Haifa 01/2017

  • 14.01.2017
  • Maccabi Haifa – Maccabi Petah Tikva 0:2
  • Ligat ha’Al (I)
  • Sammy Ofer Stadium (Att: 13.600)

(Wer die Reise chronologisch beginnen will, klickt hier)

Um 8 Uhr morgens klingelten am Samstag die Wecker und kurz nach 9 Uhr marschierten wir frisch gestriegelt zum ziemlich unseriös wirkenden Busbahnhof von Tel Aviv (gab dort wenig einladende Geschäfte, es roch mies und hier lungerte offenbar das Großstadt-Prekariat konzentriert rum). Der Busbahnhof selbst war geschlossen, da am Sabbat keine Busse fuhren. Doch draußen standen zahlreiche Sherut (Sammeltaxi-Kleinbusse) und die vorwiegend arabisch ausschauenden Fahrer machten lautstark auf ihre Destinationen aufmerksam. Wir gingen sofort zum zahnlosen „Haifa, Haifa“-Mann (wer kennt ihn nicht, den Scooter-Hit „Haifa, Haifa“?) und durften für 45 Shekel (ca. 11,11 €) im Kleinbus Platz nehmen. Die anderen sechs Plätze waren auch recht schnell gefüllt und dann konnte die wilde Fahrt losgehen. Wild war sie allerdings nicht wegen des Fahrstils des Fahrers (es war heute eh nichts los auf den Straßen Israels), sondern wegen drei israelischen Mitfahrern voll auf Stoff. Gott sei dank bekam ich vorne nur akustisch mit, was in der letzten Reihe abging. Schirm dagegen versicherte mir in Haifa, dass es kein schöner Anblick war und meine Toleranz gegenüber Homosexuellen auf die Probe gestellt hätte.

Willkommen im Sherut

In Haifa ließen wir uns am unteren Ende der Bahai Gardens rauswerfen. Diese 19 Gartenterassen, auch die hängenden Gärten von Haifa genannt, wurden von der Bahai-Glaubensgemeinschaft angelegt. Haifa ist eines der Zentren dieser Religion (rund 6 Millionen Anhängern weltweit), weil hier der Schrein des Bab steht. Der Bab (geboren 1819 als Sayyed Ali Muhammad im persischen Shiraz) sah sich als neuen Propheten und nach seiner göttlichen Offenbarung scharte er 18 Jünger um sich (mit ihm zusammen die Urgemeinde, daher 19 Terrassen). Mit seinen Lehren versuchte er eine neue universale monotheistische Religion zu erschaffen, bzw. den Islam zeitgemäß zu reformieren (u. a. in Richtung Gleichberechtigung der Frau und Toleranz gegenüber anderen Bekenntnissen). Zugleich predigte er aber auch, dass nach ihm ein noch größerer Prophet kommen wird und als dieser endgültige Prophet sah sich nach der Hinrichtung des Bab (1850) dessen Anhänger Baha’ullah. Der Sohn eines persischen Staatsministers hing seit 1848 dem Babismus an und wurde nun Gründer der Bahai-Religion, die auf den Lehren des Bab aufbaute.

Unteres Ende der Bahai Gardens

Im Gegensatz zum Bab („Das Tor Gottes“), wurde Baha’ullah („Die Herrlichkeit Gottes“) aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung nicht als Ketzer hingerichtet, sondern nach einer Haftzeit mit lauter weiteren Gottesoffenbarungen lediglich verbannt. Baha’ullah, der sich als 10.Avatar des Hinduismus, die Wiederkehr von Jesus Christus, den Mahdi aus dem Koran und noch vieles mehr ansah, starb 1892 in der Nähe von Akko, unweit von Haifa. Da man auch die sterblichen Überreste des Bab von Teheran nach Haifa überführen ließ, entstand rund um Haifa das Weltzentrum der Bahai-Religion. Neben den Schreinen der beiden Religionsstifter und den dazugehörigen Gärten gibt es auch zahlreiche administrative Gebäude der Bahai, wie das Zentralarchiv und das Bildungszentrum.

