Ostwestfalen 05/2011

  • 27.05.2011
  • VfB Fichte Bielefeld – FC Gütersloh 2000 1:1
  • Westfalenliga 1 (VI)
  • Stadion Rußheide (Att: 150)

Ende Mai 2011 hospitierte ich bei einem Partnerunternehmen meines Arbeitgebers im ostwestfälischen Verl. Derlei Geschäftsreisen gehören auf jeden Fall zu den schönsten Dingen meines Jobs, da meine Firma natürlich ICE-Tickets und eine gute Hotelunterkunft, sowie eine Verpflegungspauschale stellt. Außerdem habe ich eine nette Abwechslung zum normalen Bürotrott, qualifiziere mich weiter und sehe nebenbei noch was von der Welt. Wobei letztere Formulierung natürlich für das beschauliche Verl sehr hochgegriffen ist. Verl war mir bisher nur durch den SC Verl bekannt. Die sind spätestens seit den frühen 1990er Jahren eine feste Größe im höherklassigen Amateurfußball und der aktuelle Trainer des VfV Hildesheim, Andreas Golombek, spielte 1993/94 für sie. Und auch Ansgar Brinkmann kickte schon mal ’ne Saison für den SC Verl. Weil der hat ja schon für jeden Verein in der Region gespielt.

Beschauliches Verl

Als erstes fiel mir sogleich auf, dass die 25.000-Einwohner-Stadt nicht wirklich städtisch ist, sondern aus im Wesentlichen fünf Dörfern und vielen kleinen Siedlungen bestand. Ca. 11.000 Menschen sollen im eigentlichen Verl leben, wo auch mein Hotel war und das Gros des lokalen Einzelhandels und der Gastronomie beheimatet ist. 14.000 weitere Einwohner verteilen sich dann großflächig um den Kernort herum. Gearbeitet habe ich in einem Gewerbegebiet zwischen den südlichen Stadtteilen Bornholte-Bahnhof und Kaunitz. Und auch wenn ersterer Stadtteil den Namen natürlich durch einen dort ansässigen Bahnhof bekommen hat (und auch Kaunitz, Varensell und Verl noch Bahnhöfe haben und ebenso Schienen verlegt sind), gibt es leider keinen Schienenpersonenverkehr mehr in Verl. Ich musste also von Gütersloh Regionalbus fahren und Auswärtsfahrer zum SC Verl stehen vor dem selben Problem, wenn sie mit Öffis anreisen wollen.

Stadion an der Poststraße in Verl

Innerhalb der Gemeinde fand ich meinen Arbeitsort auch schlecht angeschlossen, so dass ich über durchgehend gutes Frühsommer-Wetter froh war. Bei diesen Wetterbedingungen legte ich in der Regel die 5 km vom Hotel zur Firma per pedes zurück. Morgens auf dem kürzesten Weg, vorwiegend über Feldwege, und nachmittags ging ich meist Umwege, um mir ein umfassendes Bild von der Gegend zu machen (ich wandere bekanntlich höchstgerne durch die Landschaft). Dabei fielen teilweise auch sehr große und noble Anwesen ins Auge. Verl ist eine der reichsten Gemeinden Deutschlands. Es gibt mit Nobilia, Teckentrup, Heroal und der Beckhoff-Gruppe richtig große Arbeitgeber und dazu einen sehr starken Mittelstand. Verl ist schuldenfrei, die Gewerbesteuern fließen üppig und die Arbeitslosigkeit tendiert gen Null. Im eh schon wirtschaftlich starken Ostwestfalen ist Verl nochmal einen Tick wohlhabender als der Rest.

Alter Dorfkern Verl

Wer keine Schulden und pralles Stadtsäckel hat, putzt natürlich auch seine Gemeinde heraus. Und so machte die ganze Stadt einen gepflegten Eindruck. Der kleine historische Ortskern in Verl um die Sankt-Anna-Kirche gefiel mir dabei besonders gut. Von dort war es auch nur ein Steinwurf zum Stadion an der Poststraße, der Heimat des SC Verl. Leider hatten die Schwarz-Weißen kein Heimspiel während meines zweiwöchigen Aufenthalts, aber das kleine Stadion besichtigte ich natürlich trotzdem und verbrachte ansonsten die Freizeit in Gesellschaft von in der Region lebenden Bekannten, die es u. a. dank der Kontakte zur Bielefelder Fanszene gibt.

Crüwellhaus Bielefeld

Gerade in Bielefeld lockte zum einen der Leinewebermarkt und zum anderen ein halbwegs interessantes Fußballspiel. Der VfB Fichte Bielefeld empfing am Freitag den 27.05.2011 den FC Gütersloh in der sechstklassigen Westfalenliga. Also machte ich mir nach Feierabend einen netten Nachmittag in Bielefeld. Bielefeld hat zweifellos seine schönen Ecken. Ich spazierte mal wieder über den Klosterplatz, die Obernstraße und den Alten Markt und anschließend ging es zur Sparrenburg rauf. Die mitteralterliche Burg der Grafen von Ravensberg wurde ab ca. 1250 auf einen Ausläufer des Teutoburger Walds gebaut und in der frühen Neuzeit zur zeitgemäßen Festung ausgebaut. Als Wahrzeichen thront sie noch heute über Bielefelds Innenstadt und ist ein beliebtes Ausfliegsziel.

