Istanbul 02/2016

  • 16.02.2016
  • Fenerbahçe SK – FK Lokomotiv Moskva 2:0
  • UEFA Europa League (Round of 32)
  • Sükrü Saragcoglu Stadyumu (Att: 36.195)

Die zweite Urlaubsreise im Jahre 2016 hatte viel Vorlauf. Bereits im Sommer 2015 flog einem ein Türkei-Schnäppchen nach dem anderen um die Ohren. Den Zuschlag bekam die zweitbeste türkische Airline Atlasglobal, die für einen Flug von DUS nach IST lächerliche 24 € verlangte (,inklusive warmer Mahlzeit und Getränk). Sie wollten es dann mit dem vierfachen Kurs für den Rückflug ausgleichen, aber da kam Pegasus ins Spiel, die Rückflüge von Istanbuls zweitem Großflughafen SAW (Sabiha Gökcen) für 37 € anboten. Außerdem lockte die Airline Nr.1 der Türkei, Turkish, mit nahezu geschenkten Inlandsflügen. Ich wollte nun eigentlich zum Taxipreis noch für einen Tag nach Mardin an die syrische Grenze fliegen und mir Daesh mal aus der Nähe angucken. Aber davon riet mir sogar mein Vater ab, der sonst auch nichts von Reisewarnungen des Auswärtigen Amts hält und immerhin während der ägyptischen Revolution fröhlich die einsamen Weltwunder von Assuan und Gizeh besuchte. Schade, Mardin und das nahe syrisch-orthodoxe (aber in der der Türkei liegende) Kloster Deir az-Zafaran wären wunderschöne Ziele fernab des Massentourismus gewesen. Aber wenn Eltern, Partnerinnen und Co das nicht goutieren, will man ihre Sorgen nicht einfach so wegwischen. Und Istanbul hat schließlich auch mehr als genug für ein paar unvergessliche Tage zu bieten.

Unsere Unterkunft

Nachdem die Unterkunft geklärt war (ein Hotel nahe des Taksim Meydanı in Beyoğlu), wurde sehnsüchtig auf die neuen Spielpläne gewartet. Als jene veröffentlicht wurden, ergaben sich immerhin zwei kleine Ortsderbys in der 15-Millionen-Einwohner-Metropole. Fenerbahçe empfingt Kasımpaşa und Başakşehir hatte Beşiktaş zu Gast. Um allerdings an Karten dafür zu kommen, wurde es kompliziert. Nachdem der Pseudosultan Recep Tayyip Erdoğan bei den Gezi-Protesten ordentlich Gegenwind von der Fußballszene bekam (Filmtipp: Istanbul United), verschärfte er die Gesetze gegen Fußballfans. Eingeführt wurde eine Fancard namens Passolig, die man nun benötigt, um an Tickets für Fußballspiele zu kommen. Vermeintlichen Feinden des Fußballs wird so eine Karte natürlich verwehrt und neben den persönlichen Daten enthalten Karte und zugehörige Datenbank auch noch ein Foto jedes Stadionbesuchers.

Und mehr noch, die Passolig ist gleichzeitig eine Kreditkarte einer Bank, die zum Firmenimperium von Erdoğans Schwiegersohn gehört. Es wird für die Passolig eine Jahresgebühr von ca. 10 € fällig und dazu eine geringe Gebühr für jede Transaktion zum Kartenkauf, so dass der regelmäßige Stadionbesucher 20 bis 30 € pro Saison an Gebühren an die Aktifbank abdrücken darf. Da kommen ligaweit hübsche Sümmchen zusammen. Eigentlich darf man so etwas natürlich nicht unterstützen, doch um in der Türkei höherklassigen Fußball zu sehen, kommt man auch als Ausländer nicht drumherum und zähneknirschend beantragten wir Ende 2015 die für uns passende Passolig (pre-paid und vereinsungebunden).

Passolig Muster

Wenigstens der Spielplan meinte es kurz darauf noch besser als gedacht mit uns und loste den Teams von Galatasaray (gegen SS Lazio) und Fenerbahçe (gegen Lokomotive Moskau) Heimspiele in der UEFA Europa League für den 18.Februar zu. Da zwei EL-Spiele am selben Tag nicht im Sinne der Sicherheitsorgane waren, wurde Fenerbahçes Spiel auf Dienstag den 16.Februar gelegt. Nun brauchte man nicht mehr groundhoppermäßig am Wochenende von Stadion zu Stadion hetzen, um mehr als ein Spiel zu sehen, sondern entschied sich in der vorläufigen Planung nur das Ligaspiel von Beşiktaş am Sonntag zu schauen und Dienstag schließlich Europapokal bei Fenerbahçe.

Tickets für den Kracher in der Europa League gab es erst eine Woche vorher käuflich zu erwerben. Zunächst auch nur ab 40 € aufwärts und lediglich für Mitglieder und Dauerkartenbesitzer. Uncoole Nummer! Başakşehir setzte seine Karten für das Ligaspiel gegen Beşiktaş schließlich drei Tage vor dem Spiel auf der Passolig-Seite rein und dort konnten problemlos VIP-Karten für 15 € erstanden werden. Der Verein zieht halt nicht ganz so wie die namhafte Konkurrenz am Bosporus. Am Tage des Abflugs war Fenerbahçe dagegen immer noch im Priority Sale und die günstigsten Karten bereits alle vergriffen. Der Stadionbesuch dort wurde leider immer unwahrscheinlicher. Nichtsdestotrotz quälten wir uns am 13.Februar früh und unausgeschlafen, aber doch voller Vorfreude aus dem Bett. Events wie die Jahreshauptversammlung des SC Schwarz-Gelb Asel machten ein frühes zu Bett gehen am Vorabend zunichte und 5 Uhr war eine wirklich unchristliche Zeit für den Aufbruch. Aber gut, das Reiseziel ist ja seit 1453 auch nicht mehr christlich.

Lungern am Airport Düsseldorf

Wir reisten in zwei Gruppen. Vier Mann mit Anschlussreise nach Spanien via WET-Tour (Fat Lo, Ole, El Glatto und ich) und die anderen vier als Reisegruppe Istanbul only im PKW (InterCityBerger, Milano Pete, Olbert und Pumba). Die WET-Gruppe freute sich sehr, dass die PKW-Gruppe unser Gepäck für Reise Nr. 2 mitnahm und bis Mittwoch im geparkten Auto zwischenlagerte. So mussten wir nicht Gepäck für acht Tage in einen handgepäcktauglichen Koffer quetschen und konnten kommenden Mittwoch in Düsseldorf bequem die Koffer austauschen. Bequem war auch die Bahnfahrt über Löhne/Westfalen, wo es beim Zwischenhalt ein passendes Frühstück in Form einer Chicken Döner Pizza gab und insgesamt vier Stunden Bahnreise bei guten Gesprächen wie im Fluge vergingen.