Der Schrein des Bab

Leider waren die Gärten für Touris nur punktuell zu betreten und man durfte nicht durchgehend von oben nach unten oder andersrum da durchspazieren. Zum Glück konnte der Bahai-Security Herr Chemnitz etwas Deutsch, auch wenn er eher nicht wie der durchschnittliche Bewohner von ehemals Karl-Marx-Stadt aussah. Er wies uns auf eine englischsprachige Führung um 13:30 Uhr hin, die wir gerne in die Agenda aufnahmen. Die startete am oberen Ende der Gärten und führte von dort runter zum Schrein des Bab. Bei der Führung erfuhren wir nicht nur die eingangs erwähnte Entstehungsgeschichte der Religion, sondern auch deren Glaubensgrundsätze und Lebensart.

Ausblick der oberen Gärten

Die friedfertigen Bahai, die alle anderen Religionen und deren Propheten respektieren, sind in islamischen Ländern leider großer Verfolgung ausgesetzt. Die meisten der rund sechs Millionen Bahai leben heute in Indien (ca. 2 Millionen). In Israel dürfen dagegen keine Bahai dauerhaft leben. Das verbietet aber nicht der Staat Israel (hier herrscht Religionsfreiheit), sondern die Religionsgemeinschaft selbst, weil Israel für sie das heiligste Land auf Erden ist, wo kein Bahai leben soll. Ihr Aufenthalt ist immer nur auf Monate oder Jahre begrenzt (hängt von ihrer Aufgabe ab) und es gibt dementsprechend praktisch keinen israelischen Staatsbürger, der Bahai ist.

Die oberen Gartenterrassen

Der Guide (übrigens israelischer Araber) führte weiter aus, dass es keinen richtigen Klerus gibt und das Gemeindewesen demokratisch organisiert ist. Nicht nur mit anderen Religionen und allen Nationen sollen die Bahai in Harmonie leben, sondern auch mit der Natur und Wissenschaft. Mitglied wird man (ab 15 Jahren) aus freien Stücken und man kann der Religion auch von heute auf Morgen wieder den Rücken kehren. Und als Schirm wieder mal nur hörte, was er hören wollte, war er kurz davor dem Verein beizutreten. Nein Schirm, er hat nicht gesagt, dass Drogen und Alkohol aufgrund der Bewusstseinserweiterung in dieser Religion begrüßt werden, sondern genau das Gegenteil!

Das Archivgebäude der Bahai

Nach der rund sechzigminütigen Führung, die uns nebenbei einen fantastischen Ausblick über die Hafenstadt Haifa bot, schlenderten wir durch die Deutsche Kolonie Richtung Hafen. Hier siedelten ab Ende des 19.Jahrhunderts ein paar hundert Mitglieder der Templergesellschaft aus Deutschland. Diese chiliastische Glaubensgemeinschaft rechnete mit einer baldigen Rückkehr von Jesus Christus und einem Tausendjährigen Reich mit Jesus als König. Erwarten wollten sie diese Zeitenwende natürlich im Heiligen Land und so siedelten Templer aus Württemberg u. a. in Haifa, Jerusalem und Tel Aviv. In Sachen Landwirtschaft und Infrastruktur brachten die Palästinadeutschen die Gegend ordentlich voran, aber als dann ein paar Jahrzehnte nach ihrer Ansiedlung ein anderer Deutscher auch von einem Tausendjährigen Reich schwadronierte und einen Weltkrieg entfesselte, wurden die Deutschen von der britischen Mandatsmacht aus Palästina nach Australien deportiert. Zumal viele Templer offen mit dem Nationalsozialismus sympathisierten.

German Colony

In der Kolonie waren übrigens zahlreiche Restaurants für das verspätete Mittagessen und zugleich vorgezogene Abendessen vorhanden, aber wir witterten überall den Touri-Nepp landeten nach ewigen Überlegungen bei McDonald’s in einer kleinen Mall am Ende der Kolonie. Das Angebot dort ist schon ziemlich anders als in Deutschland. Allein schon weil Burger mit Käse nicht koscher sind. Für umgerechnet 11 € bekam ich ein Menü mit einem Kebab Wrap (mit würzigen Lammhacksteaks). War durchaus schmackhaft und würde mich vielleicht sogar verleiten McDonald’s in Deutschland nicht mehr zu meiden. Aber eine Orientalisierung des deutschen McD-Menüs ist höchstwahrscheinlich nicht angedacht.

