Celle 01/2016

  • 31.01.2016
  • MTV Eintracht Celle – TuS Celle FC 3:1
  • Landesliga Lüneburg (VI)
  • MTV-Sportplatz (Att: 1.500)

Der letzte Tag des Jänners war auch mein vorerst letzter Urlaubstag. Ideal um nochmal etwas vor der (erweiterten) Haustür zu unternehmen. Es lockte die alte Herzogstadt Celle mit ihrem Lokalderby MTV Eintracht vs. TuS FC, so dass wir nach dem Frühstück gen Norden aufbrachen. Mit dabei; das OB-Team Ole und Bene (in der Regel aber selten voll). Gemeinsam philosophierten wir über den designierten Absteiger Hannover 96 und dessen Niedergang. Es gibt schönere Gesprächsthemen, aber auch kaum bessere Beispiele wie sehr das Patriarchat doch aus der Zeit gefallen wirkt. Erst recht wenn der Patriarch weder den Fußball liebt, noch besonders gut kennt und obendrein nicht als großzügiger Mäzen auftritt.

Celler Schloss

Nun denn, in Celle brachte uns ein Stadtspaziergang wieder auf andere Gedanken. Das kleine Fachwerkstädtchen wirkte Sonntagmittag sehr verschlafen. Nichts davon zu spüren, dass in wenigen Stunden Derbytime sein würde. Der ewig junge Klassiker MTV Eintracht vs. TuS FC. Zwei Nachbarn, deren Sportanlagen so nah beieinander liegen wie die rivalisierenden Steakhäuser Indiana und Apache (ja, die heißen wirklich so) in Celles Fußgängerzone. Nämlich Tür an Tür! Ööglicherweise sind sie durch Fränkische Erbteilung enstanden, die in Celle nach wie vor praktiziert werden könnte? Steakhouse Indiana warb jedenfalls damit das älteste Steakhouse der Stadt zu sein, aber ob es auch das bessere ist, gilt es irgendwann mal zu prüfen.

Altes Rathaus und Stadtkirche

Der ältere Fussballclub der beiden heute duellierenden Teams ist eindeutig die Eintracht. Der SV Eintracht wurde 1910 gegründet (und entstand aus mehreren noch älteren Clubs) und schloss sich 2005 mit dem MTV von 1847 zusammen. Heute bietet der Großverein MTV Eintracht den knapp 70.000 Bürgern der Stadt rund zwei Dutzend Sportarten an, was 2.300 Celler nutzen. Für Spitzenfussball stand das Etikett Eintracht in Celle in der Vergangenheit jedoch nicht wirklich. Der überregionale Ruhm war dem TuS Celle FC vorbehalten, der 1945 gegründet wurde und Celle in der Prä-Bundesliga-Ära zweitklassig vertrat (Amateuroberliga) und dann ab Mitte der 1960er Jahre zwischen Level 2 und 5 in der deutschen Ligapyramide pendelte. Unter der Ägide von Franz Gerber schaffte der Club den Durchmarsch von der 5.Liga (bis Sommer 1989) bis in die 3.Liga (ab Sommer 1990). Höhepunkt war die Saison 1995/96, in der man die Herbstmeisterschaft feierte und am Saisonende als Dritter so nah wie nie zuvor und danach an den Profifußball herankam.

Hoppener Haus

Die Erfolge waren allerdings teuer erkauft und Franz Gerber wechselte im Sommer 1996 zum neuen Ligarivalen Hannover 96, um dort mit Trainer Reinhold Fanz einen Neuaufbau beim ruinösen Absteiger aus der 2.Bundesliga zu managen. Mit im Gepäck; der Celler Toptorjäger Vladan Milovanovic. Was in Celle blieb, war die Fortsetzung einer Politik des finanziellen Defizits. Doch als der sportliche Erfolg ausblieb, fiel dem TuS FC der mittlerweile angehäufte Schuldenberg von 1,6 Millionen DM so richtig auf die Füße. Erste Insolvenz 2001 und fortan sportlicher Abstieg bis in die Siebtklassigkeit, hieß die neue Realität. Da wunderte es wenig, dass heute bei unserem Bummel vom Schloss durch die malerische Altstadt nichts auf Fußball hindeutete. Kein einziger Schalträger wurde in der einstigen Fussballhochburg erspäht (früher über 6.000 Zuschauer im Schnitt). Gleichwohl elektrisierte das Derby die Stadt schon verhältnismäßig stark. 1.300 zahlende Zuschauer sollen dem Hinspiel im Günther-Volke-Stadion beigewohnt haben (dem Stadion des TuS FC, wo man sich Mitte der 1990er noch auf Augenhöhe mit Hannover 96 und der Eintracht aus BS duellierte). Manche sprechen gar von bis zu 2.000 Besuchern. So oder so, eine beachtliche Kulisse für ein Spiel in der sechstklassigen Landesliga Lüneburg.

Fachwerk am Großen Plan

Wieviele würden es wohl heute werden? Der MTV Eintracht war nicht bereit ins nebenan stehende Stadion des Rivalen zu wechseln und wollte seinen Heimvorteil auf dem eigenen Sportplatz ohne jeglichen Ausbau wahren. Damit war auch klar, dass maximal 1.500 Zuschauer dem Spektakel beiwohnen dürfen. Eine halbwegs frühe Ankunft am Stadion war also geboten. Doch nicht ohne sich nochmal auf dem Weg zum Sportplatz zu stärken. Unweit von Deutschlands schönstem Knast, der JVA Celle, servierte der Kreta Grill Gyros-Pita für 3,50 €. Besser als ’ne überteuerte Bratwurst von überforderten Grillmeistern beim MTV Eintracht, dachten wir uns und betraten 30 Minuten vor Anpfiff gut gesättigt das bereits proppenvolle Areal des heutigen Gastgebers. Bis zum Anpfiff sollte die Zuschauerzahl tatsächlich noch bis auf rund 1.500 steigen. Da um einen Sportplatz ohne Ausbau ca. 1.000 Leute mit vernünftiger Sicht stehen können, kann man sich ausmalen, dass einige Zuschauer in dritter und vierter Reihe nicht mehr soviel vom Spielfeld sahen. Wir standen hinter dem Tor im Schatten der Gegengerade des Günther-Volke-Stadions und konnten halbwegs gut von dort sehen. Vor Anpfiff erspähten wir dabei die geballte Groundhopper-Prominenz der Region Hannover, aber keinen der Ultras vom TuS Celle FC. Etliche Leute mit blau-gelben Fan-Accessoires waren zwar zugegen, aber die Ultras Celle von 1999, die immer noch mit rund 25 Mann ihren Verein unterstützen, schienen ihre Drohung „Keinen Cent für Eintracht“ wahrzumachen.

Deutschlands schönster Knast

War natürlich schwer vorstellbar, dass sich der harte Kern der Celler Fanszene das Derby und somit so ziemlich das einzige Saisonhighlight entgehen lässt. Fünf Minuten vor Anpfiff wurde es schließlich laut in unserem Rücken. Es krachten Verkleidungsteile der Tribüne hinter uns zu Boden und aus ihrem Nachbarstadion heraus grüßten nun die Ultras Celle. Sie machten sogleich Welle und entzündeten Bengalfackeln und blauen und gelben Rauch. Dazu natürlich die obligatorischen Schlachtrufe. Ein für diese kleine Liga großer Auftritt, den Polizei und Ordnungskräfte freundlicherweise nur passiv beobachteten. „Kein Cent für Eintracht“ wurde also wahr gemacht und später auch auf Tapete ausgerollt, ohne jedoch auf das Spiel und den Support zu verzichten.

Ultras Celle machen Welle

Mit so ein paar Schlachtrufen im Rücken ließ sich das zähe Spiel gleich viel angenehmer verfolgen. Denn auf dem Rasen wurde zunächst vorwiegend Kampf geboten. Der Tabellenvierzehnte in Blau und Gelb begann zwar forsch, aber gute Chancen spielten sie sich selten gegen die drittplatzierte Eintracht heraus. Die wiederum kam von Minute zu Minute besser ins Spiel und hätte mit einem Lattentreffer und weiteren hochkarätigen Chancen die Führung verdient gehabt. Nichtsdestotrotz dürften die Gastgeber, nach anfänglichen Problemen, selbstbewusst in die Pause gegangen sein.

Packender Fussball

In der Kabine wird sie ihr Coach Hilger Wirtz von Elmendorff (in der Region durch seine Engagements bei u. a. Arminia, dem OSV und dem SC Langenhagen bekannt und bis Sommer 2015 noch beim TuS FC tätig gewesen) nochmals auf ihre Stärken eingeschworen haben. Nach bereits mehreren guten Chancen seit Wiederanpfiff, setzte des Trainers Sproß Hilger von Elmendorff jun. diese Stärken in der 58.Minute erstmals zählbar um. Weil MTVE auch nach dem 1:0 die Kontrolle behielt, überraschte das 1:1 in der 80.Minute (durch Kapitän Sören Radecke) wohl die Mehrzahl der anwesenden Zuschauer, inklusive uns. Aber so ein spätes ungeahntes Comeback des Underdogs ist natürlich das Salz in der Derbysuppe und die Celler Ultras eskalierten dementsprechend.

Eckfahne nach dem Torjubel der TuS-Fans

Wir träumten nun von richtig packenden letzten 10 Minuten, aber gleich nach Wiederanpfiff rückte Eintrachts Kirill Weber die Verhältnisse wieder gerade (81.). Pikanterweise war Weber im Sommer von TuS FC zum MTV Eintracht gewechselt und diesen Winter wollte er eigentlich schon wieder zurück. Dass man dem Begehren von Eintracht-Seite einen Riegel vorschob, schien sich schon heute bezahlt zu machen, denn nochmal kam der TuS FC nicht ins Spiel zurück. In der 86.Minute durften dagegen nochmals die Hausherren jubeln. Die Struwe-Brüder (Henry-Frederik nach Vorabeit von Tim-Yannick) sorgten für den Schlusspunkt und einen verdienten 3:1 Erfolg. Wer nun sportlich die Nr. 1 in der Herzogstadt ist, dürfte für diese Saison geklärt sein. Zum einen sprang der MTV Eintracht nun zwischenzeitlich auf Tabellenplatz 1 und zum anderen gewann man beide Derbys mit einem Gesamtscore von 6:1.

Mächtig was los

Dennoch nimmt die heimliche Nr. 1 der Herzogstadt hoffentlich das Positive aus dem Spiel mit. Ihr neuer Coach Karsten Hutwelker (erfahrener Ex-Profi, der 2002 sogar 14 x für den AC Florenz auflief) konnte bereits drei Punkte aus den ersten beiden Spielen holen und schaffte es heute eine wettbewerbsfähige Truppe gegen ein Spitzenteam der Liga ins Rennen zu schicken. Weitere Neuzugänge sollen bald spielberechtigt sein und dann schafft man es hoffentlich schnell ins gesicherte Mittelfeld der Liga. Denn der TuS FC gehört mittelfristig eher zurück in die Ober– oder Regionalliga und nicht in die Bezirksliga. Dass man immer noch die Ambitionen hat Celles fußballerisches Aushängeschild zu sein, beweist die gescheiterte Fusion mit dem MTV Eintracht im Vorjahr. Der TuS Celle FC und sein Anhang möchten ihren Weg alleine gehen und schaffen das hoffentlich langfristig.

Ultras Celle ’99

Unser Trio wiederum hatte nach Abpfiff nur kurzfristige Pläne und die drehten sich um das Abendessen. Erschreckenderweise hatte das Balkan House in Langenhagen bereits um 17:30 Uhr sold out vermeldet.

Porec-Teller

Zum Glück hatte der Porec Grill in Empelde noch drei zusammenhängende Restplätze im Angebot, die wir uns nun dankend sicherten. Für einen Berg Balkan-Spezialitäten nehmen wir doch gerne einen Umweg in Kauf und bei Dragan schmeckt es auch immer vorzüglich.

Song of the Tour: Nach dem Lesen des Berichts selbsterklärend oder?