Atlasglobal Catering

12:40 Uhr war unser Start und nachdem die „Reisegruppe Urgemütlich“ zwei Stunden vor Abflug am Düsseldorfer Flughafen wieder vereint war, wurde das nicht benötigte Zeitpolster mit einem zweiten Frühstück bei Mc Donald’s mit Leben gefüllt. Gott, wird das wieder eine Diätreise… Schnell noch jeder im Duty Free Shop die Schnapssorten durchprobiert (und doch nur den billigen Osborne Veterano für 10 € pro Liter eingetütet) und schon gab es im Flieger das dritte Frühstück bzw. das Mittagessen. Es wurde wahlweise vegetarisches Frikassee oder Hähnchen in Tomatensauce gereicht. Dazu Brötchen, Käse, Salat und Kuchen. Danach hatte ich die nötige Bettschwere, um nochmal ein Auge zuzudrücken.

Moin, Moin; Konstantinopel

Istanbul wurde planmäßig um 16:45 Ortszeit erreicht und am Ausgang des Flughafens wartete bereits unser Chauffeur Mr Baris und reckte das Schild mit der Aufschrift „Mr Sasa Snepanovic“ in die Höhe. Mit Vollgas ging es nun Richtung Taksim und die ersten Eindrücke der Stadt waren bereits überwältigend. Wirklich eine Mega-City, deren Lichter in der Abenddämmerung unsere Blicke fesselten.

Partytime auf der Istiklal Caddesi

Das Hotel war dann wenig überraschend nicht so gut in Schuss wie auf den Bildern (da wirkte es fast schon luxuriös und von Schimmel war nichts zu sehen), aber für 8 € pro Nacht und Person wollen wir mal keine großen Ansprüche stellen. Und Mr Bayram, der Manager, stellte sich auch als höflich und hilfsbereit heraus, bevor wir erstmal in Richtung İstiklâl Caddesi (Unabhängigkeitsstraße) schieden. Diese Straße ist die berühmte Hauptader des Viertels Beyoğlu. Eine Straße, auf der an einem Samstagabend das Leben pulsierte und eine Band in einem zur Bühne umgebauten historischen Straßenbahnwagen den Menschenstrom musikalisch einheizte.

Galataturm by night

Wir ließen uns treiben und waren irgendwann am Galataturm angekommen. Auch nachts ein sehenswertes und nun illuminiertes Wahrzeichen der Stadt und nicht weit vom Wasser entfernt. Hier bot sich uns das Panorama der Stadtteile Sultanahmet und Fatih und nachdem das Bild ausreichend auf uns gewirkt hatte, gab es Abendbrot in Form von gegrillter Sucuk und anderen Spezialitäten der hiesigen Küche. Gut genährt waren die kneipenumsäumten Nebenstraßen des Hauptboulevards unser nächstes Ziel. Es gab einige Bars in denen richtig was los war und einige Bars mit gähnender Leere, in die uns ständig Werber locken wollten.

Marching on together

Gelandet sind wir im U2 Irish Pub, wo die irische Minderheit Istanbuls und ein paar Touristen ihre Pints genossen. Der Wirt war zwar Türke, allerdings mit irischer Seele. Jedenfalls stimmte er immer die Klassiker des irisch-republikanischen Gesangs an und beschallte damit zusammen mit den anwesenden Iren den Gastraum. 6 € für Guinness und 4,50 € für Carlsberg schienen uns am ersten Abend okay, denn im Vorfeld lasen wir Artikel der „Lügenpresse! Lügenpresse!“, die 5 € als Standardbierpreis propagierten (nach Erdoğans neuen Gesetzen contra Alkoholkonsum). Da sahen wir von unseren Differenzen in Sachen Beurteilung der IRA ab und blieben stundenlang. Das hatte auch zur Folge, dass wir jedes Lied seiner Playlist mindestens fünfmal gehört hatten. Sie bestand aus den irischen Pubklassikern plus Sinead O’Connor plus The Cranberries und plus, völlig überraschend, U2. Unsere Musikwünsche wurden vom Wirt, der selbst sein bester Kunde war, mit „I don’t play English Bands“ abgeschmettert. Dafür drehte er immer wieder den Volumenregler runter, um um Ruhe zu bitten und uns mit hochphilosophischen Monologen, in denen jeder zweite Satz „Life is too short“ war, zu unterhalten. Spitzentyp. Dass man zum Klo im Treppenhaus zwischenzeitlich an einem beischlafenden Pärchen vorbei musste, setzte dem Spektakel noch die Krone auf.

U2 Irish Pub

Als nach Mitternacht alle potentiellen Grounds für einen neuen Liebesländerpunkt fort waren, brachen wir jeder rund 150 Türkische Lira ärmer in Richtung Hotel auf. Es regnete plötzlich Hunde und Katzen und meine vollen Genossen wollten jetzt entweder zum Friseur, Dosenbier kaufen oder was Fettiges essen. War fast unmöglich die Bande zusammenzuhalten und die Idee eine sechsspurige Straße im fließenden Verkehr zu überqueren, war auch nachts in Istanbul eine brisante Sache. Doch die neuen Marek-Hamsik-Frisuren meiner Freunde entschädigten fast wieder für all den unnötigen Stress.

Martin „Ole“ Hamsik

Blöd, dass noch bis 5 Uhr morgens der Veterano in der Hotelsuite genossen wurde. Der Sonntagmorgen begann nun entsprechend gerädert, aber es muss ja weiter gehen! Wir wiederholten nun unseren Abendbummel 1:1 bei Tageslicht und dann waren fünf Herren geil auf einen Basarbesuch, während Fat Lo, Ole und ich ein Drittligaspiel im Stadtteil Bahçelievler, unweit des Atatürk International Airport, bevorzugten. Istanbulspor, lange Zeit die sportliche Nr. 4 in Istanbul (13 Jahre Süper Lig), spielt mittlerweile in der 3.Liga und empfing Hacettepe aus der Hauptstadt Ankara (das Farmteam des Erstligisten Gençlerbirligi SK Ankara).

Galataturm am Morgen
  • 14.02.2016
  • Istanbulspor – Hacettepe 3:1
  • 2.Lig Beyaz Grup (III)
  • Bahçelievler İl Özel İdare Stadyumu (Att: 540)

Mit der Metro verlagerten wir uns von Beyoğlu nach Bahçelievler. Dort flanierten wir durch die tourifreie, aber sehr belebte Haupteinkaufsstraße (die offizielle Einwohnerzahl des Viertels beträgt übrigens 599.000) und kämpften uns zum Bahçelievler İl Özel İdare Stadyumu durch. Als wir in die Straße des Stadions einbogen, trug uns der Schall schon das beliebte „Dale Boca /Cavese / etc.“ entgegen. Performt mit Blasinstrumenten. Das könnte doch ganz gut werden, dachten wir uns, und wurden nicht enttäuscht. Nachdem umgerechnet 3 € gelöhnt waren, platzierten wir uns am Rand der einzigen, aber großen Tribüne und waren hoch erfreut, dass neben der Kapelle auch einige sangesfreudige Fans den Weg ins Stadion gefunden hatten. Insgesamt 540 Zuschauer waren heute da und drückten fast alle sichtbar ihre Sympathie für die schwarz-gelben Hausherren aus. Ein Club, der 1926 von Eleven des Istanbul Lisesi gegründet wurde (einem renommierten deutsch-türkischen Gymnasium in Istanbul).

