Brügge 02/2012

  • 23.02.2012
  • Club Brugge KV – HSV von 1896 0:1
  • UEFA Europa League (Round of 32)
  • Jan-Breydel-Stadion (Att: 22.000)

Mein Bruder: „Brügge is’n Scheiß-Los.“ Ich: „Brügge is‘ kein Scheiß-Los.“ Bruder: „Brügge is’n Scheiß-Los“ Ich: „Ziii, die Loskugel wurde gerade erst aus dem Scheiß-Topf gezogen! Könnten wir die Beurteilung von Brügge zurückstellen, bis wir die Auflagen kennen?“ So in etwa dürfte sich der Dialog damals zugetragen haben, nachdem uns Brügge im Sechzehntelfinale der UEFA Europa League zugelost wurde. Prinzipiell ein geiles Los mit motivierten gegnerischen Fans, einem netten Stadion, preiswerter Anreise und einer wunderschönen Stadt. Aber da waren ja auch unsere frischen Belgien-Erfahrungen aus Liège (Lüttich). Der Benelux-Klassiker mit organisierter Anreise zum Stadion, personalisierten Tickets, Stadtverbot für Gästefans und Polizei-Eskorte drohte natürlich erneut.

Zum Glück kam es anders. Der flämische Bürgermeister von Brügge wollte sich wohltuend von seinem wallonischen Pendant aus Liège abheben und gewährte freie Anfahrt für freie Fans. Da war großer Jubel angesagt. Nur Karten wurden auch diesmal außerhalb des Gästesektors nicht an Deutsche verkauft, so dass man mit rund 1.500 regulären Gästekarten Vorlieb nehmen musste. Eigentlich eine gute Sache, da eine Anreise ohne Karte nichts für die ganzen Kegelclubs und Dorfvereine ist, die in Kopenhagen zum Beispiel etwas überrepräsentiert waren und nicht unbedingt die beste Visitenkarte für unsere Szene abgegeben hatten. Langjährige treue Begleiter dagegen wissen, dass man immer irgendwie an Karten kommt und werden trotzdem anreisen. Also diesmal Klasse statt Masse.

Mit Kinderschokolade nach Belgien

Bei unserer Neunerbus-Reisegruppe (die aus acht Personen bestand) war es dann so, dass die eine Hälfte Karten hatte (entweder Losglück oder Poltava-Bonus) und die andere Hälfte ihre noch in Brügge erstehen wollte. Gemietet wurde der so genannte Wiegand-Bomber, ein auswärtserprobter Neuner aus dem Hause Volkswagen, mit dem man nicht mehr super pfleglich umgehen muss. Um dem Rechnung zu tragen, hatte besonders die junge Rückbank jede Menge Alkohol geladen. Heiter gelaunt fuhren wir durch NRW und profitierten bei Staus im Ruhrgebiet von meinem allumfassenden Autobahnwissen innerhalb der deutschen Bundesgrenzen.

Erste belgische Biere

In Belgien hält sich dieses Wissen wiederum in Grenzen, so dass wir vor Antwerpen in einen größeren Stau gerieten. Das lange Stop & Go zehrte die Biervorräte der Insassen vollends auf, weshalb wir in jenem Antwerpen eine Pause einlegen mussten. Dort hatte ein belgischer Albrecht-Diskont das einst in Deutschland so berüchtigte Karlsquell-Dosenbier a. k. a. Aldis Rache im Sortiment. Ich entschied mich aber im Gegensatz zu den Nostalgikern für Jupiler und landestypisches Kirschbier.

Grünes Licht für die nächste Runde

Hinter Antwerpen ging es wieder ohne Komplikationen voran und in Brügge wurde ich gleich am Ibis am Bahnhof aus dem Bus entlassen. Die anderen waren zum einen im Hotel Koffieboontje quartiert und zum anderen wollten sie erstmal zum Stadion, um noch vier Karten zu kaufen. Das gelang ihnen mit Hilfe eines freundlichen Belgiers, der ein kleines Trinkgeld bekam, auch problemlos. Ich checkte dagegen ein und traf in der Lobby Olbert, Kniescheiben-Taylor und weitere Szenegrößen. Getrunken wurde sogleich etwas ganz Verrücktes, nämlich Bier.

Grachten und so…

Den Bierkonsum verlegten wir am frühen Abend in eine Kneipe zwischen Stadion und Altstadt, wo sich rund 100 Hannoveraner, vorwiegend älteren Semesters, eingefunden hatten. Hier wurden viele Hände geschüttelt und wir tranken dort nun Jupiler aus belgischen WM’94-Gläsern (ich hatte u. a. Enzo Scifo und Franky van der Elst darauf abgebildet). Irgendwann hatten wir von dieser Kneipe genug gesehen und verlagerten den ganzen Fanmob in die Altstadt.

Michel Preud’homme

Ziel war der so genannte Eiermarkt (Kneipengasse unweit des Hauptmarkts), wo wir den größten Schuppen am Platz besetzten. Ich dachte bei meiner ersten Bestellung („Mach mir auch gleich 10, du Louie!“), dass die mir zuviel Wechselgeld rausgaben. Doch dann sah ich folgendes Schild: „Bier 1€ til 24h“. Wie so etwas bei Hannovers Szene endet, kann sich jeder Kenner unserer Fanszene sicher bildlich vorstellen. Nach Mitternacht bekam ich schließlich noch Hunger von dem vielen Bier und besuchte die Frittenbude am Grote Markt. Belgische Fritten mit Samuraisauce waren jetzt genau die richtige Mahlzeit, bevor Olbert und ich unsere Odyssee ins Ibis starteten, die immer wieder von Wirtshäusern, wo das Licht noch auf den Gehsteig schien, unterbrochen wurde.

