Georgien 10/2017

  • 06.10.2017
  • Georgia – Wales 0:1
  • FIFA World Cup Qualifier (UEFA)
  • Boris Paichadze National Stadium (Att: 22.290)

Im Frühjahr 2017 hatte WizzAir erfreulicherweise eine Aktion mit Sonderpreisen von Deutschland nach Georgien gefahren. Da das Land schon länger auf meiner Liste stand und ich außerdem nach dem Tag der Deutschen Einheit drei Urlaubstage im Kalender stehen hatte, buchten Ole und ich Flüge à 80 € return von Dortmund nach Kutaisi. Spielpläne der georgischen Fussballligen für die neue Saison waren im Frühjahr logischerweise noch keine veröffentlicht, aber es war auf jeden Fall Länderspielwochenende und Georgiens Nationalmannschaft empfing am Freitag Wales zum sportlichen Vergleich in der Hauptstadt Tbilisi (222 km von Kutaisi entfernt).

Auf ins Land der Chinkali

Zum Dortmunder Flughafen mussten wir am ganz frühen Donnerstagmorgen in Hannover aufbrechen. Abfahrt des gebuchten InterCity war bereits 3:40 Uhr (ca. 20 € pro Person). Zum Glück fuhr uns Fat Lo mitten in der Nacht zum hannoverschen Hauptbahnhof (Hvala brate!), so dass wir im Vorfeld noch ein paar Stunden schlafen konnten. Dortmund wurde planmäßig um 5:30 Uhr erreicht und nun ging es per ÖPNV vom Hauptbahnhof weiter zum Airport. An diesem einstigen Drehort des Filmkunstwerks BangBoomBang lungerten auch schon die ersten zehn Waliser, welche die Reiseroute Wales – London – Dortmund – Kutaisi – Tbilisi gewählt hatten und es gab nochmal ein kleines Frühstück, ehe der Airbus abhob.

Welcome to Kutaisi

Nach dem großteils verschlafenen Flug, ging es mit einer Marschrutka (Sammeltaxi) für 5 Lari (ca. 1,70 €) pro Person ins rund 25 km entfernte Stadtzentrum. Wir erfreuten uns auf der Fahrt nicht nur an den waghalsigen Überholmanövern des Fahrers, sondern auch an Kühen (mit denen wir die Fahrbahn teilen dürften) und an verlassenen Gehöften am Straßenrand. Dazu natürlich das schöne Panorama schneebedeckter Kaukasusgipfel am Horizont.

Ausblick vom Hotelbalkon

Am zentralen Platz in Kutaisi war Endstation und von dort waren es lediglich 500 Meter zu unserem Hotel Imperator Palace an der Kettenbrücke. Vom Balkon hatten wir sogleich einen schönen Ausblick und beschlossen die dabei erspähte Bagratis tadzari (Bagrati-Kathedrale) zeitnah aufzusuchen. Dazu musste ein Hügel namens Ukimerioni erklommen werden, ehe uns die bereits vor über 1.000 Jahren unter König Bagrat III. erbaute Kathedrale mit offenen Toren und Türen empfing (offizieller Name: Kirche der Entschlafung der hochheiligen Gottesgebährerin). Drinnen hält sie diverse Reliquien von Heiligen parat. Außerdem gibt es einen großen Thron. Wahrscheinlich für den georgischen Patriarchen, wenn er mal reinschaut. Oder soll es der Thron von Kirchenstifter Bagrat III. sein? Ich gestehe, diese Rechercheleistung habe ich nicht erbracht.

Auf dem Ukimerioni-Hügel

Bagrat III. war es auch, der im frühen 11.Jahrhundert den Grundstein für das heutige Georgien legte. Er vereinigte unter seiner Krone die christlichen Königreiche Egrisi-Abchasien (sein ursprüngliches Reich mit Kutaisi als Hauptstadt), Tao-Klardsheti, Kachetien und Heretien zum Königreich Georgien. Nichtsdestotrotz blieb das Land bis in die heutige Zeit ein Zankapfel vieler Großmächte. Ob Araber, Mongolen, Perser, Osmanen oder Russen, Georgien sah viele fremde Herren kommen und gehen. Die Osmanen sind übrigens dafür verantwortlich, dass die Bagrati-Kathedrale zwischen 1692 und 2012 eine Ruine war, da die türkischen Eroberer dieses christliche Bauwerk in die Luft sprengten. Dennoch wanderten die Überreste der Kathedrale 1994 ins UNESCO Welterbe, wurden jedoch diesen Sommer wieder gestrichen, weil der darüber wachende Rat nicht mit der Rekonstruktion zufrieden ist. Könnte an einem modernen Anbau liegen, den wir auch unpassend fanden und bei den Erinnerungsfotos bewusst aussparten.

Bagrati-Kathedrale

Neben der Kathedrale hat der Hügel außerdem mittelalterliche Festungsruinen und natürlich einen schönen Ausblick zu bieten. Das übersichtliche Stadtzentrum zu unseren Füßen wurde nun als nächstes genauer inspiziert. Wirkte ganz und gar nicht nach Großstadt, sondern eher wie eine kleine Kreisstadt. Die rund 150.000 Einwohner Kutaisis müssen wohl vorwiegend in Trabantensiedlungen leben. Hatte immerhin den Vorteil, dass die innerstädtischen Sehenswürdigkeiten alle fußläufig erreichbar waren. Einen Blick wert sind u. a. das Lado Meskhishvili (Meskhishvili-Theater), das Meliton Balanchivadze (Opernhaus) oder die Synagoge von 1886. Alles nur wenige Meter auseinander, alles hübsch restauriert. Andere Teile der Altstadt warten dagegen noch auf Sanierung.

Abendspaziergang durch’s Stadtzentrum

Als es gegen 19 Uhr dunkel wurde, stand ein Restaurantbesuch auf dem Programm. Dazu suchten wir in der bereits picobello sanierten Alexander-Pushkin-Straße das Palaty auf. Ein Restaurant mit junger Crew und Wohnzimmer-Wohlfühlatmosphäre (quasi der Hipster-Himmel von Kutaisi). Wir aßen vorweg eine äußerst delikate Käsesuppe mit gerösteten Brotwürfeln, als Hauptgang sehr würziges Rinderschaschlik mit Pilawreis und genossen dazu eine Flasche halbtrockenen Weißwein aus dem Alazani-Tal. Kostete pro Person alles zusammen umgerechnet schmale 10 €.