Welcome to Sammy Ofer Stadium

Satt nahmen wir nun den ersten Bus des Tages zum Stadion (ab 17 Uhr, also nach Sonnenuntergang, fuhren wieder welche), wo wir auf der Geschäftsstelle von Maccabi Haifa nach Vorlage unserer Pässe und Presseausweise die im Vorfeld angefragten Akkreditierungen bekamen. Der Pressechef brachte uns dann persönlich in den Medienbereich und erzählte einiges zum Verein und zum Stadion. Maccabi Haifa gehört zu den ganz großen Nummern des israelischen Fußballs und war 2003 als erstes Team dieses Landes für die Gruppenphase der UEFA Champions League qualifiziert. Die bisher 12 Landesmeisterschaften holte man alle zwischen 1984 bis 2011 (u. a. Titelhattrick 2004 bis 2006) und seit August 2014 spielt man im topmodernen Sammy Ofer Stadium südlich des Stadtzentrums. Über 30.000 überdachte Plätze erwarten die Besucher (heute laut Verein 13.600 zahlende Zuschauer), sowie Logen und all der Komfort, den man von einem UEFA 4-Sterne-Stadion erwartet.

Meine Akkreditierung

Der Club wollte dieses Jahr wieder mit um die Meisterschaft spielen, hat ein entsprechendes Budget, steht aber nach einer durchwachsenen Hinserie nur auf Platz 6. Die letzten zwei Ligaspiele verlor man und zuletzt flog man gegen den heutigen Gegner aus Petah Tikva aus dem Pokal. Logisch, dass der Pressesprecher von Maccabi Haifa sich eine Revanche wünschte und damit auch auf eine Trendwende in der Liga hoffte. Die Fans hofften mit und hatten ein großes Spruchband auf Hebräisch vor den Oberrang der Heimkurve gespannt (in etwa: „Jungs, niemals aufgeben!“). Akustisch erlebten wir eine sehr stark beginnende Heimkurve mit ordentlich Lautstärke und mit Melodien, die mir noch unbekannt waren.

Die Heimkurve

Auf dem Platz begann der Hausherr auch schwungvoll, aber Petah Tikvas Mannschaft presste sehr gut und konterte dann. Es war eine schnelle und intensive Partie, doch Torschüsse sahen wir leider wenig. Maccabi war meist nur bei Standards gefährlich, aber in der Regel wurde alles an hohen Bällen von Petah Tikvas Verteidigung aus der Gefahrenzone geköpft. Das Publikum, allen voran die Green Apes, peitschte ihre Truppe jedoch uner,üdlich nach vorn und in der 44.Minute kam es endlich zur ersten Großchance des Spiels. Doch Haifas Stürmer Rukavytsya (ehemals Hertha BSC und Mainz 05) setzte seinen Volleyschuss aus zehn Metern ca. 0,96 cm über das Gehäuse.

Die Gegengerade

Dann war erstmal Pause und wir mampften noch die letzten Reste der Häppchen aus der Mixed Zone, als die Heimkurve wieder den Support aufnahm. Wir sahen nun eine Nummer, wo erst alle saßen, den Körper mehrmals nach vorn und hinten beugten und dann auf Kommando aufsprangen und hüpften (hier in einer älteren Aufnahme zu sehen). Leider wurde ihre Laune schon in der 48.Minute getrübt. Es fiel das 0:1 durch eine halbhohe Flanke von der Strafraumgrenze und der Serbe Nenad Adamovic rutschte am zweiten Pfosten in den absinkenden Ball und lenkte die Kugel so in die Maschen. Und schon in der 51.Minute klingelte es erneut in Haifas Tor. Guy Melamed dribbelte sich in den Strafraum, ließ zwei Verteidiger stehen und schloß dann gefühlvoll ins Toreck ab. Nun fürchtete ich natürlich, dass die Messe gelesen war, doch in der 52.Minute kam es fast postwendend zum Anschlusstreffer. Aber der Gästekeeper lenkte mit einem guten Reflex den Schuss von Haifa aus 15 Metern über das Tor. In der 60.Minute gab es das nächste Mal freie Schussbahn für Haifa, nur diesmal landete der Abschluss deutlich über dem Tor. Der schnelle Anschlusstreffer blieb also leider aus.

