 Uhr). Gegen 13:30 Uhr machten wir uns auf Busbahnhof und passierten dabei noch das Gebäude der Bezirksregierung und zahlreiche Restaurants. Unser Augenmerk galt jedoch ausschließlich dem Einzelhandel. Nach diversen Bieren und Caipis, sollte auf der 2,5 Stunden langen Busfahrt kein kalter Entzug folgen. Ein Kiosk offerierte eiskaltes uruguayisches Bier namens Norteña für umgerechnet 1 € pro Dose und unser Gepäck wurde damit vervollständigt.

Die Bezirksregierung in Colonia

Dass Alkoholkonsum in uruguayischen Bussen gestattet ist, merkten wir schon bei der Ticketkontrolle. Denn die ersten Kannen Norteña waren bereits beim Zustieg offen. Leicht zugekachelt stieg die Vorfreude auf die Hauptstadt des kleinen Nachbarlandes von Argentinien. Es würde zwar kein Fußballspiel stattfinden, aber vielleicht könnte gerade dieser Tag überraschenderweise einer der besten der Reise werden. Partys auf die man sich nur widerwillig mitschleppen lässt, werden schließlich auch meistens die besten…

Oldtimer

Mit dem Bier konnten wir auch gleich wieder verdrängen, dass wir bei Abfahrt an einem Sportplatz in Colonia vorbeikamen, wo ein Amateurspiel lief. Die unterklassigen Ligen schienen also nicht von der Generalabsage des Verbandes betroffen zu sein (1. und 2.Liga waren es aber definitiv). Schon verrückt, der Himmel hatte sich zwar mehr und mehr zugezogen, aber Regen oder Sturm gab es heute bisher nicht. Ich weiß natürlich nicht, wie schlimm die Zustände am Vortag waren, doch am heutigen Nachmittag hätte man prima kicken können.

Uruguayisches Bier

Bei Ankunft in Montevideo war das Wetter immerhin so regnerisch, dass eine 3.Herrenmannschaft wohl überlegt hätte, ob man anstatt zu kicken lieber gleich den Kabinensuff startet. Aber immer noch alles im Rahmen. Im Gegensatz zu den ersten Eindrücken von Montevideo… Zunächst gab es eine wüste Schlägerei am Taxistand (Grund unklar), die von Sicherheitskräften beendet wurde. Danach stiegen wir in ein Taxi, man durfte jedoch nur hinten Platz nehmen und eine Schutzwand mit kleinem Geldschlitz trennte uns vom Fahrer. Das hätte ich im Vorfeld der Reise eher in Rio, São Paulo oder meinetwegen noch Buenos Aires erwartet (dort gab es allerdings nur „normale“ Taxis). Denn Montevideo soll laut Reiseführern eigentlich sehr sicher sein und Uruguay wird gerne die Schweiz Südamerikas genannt?!

Nett, dieses Montevideo

Wir passierten nun relativ unseriös wirkende Barrios zwischen Busbahnhof und Ciudad Vieja (Altstadt) und unser gebuchtes Hotel, unweit vom Plaza Independencia und der Altstadt, wirkte ebenfalls nicht sonderlich einladend. Eher ’ne Bruchbude. Der Rezeptionist erwähnte gleich im zweiten Satz, dass man auf der Dachterrasse Cannabis rauchen darf. Scheint diesbezüglich wohl einen gewissen Rauschmitteltourismus nach Uruguay zu geben, seit es dort legal ist.

Unsere Zimmer

Danach holte er einen Stadtplan raus. Wir unterstellten, er wolle uns nun zeigen wo man diese begehrten Rauschgifte erstehen kann. Doch schlimmer, er zog einen großen Kreis um die Altstadt und sagte, dass wir da auf keinen Fall nach Einbruch der Dunkelheit (also gleich) hindürfen. Viel zu gefährlich! Dann zog er einen weiteren Kreis um ein anderes Barrio, weil dieses auch zu gefährlich sei. Der dritte Kreis war dann die kleine „sichere“ Zone der Innenstadt, rund um den Plaza Independencia. Da seien ein paar Bars und Restaurants, da sei es sicher, gab er uns mit auf den Weg.