Shashlik & Pilav

Zu späterer Stunde wurde außerdem klassische Musik von einem Pianisten und einer Violistin im Palaty dargeboten. Aber ohne weibliche Begleitung reizte das romantische Flair nicht so. Daher räumten wir im komplett vollen Restaurant gerne unseren Tisch für ein just ankommendes Pärchen und kümmerten uns stattdessen woanders um den Digestif. Die 24-Stunden-Bar nebenan erschien uns sehr geeignet dafür. Für zweieinhalb Lari gab es hier 0,5 Liter tschechisches Importbier vom Fass (Kozel) und für eineinhalb Lari 5 cl Vodka. Die einheimischen Kerle zechten den Gerstensaft lieber aus Maßkrügen oder tranken Wodka aus Flaschen. Frauen waren ebenfalls einige anwesend, aber es war keine zum Verlieben dabei.

Georgischer Wein (ohne die altvertrauten Lieder)

Um 22:45 Uhr Ortszeit hätten wir dann theoretisch die Elf mit dem Bundesadler bei ihrem Auftritt in Nordirland verfolgen können. But who needs football, when he’s got alcohol? Also lieber noch die Pinte gewechselt und ein paar Pints georgisches Bier namens Zedazeni in der rockigen Kellerbar El Galeon am steinigen Ufer des Rioni getrunken. Bestellt wurde unfallfrei auf Russisch, nur als wir im Smalltalk versagten, wollte der Barkeeper natürlich wissen woher wir wirklich kommen. Die ehrliche Antwort bescherte uns diverse Lieder der Band Rammstein. Gefiel dem Rest der Gäste besser als uns, aber was soll’s, wir sind ja in Georgien. Die Einheimischen sollen ihren Spaß haben, dann haben wir ihn auch.

Humpen leeren in der Rocker-Bar

So gegen 1 Uhr wurde mit den separatistischen Teilen des limbischen Systems und dem präfrontalen Cortex ein wackliger Waffenstillstand ausgehandelt. Der unvernünftige Teil unseres Gehirns wusste wahrscheinlich, dass jenes Arrangement mit Hilfe der mächtigen walisischen Verbündeten binnen weniger als 24 Stunden eh wieder gebrochen wird. Stattdessen kam es zu einem strategischen Rückzug vor Erreichen eines kritischen Promillewerts, womit sich am nächsten Morgen eine verkaterte mehrstündige Busfahrt nach Tbilisi erspart wurde. Der Wecker wurde auf 7 Uhr gestellt und dann bestanden die Betten den Bequemlichkeitstest mit Prädikat.

Heute leider keine Live-Musik

Am nächsten Morgen gab es erstmal einen frischen Hieb georgische Luft auf dem aussichtsreichen Balkon und dann wurde der Friseursalon nebenan aufgesucht. Waschen, schneiden, rasieren für 3 Lari (1 €). Ich sag es immer wieder; bei den Reisekosten in bestimmte Länder muss man auch immer die Ersparnis für den Friseurbesuch gegenüber daheim gegenrechnen! Quasi ein permanenter 10-€-Gutschein. Jetzt ist wohl raus, warum ich ungefähr alle vier Wochen verreise. Die Haare sind dann wieder zu lang geworden.

Markthalle Kutaisi

Mit kurzen Haaren und langen Schritten ging es nun auf die Suche nach Kutaisis Busbahnhof. Am altstädtischen Nippes-Markt quatschte uns ein Minibusfahrer an, nachdem wir gerade Imeruli Chatschapuri zum Frühstück gekauft hatten (rundes Weißbrot mit Käsefüllung). Wir verstanden kein Wort, sagten nur „Tbilisi?“ und er öffnete die Tür. Unser Instinkt sagte uns, dass er uns jetzt zum ZOB bringen würde und so geschah es auch. Am rund 4 km vom Stadtkern entfernten Busbahnhof wurden wir rausgeworfen und hatten einen Lari Transportgebühr zu entrichten. 35 Cent für vier Kilometer… zu Fuß gehen wäre teurer (man muss schließlich auch an die Abnutzung der edlen Sneaker bedenken)!

Niedlich sind’se ja, die kleinen Straßenhunde

Jetzt ging es für 10 Lari pro Person (so ungefähr 3,50 €) mit dem Kleinbus weiter nach Tbilisi. Das waren nicht mal 2 Cent pro Kilometer. Und wo ich gerade am Rechnen bin; vom Wohnort zum Dortmunder Flughafen waren es gestern eigentlich auch nur 10 Cent pro Kilometer und der Flugpreis bewegte sich wiederum bei Kosten von ungefähr 0,01 € je Kilometer. Reisen ist einfach spottbillig geworden und Abenteuer und Adrenalin sind oft schon im Preis inbegriffen. Beispielsweise Nahtod-Erfahrungen im georgischen Straßenverkehr (die mutmaßliche Gedankenwelt unseres Fahrers: „Oh, die Kurve ist nicht einsehbar. Scheißegal, ich überhole den LKW trotzdem. Kommt Gegenverkehr, habe ich ja meine Hupe!“).

Unterwegs in Imeretiens Bergen

Die heutige Fahrt führte uns zusammen mit vielen Kühen und Hunden erstmal parallel zur Bahnstrecke Poti – Tbilisi – Baku (der älteste Schienenweg des Landes) durch die imeretische Gebirgswelt am Fluss Dzirula entlang. In Zestafoni war dabei ein größeres Fußballstadion zu erspähen (O-Ton Ole: „Der Ground wird auch noch weggescheppert“) und besonders die Kleinstadt Surami machte schon bei der Durchfahrt Lust auf einen richtigen Besuch eines Tages. Es gibt dort eine mächtig wirkende mittelalterliche Festung auf einem Felsen und natürlich diverse schöne alte Kirchen. Außerdem wirkt es wie die ideale Basis für ein paar Bergwanderungen.

