London 12/2023 (I)

  • 26.12.2023
  • Leyton Orient FC – Charlton Athletic FC 1:0
  • League One (III)
  • Brisbane Road (Att: 8.743)

Nachdem ich die letzten Jahre beruflich zwischen Weihnachten und Silvester immer voll eingespannt war, wurde mir dieses Jahr relativ kurzfristig offeriert, dass ich meine beiden letzten Urlaubstage des Jahres 2023 ruhig am 27. und 28.Dezember nehmen könnte, während sich der 29.Dezember ideal zum Abbau der letzten Überstunden anbot. Da im Hause Snepanović wiederum nur Heiligabend und Weihnachtstag Nr. 1 für familiäre Feierlichkeiten vorgesehen waren, drängte sich ein anschließender Trip nach London regelrecht auf. Denn in Europas Fußballhauptstadt sollte bis zum Jahreswechsel noch jeden Tag der Ball rollen.

Mein Zimmer in Düsseldorf

Zwar sollte der Direktflug ab Hannover mit British Airways am Morgen des 2.Weihnachtsfeiertags mittlerweile 300 € kosten, aber mein Meilenkonto ließ alternativ einen Freiflug mit Eurowings ab Düsseldorf zu (Restsumme für Steuern, Gebühren und CO2-Kompensation: 42,63 €). Um diesen Flug entspannt antreten zu können, stieg ich nach zwei geselligen Schlemmertagen am Abend des 1.Weihnachtstags in Hannover in einen ICE. Für faire 11,15 € sollte mich die DB um 18:32 Uhr zum Düsseldorfer Airport transportieren, wo ich mir wiederum mit gesammelten Bonuspunkten eine sozusagen kostenneutrale Nacht im Ibis Düsseldorf Flughafen (***) gebucht hatte.

Eine von diesen Maschinen sollte es werden

In jenes Hotel wollte ich eigentlich um 21 Uhr einchecken, aber eine Bombendrohung am Bielefelder Hauptbahnhof hatte eine Umleitung über Münster und damit auch eine 96 Minuten spätere Ankunft in Düsseldorf erzwungen. Immerhin reichte es dennoch zu knapp 6,5 Stunden Nachtruhe, ehe es am 2.Weihnachtstag um 5:00 Uhr aus den Federn ging. Zwei Stunden später war ich in der Luft und dank der Zeitumstellung landete der Flieger bereits um 7:25 Uhr Ortszeit in Heathrow. Nachdem nochmal fast eine Stunde für den Weg vom Gate zum Ausgang aufgewendet musste (dabei ging der Großteil der Zeit natürlich an der Passkontrolle drauf), stieg ich gegen 8:30 Uhr in einen Superloop* nach Sutton.

Anflug auf London

Ich hatte mich für fünf Nächte à durchschnittlich 67 € (inklusive Frühstück) im Premier Inn Sutton (***) eingebucht. Jene Unterkunft am südwestlichen Rand der britischen Kapitale war einerseits deutlich günstiger als vergleichbare Hotels im Zentrum. Andererseits reizte mich aber auch das dortige Vorstadt- bzw. Kleinstadtflair. Mit Freunden fand ich es immer am sinnvollsten möglichst zentral zu hausen, aber alleine durfte es ruhig mal eine ruhigere Ecke der Metropole sein. Zumal Sutton dank Superloop* gut und unschlagbar günstig an Heathrow angebunden ist und die vier ursprünglich angedachten Grounds von Wimbledon, Chelsea, Millwall und Palace aus Sutton mindestens genauso schnell wie aus dem Zentrum erreichbar waren (eher sogar schneller).

Die zwischen 1862 und 1864 in Sutton errichtete neogotische St Nicholas Church

Nachdem in Sutton schon mal mein Gepäck im Hotel deponiert wurde, machte ich einen ersten Erkundungsspaziergang durch die Gemeinde. Sutton (ca. 42.000 Einwohner) ist der zentrale und namensgebende Teil des Stadtbezirks London Borough of Sutton, in jenem insgesamt über 200.000 Menschen leben. Bereits im Domesday Book von 1086 findet Sutton mit zwei Kirchen, 30 Häusern und 200 Bewohnern Erwähnung. An der alten Landstraße von London nach Brighton gelegen, die sich hier wiederum mit der Straße von Epsom nach Croydon kreuzt, war Sutton bis in die Neuzeit ein kleiner Marktflecken mit ein paar Gasthöfen und einer Poststation.