Welcome to Bahcelievler

Deren 1:0 fiel in der 27.Minute durch Alihan Kubala. Man sah schon, dass Istanbulspor ein würdiger derzeitiger Tabellenführer der 3.Liga ist. Sie hatten eine Spielidee, eine gute Ballbehandlung und der Einsatz stimmte auch. Die von beiden Seiten leidenschaftlich geführte Partie endete in der 29.Minute fast in einer Massenschlägerei. Außer die Torhüter waren eigentlich alle Spieler beim Geschubse involviert und der eine oder andere Hieb wurde auch verteilt. Der Schiedsrichter hatte es aber nach drei Minuten wieder beruhigt und es ging 11 gegen 11 weiter. Hacettepe war jetzt irgendwie wie wachgerüttelt und ein schneller Angriff wurde in der 34.Minute per Vollspann aus 12 Metern in den Winkel zum 1:1 abgeschlossen. Das blieb auch der Pausenstand.

Fans von Istanbulspor

In der Halbzeit erfrischten wir unseren Organismus mit Wasser für 0,30 € und kaum war die Partie wieder angepfiffen, konnte Istanbulspor durch einen direkten Freistoß wieder in Führung gehen (Muhsin Yildirim, 48.Min). Hacettepe ließ sich davon aber nicht beeindrucken und drängte wieder auf den Ausgleich. Es war wirklich eine kurzweilige und rassige Partie. Und die Fans auf den Rängen boten ebenso beste Unterhaltung. Die Fans schmetterten der Kapelle Lieder entgegen und die erwiderte das gleiche Lied mit Pauken und Trompeten. Regelmäßig ein schöner Kanon! Das Repertoire an Stücken war nebenbei sehr abwechslungsreich und reichte von „Go West“ über „Misirlou“ (musikalisches Main Theme des Films Pulp Fiction) bis zu Kurvenklassikern aus Argentinien.

Bahcelievler Stadyumu

Die Mannschaft dankte den Support mit dem 3:1 in der 69.Minute (durch Ismail Sari). Hacettepe war zwar am Drücker, aber hier liefen sie in einen super Konter (Steilpass in die Spitze und der Stürmer ging ab wie Speedy Gonzales). In der 72.Minute gab es sogleich einen fast identischen Konter, der jedoch knapp vor’m Tor am Torwart scheiterte. Diese und weitere Kontergelegenheiten ergaben sich, weil Hacettepe nicht aufgab und weiterstürmte. Trotz zwei Toren Rückstand und nur noch wenig Restspielzeit. Tore sahen wir dennoch auf beiden Seiten keine mehr und es blieb beim 3:1.

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Stadion und Panorama

Nach Abpfiff war es an der Zeit für eine Nahrungsaufnahme. Uns waren bereits auf dem Hinweg zum Stadion die für unsere Kaufkraft lächerlichen Preise der Imbisse aufgefallen. Dort wo wir einkehrten konnte zwar niemand auch nur ein Wort Englisch oder Deutsch, aber Döner und Cola bestellen war nun wirklich keine Herausforderung. Für 2,50 € bekam ich einen Dönerteller mit Reis und Brot. Das Fleisch war ausschließlich magerer Natur, ganz anders als in Almanya. War ’ne leckere Nummer, dieses teuerste Gericht der Karte. Dönertaschen kosteten dort übrigens 1 € und Lahmacun 0,40 €. Kein Vergleich zum fast schon deutschen Preiniveau in Beyoğlu. Und auch abgesehen vom Essen und Fußball war es ein sehr interessanter Ausflug. Hier gab es keine erkennbaren Touristen (und entsprechend keine Anquatscher), dafür eine hohe Kopftuchdichte und viele Polizisten mit Maschinengewehren, sowie Panzerwagen am Hauptplatz des Viertels. Istanbul von einer ganz anderen Seite als in den zentralen Stadtteilen.

Dönerteller in Bahcelievler
  • 14.02.2016
  • Istanbul Basaksehir FK – Besiktas JK 2:2
  • Süper Lig (I)
  • Fatih Terim Stadyumu (Att: 6.870)

Wir verließen Bahçelievler mit dem Taxi gen Başakşehir, dem Spielort der zweiten Partie an diesem Tag. Leider konnte der Taxifahrer auch kein Wort Englisch oder Deutsch und kannte das Fatih Terim Stadyumu gar nicht (er dachte wir wollen ins Olympiastadion). Ich musste ihn dann per Offline-Karte auf dem Smartphone mit GPS navigieren (Internet hatte ich für die Türkei nicht freigeschaltet), was zum Glück ganz gut klappte. Umgerechnet 12 € für 20 km Fahrt standen am Ende auf dem Taxameter und am Stadion marschierten wir schnurstracks zur Kasse, wo ja angeblich unsere Passolig-Karten liegen sollten. Dem war natürlich nicht so (obwohl schon im Dezember beantragt), aber vielleicht hatten wir das auch falsch verstanden? Auf jeden Fall bekamen wir einen Tagespass ausgestellt und saßen zwei Stunden vor Anpfiff im Stadion. Bisschen früh, aber was will man schon mit seinem üppigen Zeitpolster anfangen, wenn das Stadion ganz weit draußen in einer Trabantenstadt ohne Highlights liegt?

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Basaksehir

Başakşehir besteht aus mehreren in die Höhe ragenden Wohnparks, deren Einzäunung Unbefugten den Zutritt in das Wohnparadies für Erdogan-Anhänger schwer macht. Hier siedeln seit rund zwei Jahrzehnten vorwiegend konservative, religiöse Türken. Zuzug aus der türkischen Provinz und den gentrifizierten zentralen Stadtteilen Istanbuls verdoppelten die Bevölkerungszahl allein in den letzten 10 Jahren auf über 350.000. Es sind mehrheitlich Menschen, die mit dem säkularen Istanbul im Zentrum nichts anfangen können und daher lieber hier wohnen. Sie leben nun in der einer steril wirkenden Welt ohne Sünden wie unverhüllte Frauen, Alkoholkonsum, Homosexualität oder Glücksspiel. Zur Freizeitgestaltung schenkte man den Menschen ein Fußballteam und ein Stadion, auf welches wir schon recht gespannt waren.