Surami

Wenig später begann die Autobahn nach Tbilisi, welche parallel zum Fluss Kura verläuft. In nördlicher Ferne sind die Gipfel des zentralen Großen Kaukasus zu sehen (teilweise bis zu 5.000 Meter hohe Berge) und die Autobahn schien sogar komplett tierfrei zu sein. Stattdessen gab es hin und wieder menschliche Spaziergänger zu sehen, sowie einen orthodoxen Mönch als Anhalter auf dem Standstreifen. Nachdem Stalins Geburtsstadt Gori passiert war (das den weltweit bekanntesten Georgier aller Zeiten absolut unkritisch verherrlichende Stalin-Museum soll durchaus einen Besuch wert sein), wurde nochmal ein Stündchen bis zum Reiseziel gepennt.

Ab in die Metro

In Tbilisi wurden wir im Norden der Stadt am Busbahnhof Didube herausgelassen und erlebten sogleich ein wirklich buntes Treiben, wie man es in orientalischen Ländern erwartet. Viele Menschen boten hier Lebensmittel oder Nippes feil und noch mehr stellten ihre Transportdienstleistungen ins Schau- bzw. ins Auto- oder Kleinbusfenster. Wir waren aber fest gewillt die letzten 6 km zum Appartement vorwiegend mit der Metro zurückzulegen. Denn natürlich existiert am Busbahnhof eine Umsteigemöglichkeit zum Schienenverkehr und eine einfache Fahrt kostete einen Lari (0,35 €) zuzüglich einmalig einen weiteren Lari für die wiederaufladbare Chipkarte.

Rustaveli Boulevard

Also rein ins Pendlervergnügen und fix die fünf Stationen zum Untergrundbahnhof Rustaveli gefahren (witzigerweise genau das älteste Teilstück der 1966 eröffneten Metro Tbilisi). Die 120 Meter lange Rolltreppe dort – U-Bahnhöfe liegen hier sowjettypisch bis zu 60 Meter unter der Erde – warf uns an ihrem oberen Ende in einem hektischen Hauptstadttreiben heraus. Kurz am Respublikis Moedani (Platz der Republik) orientiert und dann den Straßenhändler- und Bettlerslalom zum Altbau unseres Appartements gestartet. Dieses war zentral, aber dennoch ruhig gelegen und die Einrichtung war einfach, aber ausreichend. Für umgerechnet 23 € war das ein guter Deal und die nette in der Nachbarwohnung lebende Vermieterfamilie dürfte mit 70 Lari ’ne Menge anfangen können.

Altstadtbebauung von Tbilisi

In sechs Stunden würde nun Anstoß bei Goergien vs. Wales sein. Deshalb machten wir es uns gar nicht erst bequem, sondern brachen so schnell wie möglich wieder auf. Wenige hundert Meter südlich der temporären Wohnstätte markierten die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer den Beginn der Altstadt. Es ist ein megacooles historisches Zentrum, in dem das meiste an Bausubstanz bereits meisterlich saniert wurde. Nur die Bürgersteige hatten so ihre Stolperfallen parat, aber wir manövrierten uns unfallfrei in die Straße namens Erekle II, die zusammen mit den umliegenden Gassen das gastronomische Herz der Altstadt ist (der Namenspatron der Straße war im 18.Jahrhundert ein georgischer König und stellte damals sein Reich unter den Schutz Russlands, was wenig später, anno 1801, zur Annexion Georgiens an das Zarenreich führte).

Das Rote Meer

Hier waren alle Bars und Restaurants fest in der Hand der Waliser. In einem der Restaurants gönnten wir uns nun neben dem ersten Pint auch die Hauptmahlzeit des Tages. Es gab Schaschlik (außen kross, innen supersaftig) und Hackspieße (in Lavashbrot gerollt), sowie für jeden fünf Chinkali. Das wiederum sind georgische Teigtaschen mit Hackfleisch. Weil die Fleischfüllung in einer würzigen Brühe schwimmt, beißt man die Tasche auf, schlürft erst die Brühe und verzehrt dann den Rest. Dazu wurden übrigens noch geröstete Kartoffeln und Satsebeli (georgische Tomatensauce) serviert und wieder waren wir jeder nur ca. 10 € los.

Shashlik & Shish Kebab

Ole und ich hatten nun die verlockende Möglichkeit in dieser Straße mit den Walisern bis Spielbeginn zu versacken oder nochmal zwei, drei Stunden Sightseeing zu betreiben. Wir wählten natürlich zunächst das touristische anstatt das trinkkulturelle Programm. Denn wir waren noch zu nüchtern, um uns einzureden, dass man sich ansonsten am nächsten Morgen noch alles in Ruhe angucken könnte. Es war einfach zu absehbar, dass es spätabends noch am Glas eskaliert und dann würde ich am Folgetag sicher nicht mit Freude durch die Stadt und auf irgendwelche Berge latschen wollen. Schon gar nicht nach dem Check-out mit Gepäck am Mann. Ergo galt das Motto: Was du heute kannst besorgen…

Sioni-Kathedrale

Dafür suchten wir zunächst die Sionis tadzari (Sioni-Kathedrale) unweit der Kneipenstraße auf. Ursprünglich ein Bauwerk aus dem 5.Jahrhundert und eine der ältesten christlichen Kirchen des Landes (bereits 337 n. Chr. wurde das Christentum Staatsreligion in Georgien). Allerdings ist überirdisch nichts mehr vom Altbau übrig. Was wir heute sehen, ist aus dem 17. bis 19.Jahrhundert und schien zuletzt vor wenigen Jahren renoviert worden zu sein. Bis 2004 war die Sioni die Patriarchalkathedrale der georgisch-orthodoxen Kirche, ehe sie von der neu gebauten riesigen Tbilisis cminda samebis sakatedro tadzari (Dreifaltigsfaltigskathedrale) abgelöst wurde (für die wir heute leider keine Zeit hatten).

Bäderbezirk Abanotubani

Als nächstes steuerten wir den Bäderbezirk Abanotubani an. Zeit für etwas Sprachkunde: Tbili ist das georgische Wort für warm und Tbilisi könnte man in etwa mit „Warme Quelle“ übersetzen. Diese Namensgebung verdankt Georgiens Hauptstadt seinen schwefelhaltigen Quellen, die seit der Stadtgründung rege genutzt werden. Abano heisst auf Georgisch übrigens Bad und ubani ist das Wort für Bezirk. In jenem Bezirk sind noch zahlreiche historische Schwefelbäder gut erhalten, deren Kuppelbauweise persisch anmutet. Die Illusion, sich jetzt bereits rund 1.000 Kilometer weiter südöstlich zu befinden, macht dann noch das schmucke Chreli Abano (Orbeliani-Bad) aus dem Jahre 1893 perfekt, welches im Stile einer persischen Madrasa gebaut ist, mit gefliesten orientalischen Mustern an der Fassade.