Sexy Bruchbude

Wow, das war ja mal ein Einstieg. So etwas habe ich noch nirgends auf der Welt erlebt. Nichts Schweiz von Südamerika, anscheinend eher Cali oder Kabul. Wie schön, dass es alsbald dunkel wurde. Dazu waren die Straßen in der Innenstadt auch einfach mal menschenleer und kaum etwas hatte geöffnet (außer Apotheken, in denen man als uruguayischer Staatsbürger Cannabis erwerben kann). Okay, es war Sonntag, aber trotzdem?! Das hier ist immerhin die Hauptstadt mit 1,3 Millionen Einwohnern! Da muss doch irgendwas gehen?

Ausblick vom Hotel

Eine der wenigen geöffneten Bars war das Patagonia gegenüber vom Teatro Solis (einem der wenigen sehenswerten Gebäude der Stadt). Bis auf einen Doppelgänger von Danny Trejo am Tresen gab es zwar um 18 Uhr noch keine weiteren Gäste, aber egal, wichtig waren Biere und Sitzgelegenheiten. Außerdem waren an jedem Tisch Jenga-Türme aufgebaut, so dass wir was zu spielen hatten. Dazu verstärkte Danny Machete Trejo seinen unseriösen optischen Eindruck, als er den Laden kurz verließ, um in ein vorgefahrenes Automobil zu steigen und mit dem Fahrer eine Transaktion durchzuführen. Danach brauste der PKW hinfort und Machete setzte sich zurück an den Tresen.

Craftbeer & Jenga

Bei patagonischen Bieren à 3 € für den Halben (war halt so genanntes Craftbeer) recherchierten wir nun die Essensmöglichkeiten im Umkreis. Denn der Hunger war groß geworden und Steaks sollen die Urus angeblich gut können! Blöd nur, dass fast alle Steakhäuser sonntags Ruhetag hatten. Immerhin das Danubio Azul sollte um 20 Uhr öffnen, so dass wir bei mittlerweile strömendem Regen um 19:55 Uhr die 500 Meter dorthin liefen. Doch alles außer der Küchenbereich war noch abgedunkelt. Ein Kellner kam zur Tür und teilte mit, dass erst um 21 Uhr geöffnet wird.

Teatro Solis

Da wir zur Zeitüberbrückung nicht gleich wieder ins Patagonia zurück wollten, gingen wir in die andere Richtung und wurden wenig später am Platz Juan Pedro Fabini mit dem La Pasiva fündig. Eine Art Brasserie in einem Glaspavillon auf dem begrünten Platz. Hier gab es ein uruguayisches Bier namens Zillertal und nachdem jeder sein Liter-Gebinde geleert hatte, konnten wir bei mittlerweile Orkanböen zurück zum Restaurant laufen. Jetzt hätte doch kein Fußballspiel mehr stattfinden können!

Zillertaler Promillejäger

Im Danubio Azul waren wir logischerweise die ersten Gäste, sollten bis zu unserem Abmarsch eine Stunde späte auch die einzigen bleiben. Das mag wohl hauptsächlich dem Sturm geschuldet gewesen sein (es war ja wirklich nirgendwo etwas los) und dem Umstand, dass Sonntag in Uruguay kein Ausgehtag zu sein scheint (es hatte, wie bereits erwähnt, wirklich fast alles geschlossen). Das Essen war wenigstens besser als der bisherige Eindruck von Montevideo, denn es war wenigstens durchschnittlich. Insgesamt war mir das Rumpsteak (ca. 10 € mit Beilagen) allerdings etwas zu sehnig und zu durch für die gewünschte Garstufe medium.

Steakzeit in Montevideo

Kurz nach 22 Uhr kehrten wir schließlich ins Patagonia zurück. Mittlerweile waren alle vier Tische besetzt (ist ein kleiner Laden) und Machete saß immer noch am Tresen. Unser großer Tisch von vorhin war von drei Frauen in Beschlag genommen worden, die uns aber gerne in ihre Runde aufnahmen. Sie entpuppten sich als Lehrerinnen, die zuvor eine Theateraufführung im Teatro Solis gegenüber besucht hatten und nun auf einen Absacker im Patagonia waren. Sie beherrschten alle fließend Englisch und hatten neben Flirten auch noch Bock auf Jenga.