Nichts los auf dieser Hintertortribüne
Nichts los auf dieser Hintertortribüne

Zumindest das Publikum auf der Haupttribüne wirkte frustriert von der eigenen Mannschaft, die nach rund einer Stunde Spielzeit dann doch nichts mehr bewegte. Maccabi Haifa hat laut israelischen Kollegen einen Etat von über 100 Millionen Shekel und für israelische Verhältnisse große Stars wie Gary Kagelmacher, Omer Damari und Nikita Rukavytsya. Aber seit sieben Spielen sind sie nun schon sieglos. Maccabi Petah Tikva dagegen steht mit rund einem Fünftel der Kohle auf Platz 3. Und dafür, dass heute kein 0:3 mehr fiel, konnte sich Haifa bei ihrem Schlussmann Omri Glazer bedanken (Israels U21-Nationalkeeper). Der musste dank haarsträubender Abwehrfehler noch mehrfach klären. Am Ende kam vor des Gegners Tor auch noch Pech dazu. Es gab ein klares Handspiel im Strafraum von Petah Tikva, aber der Pfiff blieb aus (71.Min). Das war ziemlich die letzte brisante Situation. Danach spielte der Gast aus Petah Tikva das Ding souverän zu Ende und Haifas Kurve servierte auch nur noch monotonen Ultra-Singsang. Jetzt hätte man vielleicht sogar die Gästefans gehört, doch jene sprangen nur jubelnd bei den Toren auf, ansonsten waren die alle eher Kategorie schweigende Fußballgenießer.

Gästeteam und mitgereiste Fans feiern

Nichtsdestotrotz hatten nach Abpfiff nur sie etwas zu feiern, während die grün-weißen Fanscharen recht verärgert den Heimweg antraten. Wir schlossen uns an (wer will schon ohne Sprachkenntnisse einer Pressekonferenz auf Hebräisch folgen?) und steuerten auf den 1,5 km vom Stadion entfernten Bahnhof Hof-HaCarmel zu. Kaum waren wir dort durch die Sicherheitsschleuse, rollte auch schon der Zug ein. Für 27,50 Shekel (ca. 7 €) ging es schnell und bequem zurück nach Tel Aviv (inklusive Wi-Fi und Steckdosen an jedem Platz). Das Bahnnetz in Israel ist zwar nur an der Küstenlinie gut ausgebaut, aber dort kann ich es als Transportmittel wärmstens empfehlen.

Auch die Verlierer gingen in ihre Fankurve

Nach einem langen Tag hatte ich eigentlich schon die nötige Bettschwere erreicht, aber Schirm hatte überzeugende Argumente dafür noch feiern zu gehen („Wir müssen heute saufen, damit ich morgen an der Klagemauer auch was zu klagen habe.“). Also steuerten wir das HaMinzar an. Eine 24/7-Kneipe, die in Tel Aviv eine Institution ist und verhältnismäßig günstige Getränke anbietet (Happy Hour ist übrigens von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends). In der proppevollen Pinte ergatterten wir den letzten freien Tisch und tranken nun Pints für ca. 5 €. Und dazu lief auch noch Musik aus den „Eis am Stiel“ Scores. Einfach genial! Die Müdigkeit war schnell weg und ein paar Runden Arak räumten auch die immer noch vorhandenen Vorbehalte, dass man Morgen ja fit sein muss, aus dem Weg. Arak ist ein geiler Anis-Schnaps mit ca. 40 Umdrehungen, der im ganzen Nahen Osten verbreitet ist und in Israel wohl die günstigste Spirituose ist (ca. 3,50 € pro Shot).

Und jetzt wird hier gefeiert!

Es wurde jedenfalls noch eine ganz wilde Partynacht und direkt aus den Nightlife Hotspots Tel Avivs nach Jerusalem zu starten wurde zeitlich nur knapp verfehlt. Wer nun chronologisch weiterlesen will, klickt hier.

Song of the Tour: Haifa, Haifa…