Orbeliani-Bad

Hinter den Bädern beginnt übrigens ein Canyon mit einem Wasserfall, der nur leider aktuell wegen Steinschlaggefahr für Besucher gesperrt ist. Also wurde der Programmpunkt gestrichen und vorzeitig mit dem Erklimmen des Festungsberges Sololaki begonnen (die Seilbahn ist was für Familien und Rentner ;-)). Ist ein ziemlich steiler Felsen, was erklärt, warum die Festung als uneinnehmbar galt und Narikali getauft wurde (das ist persisch für „uneinnehmbare Burg“). Die persischen Sassaniden waren die Erbauer der Festung (3.Jahrhundert), welche natürlich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausgebaut wurde. Bis im Jahre 1827 ein Blitz in ein Pulverfass einschlug und eine explosive Kettenreaktion fast die ganze Burg zerstörte. Mangels militärischer Bedeutung in der Neuzeit, verzichtete man auf einen Wiederaufbau. Den ruinösen, aber zu weiten Teilen doch noch recht guten Zustand, finde ich irgendwie besonders ansprechend.

Blick hinauf zur Festung

Natürlich hatte man hier eine fantastische Aussicht auf die Millionenstadt Tbilisi. Von oben erspähten wir neben unzähligen modernen und historischen Sehenswürdigkeiten eine Bar am Ufer der Kura, welche die Waliser ordentlich beflaggt hatten. Sah gemütlich aus und wir hatten unser Touri-Pensum erreicht, also nichts wie hin da! Auch hier herrschte gute Stimmung, wenngleich der erstbeste Waliser bereits mit dem Kopf auf dem Tisch schlief. Aber „Jeder kennt diesen einen Typen, der auswärts schon vor’m Spiel in der Kneipe einschläft.“ Oder? Wir kamen schnell mit ein paar älteren und munteren Casuals aus dem Norden des Landes ins Gespräch (aus der Ecke rund um Caernarfon) und verstanden uns auf Anhieb. Diverse Biere für 5 Lari (1,70 €) wurden in der Abenddämmerung  gestürzt und als man erfuhr, dass wir noch ohne Tickets sind, wurde schnell zum Telefon gegriffen.

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Das Panorama von Tbilisi

Nur wenige Minuten später stand ein weiterer Dedicated Follower of Fashion auf den Holzplanken der Terrasse und hatte zwei Tickets für uns. Diolch Ian! Dazu ein weiteres Angebot, was man eigentlich nicht ablehnen kann: „Do you have already tickets for monday? If not, I could arrrange something“. Wie gerne hätte ich nun zugesagt zum entscheidenden Gruppenspiel gegen die Republik Irland nach Cardiff zu kommen. Aber verdammt, ich bin mittlerweile doch ein verantwortungsvoller Erwachsener geworden, der Montag (und Dienstag) pflichtbewusst auf der Arbeit erscheinen wird, anstatt ein Fußballspiel zu sehen, welches durchaus Potential hatte unvergesslich zu werden.

Kleine Fanparty am Fluss

Egal, genießen wir das Hier und Jetzt. 18 Uhr war durch und die meisten Waliser brachen mit den vom Verband gecharterten Shuttlebussen zum Stadion auf. Unsere neuen Freunde tickten aber wie wir. „Was sollen wir jetzt schon im Stadion, wenn man auch noch ’ne Stunde hier Bier trinken kann?“ Ein paar Trikotträger aus Südwales blieben ebenfalls und man rückte zusammen. Sie tranken komischerweise Champagner, was sie sich letztes Jahr in Frankreich bei der EM angewöhnt haben wollen. Ein Typ von ihnen kam aus Caerphilly und wir tauschten uns erstmal über alle Pubs in der örtlichen Cardiff Road aus. Da wurden Erinnerungen wach an die Jahre 2012 bis 2016!

In der Ruhe liegt die Kraft

Ein Typ aus Pontypridd versprach uns derweil, dass ein gewisser David Brooks (20 Jahre, aktuell bei Sheffield United unter Vertrag) Bale, Ramsey oder das Wonderkid Ben Woodburn noch alle in die Tasche stecken wird. Er sei definitiv das größte Talent, welches Wales je hatte und in vier oder fünf Jahren werden wir an seine Worte an diesem Abend in Tbilisi denken, wenn Brooks für Real Madrid oder Paris Saint-Germain spielt und alle bisherigen Ablöserekorde gebrochen haben wird. Dann leerte der Waliser sein Champagnerglas und sprach nochmals die selben Worte wie zuvor: „He’s fucking magic. Keep an eye on him.“

Abends am Fluss Kura

Man hätte jetzt noch ewig den Geschichten von der EM 2016 lauschen können („Beim Halbfinale hätten wir alle schon wieder Arbeiten müssen.“ „Und, wieviele sind nach Hause geflogen?“ „Natürlich keiner!“), doch heute stand ja auch noch ein bedeutendes Spiel an, dessen Ausgang wichtig für die Frage ist, ob das Fußballwunder der walisischen Nationalmannschaft kommenden Sommer ein neues Kapitel bekommt. Also gegen 19:15 Uhr ins Taxi gesprungen und ab zum georgischen Nationalstadion. Dort wollte der Fahrer tatsächlich 30 Lari haben. „Wovon träumst du nachts, du Depp? Dafür müsstest du uns mindestens bis Gori fahren!“ Weil wir es nicht kleiner hatten, durfte er sich immerhin über 10 Lari freuen. Aber auch das war eigentlich zu viel. Egal, wer will ihm verübeln, dass er es versucht? Bei Erfolg hätte er wahrscheinlich sofort Feierabend machen können.

Ankunft am Boris-Paichadze-Nationalstadion

Da das Gros der über 2.000 Waliser bereits vor zwei Stunden mit den Shuttles angereist war, ging es kurz vor Anpfiff ohne Anstehen ins Stadion und hier erwartete einen außerhalb des Gästeblocks leider gähnende Leere (13.120 Zuschauer waren es insgesamt). Wales lockt sicher kaum einen georgischen Eventfan vor’m Ofen hervor und für die georgische Nationalelf ging es heute nur noch um die Ehre, während Wales noch auf ein WM-Ticket hofft. Jedoch dürften die Georgier bei dieser Ansetzung an einen ihrer größten Triumphe denken und die Waliser an eine ihrer derbsten Niederlagen. Wales heutiger Coach Chris Coleman war damals selbst als Spieler dabei, als die walisische Auswahl 1994 in Tbilisi mit 0:5 aus ihrer Sicht unterging.