International Jenga Friendly

Deutschland verlor natürlich die erste Runde gegen Uruguay. Als dann auch die Revanche mißglückte, stellten sie ihre flinken Finger (leider mit den bösen Ringen ausgestattet) kein drittes Mal zur Verfügung. Schließlich mussten sie am nächsten Morgen wieder unterrichten und verabschieten sich gegen 23:30 Uhr. Mitternacht war nun sowieso Feierabend im Patagonia und wir ließen uns von der Bardame noch Alternativen aufzeigen. Eine einzige Disco, allerdings weit weg, hätte auch sonntags in Montevideo geöffnet und ansonsten habe der Irish Pub um die Ecke immer länger auf. Dann mal ab zum Irish Pub!

Auf dem Weg von Bar zu Bar kam uns lediglich ein Mensch entgegen. Ein Typ, der mit seinem Hund Gassi ging. In der einen Hand die Hundeleine, in der anderen Hand eine Baseballkeule… Hätte ich mich mal getraut den zu fotografieren, es hätte kein besseres Titelbild für Montevideo geben können!

Live Mukke im Pub

Im Pub nahmen wir auf der Empore Platz und genossen die gebotene Livemusik. Fat Lo war wie immer leicht zu begeistern, denn er verliebte sich sofort in die Sängerin bzw. ihre Stimme („Die klingt komplett wie Amy Winehouse […] Sensationell! […] Boah ist die gut!“). Der Rest versuchte mit Zillertaler eine Beziehung einzugehen. Das Bier war jedoch lediglich preiswert (2,50 € der Liter), aber nicht wirklich lecker. Immerhin hatte Milano, der alte lombardische Schürzenjäger, noch Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Allerdings hatte sie einen Freund und war nur daran interessiert ihre Deutschkenntnisse aus der Schule mal wieder anzuwenden.

Gegen 1 Uhr war auch im The Shannon Zapfenstreich und es ging zurück ins nahe Hotel. Dort zechten noch ein paar Unentwegte mit dem Nachtportier, was ganz witzig gewesen sein soll. Ich ging jedoch ins Bett und freute mich tierisch darauf in wenigen Stunden wieder in Buenos Aires zu sein („Was ist das beste an Montevideo?“ „Die Fähre nach Bunos Aires!“).

Plaza Independencia

Nach einem miesen Frühstück in unserem Bruchbudenhotel (aber für 15 € pro Nacht will ich keine hohen Ansprüche stellen), machten wir noch einen Rundgang durch die Innen- und Altstadt von Montevideo und begannen diesen am Plaza Independencia. Dieser markiert das Ende der Ciudad Vieja und den Beginn des modernen Stadtzentrums (Barrio Centro).

Puerta de la Ciudadela

In der Mitte des Platzes steht das Reiterstandbild des Generals José Gervasio Artigas, der als Vater der Unabhängigkeit Uruguays gefeiert wird. Wer ihn persönlich ehren will, kann das gleich unterhalb der Statue im Artigas-Mausoleum tun. An der Oberfläche wartet das Areal noch mit dem eklektischen Palacio Salvo (Montevideos Wahrzeichen und der architektonische Cousin des Palacio Barolo in Buenos Aires) und dem ehemaligen Stadttor Puerta de la Ciudadela auf. Der Rest der Bebauung verdient eigentlich keine gesonderte Erwähnung. Lediglich das angrenzende und bereits gewürdigte Teatro Solis ist noch einen An- und Einblick wert.

Plaza Independencia mit dem Palacio Salvo

Durch die Puerta de la Ciudadela ging es anschließend in die Altstadt hinein. Immer die Hauptachse und Fußgängerzone Calle Sarandí entlang. Gefährlich wirkte das Barrio kein Stück. Allerdings weiß ich natürlich nicht, was hier nachts los ist, wenn das geschäftige Treiben beendet ist. Bewohnt wird das Viertel jedenfalls vorwiegend von einkommensschwächeren Menschen, weil die meisten Häuser in schlechtem Zustand und die Mieten dementsprechend erschwinglich sind.