Bankgebäude an der historisch wichtigen Kreuzung im Herzen Suttons

Als Sutton 1847 per Bahn an Londons Zentrum angebunden wurde, begann es sich zu einer richtigen Stadt zu entwickeln, deren Einwohnerzahl rasch fünfstellig wurde. Neue Wohn- und Gewerbegebiete entstanden rund um den alten Ortskern und 1901 ermittelte der Zensus bereits 17.223 Einwohner. 1965 wurde Sutton schließlich auch administrativ ein Teil Londons und bildet seitdem mit u. a. Beddington, Carshalton und Cheam den bereits erwähnten London Borough of Sutton.

Suttons lokaler Wetherspoon’s

Gegen 10 Uhr hatte ich erstmal genug von Sutton gesehen und suchte den hiesigen Wetherspoon’s namens The Moon on the Hill zwecks Frühstück auf. Da die klassischen Würstchen bereits aus waren, wurde mal wieder zur vegetarischen Variante mit Würstchen aus Quorn gegriffen (geht geschmacklich auch klar). Zusammen mit Cappuccino (free refill) kostete jenes Large vegetarian breakfast £ 8.39 (9,70 €).

Das erste Frühstück des Urlaubs

Bei einem zweiten Heißgetränk wurde anschließend nochmal das Programm der nächsten Tage durchgegangen, respektive geändert und optimiert. Heute war eigentlich das Duell zwischen dem AFC Wimbledon und Sutton United auf meiner Liste gewesen, aber kurzfristig hatte ich doch mehr Bock auf Leyton Orient vs. Charlton Athletic. Leyton war zwar nicht wie Wimbledon gleich um die Ecke, aber ich hatte die Fans von Charlton Athletic noch in guter Erinnerung von ihrem Heimspiel gegen Walsall am Neujahrstag 2019 (siehe London 01/2019). Außerdem reizte mich Leytons Brisbane Road etwas mehr als Wimbledons Plough Lane.

Unterwegs auf Leytons High Road

Weil in Leyton bereits um 13 Uhr statt 15 Uhr angepfiffen werden sollte, stieg ich 10:51 Uhr neben dem Pub in einen Bus. Dieser transportierte mich zielsicher zur nächstgelegenen Underground Station namens Morden. Insgesamt war ich bis Leyton 69 Minuten unterwegs, so dass ich mir vor Spielbeginn noch einen gemütlichen Spaziergang in diesem Teil Londons erlauben konnte. An der High Road herrschte buntes Treiben und zugleich fielen dort mit der 1882 eröffneten Leyton Library und der 1896 eröffneten Town Hall zwei Grade II Listed buildings ins Auge.

Leytons Town Hall

Außerdem findet man im Herzen Leytons die Coronation Gardens. Ein schöner Park, der 1902 anlässlich der Krönung von King Edward VII (Eduard VII.) gestiftet wurde (übrigens der der erste britische Herrscher aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha). Die Parkanlage umfasst u. a. einen Brunnen, ein Kriegsdenkmal, einen Musikpavillon, ein Labyrinth und eine Statue des englischen Ex-Nationalspielers Laurie Cunningham. Der hatte seine Fußballkarriere 1974 in Leyton begonnen und sollte in den 1980er Jahren u. a. noch für Real Madrid, Olympique Marseille und Rayo Vallecano den linken Flügel beackern.

Statue von Laurie Cunningham in den Coronation Gardens

Am Ende der Coronation Gardens erwartete mich nun das bereits ab den 1890er Jahren als Sportstätte genutzte Gelände an der Brisbane Road. Seit 1937 ist das dortige Stadion die Heimat des 1881 gegründeten Leyton Orient FC und fasst aktuell auf vier baulich unterschiedlichen Tribünen bis zu 9.271 Zuschauer. Als größter sportlicher Erfolg der Hausherren gilt eine Saison in der damals erstklassigen First Division 1962/63. Ansonsten musste das 1905 in die Football League aufgenommene Orient größtenteils in der dritten oder vierten Ligastufe Englands mittun. Just diesen Sommer war man als Meister mal wieder aus der viertklassigen League Two in die drittklassige League One aufgestiegen.

Zwei Wyvern sind Wappentiere und zugleich Maskottchen des Leyton Orient FC

Bei seiner Reise durch die englische Ligapyramide scheint der Club nie so richtig angeeckt zu sein. Jedenfalls gilt Leyton Orient als der am wenigstens verhasste Fußballclub in England. Einige Fans von den großen Londoner Stadtrivalen neigen sogar dazu Leyton als ihren Zweitverein zu bezeichnen und gönnen denen grundsätzlich alles Gute dieser Welt. Auch der Anhang von Charlton Athletic hegt keine wirkliche Antipathie gegenüber Orient, ein bisschen gegenseitiges Foppen war aber dennoch drin. Ist schließlich zur Zeit das einzige Londoner Stadtderby in der League One.