Die Gästekurve vorm Anpfiff

Denkbar knapp war man wenige Monate zuvor im entscheidenden Spiel an Rumänien gescheitert, als es um das WM-Ticket in die USA ging. Nun sollte unbedingt die Qualifikation für die EM 1996 im Nachbarland England gelingen. Doch eine auf dem Papier hoffnungsvolle FAW-Auswahl (mit u. a. Southall, Rush, Hughes und Supertalent Ryan Giggs) hatte aus den ersten beiden Spielen gegen Albanien (2:0) und Moldawien (2:3) nur drei Punkte geholt. Nun stand man gegen den vermeintlich dritten Fussballzwerg der Gruppe, Georgien, bereits mächtig unter Zugzwang, da sich die Favoriten Deutschland und Bulgarien noch keine Blöße gegeben hatten.

Der harte Kern der Heimfans

Der junge Giggs trat die Reise nach Georgien damals nicht an, dennoch war eine starke Truppe am Start. Liverpool-Legende Ian Rush und ManUnited-Legende Mark Hughes waren Stürmer von internationaler Klasse und Dean Saunders (damals Aston Villa) war ähnlich treffsicher wie die beiden. Dazu mit Neville Southall einer der besten britischen Torhüter der 80er und 90er Jahre (über 500 Spiele für Everton) und davor in der Abwehr u. a. Chris Coleman (damals Crystal Palace) und Andy Melville (Sunderland), sowie im Mittelfeld Gary Speed (Leeds United) und Mannschaftskapitän Barry Horne (Everton). Alles Stammspieler in der Premier League seinerzeit. Dennoch gingen die Favoriten vor 55.000 Zuschauern in dem damals bürgerkriegsgebeutelten Georgien sang- und klanglos unter. Ein Doppelpack von Mittelfeldstar Temur Ketsbaia (ab 1997 drei Jahre Stammspieler bei Newcastle United) und Tore von Routinier Gocha Gogrichiani und den beiden 21jährigen Talenten Georgi Kinkladze (später Stammspieler bei u. a. Man City) und Shota Arveladze (später jahrelang treffsicherster Stürmer bei Ajax und den Rangers) beerdigten quasi bereits am 3.Spieltag den EM-Endrundentraum der Waliser.

Aufstellung nehmen für die Nationalhymnen

Die Fans hatten auch so ihre Geschichten von diesem Spiel zu erzählen. Ab 19 Uhr war damals am Vorabend des Länderspiels offiziell Ausgangssperre in Tbilisi und der Strom wurde über Nacht abgestellt. Nichtsdestotrotz büchsten die damals elf mitgereisten Fans – acht davon waren heute übrigens wieder hier – aus dem Hotel aus und ließen sich zum einzigen Ort der Stadt fahren, wo es Strom und Alkohol gab. Ein Casino der Mafia! Sie gönnten sich dort zusammen mit Teilen der U21-Auswahl (die bereits am Nachmittag gespielt hatte) ein paar Drinks, bis draußen vor der Tür jemand erschossen wurde und sie sich besser wieder vom hoteleigenen Bus abholen ließen. Am Spieltag wiederum war es ebenfalls schwer vor’m Spiel eine Bar zu finden. Jene, die sie fanden, hatte nur Vodka pur im Ausschank. Davon nahmen sie dann noch ein paar Flaschen to go mit ins Stadion, die das Debakel auf dem Rasen vielleicht etwas erträglicher machten.

Los geht’s!

Aber zurück in die Gegenwart; schon beim Hinspiel wurden die Georgier fast erneut zum Drachentöter. Der EM-Halbfinalist Wales kam im heimischen Cardiff nicht über ein 1:1 hinaus. Heute mussten es zwei Punkte mehr werden, um eine Restchance auf Platz 1 zu wahren und sich eine sehr gute Ausgangspostion in Sachen Platz 2 für das letzte Gruppenspiel gegen den Tabellendritten Republik Irland zu erarbeiten. Dass Superstar Gareth Bale fehlte, war dabei natürlich nicht hilfreich. Nicht nur, weil er immer für ein Tor gut ist, sondern vor allem, weil er meist mehrere Spieler des Gegners bindet und dann Aaron Ramsey oder Joe Allen viele Freiräume bekommen, die beide zu nutzen wissen. Doch für Georgien muss es, bei allem Respekt, auch ohne Bale reichen. Jedenfalls, wenn man meint, dass man bei der WM-Endrunde etwas zu suchen hat.

Im Zeichen des Roten Drachen

Dass die Fans gewillt waren ihre Mannen zum Sieg zu tragen, bewiesen sie gleich bei der Nationalhymne. Als die Melodie von Hen Wlad Fy Nhadau (Old Land of My Fathers) erklang, erhob jeder seine Stimme und es war auch überhaupt kein Problem, dass die Stadionregie ziemlich zur Mitte hin die Hymne abbrach. Da wurde halt voller Inbrunst ohne Instrumentalbegleitung weitergesungen. Es folgten langgezogene Wales-Rufe und der Marsch Rhyfelgyrch Gwŷr Harlech (Men of Harlech). Beschwingt versuchte Aaron Ramsey gleich in der 3.Minute für die frühe Führung zu sorgen, aber der erste Torschuss des Spiels ging knapp am Gehäuse vorbei. Wales kontrollierte das Spiel und kam in der 18.Minute zur nächsten großen Chance. Doch Andy Kings Volleyschuss, nach toller Vorarbeit von Joe Allen, konnte Georgiens Torwart Loria wegfausten.