Anstatt unsere VIP-Plätze auf der Haupttribüne einzunehmen, entschieden wir uns für Plätze auf der Gegengerade im Oberrang, da wir falsch rein gegangen waren und einfach zu faul waren noch einmal ums Stadion zu laufen. Dort begrüßten wir eine halbe Stunde später die fünf anderen Jungs unserer Reisegruppe und tauschten die Erlebnisse des Tages aus. Der von ihnen angepeilte Basar hatte zwar geschlossen, aber in dessen Nähe hatten sie mit Bier, Snacks und Sonne trotzdem ’ne gute Zeit.

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Das Ufo von Basaksehir

Das Stadion wirkte komplett fabrikneu und war ja auch erst 1,5 Jahre alt. Es wurde gebaut um dem Nomadendasein von Istanbul BB (1990 als Club der Stadtverwaltung gegründet) ein Ende zu setzen. Die hatten in mehreren kleinen Stadien und im völlig überdimensionierten Atatürk Olimpiyat Stadyumu ihre Spiele ausgetragen. Bis 2014 das eigene Stadion mit 17.319 Plätzen für rund 60 Millionen Euro endlich fertiggestellt war. Gewidmet wurde es der türkischen Trainerlegende Fatih Terim und eröffnet wurde es von Staatspräsident Erdoğan persönlich, der beim Promikick auch gleich mal drei Tore schoss. Mit dem Einzug des Teams ins eigene Stadion, erfolgte ebenfalls die Umbenennung in Istanbul Başakşehir FK.

Dann mal hinein in die gute Stube

Knapp 7.000 der Zuschauerplätze sollten sich heute füllen und mindestens die Hälfte der Besucher war dem Gast Beşiktaş zugeneigt. Spielen sie nicht gegen die Zugpferde des türkischen Fußballs, verirren sich selten mehr als 3.000 Leute ins Rund. So ganz wissen die Bewohner der AKP-Hochburg ihr Geschenk vom „Sultan“ also noch nicht zu schätzen. Was besonders auffiel, war die halbrunde Bauweise der Hintertortribünen, obwohl keine Laufbahn vorhanden war. Na ja, mal was anderes als die häufige Kastenbauweise. Und während die eine Hintertorseite komplett Beşiktaş vorbehalten war, sahen wir auf der anderen festlich eingedeckte Tische im Unterrang. Hier wurde passend gekleideten Stadiongängern in Abendgarderobe ein mehrgängiges Menü serviert und ein Streicher-Quartett spielte den Schlemmermäulern Musik. Wie wir im Nachhinein erfuhren, war das ein Valentinstag-Angebot des Vereins für sich liebende Paare. Da der Valentinstag jetzt nicht gerade als islamisches Fest durchgeht, erfüllt der Başakşehir FK vielleicht doch nicht jedes Klischee eines Lieblingvereins für konservativ-religiöse AKP-Anhänger.

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Fatih Terim Stadyumu

Als 60 Minuten vor Anpfiff auch für den gemeinen Stadionbesucher das Musikprogramm einsetzte, durften wir zum ersten von insgesamt 16 Malen der Clubhymne von Başakşehir Istanbul lauschen. Wurde entsprechend ein unfreiwilliger Ohrwurm. Kurz vor Anpfiff begann allerdings der Gästeanhang so langsam alles zu übertönen. Die Kollegen von Çarşı waren wirklich sehr laut und beim Anstoß zählten sie von zehn bis eins runter und starteten dann einen Stimmungsorkan. Der Capo war dabei ein hervorragender Dirigent und koordinierte die zahlreichen Wechselgesänge seiner Kurve. Wirklich tiefbeeindruckend. Einen ernstzunehmenden Konterpart auf der Heimseite gab es dagegen leider nicht. Über der Dinnergesellschaft hinter’m Tor, sowie auf unserer Tribüne waren zwar kleine Stimmungsnester von noch schulpflichtigen Fans auszumachen, doch obwohl beide Grüppchen näher an uns standen, hörten wir nur Beşiktaş (Support-Video auf Youtube).

Dinner-Loge mit Fanblock darüber

In der 25.Minute durften wir dann endlich wieder unseren neuen Lieblingssong, die Başakşehir-Hymne, hören. Denn dank Toptorjäger Edin Visca stand es jetzt 1:0 für die Mannen im AKP-Orange. Und was machte der Toptorjäger von Beşiktaş namens Mario Gomez so? Die Leihgabe vom AC Florenz lieferte wieder ein typisches Mario-Gomez-Spiel. Er stolperte sich vorne einen ab und war selten in der Lage die Zuspiele seiner Kollegen technisch sauber zu verarbeiten. Auch seine Torschüsse waren heute harmlos. Nichtsdestotrotz hat der Mann bereits, wie fast jede Saison, etliche Tore auf dem Konto (vor diesem Spiel waren es 15 in 19 Spielen). Ein echter Knipser, dem man wohl seine Defizite zugestehen muss und der seit jeher schlecht bewertet wird, wenn er in einem Spiel mal torlos bleibt.

Es blieb beim 1:0 zur Pause. Ein Unentschieden wäre leistungsgerechter gewesen, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Wir gönnten uns Wasser für 2 TL, Sonnenblumenkerne für ebenfalls 2 TL, Instant-Kaffee für 3 TL und durften nun binnen 15 Minuten erneut dreimal dem Başakşehir-Song lauschen, bis der Unparteiische wieder anpfiff.

Blick auf die Besiktas-Kurve

Das Spiel lief gerade wieder neun Minuten, da köpfte Mahmut Tekdemir das 2:0 für Başakşehir. Doch Kopfballtore konnte Beşiktaş zum Glück auch. Erst war der just eingewechselte Joker Cenk Tosun in der 78.Minute per Köpfchen nach Flanke von Ricardo Quaresma (ebenfalls eingewechselt) erfolgreich. Und wenig später verlängerte Abräumer Atiba Hutchinson in der 84.Minute einen Freistoß von José Sosa zum 2:2 per Kopf. Ein leistungsgerechtes Unentschieden beim Spiel Vierter (Başakşehir) gegen Zweiter (Beşiktaş) und die Beşiktaş-Anhänger waren ob des späten Ausgleichs entsprechend aus dem Häuschen. Aber in Sachen Meisterschaftskampf, ist ein Punkt eigentlich zu wenig.

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Stadionpanorama unter Flutlicht

Bei den Hausherren dagegen dürften alle glücklich sein. Der vierte Platz in der Vorsaison (als Aufsteiger) scheint keine Eintagsfliege gewesen zu sein. Sie haben aber auch einfach gute Voraussetzungen. Denn zum einen pumpt die Erdogan nahe stehende Krankenhauskette Medipol fleißig Sponsorengelder in den Club. Zum anderen errichteten dem Präsidenten ebenfalls nahe stehende Baufirmen ein modernes Stadion und außerdem das modernste Trainings- und Nachwuchsleistungszentrum im türkischen Fußball. Beides üppig bezuschusst vom türkischen Sportministerium. Glänzende Aussichten also, um sich dauerhaft in den Top 4 des Landes zu etablieren. Nur in Sachen Fangunst wird der Abstand zu den drei Supermächten nicht mal so eben schmelzen. Dieser Weg erfordert einen ganz langen Atem.