Catedral Metropolitana de Montevideo

Das touristisch bedeutenste Bauwerk der Altstadt ist wahrscheinlich die Kathedrale Metropolitana de Montevideo. Die 1804 geweihte Hauptkirche des Erzbistums Montevideo ist in meinen Augen allerdings auch kein herausragendes Beispiel des lateinamerikanischen Sakralbaus. Außerdem lässt sie sich durch die enge Bebauung der Altstadt nicht vernünftig fotografieren, was nochmal Abzüge in der B-Note gab.

Unterwegs in der Altstadt

Insgesamt ist Montevideo keine besonders alte Stadt. Sie wurde 1726 aus strategischen Gründen von den Spaniern gegründet und wie in Buenos Aires wurde die Stadt gemäß der Leyes de Indias angelegt. Also sehen wir hier ebenfalls ein Schachbrettmuster auf dem Stadtplan (mit Planquadraten von je 83,5 m Breite). Die Stadt wurde natürlich als Konkurrenz zum seinerzeit portugiesischen Colonia del Sacramento konzipiert und sollte dazu dienen die spanische Präsenz auf der orientalischen Seite des Rio de la Plata zu sichern.

Altes Gemäuer im Hafenviertel

Die Spanier bauten Montevideo im späten 18.Jahrhundert zu einer wichtigen Hafen- und Handelsstadt aus, doch 1814 übernahm auch auch hier die Liga Federal die Kontrolle (bis 1817). Danach folgte, analog zu Colonia del Sacramento, das Vereinigte Königreich von Portugal und Brasilien (bis 1822) bzw. das Kaiserreich Brasilien (bis zur Unabhängigkeit Uruguays 1828) als Herrscher über Montevideo.

Ein bißchen Graffiti gab es auch

Nach der Unabhängigkeit stieg Montevideo rasch zur Primatstadt des jungen und agrarisch geprägten Landes auf. Der Hafen, den wir nun auch auf unserem Rundgang erreichten,  wurde im 19. und 20.Jahrhundert massiv ausgebaut und machte Montevideo als Handelszentrum am Rio de la Plata wettbewerbsfähig gegenüber Buenos Aires. Eine Städterivalität, die bis heute spürbar ist und bei der man sich in Sachen Tango, Fleischqualität, Fußball und auf vielen weiteren Feldern frotzelt.

Bunte Häuser im Hafenviertel

Unser Fazit in dieser Konkurrenz war natürlich klar: Buenos Aires über alles! Gut, Montevideo und wir haben uns sicher auf dem falschen Fuß kennengelernt, aber auch mit tollen Fußballerlebnissen, schönem Wetter, kulinarischen Höhepunkten (die viel gerühmte Markthalle am Hafen blieb uns z. B. verwehrt) und einer richtigen Partynacht… Ich glaube nicht, dass Montevideo in unserer Gunst an Buenos Aires vorbeigezogen wäre. Nichtsdestotrotz, es wird irgendwann mal eine zweite Chance für Montevideo geben. So fair ist Schneppe Tours.

Big Dog

Vor unserer mittäglichen Fährabfahrt schauten wir uns noch in der Hafenzone um (die übrigens nicht frei zugänglich ist, aber die meisten Touris verlassen die Stadt ja eh mit der Fähre). Dort gibt es neben Schiffen, Kontoren und Kränen noch diverse maritime Relikte zu sehen. Unter anderem ist der Anker des 1939 in der Mündung des Rio de la Plata selbst versenkten deutschen Panzerschiffes Admiral Graf Spee als Denkmal ausgestellt.