Die Sparrenburg

Von der Sparrenburg ging es die ca. 3 km zum Stadion Rußheide vorwiegend durch Grünanlagen entlang der Ravensberger Straße. Die Heimat des VfB Fichte Bielefeld verfügt über 12.000 Zuschauerplätze. Knapp 2.000 Plätze sind davon überdachte Sitzplätze, der Rest sind unüberdachte Stehplätze. Das 1968 eröffnete Stadion sieht so aus, wie man sich ein Mehrzweckstadion aus dieser Zeit vorstellt.

Haupttribüne Rußheide

Seit 1970 spielten beide Vorgängervereine des VfB Fichte (der VfB 03 und die SpVgg Fichte) in dem Stadion ihre Heimspiele. Logisch, dass auch das Fusionergebnis von 1999 der traditionellen Heimstätte treu blieb. Und auch der große DSC Arminia nutze 79/80 die Rußheide für seine Heimspiele, weil die Alm damals renoviert wurde. Die Spiele der Arminen in der 2.Bundesliga Nord dürften seinerzeit wahrscheinlich deutlich mehr Menschen als die heutigen ca. 150 Zuschauer besucht haben. Es war der letzte Spieltag, der Eintritt war frei, aber der VfB Fichte auch bereits abgestiegen. Auf den unglücklichen Saisonverlauf wies der Stadionsprecher bei der Verabschiedung einiger Spieler nochmals hin.

Weitläufige Kurven

In der Hinrunde gab es nur zwei Punkte zu bejubeln, aber unter dem neuen Trainer Jan Barkowski gelangen in der Rückrunde noch sensationelle 22 weitere Punkte. Dennoch hat es nicht gereicht und man geht als Drittletzter in die Landesliga runter. Auch der Fanblock von Fichte würdigte die jüngsten Leistungen mit dem Spruchband „Rückrunde gerockt – Danke Trainer“. Überhaupt war das ein recht sangesfreudiges Völkchen. Halt so die Alternativen / Linken, die sich beim Nr.1-Club der Stadt nicht ausreichend selbstverwirklichen können (kennt man ja aus fast jeder größeren Stadt). Hier konnten sie sich mit ihrer spannenden optischen Mischung aus Union Jack, Nordkorea-Flagge, Roter Stern und Davidstern austoben. Und natürlich mittels ihrer Gesänge, die mal stumpf-witzig waren wie „Fichte! Tanne! Nadelwald!“ oder mal politisch wie „Bandiera Rossa“.

Haupttribüne en detail

Gütersloh hatte auch so 10 Fans (und 4 Zaunfahnen) dabei, aber die Gäste schwiegen eigentlich das ganze Spiel über. Ihr Verein konnte heute mit einem Sieg noch Dritter werden, aber die Aufstiegsträume waren bereits ausgeträumt. Die goldenen Zeiten im reichen Gütersloh, als sich Mäzene und der Konzern Bertelsmann beim FCG engagierten und der Club Mitte der 1990er Jahre ans Tor zur Bundesliga klopfte, sind schon lange vorbei. 2000 gingen vorerst die Lichter aus und der heutige Verein FC Gütersloh 2000 wurde gegründet und mit einem der hässlichsten Vereinswappen Deutschlands und der unschönen Farbkombi blau-grün-weiß ausgestattet. Durch eine Satzungslücke des Verbands konnte der FCG-Erbe zwar gleich in der viertklassigen Oberliga Westfalen starten, aber die letzten Jahre wurde man in die 6.Liga durchgereicht. Das kostet natürlich Fansubstanz.

Altstadt Gütersloh

Und am heutigen Abend hatten die Gütersloher auch erstmal nichts zu lachen. Fichte konnte in der 30.Minute in Führung gehen, was die Mannen von Coach Dirk Flock (ehemaliger Profi bei u. a. Lautern, Werder und dem FC Gütersloh) erst in der zweiten Halbzeit ausgleichen konnten. Mit dem einen Punkt beenden sie das Jahr nun als Sechster und fliegen Montag nach Mallorca, um die passable Saison dort ausgiebig zu feiern. Ich machte mich mit einem Herforder to go aus dem Vereinsheim direkt nach Abpfiff auf den Weg zum Bielefelder Hbf und verbrachte das Restwochenende daheim.

Traditionelles Westfälisches Fachwerk

In meiner zweiten Woche in Ostwestfalen, rollte leider nirgends mehr der Ball, so dass ich mich in Verl begann zu langweilen und nochmal ins benachbarte Gütersloh fuhr. Fußball hatte ich dort schon ein paar Mal im Heidewaldstadion gesehen, aber die Innenstadt kannte ich noch gar nicht. Die war schöner als gedacht. Der so genannte Kirchring um die Apostelkirche ließ mein Herz für Fachwerk höher schlagen. Und auch moderne Profanbauten wie das Stadttheater waren architektonisch interessant. Nichtsdestotrotz war ich froh, dass mein kleines Work & Travel nur zwei Wochen gegangen ist. Eine dritte Woche hätte ich mir in Verl und Umgebung (gerade nach Saisonende) wohl kein interessantes Freizeitprogramm mehr zusammengeklaubt.

Song of the Tour: Ein Bielefelder Barde, der dem besten Wochentag Samstag huldigt. Da ich in Ostwestfalen zu Arbeitszwecken war, habe ich mich natürlich auch wie jeder andere „Held der Arbeit“ auf den Samstag gefreut.