Łódź (Lodsch) 07/2018

  • 28.07.2018
  • Łódzki KS – GKS Katowice 0:1
  • I Liga (II)
  • Stadion Miejski w Łodzi (Att: 5.008)

Die selbstauferlegte Sommer- und WM-Pause in Sachen Reisetätigkeit musste endlich ein Ende finden. Das konnte natürlich nirgendwo besser als in Polen zelebriert werden. Wäre ich in allen Belangen ungebunden, würde ich wohl fortan noch öfter rüberfahren. Land und Leute sagen mir einfach zu. Gut, der gebotene Fußball ist oft räudig, aber die Stadien und Fanszenen haben eine enorme Anziehungskraft auf mich. Und ich bin da natürlich kein Einzelfall. Mit Fat Lo, dem Abt und der Krake fand ich drei Mitstreiter für den 2.Spieltag von Polens 2.Liga.

Auf in das Heimatland dieses Bieres

Am Freitagmittag wurde nach der Arbeit schnell bei einem Fast-Food-Giganten gesnackt (und auf dem Parkplatz noch ein Paket vom ebenfalls gerade zufällig anwesenden DHL-Mann entgegen genommen, da er nun vergeblich zu meinem Arbeitsplatz gefahren wäre) und dann ging es auf die sehr freie A2 nach Osten. Das gute Durchkommen hatte sich leider zwischen Berlin und der Grenze erledigt. Dort standen wir zusammen mit einer Milliarde LKW aus Polen, Weißrussland, Litauen und der Ukraine über 2,5 Stunden im Stau. Fahrt nahm jetzt lediglich der Alkoholkonsum auf. Unterstützt von einer großen elektrischen Kühlbox (via Zigerettenanzünder) mit eiskaltem Bier und den Topstory Tapes von MC Bomber.

Union-Graffiti bei Berlin

An einer Tankstelle kurz vor der Grenze wurde nochmal der Firmenwagen mit der Flottenkarte vollgetankt und Abto und die Krake haben dort am Automaten aus 6 € stolze 40 € gezaubert. Ich bin bekanntlich zu rational denkend für Glücksspiel jeglicher Art, doch in meiner Gegenwart gewinnen meine Freunde dauernd. Das ist schon seltsam, aber vielleicht der Grund, warum sie meine Gesellschaft so gerne in Kauf nehmen. Ab Polen rollte der Verkehr wieder einwandfrei und ausbremsen konnten uns lediglich die ganzen Mautstellen bis zu unserem Zielort Łódź (Lodsch). Dazu kam polnischer Wodka ins Spiel und ein Wunschkonzert deutscher Rockmusik.

Welcomedrinks im Hotel

Unser Hotel war mitten in der 4,2 km langen Prachtstraße Ulica Piotrkowska. Das Auto konnte im Innenhof geparkt werden und kurz vor Mitternacht wollten wir nur fix unsere beiden Zwei-Bett-Zimmer (umgerechnet 40 € pro Nacht und Zimmer) im Aparthotel Łódź 55 beziehen. Doch der bereits angeheiterte Nachtportier holte sogleich Schnaps aus einer Schublade und bat zum gemeinsamen Umtrunk. Das kann man natürlich nicht ausschlagen. Danach schnell das Gepäck in die wirklich schönen Zimmer geworfen und Abmarsch ins Getümmel.

Kleiner Umtrunk

Łódź ist zweifelsohne eine Partystadt und nicht wenige der rund 750.000 Einwohner waren Freitagabend ausgegangen. Das machte es trotz ca. 96 Bars in unmittelbarer Hotelnähe (inklusive gleich drei davon im Innenhof) nicht einfach einen Tisch zu bekommen. Zumindest draußen wollten wir schon sitzen. Als wir nach wenigen hundert vergeblichen Metern die Pijalnia wódki i piwa passierten, erhoben sich zeitgleich zwei Pärchen von ihrem Tisch und wir hatten endlich unser Plätzchen. Obendrein auch noch bei einer preiswerten und mehrfach erprobten Kette.