Nach Abpfiff hatten wir irgendwie gar keinen Plan, wie wir am besten mit Öffis nach Beyoğlu kommen. Also einigten wir uns mit zwei Taxifahrern auf eine Fahrt mit Taxameter zum Taksim Meydanı. Die Gauner sprachen sich natürlich ab und machten ’ne große Stadtrundfahrt daraus. Aber ob nun 15 TL pro Person oder 25 TL, war letztlich auch egal. Dafür gab es viel von Istanbul bei Nacht zu sehen und kurz vor’m Taksim sprangen wir unweit des U2 Irish Pubs aus dem Fahrzeug, um dort eine Ocakbaşi (ein Grillrestaurant) aufzusuchen, die uns am Vortag bereits optisch ansprach.

Beyti Kebap

In der Ocakbaşi wurde frisch Gegrilltes in rauen Mengen serviert und wir rekapitulierten nochmal das geile Spiel, bevor Sektion Schlaf ins Hotel aufbrach und Sektion Durst nochmal einen Pub gegenüber des Grillrestaurants prüfte. Im Hotel stellte meine Sektion nun fest, dass der freie Verkauf für Fener vs. Lokomotive endlich gestartet war und wir ergatterten noch mühsam (Mr Bayrams Wi-Fi war sehr unzuverlässig!) Tickets für umgerechnet 56 € (günstigste verfügbare Kategorie). Im Vorfeld hatten wir zwar fast alle gesagt, dass über 50 € eigentlich zu viel des Guten sind, aber nach dem beeindruckenden Beşiktaş-Auftritt heute, waren alle angefixt und geil auf die nächste Gänsehautstimmung.

Kath. Kirche St. Antonius

Der Montag wurde zum großen Touri-Tag auserkoren und jener begann am Börek Center an der katholischen Basilika St. Antonius (wo gerade ein Film o. ä. gedreht wurde). Dort versichterte uns der Backwarenfachverkäufer, dass wir, wenn wir fünf Minuten warten könnten, frische Pide mit Sucuk und Ei bekommen können (denn die Filmcrew war kurz zuvor wie die Heuschrecken über die Auslagen hergefallen). Und das Warten lohnte definitiv. Mit ofenwarmer Pide to go flanierten wir nun schon zum dritten Mal auf dieser Tour die İstiklâl Caddesi entlang, um schließlich auf der Galatabrücke das Goldene Horn zu überqueren. Nächster Halt: Hagia Sophia!

Hagia Sophia – Christliche Kirche von 537 n. Chr.

Was soll ich nun zu dieser Sehenswürdigkeit von Weltrang schreiben? Wenn sogar Olbert beeindruckt ist…. Die von 532 bis 537 n. Chr. erbaute byzantinische Kirche, die zwischen 1453 und 1931 als Moschee genutzt wurde und heute ein Museum ist, versetzt auch rund 1.500 Jahre später Architekten wie Laien in Verzückung. Ihre Kuppel von 33 Metern Spannweite ist immer noch die größte errichtete Ziegel-Kuppel der Architekturgeschichte. Wenn wir heute immer noch mit offenen Mündern davor und darin stehen, wie muss die Kirche erst auf die Menschen der Spätantike gewirkt haben? Die Hagia Sophia ist definitiv ohne Beispiel und wurde stattdessen zur Inspiration für viele Kirchen und Moscheen nach ihr.

Blaue Moschee

Die Sultan-Ahmed-Moschee, von 1609 bis 1616 von den osmanischen Eroberern gleich gegenüber errichtet, geht auch als Replik auf die Hagia Sophia durch. Seit das architektonische Vorbild ein Museum ist, ist die Sultan-Ahmed-Moschee die größte Moschee Istanbuls. Wir chillten nun im Park zwischen Hagia Sophia und Blauer Moschee (wie die Sultan-Ahmed-Moschee aufgrund ihres blauen Kachelschmucks auch genannt wird). Dort war der ideale Platz für ein Erinnerungsfotos mit den großartigen Bauwerken im Hintergrund. Außerdem schien die Sonne und das Thermometer war auf 20° C geklettert. Da fiel der Aufbruch schwer, aber die Hagia Irene und der Topkapipalast lockten nun ebenfalls in der Nähe.

Eingangstor des Topkapi

Nach diesen Sehenswürdigkeiten spazierten wir die Theodosianische Landmauer entlang zum Ufer des Bosporus. Dort konnten wir uns, neben dem Panorama, auch an einem Einheimischen mit Klampfe und unserem neuen Freund Bazillus erfreuen. So tauften wir den sympathischen Straßenköter, der uns die nächste Stunde nicht mehr von der Seite weichen sollte. Mit Bazillus zogen wir nun das Ufer lang, wo man sich mit Luftgewehr-Schießen auf Luftballons amüsieren konnte.

Chillen am Bosporus mit Bazillus

Wieder im Strassengewirr von Sultanahmet, verloren wir Bazillus und wurden von einem Werber für sein Restaurant gewonnen. Da das Restaurant Ortaklar sowieso auf unserer Liste empfehlenswerter Gaststätten stand, gönnten wir ihm den Erfolg. Drinnen wurde Adana Kebab mit ordentlicher Schärfe serviert und wenn jenes Tellergericht Europa League war, waren die Pide und Lahmacun meiner Freunde Champions League. Dass neben Touris auch viele Einheimische im Restaurant saßen, kam nicht von ungefähr.

Adana Kebap

Vom Ortaklar war der Kapalı Çarşı (Großer Basar) nur einen Steinwurf entfernt und dort zeigte uns das bereits vom Vortag ortskundige Quintett ihr Restaurant, wo es Bier zwar offiziell nicht auf der Karte gab, aber es unter der Ladentheke doch in undurchsichtige Gläser serviert wurde. Hier waren wir wieder bei der ebenso undurchsichtigen Alkoholpolitik in Istanbul. In Restaurants gab es eigentlich nie Alkohol. In manchen Stadtvierteln anscheinend nirgendwo Stoff (z. B. in Başakşehir), in manchen dagegen an fast jeder Ecke (z. B. in Beyoğlu). Generell soll der Verkauf von Alkohol zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verboten sein. In Beyoğlu war es aber kein Problem rund um die Uhr Alkohol zu kaufen. Und dass öffentlicher Konsum strikt verboten sein sein soll, darauf käme man beim Spaziergang in Beyoğlu auch nicht. Na ja, die Hauptsache war, wann immer wir Lust auf ein Bier hatten, bekamen wir auch eins. So auch hier.