Am Hafen

Die Überfahrt (etwas über zwei Stunden mit der 60 US$ teuren Expressfähre von Buquebus) wurde schließlich fast komplett verschlafen und Buenos Aires empfing uns mit Sonnenschein. Unweit des Fährhafens kehrten wir nun in ein einladendes Innenstadtrestaurant ein. Im El Establo wurden uns vorzügliche Steaks serviert. Ein Teil nahm Bife de Chorizo nach Art des Hauses (mit Ei, Speck und Gemüsebeilage) und ein Teil Bife de Lomo. Ich gehörte zu ersteren und war hochzufrieden. Weil das Bife de Lomo jedoch noch leckerer schmeckte, war nach einem Probierhappen klar, dass das nicht mein letzter Besuch hier sein würde.

Bife de Chorizo im El Establo

Nach dem Essen stand nicht so viel auf der Agenda. Wir spazierten durch die altbekannte Innenstadt wieder zurück zum Hotel und beschlossen am Abend noch zwei Programmpunkte anzugehen. Zum einen wollten wir versuchen am Stadion von River Plate schon mal an Karten für das morgige Viertelfinalrückspiel der Copa Libertadores gegen Independiente zu kommen. Zum anderen noch das heutige Fußballspiel von Vélez Sarsfield gegen Aldosivi (1.Liga) besuchen.

Mal wieder durch Buenos Aires spaziert

14 km war das Estadio Monumental de River Plate vom Hotel entfernt. Also wurde wie so oft auf Taxis gesetzt. Mit ungefähr 2 € pro Person wieder eine preiswerte Angelegenheit. Doch leider durften wir am Ziel kein Geld  für Matchtickets loswerden. Das Spiel war ausverkauft und Tickets gab es sowieso nur für Mitglieder (Socios) von River Plate. Die Fanshop-Mitarbeiter gaben uns wenigstens noch Tipps für den Schwarzmarkt und ein Fan, der gerade sein reserviertes Ticket abholte, ließ uns Fotos davon machen. Damit wir uns am nächsten Tag keinen Schrott andrehen lassen.

Abends am Estadio Monumental

Wir spazierten dann mit leider leeren Händen ein wenig durch das angrenzende Barrio und kehrten auf einen Burger und ein Bier in das Lokal Biblos ein. Ein Exemplar mit Hacksteak, Schinken, Käse und Ei kostete zusammen mit Fritten und Bierbegleitung ca. 8 €. Da konnte man nicht knurren. Und mit Bier kann man sich bekanntlich am besten auf Fußball einstimmen.

Burgertime

Nach dem Abendessen täuschten Fat Lo und El Glatto Müdigkeit vor, so dass es nur zu viert raus nach Vélez Sarsfield bzw. Liniers ging. Für die 18 km wurden ebenfalls nur knapp 8 € (also wieder nur 2 € pro Kopf) fällig. An der Stadionkasse erwarben wir nun Tickets à 1.200 Pesos (ca. 24 €) und durften damit pünktlich zum Anpfiff auf der Gegengerade des Estadio José Amalfitani Platz nehmen (Kapazität: 49.747 Plätze).

Floodlight

In der noch jungen Saison (7.Spieltag) empfingen die Hausherren als Tabellenzwölfter (8 Punkte) am heutigen Abend den aktuellen Dritten (12 Punkte). Beim Anblick des Spiels hätte man allerdings umgekehrte Voraussetzungen vermutet. Nach einer Abtastphase von rund 25 Minuten nahmen die Offensivbmühungen von Vélez an Fahrt auf. Nicolas Dominguez (26.Minute) setzte den ersten Torschuss des Abends neben das Gästegehäuse.

Der Ball rollt

Nachdem auch die grün-gelb Gestreiften aus dem berühmten Seebad Mar del Plata in der 29.Minute durch Christian Chavez auch einen Warnschuss abgegeben hatten, übernahm Vélez endgültig das Zepter. Lucas Robertone (35.), Gaston Diaz (36.), Rodrigo Salinas (42.) und nochmal Robertone (45.) hatten schon vor der Pause die Führung auf dem Fuss bzw. auf der Stirn.