Stimmungsvoller Gästeanhang

Georgien dagegen gelang es in der 1.Hälfte nicht zu Torschüssen zu kommen. Ihr frühes Attackieren des walisischen Spielaufbaus provozierte allerdings einen brisanten Rückpass in der 30.Minute, den Schlussmann Hennessey eine Millisekunde vor dem georgischen Angreifer Kvilitaia erwischte. Im Gegenzug erfolgte nun fast das ersehnte und verdiente 1:0 aus walisischer Sicht. Hennesseys langer Ball wurde von King auf Ramsey verlängerte, der von Rechtsaußen quer auf Sam Vokes in den Strafraum passte. Leider ging der Abschluss des Stürmers in den Diensten des Burnley FC knapp neben das Tor. Vokes war es auch, der fünf Minuten später auf Tom Lawrence ablegte, welcher aber leider seinen Torschuss knapp über die Latte platzierte.

Auch nach der Führung blieb es spannend

Wales war in den ersten 45 Minuten klar besser, hatte vier gute Chancen, aber das erlösende Tor sollte erst kurz nach der Halbzeitpause fallen. 48.Minute: Tom Lawrence bekommt 30 Meter vor dem gegnerischen Tor ein Zuspiel von Ramsey, kann sich mit Tempo und zwei Ballberührungen von den Gegenspielern lösen und feuert aus 18 Metern unhaltbar in den Torwinkel. Ein Traumtor und die Freude war im Gästesektor natürlich unbeschreiblich. Nur wer jetzt (wie ich) glaubte, das Tor gäbe einer bisher überlegenen Mannschaft die nötige Sicherheit, um die drei Punkte locker einzusacken, irrte.

Geschafft! Team und Fans applaudieren

Das brutal laute „Don’t Take Me Home“ der Waliser war zwar der Soundtrack für zahlreiche weitere gute Chancen, aber die Verwertung blieb unbefriedigend und Georgien lauerte auf Konter im eigenen Stadion. Auch die georgischen Fans gaben ihr Team nicht auf. Der kleine, aber stets bemühte Fanblock – „Viel Bewegung, guter Armeinsatz, aber akustisch nicht zu vernehmen“, hätte man früher in deutschen Ultrà-Foren geschrieben – schaffte es mittlerweile, dass der Rest des Heimpublikums nicht nur mit Smartphonelichtern und nervigen Vuvuzelas für Stimmung sorgen wollte, sondern auch mit in die Anfeuerungsrufe einstieg. Erst recht nachdem uns in der 80.Minute fast das Herz stehen blieb. Flügelflitzer Merebashvili brachte einen gefährlichen Schuss auf’s Gästetor, den Ashley Williams auch noch unglücklich abfälschte. Aber irgendwie kam Hennessey noch mit den Fingerspitzen an den Ball und verhinderte Schlimmeres.

Das Stadion hatte sich schnell geleert

Wales wackelte die letzten 10 Minuten nochmal ordentlich und Coleman wollte mit Dave Edwards (für Joe Ledley) die Defensive stärken und mit dem jungen Edeltechniker Ben Woodburn außerdem Bälle in der gegnerischen Hälfte festmachen (kam für Lawrence). Der Plan ging auf und auch die drei Minuten Nachspielzeit überstand das Team mit dem roten Drachen auf der Brust schadlos. Der Abpfiff sorgte für riesige Erleichterung in unserem Fanlager. Man hat nun für’s Endspiel in drei Tagen die bessere Ausgangsposition als Irland (Remis würde für Platz 2 reichen), bleibt in dieser Quali weiterhin ungeschlagen und kann tatsächlich auch ohne Gareth Bale Spiele gewinnen (auch für Montag fällt der walisische Weltstar leider aus).

Back in Tbilisi Downtown

Nachdem die Fahnen abgehangen waren, ging es mit unseren Kumpels Ian, Corwyn, Tal, Paul und Co in die Shuttlebusse und damit ab ins Stadtzentrum. Wurde zu einer halbstündigen Saunatour, die den Durst natürlich nicht verringern konnte. Ich rechnete nun mit dem unweigerlichen Einmarsch in den Irish Pub, aber stattdessen wollten sie zunächst mit uns in die German Bar. Wir erwarteten ein Imitat des Münchner Hofbräuhauses, wurden aber noch negativer überrascht. Die German Bar war eine Cocktailbar und Shisha Lounge, wie sie mittlerweile auch tatsächlich in deutschen Großstädten immer omnipräsenter werden. Vielleicht war der Betreiber jüngst in einer westdeutschen Innenstadt unterwegs und bekam dabei den Eindruck, Shisha Lounges seien die typische deutsche Ausgehkultur? Nicht mal deutsches Bier gab es. Ich hatte die Wahl zwischen Efes, Heineken und georgischem Gerstensaft (Natakhtari oder so) und natürlich bekam der Lokalmatador den Zuschlag für 7 Lari.

Besuch in der deutschesten Bar Tbilisis

„Jungs, trinkt aus. Wir ziehen weiter.“ war uns als Ansage nach zwei Getränkerunden sehr willkommen. Ein weiterer Mob Waliser war in der Corner Bar, die, ihr ahnt es, gleich um die Ecke war. Erschreckenderweise auch eine Shisha Lounge, aber für die Waliser ist das wohl etwas Exotisches, was sie in so einem semi-orientalischen Land unbedingt mal machen wollen. In Wales gibt es jedenfalls kaum Shisha Bars und diese hier war im Gegensatz zur German Bar auch wirklich einladend. Es gab normales Licht anstatt dieses ungemütliche Neonlicht und es dröhnte auch kein R&B-Elektro-Gemisch aus den Boxen, sondern die Manic Street Preachers sangen „Together Stronger (C’mon Wales)“ und wir sangen mit. Hier ging nebenbei bemerkt ordentlich Bier über’n Tresen und richtige Fußballkneipenatmosphäre kam auf.

Feierei

Getoppt werden konnte die Stimmung nur noch mit dem Besuch der Karaokenacht im Irish Pub (also doch noch Pub, hätte mich sonst auch stark gewundert). In dem gut gefüllten Schuppen, mit ebenso gut gefüllten Walisern, platzierten wir uns strategisch gut zur Karaokebühne. Um am Mic zu performen, musste man wie auf dem Amt ’ne Nummer ziehen und wurde dann irgendwann aufgerufen. Hier sangen nun Georgierinnen mit wirklich lieblichen Stimmen, die in erster Linie Liebeslieder ausgewählt hatten, sowie georgische Typen, die voller Inbrunst Songs wie „Wind of Change“ schmetterten. Der Song gehört glaube ich in der kompletten ehemaligen UdSSR zum gemeinsamen Musikerbe (ich bin sicher, die Rock-Opas aus Hannover würden in Georgien immer noch problemlos das Nationalstadion füllen).