Die Konstantinsäule am Großen Basar

Die Crew erkannte unsere Jungs natürlich sofort wieder und hatte auch kein Problem damit, dass es diesmal nur ein paar kühle Blonde für je 11 TL (ca. 3,30 €) ohne Essen sein sollten. Die Efes schmeckten nach dem bisherigen 15.000-Meter-Marsch auch wie eine Offenbarung und nach drei Runden hatten wir genug Energie für den Großen Basar, dessen Name natürlich nicht von ungefähr kommt. Da gab es „original gefälscht“ so ziemlich alles was das Herz begehrt und es war der ideale Ort, um günstige Souvenirs für die daheimgebliebenen Gattinnen zu kaufen. „My boyfriend went to Istanbul and all i got is this lousy fake of a Michael Kors wallet“…

Einer der zig Eingänge zum Großen Basar

Nach hektischem Gewimmel, Tee trinken und Feilschen, war uns der Sinn wieder nach Ruhe und Entspannung. Also stiegen wir in der Abenddämmerung zur mächtigen Süleymaniye-Moschee hinauf (zwischen 1550 und 1557 erbaut). Von dort waren Galatabrücke und Beyoğlu in der gerade beginnenden Blauen Stunde als beeindruckendes Panorama und Fotomotiv zu sehen. Und auch die nun golden strahlende Moschee fesselte meinen Blick mehrere Minuten.

Süleymaniye Camii

Als es endgültig duster war, stiegen wir auf der anderen Moscheeseite wieder ab Richtung Wasser. Dabei mussten wir durch ein ziemlich verfallenes Wohnviertel. Dort hätte man auch „City of God“ drehen können und keiner hätte gemerkt, dass es nicht die Favelas von Rio de Janeiro sind. Zum Glück bogen wir irgendwann in eine Einkaufsstraße mit kleinen Läden und Grills ab, wo man nicht mehr angelungert wurde. Dort war ein kleines, aber feines Grillrestaurant zu finden (Name: Derin Gıda Şarküteri). Der Kellner, der sich für sein „very poor English“ entschuldigte, obwohl es eins der Besten auf dieser Reise war, servierte uns auf mehreren Platten Mixed Grill für 8 Personen. Nun wurde für 20 TL (6 €) pro Person richtig aufgetischt. Pide, Lahmacun, Tomatensalat, Joghurt, Grillgemüse, Pilav, Brot, Lammhack, Lammherz, Chicken Wings, Hähnchenspieße und Lammspieße. Jeder wurde mehr als satt und der Kellner kam kaum raus aus dem Bedanken für unser verhältnismäßig üppiges Trinkgeld.

Groß aufgetischt in Istanbul

Über die neue drehbare Bahn- und Fußgängerbrücke, die das Goldene Horn überspannt, und unsere Standardroute Galataturm-Istiklal, spazierten wir nach dem Essen wieder in die Taksim-Gegend. Dort hatten ein paar von uns bekanntlich bereits am Vorabend einen Pub getestet und für sehr gut befunden. Der Lost Pub war ein Rockschuppen mit Krökeltisch und verlangte für ein Efes gerade mal 5 TL (1,50 €). Die Zahl der Runden wurde hier zweistellig und das Personal zu unseren Fans. Erst hielt uns da jeder für Russen, die mutmaßlich zum Europa-League-Spiel in der Stadt waren. Aber nachdem der Verdacht ausgeräumt war, wurden wir wie so oft nach Nennung des Zauberworts Almanya mehr als zuvorkommend behandelt. Der DJ grüßte nun mit Nena, Seeed und Rammstein. Deutsche Musik für die deutschen Jungs und irgendwann kam der Kellner mit Zettel und Stift und bat uns Musikwünsche aufzuschreiben. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und schon bald lief von Westernhagen, über Blümchen bis hin zu Hansefront alles was uns in den Sinn kam. Gutes Geschäft für die Crew, denn so blieben wir natürlich ewig und ein paar hundert Lira wanderten am Ende in die Kasse. Zum Schluss meinte der Boss noch „I admire you Germans for your drinking and partying“. Schleimer!

Lasterleben am Goldenen Horn

Es war echt nicht leicht dem Lost Pub den Rücken zu kehren. Doch wir waren zwar immer noch keine Russen, aber irgendwann zumindest voll wie 10 von ihnen. Ich zog mich daher mit drei Mitstreitern ins Hotel zurück, während Olbert, InterCityBerger und El Glatto noch lange nicht genug hatten. Kurz vor unserem Hotel musste es dann ausgerechnet vor unseren Augen zu Straßenkämpfen kommen. Da hatten ein Dutzend junge Männer mehr als nur eine verbale Meinungsverschiedenheit und wir taten so als wären sie Luft, um bloß nicht noch zwischen die Fronten zu geraten. Eines der Opfer saß wenig später mit Verband am Kopf im Foyer unseres Hotels. Muss wohl ein Bekannter unseres Nachtportiers gewesen sein. Na ja, solch Schabernack kann einem überall begegnen, ob nun vor der eigenen Haustür oder in Istanbul.

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Ein Abendpanorama von Istanbul
  • 16.02.2016
  • Fenerbahçe SK – Lokomotive Moskau 2:0
  • UEFA Europa League (Round of 32)
  • Sükrü Saragcoglu Stadyumu (Att: 36.195)

Dienstag war morgens die Hälfte des Mobs natürlich noch gerädert vom Vortag, während ich und die anderen Früh-ins-Bett-Geher schon wieder auf heißen Kohlen saßen. Wir marschierten heute zunächst am Kanonenhof von Tophane vorbei und von dort weiter in Richtung Dolmabahçe-Palast, um unweit dieses Schmuckstücks mit der Fähre nach Kadıköy (auf asiatischer Seite) abzulegen. Aber nicht ohne noch in der Mittagssonne im T-Shirt am Bosporus einen Tee zu trinken und den Ausblick zu genießen.

Mal wieder lungern am Bosporus

Die Bootsfahrt war lustig. Bis auf für El Glatto und Olbert, die gestrigen Tagessieger am Glas. Denen bekam der durchaus raue Seegang auf dem Bosporus nicht. Wir anderen genossen derweil an Deck einen frisch gepressten Orangensaft und den Ausblick auf die Stadt und das Meer. 1,20 € kostete die zwanzigminütige Überfahrt und führte uns auf asiatischer Seite am berühmten Leanderturm und dem Bahnhof Haydarpasa (von deutschen Architekten als Startbahnhof der Bagdadbahn im Osmanischen Reich geplant und realisiert) vorbei zum Fährterminal in Kadıköy.

Bahnhof Haydarpasa

In Kadıköy wurde zunächst das Zentrum im gemütlichem Tempo erkundet. Es war sehr viel los auf den Straßen und das Publikum wirkte mehr als westlich. Hier verhüllte keine Dame ihre Schönheit hinter einem Schleier. Kopftuch trugen nur ein paar bettelnde Omas und die jungen Leute hatten teilweise bunte Haare, waren häufig tätowiert und sehr modisch gekleidet. Die hohe Bardichte schien auch genau auf dieses Publikum zugeschnitten. Nicht der Stadtteil der großen Sehenswürdigkeiten, aber wahrscheinlich genau der richtige Stadtteil für mich zum Leben als Expat. Ich fühlte mich eher in Linden, Friedrichshain oder Södermalm als in Anatolien. Und wenn man z. B. Bahçelievler mit Kadıköy vergleicht, kann man kaum glauben, dass man in beiden Bezirken in der gleichen Stadt ist.

Schmausen in Kadiköy

Auch in Kadıköy musste irgendwann gegessen werden und gewonnen hatte in der großen Lotterie die Ocakbaşi namens Otantik. Hier wurde Fladenbrot von einer alten Omi frisch auf dem offenen Feuer gebacken und der Grillmeister verstand ebenfalls sein Handwerk. Ich gönnte mir für ca. 10 € von allem etwas und wurde geschmacklich schon wieder nicht enttäuscht. Mit Tee und süßen Dessertsünden blieben wir nach dem Essen noch in den Sofas des Restaurants versunken. Das tat gut, nachdem schon wieder über 10 km auf dem Tachometer standen. Mit neuen Kräften konnte anschließend der nächste Programmpunkt angegangen werden; der Sonnenuntergang am Meer.

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Ballerspaß an der Uferpromenade

Zur Blauen Stunde spazierten wir ziemlich genau eben jene 60 Minuten komplett am Marmarameer entlang zum Şükrü Saracoğlu Stadyumu. War sehr nett, bis wir kurz vorm Stadion an dem fäkalienverseuchten Kanal Richtung Spielstätte abbogen. Nicht nur, dass es nun die letzten paar hundert Meter abartig roch, nein, hier waren nun auch die ersten Fenerbahçe-Mobs, die uns sehr kritisch musterten und für Russen hielten. Ein dunkler Park voller Fener-Fans war jetzt nicht der schönste Ort der Welt für uns. Überspitzt gesagt, wurde aber erst gefragt, bevor zugestochen wurde und wir kamen trotz der geballten Aufmerksamkeit der Einheimischen mit ein paar „No Russians! Almanya!“ Bekundungen unbeschadet zum Stadion.

Sonnenuntergang in Kadiköy

Dort ging es zum gut versteckten Kassenhäuschen, welches wir ohne hilfsbereiten Ordner nie gefunden hätten (der natürlich auch fragte „Russians? Lokomotiv?“). Kaum an der Reihe, gab es beim Ticketverkauf leider einen Systemausfall. Nur Ole kam noch an seine Karte und für uns restliche Sieben und dutzende Türken hieß nun viele Minuten warten. Dann gab es für eine nochmalige Gebühr von 15 TL (4,50 €) wieder einen Passolig-Tagespass und anschließend die vorbestellten Tickets. Wurden aus 57 € also noch über 60 €. Na ja, egal, die Gesänge, die schon 45 Minuten vor Anpfiff auf die Straße schallten, versprachen Großes.

Blick auf das Sükrü Saracoglu Stadion

Also nichts wie rein da… Ein Deutschtürke aus Hamburg meinte am Kassenhäuschen, dass wir einmal fast um das ganze Stadion rum müssen, um zu unserem Eingang zu kommen. Das kam mir spanisch vor, da ich meinte, unseren Eingang bereits ein paar Meter in die andere Richtung erspäht zu haben. Nun gut, der Ortskundige wird schon recht haben, dachten wir und kämpften uns einmal um’s Stadion. Das war ein nerviges Gewusel durch Auto- und Menschenmassen und dort, wo wir laut dem Deutschtürken rein sollten, war genau der Block gegenüber von unserem und zu allem Übel war der kürzeste Weg, sprich die 360 Grad voll machen, auch noch durch die Autobahn versperrt. Wirkte nicht wie böse Absicht von unserem freundlichen Gesprächspartner, aber trotzdem: Schönen Dank auch!

Gewusel am Stadion

Also nochmal durch dieses unglaubliche Gewusel und nun auch noch gegen den Strom. Der Anstoß rückte immer näher und wir waren jetzt echt mies drauf, zumal wir wegen der Eingangskontrolle bereits die Schuhe voll mit Kleingeld hatten. Das nehmen sie den Fans sonst am ab Eingang und auf Hartgeld gebettet lief es sich natürlich nicht so gut. Erst recht, wenn die Distanz plötzlich mehr als einen Kilometer beträgt. Und zu allem Überfluss liefen wir kurz vor unserem Eingang auch noch in eine Prügelei unter Fener-Fans. Aber das Konzept „Eine Armlänge Abstand“ funktionierte hier wirklich und wir kamen alle unversehrt rein.

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Es ist angerichtet

Im Stadion fuhr der Organismus langsam wieder runter. Erst recht nachdem sich alle Türken drumherum, die uns mit ihren Blicken durchbohrten, vergewissert hatten, dass wir keine Russen sind. Mutmaßliche Putin-Versteher waren übrigens 50 im Gästeblock. Die magere Zahl mag der allgemeinen politischen Großwetterlage zwischen Russland und der Türkei geschuldet sein (da ist gerade Ärger wegen Russlands militärischen Operationen in Syrien). Ansonsten waren russische Teams in der Türkei, u. a. vor nicht all zu langer Zeit Lokomotive bei Beşiktaş, immer ganz ordentlich vertreten.

Kaum eingelebt auf unseren Stehplätze à 61,50 € (natürlich saß hier niemand auf seiner Sitzschale) und mit Sonnenblumenkernen und Wasser eingedeckt, liefen auch schon die Mannschaften auf. Alle Tribünen sangen brachial laut die Nationalhymne der Türkei und als angepfiffen wurde, fingen auch noch alle Tribünen an zu hüpfen. Wir hatte alle eine Gänsehaut. Vorhang auf für 90 Minuten Hardcore – Echte Gefühle.

Gut gefüllte Ränge

Auf dem Rasen sahen wir eine Mannschaft, die sich dessen würdig zeigte und um jeden Ball fightete. Spürbar 100% Einsatz von Fenerbahçe. Lokomotive war im Prinzip chancenlos und in der 18.Minute konnte der Brasilianer Souza die Blau-Gelben völlig verdient in Führung schießen. Die zahlreichen weiteren Chancen Fenerbahçes blieben leider ungenutzt (u. a. von Fanliebling Robin van Persie), was durchaus zu bedauern war, denn der Torjubel der Fans war natürlich gigantisch. Zum Glück standen wir dabei vor einem Wellenbrecher und flogen somit nicht die steilen Reihen hinunter. Als irgendwann der Halbzeitpfiff ertönte, war das endlich das Signal zum Sitzen. 15 Minuten Erholung.