Teilweise gut gefüllte Ränge

Im zweiten Durchgang machte der Copa- und Weltpokalsieger von 1994 da weiter, wo er vor der Unterbrechung aufgehört hatte. In der 55.Minute köpfte Salinas knapp daneben und in der 69.Minute fiel endlich die verdiente Führung. Matias Vargas schlenzte aus 20 Metern den Ball in den Torwinkel. Ein absolutes Traumtor. Da applaudierte sogar Milano Pete stehend, der bisher als größter Kritiker der argentinischen Fußballqualität in unseren Reihen auffiel (nicht unberechtigt, nach dem bisher Gebotenen auf dieser Reise).

Die Kurve der Hinchas von Velez

Überhaupt schien der kleine Italiener sich hier ganz wohl zu fühlen. Denn Vélez machte kein Geheimnis daraus, das der Club und der Großteil der Anhängerschaft Teil der italienischstämmigen Gemeinschaft von Buenos Aires sind. So war das alte Vereinsemblem ein grün-weiß-rot gestreiftes Wappenschild und das Trikot von 1914 bis 1933 ebenfalls in Italiens Nationalfarben gestaltet (seit 1933 allerdings weiße Trikots mit dem charakteristischen blauen V auf der Brust). Dazu wirkte der Support der Barra auch italienischer als bei den bisher besuchten Teams in Argentinien. Klar, die Melodien waren größtenteils die gleichen wie anderswo in Buenos Aires und Bänder waren auch gespannt (mit einer italienischen Tricolore quer darüber). Jedoch verzichtete man z. B. auf eine Blaskapelle in der Kurve.

Die Gegengerade

Doch zurück zum Spiel, denn da passierte auch noch etwas. In der 79.Minute sorgte Salinas mit einem platzierten Kopfball aus 15 Metern, nach Freistoßhereingabe von Thiago Almada, für die Vorentscheidung. Der Ball schlug unhaltbar im Torwinkel ein. Ein zweites Traumtor führte also zum 2:0 und das Publikum drehte bei der eh schon guten Stimmung nochmal die Regler rauf.

Schöne Beflaggung

Aldosivis letztes Aufbäumen (Torschüsse von Telchea und Galeano in der 84. und 85.Minute) konnte keinen Anschluss mehr herstellen und Vélez-Coach Gabriel Heinze wechselte nochmal defensiv, so dass erst recht nichts mehr anbrennen konnte. Verdienter Sieg für den 10fachen Argentinischen Fußballmeister aus Buenos Aires, der annähernd 90 Minuten überlegen war und sich in der 2.Halbzeit dafür belohnte. Vélez ist nun Neunter und Aldosivi rutscht auf Platz 8 ab.

Die Haupttribüne

Auf dem Rückweg zum Hotel (wieder mal Taxi) beschäftigten wir uns nochmal mit Vélez großen Triumphjahr 1994. Die Copa gewannen sie damals im Finale gegen den São Paulo FC und anschließend den Weltpokal gegen den AC Milan. Mit José Luis Chilavert hatten sie seinerzeit eine echte Legende im Tor. Der wohl torgefährlichste Torhüter der Fußballgeschichte war gegen São Paulo im Endspiel übrigens wieder einmal vom Elfmeterpunkt erfolgreich gewesen. Dazu mit Roberto Trotta den vielleicht größten Treter der Fußballgeschichte, mit José Basualdo einen Vize-Weltmeister von 1990 und zeitweiligen Bundesligaprofi (1989 – 1991 beim VfB Stuttgart) und mit Mauricio Pellegrino einen weiteren Spieler mit internationaler Klasse.

Abmarsch vom Estádio José Amalfitani

Zurück am Kongress, wurden wir wieder mal an die Wirtschaftskrise hier erinnert. Wir sahen ein kleines Zeltlager von Demonstranten und etliche Polizisten vor dem Parlamentsgebäude. Die Demonstranten kickten im Schatten ihrer Che-Guevara-Banner auf dem Plaza del Congresso und die Polizisten blickten einer wahrscheinlich langweiligen Nachtschicht entgegen. Wir dagegen blickten der Ungewissheit entgegen, ob wir es am nächsten Tag zum größtmöglichen Fußballereignis der Reise ins Stadion schaffen werden. Nach einem Wochenende voller Pleiten, Pech und Pannen, hätten wir es uns redlich verdient.

Song of the Tour: Extra für Fat Lo.

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