Singing songs of joy

Die ebenfalls fleißig mit Tickets ausgestatteten Waliser hatten dagegen so Songs wie David Bowies „Starman“ oder Chaka Khans „Ain’t Nobody“ erwählt, die mit den bereits aus dem Stadion bekannten Fantexten vom ganzen Saal mitgesungen wurden. „There’s a starman, playing on the right, his name is Benny Woodburn and he’s fucking dynamite“ bzw. „Ain’t nobody like Joe Ledley, makes me happy, makes me feel this way“. Dazu natürlich Evergreens wie „Delilah“, „Sweet Caroline“ und sehr zu meiner Überraschung hatte die Karaokemaschine auch „I Am The Resurrection“ von den Stone Roses im Repertoire. Die Stimmung war unbeschreiblich gut und meine Stimmbänder hochgradig gefordert!

The Lads

Erst um 6 Uhr morgens, nachdem man geschätzt 96 Lari ins Gastgewerbe von Tbilisi gesteckt hatte, ging es zurück zum Appartement und es wurde nun logischerweise bis mittags durchgeschlafen. 12 Uhr mussten wir auschecken und die frische Luft und ein Kaffee am Rust’avelis Gamziri (Rustaveli Boulavard) waren jetzt gar nicht mal das schlechteste. Gott sei Dank hatten wir uns gestern schon die Altstadt touristisch erschlossen. Wie erahnt wäre Sightseeing heute der absolute Horror gewesen. Gut, die Überlandbusfahrt nach Kutaisi wird auch nicht cool, aber wenigstens muss man sich dabei nicht selbst bewegen.

Rustaveli Square

Per Metro ging es gegen 13 Uhr wieder von der Station Rustaveli zum Busbahnhof. Die Fahrer der Überland-Marschrutkas fingen einen gleich am Ausgang der Metro ab. „Batumi? Kutaisi? Zugdidi?“ „Kutaisi!“ „Okay, 10 Lari!“ Das Treiben am Busbahnhof war wie vor 24 Stunden sehr bunt und einmal mehr fiel das Faible der Georgier für Trainingsjacken von deutschen Amateursportvereinen auf (z. B. Güldenstern Stade, SuS Lehe, Rotenburger SV oder TuS Hachen). Ein Selfie mit einem Georgier im Tracktop des SC Asel wirkte nicht unrealistisch, war mir aber leider nicht vergönnt. Schade, hätte es doch kurz die Zeit vertrieben, denn wir waren erst die Gäste Nr. 3 und 4 im Kleinbus.

Rolltreppe abwärts

Nachdem nach rund 30 Minuten Wartezeit alle 15 Sitze besetzt waren, ging der Höllenritt los. Vier Stunden bei Bullenhitze und ohne Beinfreiheit, mit dem Kater des Jahrhunderts im Gepäck. Warum nur haben wir keine Scheiß-Apotheke gefunden, in der wir für wahrscheinlich einen Lari ’ne Familienpackung Aspirin bekommen hätten? Wenigstens mussten die Kopfschmerzen sich das Gehirn mit den Ohrwürmer von letzter Nacht teilen. Zum Glück für die Mitreisenden waren wir schon wieder zu nüchtern, um laut loszusingen. Wir bemerkten sogar zufällig, dass der Bus ganz nah an der Grenze zu Südossetien entlang fuhr. Aber russische und georgische Panzer waren heute keine aufgefahren.

Eine Marschrutka-Fahrt, die ist lustig

Ich unterstelle mal frech, dass viele meiner Leser wenig über Georgien und die Kaukasusregion wissen. Ich selbst würde die Region als noch komplizierter als den Balkan charakterisieren, was sich an den zahlreichen Konflikten innerhalb und zwischen den Nachfolgestaaten der Sowjetunion an Europas Südostflanke manifestiert. Georgien bildet da keine Insel der Glückseligen und rund ein Fünftel des Staatsgebiets werden gegenwärtig nicht von der Zentralregierung kontrolliert. Mit dem Ende der Sowjetunion hat sich 1991 nicht nur Georgien von dieser Staatenunion gelöst, sondern auch die autonomen georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien haben sich kurz darauf vom Staat Georgien unabhängig erklärt. Beides sind nun schon seit 1992 de facto eigenständige, von Russland unterstützte und stabilisierte Staatsgebilde. Und Adscharien, an der südlichen Schwarzmeerküste Georgiens (rund um die Hafenstadt Batumi), war ebenfalls bis 2004 abtrünnig. Erst als der dortige Alleinherrscher Aslan Abaschidse bei Putin in Ungnade gefallen war, konnte Georgien wieder die Kontrolle über die Region übernehmen, wenn auch weiterhin eine gewisse Autonomie von Tbilisi gewährt wird.

Haariger Bettler an einem Rasthof

Es ist wohl generell die NATO- und EU-Orientierung der Georgier, die Putin und dem Rest seiner nationalistischen Clique im Kreml nicht schmeckt. Gleichwohl haben Südosseten (und Abchasier) Sorge vor georgischer Diskriminierung ihrer Völker. Die Sowjetunion war nicht nur ein polyethnischer Staatenbund, sondern die Teilrepubliken waren i. d. R. ebenfalls polyethnisch bevölkert und die Grenzen teilweise willkürlich gezogen (z. B. gehört Nordossetien zur Russischen Föderation und Südossetien de jure zu Georgien). Gerade der Kaukasus ist Heimatregion für etwa 50 Volksgruppen, wovon rund die Hälfte in Georgien nennenswerte Populationen hat bzw. hatte.

Aufgrund von georgischer Ethnokratie seit der Unabhängigkeit, machen die Georgier mittlerweile über 80 % der Staatsbevölkerung aus (Abchasien und Südossetien ausgeklammert). Abchasier und Osseten sind in die abtrünnigen Gebiete ihrer Volksgruppen übergesiedelt, Russen – einst über 6 % der Bevölkerung, nun nur noch 1,5 % – sind zurück nach Russland, Juden nach Israel, Pontosgriechen nach Griechenland, Azeri nach Aserbaidschan und Armenier nach Armenien. Die Armenier waren z. B. mit 30 % um 1900 noch die größte Bevölkerungsgruppe in Tbilisi, während dort damals lediglich 25 % der Bewohner ethnische Georgier waren. Heute machen die Armenier nur noch 5 % der Hauptstadtbevölkerung aus (90 % sind jetzt Georgier). Nichtdestotrotz gibt es in Georgien auch noch Regionen mit armenischer Bevölkerungsmehrheit, wo die Diskriminierung von allem Nicht-Georgischen, wie dereinst in Abchasien und Südossetien, für Unfrieden sorgt.