Komm, schenk ein

Nach einem vitaminreichen Kirschbierfrühstück marschierten wir am folgenden Mittag los zum Grote Markt, wo die ersten Unverbesserlichen in kleiner Schar bereits wieder Kannen am Hals hatten. In den nächsten Stunden sollte sich der Marktplatz massiv füllen und viele Tagesreisende trafen ein. Wir pendelten zwischen Platz, Supermarkt und Frituur und genossen einmal mehr das unbeschreibliche Europapokal-Feeling.

Fußball ist wie Kriek

Am späten Nachmittag stand dann der Marsch ins verdammt weit entfernte Jan-Breydel-Stadion an. Der sogenannte Corteo war perfekt zum Ausnüchtern für alle, die es nötig hatten. Zumal kein Alkoholnachschub am Wegesrand organisiert werden konnte. Es ging eine Stunde durch reine Wohngebiete ohne Nahversorger. Anschließend im Stadion wurde höchstens Light Bier serviert, wenn überhaupt.

Marsch durch Brügge

Nüchtern war das Intro der Ultras Hannover (Folienschals in Vereinsfarben und dazu ein 1896-Banner mit pfiffigem ACAB-Schriftzug in den Schattierungen der Zahlen) sicher nicht minder schön anzusehen. Und kurz danach begann ein recht motivierter Haufen Belgier in den angrenzenden Blöcken (wo zahlreiche 96er „illegal“ saßen) zu wüten. Entfluchtet wurde der Block in die Pufferzone und von dort durften unsere betroffenen Freunde gut geschützt weiter schauen. War das einzige Mal in diesen Tagen, dass die berüchtigte Brügger Szene gewalttätig in Erscheinung trat. Wir vermuteten, dass die Bewegungsfreiheit, die man uns gab, ihnen am Spieltag genommen wurde. Denn in der ganzen Innenstadt sah man am Vorabend und heute fast nur 96er und kaum einen Fan der Blau-Schwarzen.

1896 in da House

Das Spiel ist heute schnell rekapituliert: Brügge war zwar am Anfang bemüht das 1:2 aus dem Hinspiel so fix wie möglich zu egalisieren, aber nach 20 Minuten machte 96 das Tor des Tages. Mame Diouf, der neue Stürmer, der über den Umweg Manchester United aus Norwegen zu uns gekommen ist, erzielte diesen sehr wichtigen Treffer. Die Führung kam der Kontermannschaft 96 natürlich sehr entgegen und je länger die Führung hielt, desto mehr holte Brügge die Brechstange raus. 96 verpasste es allerdings einen der vielen Konter erfolgreich ins Tor der Hausherren zu bringen und Brügge ging in der Schlussviertelstunde der Saft aus, so dass Hannover das Ergebnis zum Ende hin verwalten konnte. Nach Abpfiff natürlich großer Jubel bei uns im Block. Ist schon der Hammer wie sich 96 in Europa bisher behauptet.

Jan-Breydel-Stadion

Nach dem Spiel stand wieder der Mammutmarsch zurück in die Stadt an. Also nochmal acht Kilometer latschen und dementsprechend K.O. war ich, als wir den Grote Markt erreichten. Ich wusste nun spätestens, dass ich heute nicht mehr alt werde. Es ging noch auf einen Absacker mit ein paar Jungs vom Red Pack in eine Rockbar (The Crash), die abseits vom Rummel lag. Ein letztes Kirschbier noch, bevor gegen Mitternacht das Hotelbett aufgesucht wurde und ich den nächsten Morgen viel fitter als am Vortag aufwachte.

Rathaus mit Belfried in der Nacht

Ich muss noch einiges verpasst haben. Jedenfalls wachten viele Leute nicht dort auf, wo sie eigentlich hätten aufwachen sollen. So topfit und ausgeschlafen, wie ich dagegen war, war es für mich ein Muss die neblige Altstadt nochmals zu besuchen. Schwäne knipsen, die Alkoven im Königin-Astrid-Park checken und Souvenirs kaufen. Noch ein bisschen „Brügge sehen und sterben“-Feeling. Dabei sah man viele bekannte Gesichter in vorbeifahrenden Kutschen und Booten. An diesem Ort wollten viele nochmal die letzten Stunden auskosten.

Schickes Giebelhaus

Einfach eine tolle historische Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten, Grachten und Schwänen. Aber auch überschaubar genug, dass man nach kurzer Zeit alles mal gesehen hatte. Erst recht, wenn man wie ich gerade erst vor zwei Monaten schon mal da war.

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Grote Markt

Am Nachmittag bestiegen wir wieder unserem Neunerbus und ich lauschte den ganzen Geschichten der letzten Nacht aufmerksam. So kurzweilig waren 600 km Heimfahrt selten. Durch die Doppelauslosung nach der Gruppenphase werden wir in zwei Wochen schon wieder nach Belgien müssen; wieder ins beschissene Liège (Lüttich). Diesmal allerdings jobbedingt ohne mich. Dafür ist der Urlaub für die Woche des Europa-League-Endspiels bereits genehmigt und Viertel- und Halbfinale würde je nach Termin vielleicht auch was gehen. Zur Not wird doch nochmal europapokalbedingt gekündigt.

Song of the Tour: Yeah, wir sind immer noch dabei.