Wolfenbüttel 10/2015

  • 04.10.2015
  • MTV Wolfenbüttel – TSC Vahdet Braunschweig 1:0
  • Landesliga BS (VI)
  • Meeschestadion (Att: 96)

Einen Tag nach dem Tag der deutschen Einheit ging es mal wieder ins einstige Zonenrandgebiet. Diese Region hat bekanntlich nicht viel für’s Auge zu bieten, aber die Stadt Wolfenbüttel ist schon ganz nett. Und wenn man dort zum Abendessen eingeladen ist, kann man vorher natürlich noch ein bisschen Fußball gucken. Doch zunächst musste ich in Hildesheim ab 13:00 Uhr noch 90 Minuten selbst gegen das runde Leder treten. Ein paar Minuten weniger wären mir eigentlich lieber gewesen, aber man kann nicht alles haben. Also setzte ich nach Abpfiff zu meinem schnellsten Sprint des Tages an und konnte wenige Minuten später frisch geduscht die zweite Sportdisziplin des Tages starten; Motorsport. Die 48 km von Hildesheim nach Wolfenbüttel waren mit sportlichem Fahrstil in 30 Minuten machbar, so dass mein Bruder und ich das Meeschestadion pünktlich zum Anpfiff um 15:30 Uhr erreichten.

Welcome to Wolfenbüttel

Hier duellierten sich heute im Rahmen der sechstklassigen Landesliga der MTV Wolfenbüttel und der TSC Vahdet Braunschweig. Während es sich bei den Hausherren um einen Männerturnverein von 1848 handelt und die Turnbewegung dereinst im 19.Jahrhundert bekanntermaßen zu den Einheitsbestrebungen Deutschlands beitrug, ist der TSC Vahdet ein Türkischer Sportclub. Und passenderweise lässt sich „Vahdet“ mit Einheit ins Deutsche übersetzen. Für den Ziii und mich, sowie für 94 weitere Zuschauer, war diese Begegnung ein würdiger Ausklang der Feierlichkeiten zum fünfundzwanzigsten Jähren der Deutschen Einheit.

Eingang Meeschestadion

Die größere Sporthistorie hatte natürlich der Hausherr vorzuweisen. Turnverein seit 1848, vorerst aufgelöst 1945 und drei Jahre später, passend zum 100jährigen Jubiläum, die Wiederneugründung als Breitensportverein. Der Fußball, den man bereits ab 1911 unter seinem MTV-Dach hatte, ging nun jedoch vorerst eigene Wege als Wolfenbütteler SV. Dort wurde die Fussballkompetenz aus mehreren Vorkriegsvereinen gebündelt (die MTV-Fußballer spielten da eher eine Nebenrolle) und dieser WSV wurde dementsprechend im die sportliche Nr. 1 in der Herzogstadt. Erst 1988 begannen junge Männer erneut unter dem Dach des MTV zu kicken, ohne jedoch über die Lokalgrenzen hinaus in Erscheinung zu treten. Zu dieser Zeit spielte der große WSV in der drittklassigen Amateuroberliga Nord und erzielte just ’88 mit dem 8.Platz die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. Von der Gründung an, war der WSV immer eine feste Größe im niedersächsischen Fußball gewesen. Aber anno 2002 waren die über Jahre angehäuften Verbindlichkeiten nicht mehr beherrschbar. Der WSV musste kapitulieren und wurde Sparte des Grossvereins MTV. Mit den geballten Kräften gehört man seit 2008 zumindest wieder zur Spitze des Bezirks Braunschweig, mit Ambitionen in Richtung Niedersachsenliga.

Blick zur Haupttribüne

Die Geschichte des TSC Vahdet ist schneller zu erzählen. Von türkischen Einwanderern 1994 gegründet, nahm der Sportclub 1996 den Spielbetrieb im Fußball auf. Man arbeitete sich sukzessive bis in die Landesliga hoch, wo man mittlerweile eine gute Rolle spielt. Wie der Gast sich heute schlug, beobachteten der Ziii und ich auf der Gegengerade des Stadions, welche auf voller Länge über Stehtraversen verfügt. Dort bemerkten wir schnell, dass wir wohl nicht die einzigen Gebrüder im Stadion waren, denn der Torwart von Vahdet, der auf den anglo-italienischen Namen Kenneth Genetiempro hörte, nannte seine türkischen Mitspieler dauernd Bruder. Oft in Kombination mit „Ey“. Wobei es gar nicht so viele Türken waren. Nur die Hälfte der eingesetzten Spieler schien türkischer Herkunft zu sein. Der Rest war mutmaßlich deutscher, italienischer und afrikanischer Abstammung. Eine multikulturelle Mannschaft, die genau wie der ethnisch etwas homogenere Gastgeber einen guten Ball spielte.

