Sevilla 08/2011

  • 25.08.2011
  • Sevilla FC – HSV von 1896 1:1
  • UEFA Europa League (Play-Off)
  • Estadio Ramón Sánchez Pizjuán (Att: 33.026)

Hannover 96 hatte sich im Sommer 2011 unglaublicherweise für den internationalen Wettbewerb qualifiziert. Es war das krönende Ende einer Spielzeit, die so niemand erwartet hatte. Denn aus einem fast sicheren Absteiger, der sich erst am letzten Spieltag der Saison 2009/10 retten konnte, wurde beinahe schon zwangsläufig der Abstiegskandidat Nr. 1 für das kommende Spieljahr. Und das blamable Aus im Pokal gegen Elversberg manifestierte diese düsteren Prognosen für die Saison 2010/11 endgültig. Doch was folgte, war die erfolgreichste Bundesligasaison der Vereinsgeschichte. Mit der Teilnahme an der Europa League als verdientem Lohn.

Danke für eine geile Saison!

Für viele 96-Fans wurde ein Lebenstraum wahr. Einmal mit 96 Europapokal auswärts, das war seit den 90er Jahren mein größter Traum und viele Jahre (2. Liga, 3. Liga) eher eine Utopie. Natürlich war klar, dass zum ersten Europapokalauswärtsspiel seit fast 20 Jahren hingefahren wird. Egal wann und wo! Und nachdem die exzessiven Feierlichkeiten der Vorsaison abgeklungen waren, wurde nur noch sehnsüchtig auf die Auslosung für das Play-Off gewartet. Das Los sollte dabei natürlich möglichst perfekt sein. Bloß kein Bremen 2.0! Wenngleich heute ein deutsch-deutsches Duell wie 1992 in den ersten Runden der europäischen Wettbewerbe nicht mehr möglich ist, so gibt es doch genug unattraktive Gegner, die mir weniger für meine eventuell einzige Europapokalreise mit 96 geschmeckt hätten.

Das Objekt der Begierde

Am Morgen des 05.08.2011 (Tag der Auslosung) standen dank der Einteilung in mehrere Lostöpfe bereits unsere möglichen Play-Off-Gegner fest. Einer von fünf aus unserem Topf würde es werden. Nun wurde sich bis zur Auslosung auf der Arbeit mit nichts anderem als diesen potentiellen Gästen und Gastgebern beschäftigt. Wie würde ich wohin anreisen? Was ist beim Heimspiel von den Gästefans zu erwarten? Wie schwer ist der Gegner aus sportlicher Sicht? Aus dem Topf ergab sich schließlich folgenden Hitliste für mich:

1. Club Brugge KV (von den Kosten her erschwinglich, tolle Stadt, reisefreudige Fanszene)
2. Stoke City FC (im Zeitalter der Billigflieger auch eine günstige Reise, mit 96 auf der Insel hätte was und es gäbe bestimmt auch viele Auswärtsfans in Hannover)
3. Athletic Club Sparta Praha (eine schwarz-weiß-grüne Invasion im schönen Prag)
4. Sevilla Fútbol Club (der größte sportliche Kracher im Topf, aber zu 96% Endstation und sicher der teuerste Trip)
5. AZ Alkmaar (nicht gerade ein Exot, aber nicht so belastend für den Geldbeutel und das Urlaubstagekonto)
6. „FC“ Salzburg (seelenloses Kunstprodukt des Brauseherstellers Red Bull, keine ernstzunehmende Fanszene, noch nicht mal fremdsprachiges Ausland)

13:30 Uhr saß ich trotz Feierabend nach wie vor auf der Arbeit und verfolgte die Auslosung. Viel Geplänkel und erstmal die zig anderen Töpfe, bis endlich unser Lostopf an die Reihe kam. Dann schwanden sie, die Gegner, bis am Ende nur noch Brügge und Sevilla im Topf waren. Toll, jetzt kriegen wir natürlich Sevilla, war sofort mein pessimistischer Gedanke. Und natürlich bekamen wir Sevilla. Gemeinsam mit meinem Arbeitskollegen vom Roten Infarkt, kotzte ich ziemlich ab. Teurer Trip, keine Gästefans in Hannover zu erwarten, sportlich viel zu schwer und somit bestimmt auch schon die Endstation unseres europäischen Abenteuers.

Sparbuch geplündert

Die freiwilligen Überstunden auf der Arbeit wurden nun für die ersten Reisesondierungen genutzt. Dabei konnte ich mit ansehen, wie die Flüge von Minute zu Minute teurer wurden. Flugverbindungen von Hannover nach Sevilla kosteten nun um die 500€ und aus anderen Städten war auch zunächst nichts unter 300€ zu finden. Nach Feierabend also mit zig Leuten telefoniert und über die Reiseplanungen geplaudert. Nebenher wurde immer wieder im Internet gesurft, um dort Verbindungen und Preise zu prüfen. Jerez oder Malaga, zur Not auch Madrid oder Barcelona, rückten nun in den Fokus. Abflughäfen und Umstiege waren gänzlich egal, meinetwegen auch über Haugesund oder Marrakesch nach Sevilla, wenn es nur günstig ist.

Hin da

Den Zuschlag für den Hinflug erhielt schließlich eine Verbindung von Weeze (nahe Mönchengladbach) nach Malaga am Mittwoch den 24.August und der Rückflug am Sonnabend den 27.August würde von Sevilla nach Eindhoven gehen. Entscheidende Hinweise dafür gab es von zwei UH-Größen, die ähnlich, wenn auch etwas anders reisten. Kostenpunkt: 215 € mit Ryanair. Für diese schnell zu buchende Reise konnten kurzfristig fünf weitere Hildesheimer 96-Freunde begeistert werden. Und als die Buchungsbestätigung am frühen Abend endlich im E-Mail-Postfach war, fiel mir ein Stein vom Herzen. Selten so einen stressigen Tag in meinem Leben gehabt.

Ryanair takes us to Andalusia

Im Folgenden wurden die Transfers und die Unterkünfte geklärt. Die Transfers zwischen Heimatort und den Flughäfen sollten mit der DB erfolgen (kostete mit Gruppenrabatt rund 40€ pro Person) und nach einer Übernachtung in Malaga – Sandstrand muss sein, wenn auch nicht die vielbesungene Woche – sollte es mit dem Hochgeschwindigkeitszug Renfe weiter nach Sevilla gehen (20€). Für Malaga wurde ein Hostel gebucht (20 € mit Frühstück) und für Sevilla ein Vier-Sterne-Hotel in der Altstadt (22,50 € pro Nacht ohne Frühstück). Die Urlaubsproblematik stellte sich mir durch meine europapokalbedingte Kündigung bei meinem Arbeitgeber zum Glück nicht und die anderen Mitreisenden bekamen ihren Urlaub ebenfalls durchgesetzt. Sevilla wir kommen!

Ein bißchen Größenwahn

Neben uns buchten noch einige andere Hildesheimer Szeneleute ihre Reisen. Zum Beispiel von Bremen nach Sevilla und zurück oder Paderborn-Sevilla return. Die Sektion Hildesheim würde also in guter zweistelliger Zahl in Spanien landen. In Anbetracht der Kürze der Planungszeit und der Kosten (wir reden hier von armen Schülern, Studenten, Azubis und Berufseinsteigern) gar nicht so schlecht. Aber Europapokal mit 96, da muss man einfach dabei sein. Zur Not wird eben krank gemacht oder gekündigt. In dieser Ausnahmesituation kann man auch mal einen Bausparvertrag auflösen oder einen Kleinkredit aufnehmen. Man würde sich im Alter nur ärgern wegen Arbeit, Studium oder einem leerem Konto auf den vielleicht besten Trip der Fankarriere verzichtet zu haben.

Der Gegner

Nachdem alle Planungen abgeschlossen waren, rückte bereits das Hinspiel in den Fokus. Jenes wurde 2:1 gewonnen und ging als einer der größten Fußballabende in die Geschichte des Niedersachsenstadions ein. Gute Ausgangssituation, welche die Hoffnungen auf ein Weiterkommen massiv nährte und die Tour nach Sevilla nochmals enorm aufwertete. Denn nach einer deutlichen Hinspielniederlage nur nach Andalusien fliegen, um sich einmalig auf europäischer Bühne zu präsentieren, ist nicht das gleiche wie tagelange Anspannung im Vorfeld und 90 Minuten Bangen und Hoffen.

Heimspiel gegen Sevilla FC

Was das Ganze für mich noch zu einem besonderen Leckerbissen werden ließ, war der Umstand, dass ich am 25.August (Tag des Rückspiels) meinen Geburtstag im Kalender stehen habe. Was kann es bitte Schöneres geben, als unter der Sonne Spaniens seinen Geburtstag zusammen mit hunderten Freunden und Bekannten bei Hannovers erstem UEFA-Pokal- bzw. Europa-League-Auswärtsspiel zu feiern? Überhaupt hatte sich die Rangliste, die ich anfangs im Kopf gesponnen hatte, doch ziemlich gedreht. Sevilla war eigentlich das Top-Los. Der große Name (der internationale Klasse versprüht), die stattliche Entfernung von Hannover (was auch schon die Anreise zum Erlebnis machen würde), das attraktive Stadion und eine Stadt, die viel Kultur versprach. Was will man mehr? Wenn schon mal Europapokal, dann bitte mit dem Flieger weit weg und gegen einen Gegner der Spitzenklasse anstatt „nur“ in ein Nachbarland.

Die Vorstellung mit 2.000 bis 3.000 Roten die Stadt zu besetzen und das Stadion zu rocken, ließen mich vor Freude im Carree springen. Nahezu jeder, mit dem ich bei 96 im Block stehe, hatte irgend einen Flug gebucht und viele alte Weggefährten, die sich bei 96 in den letzten Jahren etwas rarer gemacht haben, riefen auch an und fragten ob wir meinen Geburtstag in Sevilla feiern. So einen tollen Haufen wie dort, hatten wir sicher bisher nur ganz ganz selten irgendwo.

Reisegruß an einen verhinderten Kameraden

Am Dienstagabend (23.08.2011) um 22:07 Uhr begann die Reise am Hildesheimer Hauptbahnhof. Erstaunlicherweise hatte niemand Bier in seinem Handgepäck und so musste ein kurzer Aufenthalt in Hannover für einen größeren Einkauf genutzt werden. Meine Mitfahrer kauften soviel Herri, wie sie tragen konnten und am Bahnsteig trafen wir auf diverse andere Szeneleute, die ebenso mit dem ICE nach Düsseldorf oder Köln zu ihrem Abflughäfen wollten. Die Jungs machten nun Party im Bordbistro und ich (gesundheitlich leider angeschlagen) hatte meine Ruhe im Abteil. Düsseldorf wurde gegen 2:00 Uhr nachts erreicht. Nächstes Ziel: Altstadt! An der längsten Theke der Welt ist auch unter der Woche genug los, um durchzumachen. Und während wir zu viert in einer Studentenkneipe von einer freizügigen Bedienung umsorgt wurden, war die zweiköpfige Sektion Rotlicht unserer Reisegruppe längst in ein Taxi verschwunden, um schon mal ihre halbe Urlaubskasse auf den Kopf zu hauen. Morgens um 5 Uhr trafen wir uns alle am Bahnhof wieder und bestiegen nach einem Frühstücksdöner den Regionalzug nach Weeze.

Ballermann 6 – Omen für den Flug

Weeze ist ein alter Militärflughafen 60km nordwestlich von Düsseldorf an der niederländischen Grenze. Von dort sollte uns ein Billigbomber von Ryanair nach Malaga bringen. Wir kotzten nicht übel, als wir bei Ankunft lasen, dass sich unser Abflug um vier Stunden verzögern würde. Nun mussten wir sechs anstatt zwei Stunden an diesem Provinzflughafen verbringen. Und während andere Hannoveraner dank Mietwagen in den kleinen Ort fahren konnten, waren wir in der niederrheinischen Pampa gefangen. Nachdem Pöbeln am Ryanair-Schalter erledigt war, blieben immer noch 5 Stunden und 50 Minuten bis zum Abflug. Schlaf nachholen klappte leider sehr unbefriedigend auf den unbequemen Bänken. Die Baustelle, die wir als zweites als Schlafquartier besetzten, war zwar ruhig (die Arbeiter wurden von uns in die Frühstückspause entlassen), aber ebenso ungemütlich. Meine Mitreisenden „Don Alfonso“ aka InterCityBerger, Kleiner Dammtor, der Ziii und Bull Hurley konnten dennoch pennen. Mir schmerzte dort, wie auch schon auf den Bänken, der Rücken, so dass ich etwas umher irrte.

Lungern in Weeze

Das tat auch Kniescheiben-Taylor (der Sechste im Bunde), allerdings ständig mit einem Bierhumpen in der Hand. War mir ein Rätsel wie der Mann immer noch weiter ballern konnte. Ich beschloss die Außenanlagen zu erkunden und fand eine bequeme Liegewiese. Handtuch raus, hingelegt und tatsächlich eingepennt. Nach und nach kamen auch die Baustellen-Jungs nach draußen und wir lümmelten alle auf dieser Wiese und fanden etwas Erholung. So um 12:00 Uhr mittags begaben wir uns zum Check-In und verbrachten die folgenden 90 Minuten am Terminal. Gegen 13:30 Uhr hob der „Metronom der Lüfte“ endlich ab und wir freuten uns ob der bequemen Sitze und der riesigen Beinfreiheit… nicht! Ich hatte neben mir nur einen niederländischen Touristen in der 3er-Reihe und somit eigentlich etwas Komfort. Pennen war aber trotzdem schwer, denn neben den baulichen Mängeln der Sardinenbüchse, gab mir die Reihe mit Kniescheiben-Taylor, Dammtor und Bull Hurley den Rest. Sie spielten direkt hinter mir zitatgetreu den Flug aus dem Film Ballermann 6 nach und tranken für insgesamt 90 € Bier. Das waren 20 Dosen à 4,50 €. Na ja, wer hat, der hat. Mit jenen Dosen bollerten sie ständig auf die Tische und Kniescheiben-Taylor brauchte dauernd „Mehr Bier, ey“. „Was isse das hier fur eine mude Laden?“ war sein zweithäufigster Ausspruch. Dicht gefolgt von „Das ware nur ein Tropfe auf die heiße Stein“ (nach jedem Leeren einer Bierdose).

Über den Wolken

Beim Ausstieg in Malaga, wo wir circa 16:30 Uhr landeten, bekam Bull Hurley noch ein Extralob mit Schulterklopfer vom Personal: „You are the strongest Drinker!“. Dafür traf die Sektion Suff unter Spaniens Sonne erstmal der Schlag. Über 40°C auf brennendem Asphalt waren zu viel des Guten für Kniescheiben-Taylor und Bull Hurley. Schnell hatten sie sich ihrer T-Shirts bzw. Hawaii-Hemden entledigt, was wiederum den Sicherheitsdienst auf den Plan rief. Shirts wieder an, lautete der konsequente Befehl der Anti-Terroreinheit. Wir anderen suchten derweil das WC mit der Aufschrift Caballeros, um dort unsere Sommer-Outfits anzuziehen. Weiße Shorts der Label Le Coq Sportif oder Ellesse, zusammen mit Pastellfarben-Poloshirts aus den Häusern Lacoste, Tacchini oder Lyle & Scott, bekleideten nun unsere Körper. Dazu das Europapokal-Accessoire schlechthin auf dem Kopf: Der 96-Fischerhut!

Bucket Hat Boys

Wir nahmen einen Bus vom Flughafen in die Stadt und irrten dann auf der Suche nach unserer Unterkunft (kilometerweit) durch die Altstadt. Den Zechern machte das in ihrem Zustand natürlich richtig zu schaffen und die Entdeckung unserer Pension war für sie eine wahre Erlösung. Wohin die Reise bei ihnen allerdings noch gehen sollte, zeigte zuvor der erste Einkauf auf spanischem Boden. Sektion Seriös kaufte erstmal literweise Wasser, Sektion Suff natürlich nur alkoholische Flüssigkeiten. Ziii, „Alfonso“ (den Zechern entrissen) und ich verabredeten uns nun mit den ebenfalls angereisten Freunden aus Bockenem, während der Rest schon wieder total unterhopft war und die massive Realkoholisierung plante („Meer? Meer? Ich will mehr Bier, ey!“). Zuviel Pegel war bei ihnen in den letzten zwei Stunden ungewollt ausgeschwitzt worden. Das musste geändert werden.

Me in Malaga

Bei unserer Gruppe sollte es dagegen etwas kultivierter zugehen. Abendspaziergang durch Malagas tolles Stadtzentrum, Erinnerungsfotos knipsen und in eine der unzähligen Tapas-Bars einkehren war das Programm. Sowohl die Getränke- als auch die Tapas-Preise waren dabei moderat und dazu war es obendrein noch lecker. Kein Touri-Nepp, was will man mehr? Ja Meer, und zwar nicht mehr Bier, sondern das Mittelmeer. Nicht ohne Grund sangen wir in den Vormonaten dauernd etwas von Europapokal und einer Woche Sandstrand. Nach einem Stop in einem Späti, wurde mit ein paar Dosen Bier der Strand aufgesucht und zumindest knietief ging es noch ins Wasser. Ein Sonnenuntergang am Meer und in circa 24 Stunden würde 96 zum Spiel der Spiele antreten. Ich war in diesem Moment wirklich sehr glücklich.

Malaga Downtown

Reingefeiert in meinen Geburtstag haben wir dann doch nicht, denn ich (und nicht nur ich) war einfach zu müde nach den ganzen Strapazen der letzten 24 Stunden. Wir spazierten bei lauem Lüftchen am Yachthafen und der Kathedrale entlang zurück zum Schlafquartier. Für den nächsten Morgen hatte ich mir daüfr noch einiges vorgenommen. Die Bockenemer, die bereits einen Tag früher angereist waren, hatten mir ein Ticket für den Sightseeing-Bus geschenkt und empfahlen mir wärmstens die Tour und vor allem die Alcazaba und das Castillo de Gibralfaro.

Nachtbaden im Mittelmeer

Bereits um 8:00 Uhr morgens verließ ich die Unterkunft mit Sack und Pack, um nochmals durch die Gassen der Altstadt zu marschieren. Es ging in Richtung Teatro romano de Málaga (Römisches Amphitheater) und Alcazaba. Letztere ist eine große maurische Festung, am Fuße eines Berges. Jenen Berg sollte ich nun über die Serpentinen erklimmen. Kleine Herausforderung für einen physisch immer noch schwachen Herrn Snepanovic, der eigentlich ins Bett gehörte (ich hatte ausgerechnet zwischen den beiden Play-Off-Spielen einen grippalen Infekt). Irgendwann drang mir der Schweiß aus allen Poren und mir wurde schwindlig. Scheisse, Kreislaufprobleme. Und um kurz vor 9 Uhr war da niemand außer ich auf dem Wanderweg. Ich ruhte, nahm einen kräftigen Hieb aus meiner Wasserflasche und stabilisierte mich langsam wieder. Ergo konnte es bald weiter zum Gipfel gehen.

Alcazaba

Was sich mir nun bot war bei strahlender Sonne und wolkenlosem Himmel ein Wahnsinnsausblick auf die Stadt, das Meer, die Stierkampfarena und die umliegenden Berge. Die Bockenemer hatten nicht zuviel versprochen. Das hier war wirklich eine Sehenswürdigkeit und ein toller Start in diesen besonderen Tag. Ich löste nun ein Billet für das Castillo de Gibralfaro und spazierte dort auf den Mauern und Türmen herum, wodurch sich weitere tolle Ein- und Ausblicke ergaben. Die Festung hatte just um 10:00 Uhr ihre Pforten geöffnet und ich war vorerst der einzige Besucher.

View over Malaga

Nach meinem Rundgang beschloss ich mit dem Sightseeing-Bus vom Berg in die Stadt zu fahren und dann in der Nähe des Hotels der Bockenemer auszusteigen. Das war eine gute Idee, denn so sah ich noch andere Teile der Stadt und erfuhr mittels Audio-Guide viele Informationen über die Kultur und Geschichte Malagas. Während der Rest mit dem Hochgeschwindigkeitszug Renfe (der heute einem 96-Sonderzug glich) nach Sevilla fuhr, war mir der letzte freie Platz im Bockenemer Mietwagen vorbehalten. Egal ob Zug oder Auto, wir alle genossen die Ausblicke in die andalusische Landschaft, die teilweise sehr vertraut wirkte. Den alten europäischen Western-Filmproduktionen sei Dank.

Unterwegs in Andalusien

Ein weiteres Highlight war die Überholung des 96-Käfers. Zwei 96er beschlossen mit einem uralten grünen VW Käfer von Hannover nach Sevilla zu fahren und es schien so, als würden auch sie bald problemlos ankommen. Wir erreichten die Hauptstadt Andalusiens voll im Plan und hatten nach dem Check-In und der Zusammenrottung mit dem Rest meiner Meute-Crew noch genug Zeit, um mehrere Stunden vor Anpfiff in der Altstadt zu verbringen. Großer Treffpunkt war die Kathedrale Sevillas, eine der größten Kirchen der Welt und Wahrzeichen der Stadt. Hier waren bereits etliche bekannte Gesichter zu begrüßen und es wurden von Stunde zu Stunde mehr. Die Polizei, die in Spanien mit besonderer Vorsicht zu genießen ist, hielt sich im Hintergrund auf. Wir taten gut daran, ein bißchen ehrfürchtiger vor der Staatsmacht als in Deutschland zu sein. Während die Guardia Civil nach den Dortmundern (ein halbes Jahr zuvor) heute anscheinend nicht auf Teufel komm raus die nächste deutsche Szene vermöbeln wollte und zumindest ebenfalls nicht rumprovozierte.

Teilansicht der Kathedrale von Sevilla

Gut so, denn so blieb’s ’ne große Party. Genauer gesagt eine der geilsten Partys aller Zeiten. Alle waren voller Vorfreude und Zuversicht für das Spiel heute Abend und genossen diesen besonderen Moment, von dem wir eigentlich schon immer träumten. Ich denke noch gern daran zurück, wie wir mit kleiner zweistelliger Meute neun Jahre zuvor den Marktplatz in Bozen vor einem Saisonvorbereitungsturnier mit 96, Lazio und Napoli beflaggten, um etwas Europapokal-Feeling zu zaubern. Dabei sinnierten wir darüber, wie es wäre wirklich irgendwann mal Europapokal mit 96 im Ausland zu erleben. Nun war es tatsächlich wahr geworden und es fühlte sich verdammt großartig an.

Lungern an der Kathedrale

An meinem Geburtstag wollte ich, bevor der Marsch zum Stadion losgehen sollte, noch lecker speisen. Klar war, dass wir rund um die Kathedrale nur Touri-Nepp finden würden. Blöd war, dass wir abseits der Hauptstraßen genauso daneben griffen. Besonders teuer war das Essen zwar nicht, aber die Bedienung war unfreundlich und die Portionen klein. Dass der Laden sonst nahezu leer war, lag wohl nicht nur an der für Spanier untypischen Essenszeit. Egal, Mund abputzen, weitermachen!

Spaziergang durch Sevilla

Es ging zurück zur Kathedrale. Wir verbreiteten tolle Atmosphäre und genossen diese zugleich in vollen Zügen. Ehe sich dann, für meinen Geschmack viel zu früh, der so genannte Corteo zum Stadion formierte. Nichtsdestotrotz wollten wir natürlich Teil dieses gigantischen Bildes sein und marschierten mit den weit über 1.000 Roten los. Nach halber Strecke war allerdings ein Imbiss am Straßenrand verlockend. Mit alten Sportkameraden aus Springe machte ich es mir dort für zwei Bierchen bequem. Die gleiche Idee hatten auch ein paar Goslarer und diverse weitere 96er.

Marsch durch Sevilla

Weiter marschierten wir dann als Kleingruppe, aber als das Stadion in Sichtweite war, schauten wir nochmal auf die Uhr und befanden die Zeit immer noch als zu früh für den Gästekäfig. Die nächstbeste Bar servierte uns eine weitere Runde Getränke und ein dazu gestoßener Bekannter berichtete uns von einem Angriff von circa 50 Sevillistas aus einer Seitenstraße heraus. Kurzer Schlagabtausch und ein fliegender Motorradhelm, aber heftiges Dazwischengehen der Guardia unterband das Scharmützel blitzschnell. Also so ganz wollten uns die Einheimischen wohl doch nicht ihre Straßen überlassen.

Estadio Ramón Sánchez Pizjuán

Wir kamen nach unseren Erfrischungen unbeschadet 90 Minuten vor Anpfiff am Estadio Ramon Sanchez Pizjuan an (benannt nach einem langjährigen Präsidenten des Vereins) und machten uns im unteren Teil des Gästebereichs breit. In den Oberrang, zum Stimmungskern, ließ die Polizei bereits keinen mehr hoch. Da waren sie sehr resolut und wir respektierten zähneknirschend ihre Autorität. Spanier waren so früh natürlich noch keine im Stadion und wir sangen uns schon mal ein.

Weit vor Anpfiff

Zum Anpfiff, bei immer noch annähernd 40°C, waren die Ränge dann im ganzen Stadion halbwegs gut gefüllt. Hannover 96 lockte selbstredend in Spanien keinen Gelegenheitsbesucher vor’m Ofen hervor (anders als Sevilla in Hannover). Aber durch die unerwartete Spannung und angeblich auch Rabattaktionen des Vereins, waren doch ein paar Tausend mehr da, als die zunächst erwarteten 25.000 Besucher. Von unserer Seite waren circa 3.000 Fans angereist und als die Mannschaft, heute in schwarz-weiß-grün auflaufend, vor Anpfiff klatschend in die unsere Ecke lief, begann unser Stimmungs-Orkan.

Intro Sevilla

Auf dem Rasen allerdings begann der Sevilla FC stürmischer als die deutschen Gäste. Sie hatten gleich in der Anfangsphase einige gefährliche Szenen und als Negredo nach 15 Minuten einen Torschuss gegen den Pfosten knallte, blieb einem fast das Herz stehen. Um so befreiender war das klasse erkonterte 0:1 für 96 in der 23.Minute. Duracell-Häschen Kocka Rausch rannte mit dem Ball außen in Richtung Grundlinie und flankte zielsicher auf Moa Abdellaoue, der am Fünfmeterraum die Flanke volley in die Maschen drosch. Was ein ekstatischer Jubel danach!

Gespannte Erwartung

Sevilla ließ sich vom Rückstand jedoch nicht beeindrucken und ballerte bis zur Pause fröhlich weiter auf unseren Kasten. Gott sei Dank haben wir mittlerweile wieder einen Spitzentorwart zwischen den Pfosten, der ein um’s andere Mal glänzend parierte. Umso bitterer der Ausgleich, bei dem Ron-Robert Zieler machtlos war. Pogatetz lenkte eine Flanke der Gäste mit seinem Schienbein ins eigene Tor (37.Minute). Nichts für schwache Nerven heute!

Auch in den zweiten 45 Minuten war zunächst Sevilla spielbestimmend und ich rechnete eigentlich fest mit dem 2:1 für die Hausherren und am Ende mit einer Verlängerung und gar Elfmeterschiessen. Ob ich das nervlich überlebt hätte? Fraglich!

Wir taten auf den Rängen weiterhin alles, um die Jungs nach vorne zu peitschen. Die Heimseite machte das übrigens ähnlich und hatte genau wir auch ein paar Bengalische Fackeln mit ins Stadion genommen, so dass man schon von einem sehr stimmungsvollen Europapokalabend sprechen konnte.

Zwischen Hoffen und Bangen

Heißblütig war es nicht nur auf den Rängen. Auch auf dem Grün wurde hart gefightet. Sechs Gelbe bei 96 und vier Gelbe bei Sevilla musste der Schiedsrichter zücken. Hannover verteidigte mit allen Mitteln und Sevilla versuchte Konter ebenso kompromisslos zu stoppen. Als unsere Herzensmannschaft das Spiel immer besser in den Griff bekam, hatten die Spanier zum einen Glück, dass der Schiedsrichter 96 einen klaren Foulelfmeter an Schlaudraff verweigerte und zum anderen wurden sie immer frustierter. Das gipfelte schließlich in einer Tätlichkeit von Medel kurz vor Schluss, die mit Rot bestraft wurde.

Heroes!

Die letzten Minuten wurden dann in einer Art Trance verbracht. Irgendwie voll auf das Spiel fokussiert und gleichzeitig abwesend von der restlichen Umwelt. Bis der Unparteiische endlich abpfiff und wir uns im Block aufeinander stapelten. Das war unbeschreiblich. So müssen sich große Titel anfühlen. Ergo feierten wir das jetzt auch wie einen Titelgewinn. Zusammen mit der Mannschaft, mit uns selbst und dem Tui-Goldflieger-Edelfanblock auf der Haupttribüne.

Lange nach Spielschluss

Zurück in die Stadt ging es in Kleingruppen. Irgendwie verlief sich alles und durch die Polizei wurden sowieso viele Gruppen im Stadion voneinander getrennt. Wütende Sevillista warteten zum Glück nicht in dunklen Seitenstraßen auf uns und so kamen wir heil und immer noch high an der Kathedrale an. Aber donnerstags nach Mitternacht war hier nicht mehr viel los. Ein Taxi-Fahrer (als Betis-Fan und FC-Hasser sehr erfreut über unseren Triumph) brachte uns rüber nach Triana (andere Uferseite des zentralen Canal de Alfonso XIII), wo in der Calle Betis einige Bars und Clubs geöffnet hatten. Auch hier schienen alle Einheimischen Betis-Fans zu sein und feierten mit uns. Entsprechend spät (oder früh, wie man’s nimmt) lagen wir wieder in unseren Hotelbetten. Eine geilere Geburtstagsfeier hatte ich definitiv noch nie.

Partymäuse vom HSV

Nach dem Katerfrühstück stand Freitag dann noch ganz großes Sightseeing an. Sevilla ist so schön, da konnte man nicht den halben Tag im Bett verbringen. Wir griffen wie schon in Malaga wieder auf einen Touri-Bus zurück. Die Investition war nicht schlecht, da der Bus auch durch Triana und über das alte Expo-Gelände fuhr. Mittels hop on / hop off klapperten wir die Sehenswürdigkeiten außerhalb der Altstadt ab. Mittags wurde die Tour schließlich unterbrochen, um mit diversen anderen 96ern im Irish Pub an der Kathedrale die Auslosung der Gruppenphase zu verfolgen. Uns wurden Standard de Liège, Vorskla Poltava und der FC Kopenhagen zugelost. Ausgewogene Mischung mit zwei verhältnismäßig günstigen und fantechnisch interessanten Touren und einem Exot aus Osteuropa. Leider war Poltava gleich das erste Auswärtsspiel und da ich am 1.September eine neue Stelle annahm (ganz ohne Arbeit ist Europapokal natürlich finanziell schwierig zu realisieren), musste ich hier passen. Doch für Liège (Lüttich) und Kopenhagen ließen sich dann trotz Probezeit beim neuen Arbeitgeber ein paar freie Tage aushandeln.

Seitliche Ansicht der Kathedrale

Na ja, zurück in die Gegenwart. Als Star Wars Nerds besuchten wir nach dem Mittagessen den prachtvollen Plaza de Espana. Dessen umschliessendes halbkreisförmiges Gebäude diente den Machern der Weltraum-Saga im Film als Palast von Naboo. Das ist auf jeden Fall ein beeindruckendes Bauwerk, mit zahlreichen bunten Kachelmosaiken (Azulejos) geschmückt, welches 1929 zur Iberoamerikanischen Ausstellung in Sevilla fertiggestellt wurde. Unweit vom Platz wurden viele weitere sehenswerte Gebäude / Pavillons für diese Ausstellung errichtet, die wir wieder mit dem Bus passierten. Ebenso streiften wir kurz darauf das Stadion von Real Betis, welches hoffentlich auch mal zu einem Spiel besucht werden kann.

Plaza de Espana

Den Nachmittag verbrachten wir anschliessend in Triana, wo wir es uns bei Tapas gut gehen ließen. Von dort ging’s zunächst mit dem Bus weiter zum Gelände der Expo 1992, dem Kloster La Cartuja (in dem Kolumbus lebte) und der Cruzcampo Brauerei, deren Bier wir auf diesem Trip sehr zu schätzen lernten. Die große Touri-Tour endete abends am Wasser beim Torre del Oro. Sevillas Goldturm, wo es sich in der Abendsonne herrlich verweilen ließ und wir auch die anderen Recken der Reisegruppe Hildesheim wiedertrafen. Die hatten gerade eine wagenradgroße Pizza verspeist und mussten auch erstmal ruhen. Ihr Tag mit einer ausufernden Pool-Party auf dem Dach eines Hotels klang ebenfalls sehr gelungen, auch wenn sie meiner Meinung nach die Schönheit der Stadt zu wenig gewürdigt hatten.

Torre del Oro

Als die Dunkelheit einsetzte, ging es noch auf ein paar Biere zur Kathedrale, wo sich diverse Hannoveraner versammelt hatten, die heute noch nicht abgereist waren. Wir feierten eine kleine Abschlussparty, ehe am nächsten Morgen unser Flieger nach Eindhoven abhob. In Eindhoven war auch noch ein größeres Zeitpolster vorhanden, bis uns ein ICE nach Deutschland bringen sollte. Das nutzten wir für einen Stadtbummel. Besonders schön ist Eindhoven zwar nicht, aber es gab jede Menge frittiertes Zeug wie Gulasch- und Käsekroketten, was unser kulinarisches Herz höher schlagen ließ.

Healthy Food in the Netherlands

Am frühen Nachmittag bestieg unsere Reisegruppe schließlich einen ICE in Richtung Deutschland. Dort war der niederländische Schaffner sehr besorgt ob der vielen von der Feierei der letzten Tage gezeichneten Menschen. Besonders der blasse InterCityBerger sorgte ihn. „Was ist mit eure Freund? Is der dood?„, fragte er den munteren Teil der Gruppe. „Ach nein, das ist nur Alfonso, der schläft ganz friedlich.“, entgegneten wir. In Essen beim Umstieg zückte Kniescheiben-Taylor dann nochmal sein Portemonnaie für eine Palette Bier. Der Mann hatte jetzt vier Tage mutmaßlich nichts gegessen und nichts Alkoholfreies getrunken, aber er hatte noch lange nicht genug. Was für ein Tier!

Pool Party

Die Sektion Suff um Kniescheiben-Taylor herum, hatte ja wie bereits erwähnt am Vortag nicht das gleiche Touri-Programm wie Sektion Seriös abgespult, sondern feierte eine alkoholreiche Poolparty auf der Dachterasse eines Hotels mit zahlreichen Hannoveranern. Ich wünschte ich wäre auch nochmal so jung und feierwütig. Aber egal wer wie anreiste und wer wie auch immer sein Programm außerhalb des Stadions gestaltete, dieser Trip wird für alle für immer unvergessen bleiben und machte Lust auf noch viel mehr davon. Vorwärts nach weit!

Song of the Tour: Eine großartige britische Band mit einem Song über den spanischen Bürgerkrieg und songtextlichen Bezügen zu Andalusien, da diese Region damals als erstes von den Faschos erobert wurde.