Gent & Brügge 12/2011

  • 26.12.2011
  • KAA Gent – KVC Westerlo 3:1
  • Pro League (I)
  • Jules Ottenstadion (Att: 11.347)

In unserer Familie ist es alter Väter Sitte an Weihnachten nach Belgien zum Fußball zu fahren. Schon mein Ur-Urgroßvater, Leutnant Heinrich Maria von Schneppenhausen, beäugte Weihnachten 1914 in Flandern ein Spiel seiner Mannschaft in Flandern gegen eine britische Auswahl kritisch. Traditionsbewusst wie mein Bruder und ich sind, versuchen wir diesen Brauch Jahr für Jahr aufrecht zu erhalten.

Nachdem der heilige Abend noch in Hildesheim verbracht wurde, zog es uns am 1.Weihnachtsfeiertag nach Aachen zu unserer Mutter. Als das übliche weihnachtliche Procedere abgearbeitet war, entführten wir unsere liebe Frau Mutter am 2.Weihnachtsfeiertag ins malerische Flandern, genauer gesagt nach Brügge. Ein Kleinod unter den belgischen Städten, die ja bekanntlich in Flandern ziemlich hübsch sind und in Wallonien dagegen meist wie frisch aus dem Zweiten Weltkrieg befreit aussehen.

Aachen Downtown

Brügge bekam heute gegenüber Brüssel, Antwerpen oder Mechelen den Zuschlag, weil wir beide große Fans des Films „Brügge sehen… und sterben?“ sind und die Drehorte dieses tragikömischen Actiondramas mal live sehen wollten. Und ja, es war tatsächlich alles wie im Film. Und im Film-Hotel der beiden irischen Auftragskiller Ray und Ken war auch noch, sehr zu unserer Freude, in Wirklichkeit das Haus der 1000 Biere beheimatet. Dort hat man den Anspruch fast alle in Belgien gebrauten Biere zu vertreiben und das sind wohl aktuell so rund 1.300 verschiedene Variationen. Garniert ist der Laden an den Wänden (der Wall of Beer) mit Weisheiten von großen Philosophen wie Plato („He was a wise man who invented beer“), Benjamin Franklin („Beer is proof that God loves us and wants us to be happy“) und Homer Simpson („Auf den Alkohol! Den Ursprung und die Lösung sämtlicher Lebensprobleme“). Nach dem Shoppen gönnten wir uns noch in der hauseigenen Bar ein paar frisch Gezapfte und anschließend ging es auf große Grachtenrundfahrt.

Bier! Bier! Bier!

Nach Kaffee und belgischen Waffeln in einem kleinen Café etwas abseits vom Grote Markt, bestiegen wir den Brügger Belfried. Und auch hier war der Film absolut realitätsnah. Fettsäcke können diesen Turm definitiv nicht besteigen! Wir schlanken Schönheiten erklommen die etwas über 360 Stufen (soviele wie beim Turm der Andreaskirche in Hildesheim) dagegen mit Leichtigkeit und genossen das Rundum-Panorama der 115.000-Einwohner-Stadt. Nachdem die verlorenen Kalorien mittels Fritten mit Samuraisauce und Käsekroketten wieder reingeholt wurden, sagten wir Brügge vorerst Adieu. Jetzt war Fußball angesagt!

Brügge

Da uns das nächste Europapokal-Los auch nach Brügge führt (mal sehen, ob wieder mit solchen tourifeindlichen Auflagen wie in Liège / Lüttich), wurde das Jan-Breydel-Stadion heute gemieden und das benachbarte Gent angesteuert. Gent ist Brügge ziemlich ähnlich, aber nicht ganz so von Touris überlaufen. Bezeichnend, dass Hannover Streetwear aus Versehen für das Europapokalshirt mit dem Motiv „Brügge sehen… und siegen!“ die Silhouette der Genter Gildehäuser verwendete. Aber Gent hat halt auch ein paar Tausend historische Gebäude in der Altstadt, einen hohen Belfried und zahlreichen Grachten. Da kann man schon mal durcheinander kommen. Die Stadt ist auf jeden Fall eine gute Alternative zum in den Europareiseführern der Ostasiaten verzeichneten Brügge.