Das Stadion ist trotz Eröffnung im Jahre 1908 übrigens moderner Prägung (zuletzt saniert 2006) und ist von der UEFA mit 5 Sternen bewertet. Es bietet Platz für 50.509 Zuschauer und war heute mit offiziell 36.195 Menschen ordentlich besucht (gefühlt sah es nach mehr aus). Die größten Stimmungsblöcke waren auf den Hintertortribünen beheimatet. Aber außer zentral auf der Haupttribüne, wurde eigentlich überall gestanden und gesungen. So auch bei uns, im Oberrang der Gegengerade. Sehr stark war, dass sich die Eckblöcke der Tribünen immer Wechselgesänge mit mit dem Eckblock der Nachbartribüne lieferten. Auch unser Block hatte einen Capo, der diese Wechselgesänge koordinierte. In unserem Block war damit „leider“ 90 Minuten Alarm, so dass wir uns die Viertelstunde Erholungspause noch mehr als die Spieler verdient hatten. Meinten wir zumindest.

Glänzende Stimmung

Zu Beginn der zweiten Halbzeit waren die Russen im Gästesektor oberkörperfrei und hielten auch irgendwelche kleinen Fetzen in die Höhe (wahrscheinlich Putin-Shirts, wie auch der Lok-Spieler Dmitri Tarasov eins unter dem Trikot trug). Sollten sie dabei etwas gesungen oder skandiert haben, war es selbstverständlich nicht zu hören. Der Geräuschpegel der Fenerbahçe-Fans war einfach viel zu laut, wovon die Mannschaft weiterhin angetrieben schien. Allen voran der Superstar Robin van Persie und der linke Verteidiger Caner Erkin, der dem dritten Top-Mann des Abends, Josef de Souza, den Doppelpack in der 72.Minute vorbereitete. Lediglich der glänzend aufgelegte Loko-Torwart Guilherme verhinderte heute Abend einen Kantersieg für Fenerbahçe.

Die Fans blieben natürlich entzückt. Höhepunkt der 2.Hälfte waren Wechselgesänge im Uhrzeigersinn über alle vier Tribünen. Die Hintertorseite schrie die Haupttribüne an, die wiederum die andere Hintertortribüne und die dann unsere Gegengerade usw. usf.. Einen negativen Höhepunkt gab es aber auch und zwar eine Massenschlägerei in unserem Nachbarblock auf der Hintertorseite ab der 78.Minute. Und das war nicht nur ein bisschen Gerangel, hier wurden einige Fans brutal zusammen getreten. Warum auch immer. Als die Polizei dazu stieß, beruhigte es sich kurz, um dann wenige Minuten später einen Treppenaufgang weiter rechts erneut zu eskalieren. Während der Rest des Stadions nach Abpfiff die siegreichen Helden feierte, hatten aus dem Krawallblock schon einige das Stadion verlassen und es schien auf dem Vorplatz weiter rund zu gehen.

Nachts in Kadiköy

Wir brachen auch zeitig auf und kaum aus dem Stadion heraus, sahen wir im Gewimmel einen alten Bekannten. Es war unser Taxifahrer von Sonntag. Es gab großes Gelächter auf beiden Seiten und herzliche Umarmungen, aber von unserem LowBudget-Plan „zu Fuß – Fähre – zu Fuß“ ließen wir uns nicht mehr abbringen und so ging es per pedes mit dem blau-gelben Strom die 2 km zum Fährhafen. Dort gönnten wir uns noch einen Döner mit Cola für zusammen 1,50 € und legten 22 Uhr von Kadıköy nach Karaköy ab.

Unser Mob in Kadiköy

Wieder in Europa, wartete unser beliebter Weg von der Galatabrücke zum Taksim Meydanı via Galataturm und İstiklâl Caddesi auf uns. Aber nicht ohne einen Adana Kebab oder andere Grillspezialitäten zu genießen. Von richtigem Hunger konnte eigentlich keine Rede mehr sein, aber die Lira mussten weniger werden und es schmeckte einfach zu gut. Nach dem Essen konnten wir einmal mehr von dem bunten Treiben in Beyoğlu beeindruckt werden. Auch unter der Woche nach Mitternacht war dort auf den Straßen richtig viel los und die Bars waren voll mit Besuchern. Da konnte ich es der Hälfte der Gruppe nicht verdenken, dass sie nochmal wo einkehren wollten. Die andere Hälfte, mit mir voran, zog es aber um 1:00 Uhr ins Hotel. Denn der Wecker klingelte leider bereits um 6 Uhr am morgigen Abreisetag.

Goodbye Big City

Am Mittwochmorgen waren die Koffer schnell gepackt und wir wurden nach zähen Verhandlungen mit zwei Taxifahrern einig, die uns zum Sabiha Gökcen Airport chauffieren durften. Die 38 km vergingen natürlich nicht wie im Flug. Der Verkehr zwischen 7 und 9 Uhr war wenig überraschend die Hölle, doch die schönen Ausblicke und ein sattes Morgenrot machten das Ganze dennoch zum Genuss. Auf der asiatischen Seite wurde der Verkehr kurzfristig besser, aber schon bald ging es wieder schleppend voran. Hier konnte man bewundern, wie die Türken aus vier Spuren einfach sechs oder sieben machten und unser Taxifahrer fröhlich begann mit unserem Leben zu spielen. Waren ein paar irre Manöver drin, die ich wohl nicht wagen würde. Nach 80 Minuten Fahrt erreichten wir dennoch alle lebendig den Flughafen. Selbstverständlich wollte der Taxifahrer jetzt noch mehr Geld wegen der Brückenmaut, wegen zuviel Verkehr, wegen zuviel Gewicht und wahrscheinlich auch, weil heute ein Mittwoch vor einem Donnerstag war und die Erde sich um die Sonne dreht. Wir ließen ihn lächelnd stehen und wünschten viel Erfolg bei den nächsten Touristen.

Mach’s gut, bis zum nächsten Mal…

Nach dem Check-In bei Pegasus gönnten wir uns noch einen schmackhaften Double Köfte Burger bei Mc Donald’s und ließen die ganzen Highlights der letzten Tage Revue passieren. Fünf Tage (effektiv 3,5) reichten um eine erste Idee von Istanbul zu bekommen, aber für mehr auch nicht. Wir hatten durch die Berichte von Freunden und von Fotos, Filmen usw. schon eine ungefähre Ahnung wie es dort ist, aber es war doch oft ganz anders als gedacht. Trotz unterschiedlich gewichteter Prämissen, kam jeder auf seine Kosten und war am Ende schwer begeistert von Istanbul. Eine Stadt, die man gesehen und erlebt haben muss. Am besten nicht nur einmal.

Song of the Tour: Grüße an den daheim gebliebenen Bene.