Vor’m Anpfiff war noch ein Fototermin im Mittelkreis angesetzt

Insgesamt war die Stimmung jedoch zunächst mau. Im restlos ausgelasteten Gästeblock – ca. 1.200 Lads aus Londons Südosten waren in den Nordosten der Metropole mitgereist – wurde kaum ein Chant angestimmt und Leytons Singing Area hinter’m Tor legte auch nur bescheidene Aktivität an den Tag. In diesem Land ist die Stimmung bekanntlich gerne abhängig vom Spielgeschehen und im ersten Durchgang konnte der dargebotene Grottenkick kaum für Emotionen sorgen. Das war 45 Minuten von beiden Teams so gut wie nichts und folgerichtig ging das Duell des Sechzehnten (Leyton) mit dem Elften (Charlton) torlos in die Pause.

Der Gästesektor am heutigen Nachmittag

Nach dem Seitenwechsel wurden Spiel und Atmosphäre jedoch bedeutend besser. Orient kam motiviert aus der Kabine und drängte fortan auf die Führung. Die war längst überfällig, als Omar Beckles sie in der 80.Minute endlich besorgte. Danach blieb Orient am Drücker und hatte auch in den letzten zehn Minuten noch beste Möglichkeiten die Führung auszubauen. Aber es blieb beim 1:0, womit der nach der Reederei Orient Shipping Line benannte Club aus Leyton drei Plätze in der Tabelle klettern darf (nun 13.). Charlton Athletic, für die mit dieser Auswärtsniederlage am Boxing Day zugleich eine Serie von acht ungeschlagenen Spielen endet, rutscht dagegen einen Platz tiefer im Tableau (12.).

Torjubel vor dem Home End

Nach Abpfiff knipste ich noch zwei, drei Erinnerungsfotos vom Ground (der Eintritt für einen Platz auf der Haupttribüne hatte übrigens £ 29, respektive 34 € betragen). Dann schlenderte ich langsam wieder zur Bahnstation. Etwas wirklich Sinnvolles war mir für die Gestaltung des Restnachmittags nicht mehr eingefallen. Also nahm ich nochmal eine andere Route zurück zur Tube und erfreute mich an den zahlreichen viktorianischen Reihenhäusern (spätes 19.Jahrhundert) in Leyton.

Die Haupttribüne nach Abpfiff

16:02 Uhr nahm ich wieder Kurs auf Sutton und nach einem kleinen Schaufensterbummel auf der hiesigen High Street kehrte ich gegen 18 Uhr erneut im örtlichen Wetherspoon’s ein. Beef Madras (Rindfleisch in scharfer Curry-Kokos-Sauce) kostete hier inklusive einem Pint Worthington’s Creamflow £ 7.79 (9,15 €). Fairer Deal in Sachen Abendessen! Transport for London buchte mir derweil noch £ 11.65 (13,50 €) für die heutigen Bus- und Bahnfahrten von Kreditkarte ab. Auch fair.

Beef Madras

Am nächsten Morgen wurde erstmals das reichhaltige Frühstücksangebot des Premier Inn genossen. Leider war das Wetter heute nicht so schön wie am Vortag. Graue Wolken, viel Niederschlag und ein garstiger Wind erwarteten mich vor der Hoteltür. Ich wollte nun eigentlich nach Kensington ins Victoria & Albert Museum fahren. Aber da man dort offenbar keine Tickets bzw. Time Slots im Voraus buchen kann, hatte ich Bedenken, dass ich dort ewig anstehen muss. Immerhin war bei anderen großen Museen der Stadt in diesem Jahr kaum noch ein Time Slot buchbar und warum soll der Andrang ausgerechnet bei diesem Museum bescheidener ausfallen? Fußballspiele waren nachmittags auch keine angesetzt, so dass ich spaßeshalber mal nach Tickets für die PDC World Darts Championship Ausschau hielt. Zwar hatte ich dieses Sportevent der Spitzenklasse erst für den Folgetag ins Auge gefasst, aber die heutige Nachmittagssession hatte ebenfalls vielversprechende Duelle parat.

Das Premierenfrühstück im Premier Inn

Tatsächlich gab es noch ein Zweitmarktticket für £ 70 (ca. 80 €), was ich für ca. vier Stunden Sport und Spaß bereit war zu investieren. Da alle anderen offerierten Tickets erst ab £ 100 aufwärts angeboten wurden, hatte ich gar das Gefühl ein richtiges Schnäppchen gemacht zu haben. Freudig ging es per Tube vom Süden in den Norden der Metropole. Von der nächstgelegenen Bahnstation Wood Green war nun noch ein ein durchaus knackiger Anstieg zum Alexandra Palace zu meistern. