Erfurt 09/2015

  • 12.09.2015
  • FC Rot-Weiß Erfurt – FC Erzgebirge Aue 0:1
  • 3.Liga (III)
  • Steigerwaldstadion (Att: 6.431)

Eigentlich war ein 96-Doppler für den 12.September angedacht (Amateure und Profis), aber meine Freunde Milano Pete, Fat Lo und der Holzmichel gewannen mich dann doch für ihre geplante Tour nach Thüringen. Einen sonnigen Tag im schönen Erfurt verbringen und dabei noch ein so genanntes Ostderby schauen, klang so schlecht ja auch nicht. Dass ich den Ground schon habe und das Stadion sich gerade im Umbau befindet, war bei meinen Prioritäten ein zu vernachlässigender Malus. Die Stadt ist einfach fein und es ist gundsätzlich immer schön unterwegs zu sein.

Am frühen Morgen startete die Reise durch vernebelte Mittelgebirge. Dass drei Viertel der Auto-Besatzung jüngst den Kinofilm „Straight Outta Compton“ gesehen hatten, merkte man der heutigen Musikauswahl deutlich an. Gute Musik zum Cruisen auf mitteldeutschen Bundesstraßen und so langsam fing auch die Sonne zu strahlen an. In Erfurt fuhren wir sogleich zum Steigerwaldstadion, wo wir das Auto zwischen den Fahrzeugen einer Einsatzhundertschaft der Polizei parkten. Die Passagiere der Fahrzeuge hielten gerade eine Besprechung ab und wir prosteten ihnen freundlich zu. Die Jungs und Mädels wirkten etwas angespannt und zwei Wasserwerfer im Stadionumfeld deuteten darauf hin, dass die Vorauslage der ZIS ernste Bedrohungen zeichnete. Beide Vereine dürften zwar ewig nicht mehr aufeinander getroffen sein, aber vielleicht pflegt man dennoch eine innige Feindschaft, die uns nicht bekannt ist. Aber eigentlich wirkte das übertrieben. Die Auer sind ja nicht so die Hauer und Erfurt ist auch weit entfernt vom Titel des Randalemeisters.

Krämerbrücke

Eine Frühkasse gab es leider nicht. Dafür frühe Vögel aus der Erfurter Ultraszene, die uns natürlich anlungern mussten. Da wir astreines Hochdeutsch sprachen und mit dem Holzmichel einen bärtigen Hipster dabei hatten, wollte man uns mal glauben, dass wir nur ein paar Touri-Schweine sind, die vom Zauber der Erfurter Altstadt angezogen wurden. Diese Altstadt war ja jetzt auch wirklich unser Ziel. 1,90 € waren dafür zu investieren (Straba) und keine 10 Minuten später war das Augustinerkloster erreicht, von wo wir uns zur Krämerbrücke vorarbeiteten.

Maßvoll genießen

Wie passend, dass an diesem Wahrzeichen Erfurts (eine mit Fachwerkhäusern überbaute Brücke über die Gera) ein Augustiner-Biergarten angesiedelt war. Der durfte uns erstmal mit ein paar Krügen Edelstoff bewirten. Auch das Essen, Bachforelle und natürlich die obligatorischen Thüringer Rostbratwürste, mundete vorzüglich. Allerdings empfand uns der Grillmeister als unhöflich. Auf „Machste uns bitte nochmal zwei Brat?“ entgegnete er „Kennen wir uns irgendwo her oder warum duzen sie mich?“. Unsere Kumpel-Mentalität kommt halt nicht bei jedem gut an.

Schnieke Fassade

Essen gab es zum Glück trotzdem und gut genährt ging es eine Maß später über die Krämerbrücke weiter zum Erfurter Dom. Der Domplatz ist in Thüringens Hauptstadt ungewöhnlich großzügig dimensioniert. Die 15 bis 20 Marktstände am heutigen Tag wirkten fast schon etwas verloren. Besagter Dom und die ebenfalls große Severikirche, direkt daneben auf dem exponierten Domberg, waren natürlich ein tolles Fotomotiv. Auch hier verweilten wir noch ein wenig und genossen das Panorama und das herrliche Wetter. Roy Ayers hatte schon recht; everybody loves the sunshine…

Dom zu Erfurt

Die Rückkehr zum Stadion traten wir vom Hauptbahnhof aus per Taxi an, nachdem ich dort einen längeren Vortrag über Willy Brandts DDR-Besuch 1970 und die deutsch-deutschen Beziehungen allgemein gehalten hatte. Und den nächsten Vortrag hielt nun der Taxifahrer. Ohne Stichwort oder sonstwas kam der Transportgewerbetreibende auf das Thema Ausländer. Ein Reizthema für ihn. Er war der Ansicht, dass der Osten nicht rechts sei, sondern nur seit jeher einen anderen Umgang mit Ausländern pflege. Der Westen dagegen lasse sich seit 40 Jahren von den Ausländern auf der Nase rumtanzen. Wir sahen das traditionell anders, aber für eine fruchtbare Diskussion war die Taxifahrt zu kurz und das Stadion schnell in Sicht.

Willy Brandt ans Fenster

Damit brannte ein neues Reizthema auf den Lippen des Taxlers. Denn früher in der DDR wäre die Polizei noch eine richtige Polizei gewesen und nicht solche „Eierdiebe“ wie heute. Da hätten sie für ein Fußballspiel keine 1.000 Polizisten gebraucht. 50 Mann von der Trapo (Transportpolizei) hätten ausgereicht. Wenn die Fans angekommen seien, hätten die Polizisten die Hunde losgemacht und nach ein paar Hundebissen, sowie Schlägen mit den langen Holzknüppeln hinterher, wäre den Chaoten die Lust auf Randale sofort vergangen.

Der Nachfolgeband hieß glaub ich „Schlag zu“

Der Mann offenbarte insgesamt ein seltsames Weltbild. Ostalgie, Law & Order und Nationalismus im fröhlichen Mix. Zur Strafe gab es kein Trinkgeld. Der Typ war sicher nicht der Repräsentant eines homogenen ostdeutschen Weltbilds, aber als ich Sachsen-Anhalt gearbeitet habe, gewann ich auch den Eindruck, dass solche Typen in den östlichen Bundesländern gefühlt häufiger anzutreffen sind. Doch egal ob in Ost oder West, auf einen Kosmopoliten wie mich wirken jene Mitbürger grundsätzlich sehr befremdlich.

Willkommen im Steigerwaldstadion

Nun fragte man sich, ob die heutigen Sitznachbarn im Stadion auch solche Stumpfies wie der Taxifahrer werden würden. Aber diese Fragestellung entpuppte sich als überflüssig, denn die Haupttribüne der Baustelle Steigerwaldstadion war bereits ausverkauft. Freie Stehplätze in der verbliebenen Kurve waren dagegen noch ausreichend vorhanden. Inklusive 3 € Topzuschlag wurden stolze 14 € aufgerufen (Sitzplatz hätte 20 € gekostet). Und da die Sicht in der Kurve nicht besonders gut war, war das wirklich ein horrender Preis.

Zu Gast beim FC RWE

Dafür waren die beiden Fanblöcke sehr gut von unseren Plätzen zu sehen. Und beide boten was für’s Auge. Die Gäste aus dem Erzgebirge spannten ein großes Banner mit der Aufschrift „Für immer Wismut Aue“ vor den Block und hatten zahlreiche lila-weiße Schwenkfahnen im Gepäck. Erfurt wiederum, deren Ultras während der Umbauphase die äußeren Blöcke der Haupttribüne besiedeln, präsentierte mittig auf der Tribüne eine Blockfahne. Darauf  waren das Stadtwappen und sowohl das alte, als auch das aktuelle Vereinslogo zu sehen. Drumherum hatten sie auf jedem Platz eine Pappblume ausgelegt, wovon jede auf einer Seite rot und auf der anderen weiß war. Das Ganze sollte eigentlich eine Wendechoreo werden, aber der gemeine Erfurter Tribünenbesucher war damit überfordert. Deshalb gab es nicht wirklich ein synchrones Bild zu sehen. Spruchband dazu war: „Du erstrahlst in Deiner rot-weißen Pracht – bist die Blüte, welche die Blumenstadt zu etwas Besonderem macht“. Schöne Choreographie, aber eben mit Abzügen in der B-Note.

Erfurter Choreographie

Das Spiel dagegen war sehr bescheiden. Erfurt spielte ein bisschen offensiver als Aue, aber ihre wenigen Torchancen vergaben sie. Akustisch wurde auf den Rängen auch nur Durchschnittskost serviert. Es gab keine besonderen Gesänge, richtig laut wurde es selten und es gab auch keine Hassgesänge gegeneinander. Der Verhältnis der beiden Szenen scheint wirklich nicht von besonderer Rivalität geprägt zu sein. Es ging, dem Dargebotenen angemessen, mit 0:0 in die Pause. Zeit, um die Thüringer Roster zu testen. Das jene Wurstspezialität hier aus der Warmhaltebox serviert wurden, gab weitere Minuspunkte für das heutige Stadionerlebnis.

Flying Flowers

Im zweiten Durchgang wurde der Absteiger und Wiederaufstiegsaspirant aus dem Erzgebirge munterer, doch die Partie blieb weiterhin chancenarm. Kein Fussballfest für die knapp sechseinhalbtausend Zuschauer im 1931 eröffneten Steigerwaldstadion. Die temporäre Kapazität soll sich übrigens auf 10.000 Zuschauer belaufen, aber mit 3.500 Damen und Herren mehr im derzeitigen Halbrund wäre es sicher kuschlig geworden. Anfang 2016 soll dann die erste neue Tribüne (Gegengerade) fertig sein. Danach folgen die Kurven. Die Haupttribüne, die noch gut in Schuss ist, bleibt erhalten. Schick war jedenfalls, dass die Baukräne rot und weiß gestrichen waren und alle on top eine RWE-Fahne flattern hatten. Das hatte auf dieser ansonsten unschönen Baustelle seinen Charme.

Gut gefüllter Gästeblock

Die maue Partie bekam ihr kleines Highlight leider erst am Ende. In der 89.Minute erhielt Aue einen Handelfmeter zugesprochen, den Max Wegner sicher verwandelte. Ob berechtigt oder nicht, war von unseren Plätzen nicht zu sehen und drei Minuten später war Schluss. Aue bleibt somit in Schlagdistanz zu Platz 2 und Erfurt nah an den Abstiegsrängen. Ob die Fanlager versuchten sich auch noch in Schlagdistanz zu begeben, entzieht sich meiner Kenntnis, denn wir reisten sofort ab. Es gab noch Termine in der Heimat.

Thüringer Bier-Ensemble

In Straußfurt (Landkreis Sömmerda) an der B4 wurde nochmal bei einer Filiale der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler (EDEKA) gestoppt, so dass man sich die Rückfahrt mit diversen Thüringer Brauerzeugnissen versüßen konnte. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Apoldaer Spezial hatte schon eine sehr süßliche Note. Braugold Spezial schmeckte wiederum wie ein Discounter-Bier, aber Altenburger Premium war recht lecker und damit der einzige Volltreffer bei dieser spontanen Bierverkostung.

In Hannover (Ankunft 19:00 Uhr) ging es dann erstmal in die Limmerstraße feiern, um im Laufe des Abends ins Kulturzentrum Faust zu wechseln, wo viele altbekannte Größen der hiesigen Hip Hop Szene (besonders die älteren Semester) begrüßt werden konnten. Wie ich, hatten die alle Bock auf Too Strong aus Dortmund und einige Local Acts.

Song of the Tour: Unser Soundtrack heute.