Heilendes georgisches Mineralwasser

Will Georgien wirklich die Westintegration, muss es in Sachen Minderheitenschutz noch deutlich nachschärfen. Und mit Gewalt werden die abtrünnigen Landesteile sowieso nicht zurück zu bekommen sein. Zuletzt zeigte Russland 2008, dass es bereit ist Südossetiens und Abchasiens de-facto-Unabhängigkeit von Tbilisi (und de-facto-Abhängigkeit von Moskau) auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Nach dem Motto „Wenn die meisten großen Staaten der Welt die Sezession des Kosovo von Serbien anerkennen, müssten sie auch unsere Sezession von Georgien anerkennen“, wurde 2006 ein Referendum über die Unabhängigkeit von Georgien in Südossetien abgehalten und 99 % der Wahlberechtigten wollten einen eigenen Staat Südossetien. Georgien pocht dagegen auf eine Föderation mit starken Autonomierechten, um den Streit beizulegen.

Back in Kutaisi

2008 kam es schließlich zu einem georgischen Einmarsch (dem natürlich gegenseitige Provokation und Inszenierungen vorangegangen waren) und einem fünftägigen Krieg (rund 850 Tote), bei dem Russland zusammen mit südossetischen Milizen die Georgier zum Rückzug zwang. Die Tiefe dieses Konflikts (mit Vorgeschichte, Verbrechen und Folgen) ist natürlich an dieser Stelle nicht darstellbar, aber noch im selben Jahr erkannte Russland Südossetien offiziell als Staat an und bis heute gab es keine wirkliche Annäherung zwischen Georgien und Südossetien. Dazu haben die Russen derweil massenhaft Osseten (und Abchasier) eingebürgert. Das hat den Hintergrund, dass Putin 2010 die offizielle Militärdoktrin änderte. Mittlerweile besagt sie, dass die Armee nicht nur für den Schutz der russsischen Staatsgrenzen, sondern auch für den Schutz russischer Staatsbürger in fremden Staaten zu sorgen hat. Die Ereignisse ab 2014 in der Ukraine haben dementsprechend auch Georgien sehr unruhig werden lassen.

Boeuf Estragonoff

Nach vier Stunden endete unsere Busfahrt im von Georgien zu 100 % kontrollierten Kutaisi und als wir mitbekamen, dass eine mitreisende Backpackerin nicht genug Geld für ihre Weiterfahrt zum Flughafen hatte, spendeten wir ihr noch 5 Lari. Jeden Tag eine gute Tat! Zur Belohnung stand schon gleich die Marschrutka in die Altstadt parat und hatte noch genau zwei Plätze frei. Im Imperator Palace wurden wir vom betagten Betreiber-Ehepaar wie alte Freunde begrüßt und es gab erneut Zimmer Nummer 12. Übrigens haben wir an beiden Tagen keine anderen Gäste in dem Hotel bemerken können. Aber selbst 55 Lari klingen als Tageseinnahme bei rund 200 Lari georgischer Einheitsrente pro Monat gar nicht so übel.

Abschiedsbier am nächtlichen Rioni

Mit immer noch zu viel Lari in den Taschen ging es heute abermals ins Restaurant Palaty. Es gab wieder eine Flasche Wein für uns, sowie Schaschlik und Pommes für Ole und Rindfleischstreifen in Estragonsauce und Kartoffelspalten für mich. Ob es nun am Estragon oder am Wein lag oder einfach daran endlich was im Magen zu haben, auf jeden Fall fühlte ich mich nach dem Essen viel besser als auf der Busfahrt. Entsprechend wurden im Anschluss auch noch ein paar Lari für Bier im El Galeon gelassen. Auf der Kneipenterasse am Ufer des Rioni ließ es sich ganz gut aushalten. Dennoch wirkte die ganze Stadt schon gegen 20 Uhr wie ausgestorben. Donnerstag habe ich mir nichts dabei gedacht, aber dass auch Samstagabend überhaupt nichts in Kutaisi los ist, hat mich schon gewundert.

Auf dem Rollfeld nachts um halb 6

Da wir schon in aller Frühe zum Flughafen mussten, ging es gegen 22 Uhr zurück ins Hotel und bereits fünf Stunden später klingelte der Wecker. 3:30 Uhr brachen wir schließlich per Taxi zum Flughafen auf. 20 Lari für 25 km klang mehr als fair. Weil der Taxler am Ziel auch tatsächlich nur diese Summe haben wollte, gaben wir gerne noch ein üppiges Trinkgeld von knapp 50 %. Die verdammten Lari müssen schließlich endlich weg. Hätten wir nicht noch Frühstücken wollen, hätte er ruhig alles haben können. Aber so benötigten wir noch circa 20 Lari für das berühmte Mineralwasser Borjomi und diverse Teigwaren (Blätterteigtaschen mit Kartoffelfüllung und ein paar furztrockene Chatschapuri).

Frühstück in Holzwickede

Nach völlig verschlafenem Flug, spazierten wir zu Fuß die 1,312 km vom Flughafen Dortmund zum Bahnhof Holzwickede und dort wurde der kalkulierte, aber nicht benötigte Sicherheitspuffer mit einem leckeren Frühstück bei der Bäckerei Grobe sinnvoll umgewidmet. Für 4 € gab es dort Rührei mit Schinken und zwei Brötchen mit Aufschnitt. 9:39 Uhr war Abfahrt und weil unser ICE nach Hannover on time war, konnte Ole nun sogar um 13 Uhr noch Fußball spielen (mit dem SC Itzum in Heisede), während mein SC Asel beiden Herrenmannschaften und den Gegnern einen freien Sonntag aufgrund von Unbespielbarkeit des Platzes spendierte. Aber als alter Knochen fand ich das heimische Sofa nach einem anstrengenden Trip sowieso viel cooler als alles andere.

Song of the Tour: Definitiv der meistgehörte Song auf dieser Tour.