Altstadt Brügge

Im Genter Vorort Gentbrugge fand heute das Spiel des KAA Gent gegen den KVC Westerlo statt. Bis wir unser Auto in Stadionnähe parkten, hielt unsere Mutter das Ganze mit dem Fußballspiel immer noch für einen Scherz. Aber für Scherze war die Mission Xmas-Ground viel zu ernst. Schließlich soll das Jules-Otten-Stadion bald einer neuen Arena weichen. Seltsamerweise ließ sich die oppositionelle Verwandte in unserem Auto (okay, eigentlich hat sie es ja bezahlt…) nicht mal mit den Verheißungen des VIP-Raums aus dem Fahrzeug locken. Diese Fundamentalistin war bereit für ihre Überzeugungen 2,5 Stunden außerhalb des Stadions zu frieren und weil Weihnachten war, respektierten wir ihren Wunsch auf einen fußballfreien Abend und verabschiedeten uns ins Stadion.

Dort wurden wir zu Beginn von organisierter Pyrotechnik erleuchtet. Vor den Tribünen wurden auf Stäben befestigte Fackeln kollektiv gezündet. Solche Aktionen goutieren wir eigentlich nicht, aber es sah schon ganz nett aus. Das Stadion verfügt übrigens über zwei große Tribünen auf den Geraden und zwei kleine hinter den Toren. Hinter einem Tor war der Gent-Fanblock und hinter dem anderen der Gästeblock.  Von den heute anwesenden 11.347 Zuschauern im fast ausverkauften Stadion, drückten wenige Hundert dem Gast aus Westerlo die Daumen. Organisierten Support lieferten sie allerdings keinen. Ebenso kam von Gent verhältnismäßig wenig. Direkt hinter’m Tor war zwar ein kleiner Stimmungskern, aber vom Hocker riß einen die Atmosphäre erwartungsgemäß nicht.

Pyroshow in Gent

Die blau-weißen Hausherren, mit dem ungewöhnlichen Indianerkopf als Vereinswappen (den sie wählten, weil Buffalo Bill die Genter anno 1900 mit seiner Wild West Show verzückte), wollten sich heute, nach starker Hinrunde, gegen den Tabellenletzten einen weiteren 3er im Kampf um die Belgische Meisterschaft holen. Als die Westerloer allerdings überraschend in der 45.Minute durch Dieter Dekelver in Führung gingen, kamen die Pläne ordentlich ins Wanken. Erst in der 68.Minute (Ljubijankic) durften die teilweise als Indianer verkleideten Kuttenfans von Gent jubeln. Und nach dem Ausgleich wurde das eigentlich dauerhafte Übergewicht der Buffalos auch endlich in Tore umgemünzt.  El Ghanassy (’77) und Jörgensen (’84) erhöhten in der Schlussviertelstunde völlig verdient auf 3:1.

Jules Otten Stadion

KAA Gent (bisher noch ohne Meistertitel, aber ’64, ’84 und jüngst anno 2010 belgischer Pokalsieger) grüßt nun zum Jahreswechsel von Tabellenplatz 2 und der KVC Westerlo muss weiterhin die Tabelle drehen, um sich oben zu sehen. Wir sammelten nach Abpfiff zügig die Frau Mutter wieder ein und rasten auf den beleuchteten belgischen Autobahnen zurück nach Aachen. Dann mal bis Februar kleines Belgien, wenn es FC Brügge versus Hannover 96 heißt und wir hoffentlich in Brügges malerischer Innenstadt feiern und verweilen dürfen.

Song of the Tour: Starker Film, den man mal gesehen haben sollte.