Leider nicht in voller Länge fotografiert

Nebenan zog nach und nach jeder Geld am Automaten (im Brausekopf hob ich gleich mal 1.000 Złoty (233 €) ab, weil „Ach Leute, ich bin sowieso bald wieder in Polen“) und schon waren wir liquide für weitere Flüssigkeiten. Es flossen noch rund zwei Stunden Biere und Shots für ungefähr 1 € pro Stück die durstigen Kehlen hinunter und endlich durfte auch Fahrer Fat Lo zulangen (danke nochmal für dein Opfer als Fahrer!). Anschließend holten wir das Abendessen mitten in der Nacht nach und weil kein Zapiekanka-Imbiß zwischen Bar und Hotel lag (oder wir einfach zu blind waren), ging es in einen Dönerladen namens Zahir. Der war um 2:30 Uhr gerammelt voll, musste also gut sein. Es gab nun für jeden einen halben Meter Dürüm für so ungefähr 4,50 €. Da der Dönermaestro gleich zwei Yufkabrote untereinander legte und zusammenrollte, war das Prachtstück ergo fast doppelt so lang wie handelsübliche Dürüm in Deutschland.

Sexy Breakfast

Weil keiner den Koloss schaffte, gab es wenige Stunden später noch ein kleines Dürüm Breakfast im Hotel. So ein bißchen brachte der deftige Snack einen wieder nach vorn, aber eine kalte Dusche und Erfrischungsgetränke bewirkten noch mehr, um gewappnet für die Aufgaben des Tages zu sein. Da außer mir bisher noch niemand aus der Reisegruppe in Łódź war, musste es natürlich einen ausgedehnten Stadtrundgang geben. Alte Reiseveranstalterweisheit: „Wer saufen kann, kann auch Sehenswürdigkeiten ablaufen!“

Die Ulica Piotrkowska

Da wir wie erwähnt ziemlich mittig auf der Ulica Piotrkowska hausten und zum Stadion später nach Süden mussten, entschieden wir uns zunächst die Straße nordwärts bis zum dort abschließenden Plac Wolności (Freiheitsplatz) zu schlendern. Streetart und prächtige Fassaden begeisterten uns dabei. Am Freiheitsplatz erwartete uns unter anderem die sehenswerte Kościół Zesłania Ducha Świętego (Heilig-Geist-Kirche) und eine große Bühne. Łódź sollte doch tatsächlich ausgerechnet heute seinen 595.Geburtstag feiern.

Heilig-Geist-Kirche

Allerdings sieht man der Stadt ihr Alter nicht wirklich an, da Łódź bis ins 19.Jahrhundert noch ein kleiner Fleck auf der Landkarte war und erst während der Industrialisierung als „Manchester Polens“ zu einer der Metropolen des Landes aufstieg (1790, bei der ersten dokumentierten Zählung, lebten nur 190 Menschen dort). Einiges mehr zur Stadtgeschichte habe ich bereits in meinem ersten Bericht zu Łódź geschrieben. Copy & Paste erspare ich euch daher und verweise bei Interesse darauf.

Nicht jeder Hinterhof ist schön

Weil Łódź noch so jung ist, war die sich nördlich vom Plac Wolności befindliche Stare Miasto (Altstadt) ebenfalls kein Hort von besonders alter Bausubstanz. Der Stary Rynek (Alter Markt) verfügt wie fast das gesamte Viertel nur über Nachkriegsbebauung, die jedoch durch Arkadengänge ein wenig historisierend daherkommt. Bis um ungefähr 1800 standen hier lediglich ein ein paar hölzerne Wohnhäuser, sowie eine Kirche, eine Mühle und ein Rathaus aus Holz. Während der Industrialisierung wurden diese abgerissen und durch Backsteinhäuser ersetzt. Vor dem Zweiten Weltkrieg soll fast das gesamte Viertel eine geschlossene Backsteinbebauung gehabt haben. Die große Kościół Wniebowzięcia Najświętszej Maryi Panny (Kirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria) zeugt noch davon.

Kirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria

Auch der sehenswerte Palast des einstigen Textilfabrikanten Izrael Poznański befindet sich in der „Altstadt“. Diesmal war er leider zwecks Renovierung eingerüstet. Dafür erkundeten wir heute das angrenzende ehemalige Fabrikgelände von Poznański. Das hat man nun zu einem modernen Konsum- und Vergnügungsviertel in alten Backsteingemäuern umgebaut. Mit Luxushotel, Multiplexkino, Bowlingbahn, Diskotheken, Shopping Mall etc.

Haupteingangstor der Manufaktura

Auf dem wirklich tollen Manufaktura-Gelände interessierten wir uns trotz winkender Klimatisierung nicht für das Shoppingparadies, sondern für die dank Schirmen schattige Außengastronomie. Die Auswahl war riesig. Sogar das jüdische Restaurant aus der Fußgängerzone von meinem letzten Besuch (Anatevka) hatte einen Ableger hier. Allerdings war uns noch nicht nach viel Essen und irgendwann meinte jemand „Guck mal, da drüben steht Bierhalle dran“. Wenn es deutsch klingt, muss es gut sein…

Auf dem Manufaktura-Gelände

Übel war es aber wirklich nicht und wir stärkten uns mit Brot und kräftiger polnischer Sauersuppe mit Wurst- und Ei-Einlage (Zurek). Dazu eine Kontermaß hausgebrautes Bier. Mit der Hoffnung, dass danach endgültig alle Lebensgeister zurück sind.

Zurek & Piwo

Die Suppe erfüllte ihren Zweck, aber das Bier hätte eigentlich noch nicht wieder sein müssen. Egal, wir sind Männer und trinken nunmal keine Fanta. Mit der Gewissheit abends nochmal eines der besseren Restaurants hier zu testen, verließen wir am Nachmittag gegen 15 Uhr wieder das Gelände. Wir erkundeten nun noch ein paar Nebenstraßen der Piotrkowska, inklusive einem Abstecher zur orthoxen Kathedrale der Stadt (Sobór św. Aleksandra Newskiego, siehe Titelbild), und dann wurde gegenüber vom Hotel im „Frosch-Markt“ (Zabka) Schnaps für die Heimat gekauft.

Auch der Sozialismus hat Erbstücke im Stadtbild

Die Einkäufe mussten natürlich verstaut werden und jetzt wurde es ernst. Ich sollte vom Hotelzimmer das Auto mit der Fernbedienung öffnen. Nie ma problem! Allerdings ließ es nicht wieder abschließen. Die Karre war tot. Duży problem! Da hatten wir doch letzte Nacht vergessen die Kühlbox vom Zigerettenanzünder zu trennen. Ergo hatten wir rund 0,7 Tage später immer noch eiskaltes Bier im Auto, jedoch muss die Batterie just leer geworden sein. Guter Rat war jetzt teuer. Der Portier (natürlich immer noch der selbe Typ wie letzte Nacht) war schon wieder (oder immer noch) lattenvoll und konnte uns nicht weiterhelfen. Im Gegenteil, der wusste gar nicht mehr wer wir sind und lallte, er hätte keine Zimmer mehr frei und wir sollen verschwinden, weil hier nur Gäste parken dürfen. So ein geiler Asi!

Südliche Ulica Piotrkowska

Abto und ich verschwanden dann tatsächlich, da der Anpfiff nahte. Die Krake und Lo opferten sich hingegen auf das Spiel zu verzichten und wollten Hilfe organisieren. Via südliche Ulica Piotrkowska ging es nun für unser Duo Richtung Stadion Miejski w Łodzi (Städtisches Stadion). Weil die Zeit etwas drängte und wir heute mit 9,6 Kilometern bei der Hitze eigentlich auch schon genug gelaufen waren, bestiegen wir nach 20 Minuten eine Straßenbahn für die Reststrecke (zwei weitere Kilometer).