MTV Wolfenbüttel – TSC Vahdet Braunschweig

Nach ein paar Chancen hüben wie drüben, bekam der TSC Vahdet durch einen Strafstoß in der 26.Minute die große Chance in Führung zu gehen. Ob der Strafstoß berechtigt war oder nicht, war aus meiner Position nicht zu sehen. Aber der beherzte Sprung des MTV-Torhüters Nico Lauenstein in die richtige Ecke, machte alle weiteren Diskussionen überflüssig. Dass der Schiedsrichter allerdings 10 Minuten später ein klares Handspiel von Vahdet an der Strafgrenze übersah, ließ seine Aktien beim Publikum noch weiter sinken.

Übrigens waren neben der Haupttribüne des Wolfenbütteler Meeschestadions, welches je nach Quelle insgesamt zwischen 4.000 und 6.000 Zuschauer fasst, 10 lautstarke und mit Trikots und Schals gekleidete MTV-Fans aktiv. Dass diese Supporter ihr lokales Team unterstützten, anstatt heute beim Zweitligaverein in der nördlichen Nachbarstadt in der Kurve zu stehen, sprach für sie. Belohnung: In der Nachspielzeit des ersten Durchgangs durften sie spät, aber verdient das 1:0 für den MTV durch Stürmer Ron Friedrichs bejubeln. Eine Minute später wäre gegen kurzzeitig desorientierte Gäste fast noch das 2:0 gefallen. Doch es blieb beim 1:0 und nach jener Grosschance schickte der Schiedsrichter beide Teams zur Pause.

Die Tribünenseite

Wir nutzten die Unterbrechung, um unseren Standort auf die andere Stadionseite zu verlagern. Dort war die überdachte Sitzplatztribüne, die links und rechts von Stehplatzstufen eingerahmt war. Links befand sich der bereits erwähnte MTV-Fanblock und wir platzierten uns rechts bei den Pöbel-Rentnern. War eine gute Wahl, denn der Schiedsrichter hatte weiter seine Probleme mit dem Spiel und es gab somit genug Gelegenheit für Verbalinjurien aller Art. Besonders in der 73.Minute wurde es unruhig. Der MTV setzte zum Konter an und ein Vahdet-Spieler riss den schnellen Außenbahnspieler der Wolfenbütteler zu Boden. Während beide Kicker auf dem Rasen landeten, griff der Vahdet-Spieler sich schreiend mit beiden Händen ins Gesicht und markierte direkt vor unserer Tribüne den sterbenden Schwan. Dabei gab es überhaupt keinen Kontakt am Kopf des Vahdet-Spielers, was für jeden auf der Tribüne gut sichtbar war.

Idyllisches Wolfenbüttel

Diese Aktion, erst foulen und dann auch noch versuchen dem Gegenspieler eine Tätlichkeit anzuhängen, fand natürlich zurecht die Empörung des Publikums. Die Linienrichterin konnte es genauso deutlich sehen und nach Rücksprache mit ihr, entschied der Schiedsrichter auf Gelb für den TSC-Schauspieler und Freistoß für den MTV. War dem Publikum zu milde und es gab weiter ordentlich Unruhe von den Rängen. In dieser Partie, die vom MTV klug verwaltet wurde, war das jedoch der letzte große Aufreger. Die Hausherren gewannen verdient mit 1:0 und bleiben an der Tabellenspitze dran. Für den TSC Vahdet endete eine Serie von sechs ungeschlagenen Spielen und man muss sich erstmal im Mittelfeld einordnen.

Schloss Wolfenbüttel

Wir bewegten uns nun in die wenige Meter vom Stadion entfernt beginnende Altstadt, die wirklich sehr sehenswert ist. Die Fachwerkbebauung ist weitgehend geschlossen erhalten und mit dem Schloss Wolfenbüttel und der Barockkirche St. Trinitatis gibt es herausragende Bauwerke zu besichtigen. Weniger schön war dagegen, dass alle Altstadtkneipen von der siegestrunkenen Eintracht-Fanschar besetzt waren. Dieser ostniedersächsische Zweitligist ist natürlich in Wolfenbüttel der beliebteste Fußballverein und an Heimspieltagen dieses Vereins ist die Stadt sichtbar blau-gelb verseucht. Somit verwarfen wir auch wieder die Idee, nun den Rest des „El Clásico del fútbol alemán“ (FCB vs. BVB) in irgend einer Pinte zu schauen. Ein frischgezapftes Wolters im Kreise der Löwenstadtjackenträger kam natürlich nicht in Frage. Der Abend klang dann fußballfrei, aber mit viel Ouzo und Fleisch in einem örtlichen, eintrachtfreien Restaurant und auf fremde Rechnung aus.

Song of the Tour: Es ist eben die Jägermeister-Stadt.