LKS-Graffiti in Stadionnähe

Letztlich waren wir eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff an dem Viertelstadion angekommen. Das Stadion verfügt nämlich nur über eine Tribüne. Auch der Grund warum heute und angeblich für die ganze Zweiligasaison Gästefans verboten sind. Eine ausreichende Fantrennung ist beim Ist-Zustand nicht möglich und bauliche Maßnahmen am Rand der Tribüne für einen separaten Gästeblock will man sich in der Umbauzeit wohl sparen.

LKS-Stadion in der Abendsonne

Blöd, dass die Umbauphase nun schon seit rund einem halben Jahrzehnt von Stillstand geprägt ist. Denn wie der Nachbar Widzew ging man vor wenigen Jahren Pleite und musste 2013 in der 5.Liga neustarten. Man schaffte sogleich den Aufstieg in die 4.Liga, hing dort aber bis 2017 für drei Jahre fest. Nach den Aufstiegen von 2017 und 2018 ist der zweifache polnische Meister (1958 und 1998) nun wieder zweitklassig (Erzrivale Widzew, der 2015 in die 5.Liga zwangsversetzt wurde, ist übrigens zur Zeit nur drittklassig, hat aber wenigstens seinen parallelen Stadionneubau schon erfolgreich abgeschlossen).

Einlauf der Teams

Heute war man bei ŁKS nach einem Auftaktsieg am 1.Spieltag (1:0 gegen Chobry Glogów) gewillt gleich den nächsten Dreier nachzulegen und begann vor über 5.000 lautstarken Zuschauern motiviert (88 % Stadionauslastung). In der 7.Minute sorgte Patryk Bryła für den ersten Warnschuss und acht Minuten später folgte ein guter Distanzschuss von Artur Bogusz, den der Tormann der Gäste nach einem Abklatscher noch vor den potentiellen Abstaubern sichern konnte. GKS-Schlussmann Pawełek war es dann auch, der in der 25.Minute nach einer Łódźer Ecke zwei Schüsse aus kurzer Distanz wegfausten konnte.

LKS vs. GKS

Von den Gästen aus dem oberschlesischen Kohlerevier war erst nach einer guten halben Stunde die erste Großchance zu sehen. Und jene führte gleich zum 1:0 aus Katowicer Sicht (34.Minute). Daniel Rumin hatte sich im Strafraum prima von seinem Bewacher gelöst und bekam ein flaches Zuspiel in den Lauf, welches er ins lange Toreck abschloss. Vom ŁKS-Team war nun bis zur Pause wenig zu sehen, aber dafür präsentierten die Fans jetzt ihre lange vorbereitete Choreographie.

Choreo der LKS-Fans

Ein Hellseher sah in einer Glaskugel das ŁKS-Logo. Dazu Sterne und eine Banderole mit der Aufschrift „Za rok Cie widze… W najwyższej Lidze“ (Ich sehe dich in einem Jahr… in der obersten Liga). Man träumt also vom Durchmarsch. Träumen darf erlaubt sein, allerdings hieß die Realität vorerst Rückstand zur Pause. Das Choreofoto gab es übrigens vom Abt, der mit professioneller Kamera als Fotojournalist akkreditiert war, während ich über den VIP-Plätzen an einem Schreiberpult saß.

Schalparade aus meinem Blickwinkel

Die 2.Hälfte wollte die Heimelf natürlich nutzen, um noch was zu reißen. Aber die Bemühungen blieben vergebens und auch der Schiedsrichter wollte nicht helfen. In der 58.Minute ging ein ŁKS-Angreifer im gegnerischen Strafraum zu Boden, es sah allerdings auch für mich nicht nach Foulspiel aus und sehr zum Unmut des Publikums gab es keinen Strafstoß. In der Folgezeit war dann immer wieder der GKS-Torwart auf zack oder ein Verteidigerbein dazwischen. Letzte Chance: In der 84.Minute kam die tauchte Kostyrka alleine vor Pawełek und wieder machte sich der Schlussmann riesig und wehrte den Torschuss ab. Es blieb also bei einem schmeichelhaften Auswärtssieg für GieKSa, den sie hauptsächlich ihrem Torwart verdanken.

The one and only stand

Erfolgreich waren zwischendurch ebenfalls unsere Kumpels gewesen. Neben dem Portier, waren auch Taxifahrer, Polizisten und Gastronomen keine Hilfe. Allerdings kam irgendwann ein Mensch aus dem Gebäude heraus und fragte was los sei. Er konnte ad hoc nicht helfen, fuhr aber nach Hause, um ein Überbrückungskabel zu holen und kam ’ne halbe Stunde später wieder. Geiler Typ, der alle nonverbalen Bedankungen ausschlug. Seit 18:00 Uhr rollte der Wagen wieder und sie machten eine Stadtrundfahrt, damit die Batterie laden konnte. Vorläufiges Ende: Das Stadiontor, um uns nach Abpfiff einzusammeln.

LKS-Reviermarkierung in der Innenstadt

Gemeinsam fuhren wir nun ein bißchen durch den Bezirk Polesie und schauten uns die Graffiti der ŁKS-Fanszene an. Polesie im Westen der geteilten Stadt ist nämlich ganz klar ihr Revier, während im Bezirk Widzew im Osten logischerweise RTS Widzew Łódź regiert. Die anderen drei Bezirke der Stadt namens Bałuty im Norden (mit u. a. der Stare Miasto), Górna im Süden und Śródmieście (die Innenstadt rund um die Ulica Piotrkowska) sind dagegen mehr oder weniger hart umkämpft. Graffiti noch und nöcher sind 24/7 die sichtbaren Zeichen für diesen „Fußballkrieg“, während es natürlich auch jederzeit knallen kann, wenn die verfeindeten Fans im Alltag aufeinandertreffen.

Widzew-Graffiti in der Stare Miasto

Ich ärgere mich im Nachhinein, nicht mal für eine ausgedehnte Fototour ausgestiegen zu sein. Es gab quantitativ so viel zu sehen und qualitativ war die ganze Bandbreite zwischen Erstklässler-Schmierereien und Kunstwerken abgedeckt. Es wurde natürlich in den umkämpften Gebieten fleißig gecrossed und exponierte Plätze für die Bilder erfreuten sich großer Beliebtheit. Zusammen mit den viel großflächiger Streetart an den Fassaden der Stadt, kommt man als Liebhaber der aerosolen Künste in Łódź voll auf seine Kosten.

Streetart in Lodz

Da sich während unserer Stadtrundfahrt bei allen das Hungergefühl zurückmeldete, stoppten wir dann gegen 20:30 Uhr wieder am Manufaktura-Gelände. Das Restauracja Galijca bekam den Zuschlag, da die Mehrheit tatsächlich deftig und üppig Essen wollte. Gut, außer Dürümresten und ’ner Suppe war heute noch nichts in die Mägen gewandert. Also erstmal jeder sieben gemischt gefüllte Pierogi (mit Hack, mit Käse und mit Pilzen und Kraut). Eigentlich hätten wir es besser wissen müssen, denn selbstverständlich setzte nach den Teigtaschen schon bei allen ein Sättigungsgefühl ein.

Pierogi

Nichtsdestotrotz waren Kalbsschnitzel, Gulasch und Rouladen schon geordert. Die Küche muss gedacht haben, dass es uns nicht geschmeckt hat. So viel blieb auf den Tellern… Außer Fat Lo hat niemand sein Hauptgericht geschafft. Da wünscht man sich doch manchmal einen klassischen Groundhopper an den Tisch, der selber höchstens ein Tafelwasser bestellt und dann alle Reste der anderen vertilgt.

Gulasch mit Spiegelei und Würstchen

Mit leckerer hausgemachter Wassermelonenlimonade wurde das Essen nachgespült, anschließend bezahlt (jeder 80 Złoty mit Trinkgeld) und danach wollten wir die große Party zur 595-Jahr-Feier natürlich auch noch prüfen. So denn wir denn mit dem Auto überhaupt noch zum Hotel durchkommen. Schließlich lag unser Hotel in der Fußgängerzone, in der nun Live-Musik gespielt wurde. Zum Glück war die Zufahrtsstraße nicht abgesperrt, aber legal war das wohl nicht.

Wassermelonenlimo

Als wir uns dann so mit dem Auto durch die Menschenmasse kämpften, dachte man zwangsläufig an gewisse terroristische Ereignisse in der letzten Zeit in Frankreich und Deutschland und daran, wie leicht es hier für die Bösen wäre ein Blutbad anzurichten. Ein Deutscher würde jetzt wohl nach Pseudosicherheit durch Polizisten mit Maschinenpistolen, Panzersperren oder wenigstens nach Pollern schreien. Ein Pole würde dagegen womöglich behaupten, so lange wir keine Flüchtlinge aufnehmen, wird es auch keine Anschläge geben. Ich dagegen hoffe einfach, dass jeder potentielle Terrorist die 40 Jungfrauen im Jenseits ganz schnell vergisst, wenn er die ungefähr 40.000 wunderschönen Frauen auf einer polnischen Großveranstaltung erblickt.

Mächtig was los vor unserem Hotel

Vergesst Tinder, Lovoo oder Parship, denn heute Abend in Łódź hat sich sicher nicht nur alle 11 Minuten ein Single verliebt. Bei mir war es eher alle 11 Sekunden. Wohl dem, der mit dem Rücken zur Flaniermeile saß, als wir endlich irgendwo ein freies Plätzchen gefunden hatten. Ich war es nicht und konnte mich daher nicht vernünftig auf’s Biertrinken konzentrieren. Unisono waren wir der Meinung, dass Łódź gleich hinter Belgrad und Stockholm rangiert, was die Schönheit der Frauen angeht.

Nochmal ’ne Bierhallen-Maß

Das freie Plätzchen war übrigens wieder eine Niederlassung der Bierhalle und jetzt schmeckte die Maß schon wesentlich besser als heute Mittag. Nichtsdestotrotz war mit den vollen Mägen bei allen die totale Bettschwere eingekehrt und bereits kurz nach Mitternacht lag der Mob geschlossen in seinen Betten.

  • 29.07.2018
  • FC Energie Cottbus – FC Hansa Rostock 3:0
  • 3.Liga (III)
  • Stadion der Freundschaft (Att: 15.035)

Vorteil des frühen Zubettgehens: Alle, außer vielleicht die Langschläfer-Krake, waren morgens um 7 Uhr topfit und mit einem Kater oder Restalkohol schleppte sich auch niemand ins Auto. Schnell noch dem neuen Portier (der andere schlief wohl endlich seinen Rausch aus) die Schlüssel gegeben und dann um 7:30 Uhr ab auf die Bahn. Bester Weg nach Cottbus war über Wrocław (Breslau) und die Autobahnen auf dieser Route waren herrlich leer und mautfrei.

Zapiekanka von der Orlen-Tanke

Selbst mit unserer Frühstücks- und Tankpause (für das Essenstagebuch: Zapiekanka) bei Wrocław und unserer weiteren Pause für das zweite Frühstück (Kielbasa) und Kippen kaufen vor der Grenze, waren wir immer noch eine ganze Stunde vor Spielbeginn in Cottbus (sorbisch: Chóśebuz). Um 13 Uhr sollte angegepfiffen werden und von unserem Parkplatz am Cottbusser Mini-Messegelände mussten wir uns nun durch die Heimkurve zur Haupttribüne vorkämpfen, da der schnellste Weg über die Schnellstraße komplett wegen der Gästefans gesperrt war.

Kielbasa

Ein paar Ostmodule, die nahe des Gästeblocks lungerten, schauten uns schräg an, aber am Eingang der so genannten Nordwand zwischen den ganzen CB-Ultras war es überraschend entspannt. Also keine Hopperkasse für kühle Getränke bei heißen Temperaturen. Lediglich auf der Haupttribüne wurden wir dann mal von Normalos angequatscht, ob wir Rostocker seien. „Nee, Touristen auf der Durchreise…“ „Könnta ruhig sagen.“ „Ja nee, sind aus Hannover und kommen gerade aus Polen.“ „Ach so… na dann viel Spaß!“

Heimeingang

Hatten wir, denn während so eine Max-Giesinger-mäßige Stadionhymne lief (Castingshow-Teilnehmer Alexander Knappe featuring Cottbus-Stadionsprecher), huschten diverse Cottbusser Ultras unter eine Fahne. Ein jeder weiß, was das heißt und als dann schon mal fünf Minuten vor Anpfiff das Spruchband „Euer Choreoverbot löst sich in Rauch auf“ präsentiert wurde, dürfte den Verantwortlichen von Energie spätestens klar gewesen, dass bald wieder Post vom DFB kommt.

Pyro zum Intro

Begründung der Verantwortlichen für das Verbot war übrigens, dass unter der Blockfahne bei der geplanten Choreographie durch das heutige Wetter eine Gesundheitsgefährdung für die Zuschauer vorliegt. Bin weder Arzt, noch Freund von der deutschen Verbotskultur, aber es könnte natürlich etwas dran sein. Gleichwohl habe ich letzter Zeit bei drei Spielen in Polen erlebt, wie alle Fans bei ähnlichen Temperaturen fünf bis zehn Minuten unter den Blockfahnen überlebt haben. Nun also stattdessen bis zu 3000° C heiße Bengalfackeln und dichter Rauch bei 30° C Lufttemperatur. Wählen sie bitte aus „Diese verantwortungslosen Chaoten!“ oder „Richtig so, das hat der Verein von seinen Verboten!“.

Der Rauch steigt empor…

Der Stadionsprecher war noch damit beschäftigt, seine ehrliche oder pflichtschuldige Ermahnung an die Fans zu wiederholen, als auch schon das 1:0 in der 2.Minute fiel und er von Empörung auf Ekstase umschalten musste. Beim ersten Angriff wurde Streli Mamba sichtlich unnötig an der Torauslinie zu Fall gebracht und Fabio Viteritti verwandelte sicher vom Punkt. Der Cottbusser Anhang war nun natürlich aus dem Häuschen, während die 2.500 Rostocker ihre Mannschaft sofort zu einer Reaktion peitschen wollten. Dazu wurden die T-Shirts ausgezogen, wie bei einer Choreographie hochgehalten und die Fans schmetterten oberkörperfrei ihre Hansa-Version von Matthias Reims „Verdammt, ich lieb dich“.

Die Gäste ziehen blank

Insgesamt waren die Hanseaten über weite Strecken deutlich lauter als der Heimblock. Schon Wahnsinn wie hoch die Mitmachquote war. Auch auf den Gästesitzplätzen zogen noch 96 % der mitgereisten Fans voll mit. Nur der Mannschaft konnte es nicht helfen und in der 20.Minute erhöhte abermals Viteritti auf 2:0. Nach einer Flanke überköpfte er den zu weit herausgeilten Hansa-Keeper Gelios. Rostocks Trainer Pavel Dotchev nutze dann die Trinkpause nach 25 Minuten für weitere taktische Anweisungen vor unserer Nase, jedoch fiel Hansa bis zur Pause weiterhin wenig ein. Übrigens auch herrlich, wie viele Pöbler es auf der Haupttribüne hinter der Gästebank gab. „Halt dein Scheißmaul, Dotchev“, war noch das Harmloseste.

Dotchev gibt Anweisungen

Die zweiten 45 Minuten begannen sowohl pyrofrei, als auch frei von einem Blitzstart eines der beiden Teams. Cottbus blieb gefährlicher, jedoch sah es so aus als ließe bei allen Akteuren mit zunehmender Spielzeit die Kraft nach. Als Hansa nach den ersten Wechseln und der nächsten Trinkpause ab der 70.Minute nochmal die Schlagzahl erhöhte, war es letzlich eine solide sorbische Abwehrleistung, die den drohenden Anschlusstreffer verhinderte. Besonders Abwehrchef und Mannschaftskapitän Marc Stein avancierte dabei zum Schlüsselspieler. So blockte er den Schuss des freistehenden Rostockers Scherff (71.Min) und köpfte außerdem einen weiteren Torschuss von der Linie (79.Min).

Der Gästebereich

In der 83.Minute brachte Dotchev mit seinem dritten Wechsel noch einen Stürmer und die Brechstange führte in der 85.Minute zur nächsten Großchance. Doch wieder mal Stein (quasi Energies zweiter Torwart heute) warf sich in einen Schuss von Donkor und blockte den Ball ins Toraus. Die folgende Ecke wurde schnell geklärt und der pfeilschnelle Mamba aktivierte seine letzte Reserven, um vor dem gegnerischen Tor nochmal quer auf den eingewechselten Geisler zu legen. Der schob sicher in den leeren Kasten ein. 3:0 und die Entscheidung.

Stadion der Freundschaft

Mit Gesängen wie „Einer geht noch, einer geht noch rein“, „Ihr seid nur ein Punktelieferant“ und „Warum seid ihr Huren so leise?“ wurden nun die Rostocker bedacht, die bis zum 3:0 ihr akustisches Programm eindrucksvoll durchgezogen hatten, aber jetzt ihre Bemühungen einstellten. In einer von beiden Seiten stimmungsvollen Partie, vor über 15.000 Zuschauern, war das ein Start nach Maß für den Aufsteiger. Ich glaube die aktuelle 3.Liga kann fantechnisch was.

Die Gegengerade im SdF

Wir zogen nach Abpfiff von dannen und wollten nicht erneut durch die Heimkurve, sondern diesmal durch den Rostocker Fanstrom abkürzen. Aber alles ganz gespannt. Die werden auch kaum damit gerechnet haben, dass sich Cottbusser oder ganz andere Typen in ihren abgetrennten Abmarschweg verirren. Als der Parkplatz schon in Sicht war, habe ich schließlich versagt. Ich dachte durch einen Park unterhalb der Böschung können wir die nächste Polizeikette umgehen. Blöd nur, dass sich der Park als eingezäunter Tierpark entpuppte und wir bei kreisendem Heli über uns nicht nochmal die Böschung hoch zum Rostocker Mob wollten. Das hätten die jetzt wohl doch mißinterpretiert. Also 3,5 Kilometer Umweg um den ganzen Tierpark herum. Danke Schneppe! (aber wenigstens haben wir Elefanten gesehen…)

BFC Dynamo Graffito

15:30 Uhr war dann endlich Abfahrt und das führte uns gleich mal dank Stau durch die Pampa. Egal, nochmal feinste Brandenburger Boulettenbrötchen an einer Provinztankstelle genascht (nachdem die Bratwurst im Stadion durch Abtos Testverzehr gefallen war, entschied ich mich für Konsumverzicht) und schließlich um 20 Uhr wieder daheim gewesen. Im August geht es mindestens noch ein weiteres Mal nach Polen, ehe im September ein mehrwöchiges anderes Projekt wartet. Ab Mitte Oktober sehen wir dann weiter, ob das östliche Nachbarland diese Saison noch ein paar Mal den Zuschlag bekommen kann. Bock hab ich ohne Ende.

Song of the Tour: Ob einer der Elefanten im Cottbusser Zoo Nellie hieß?

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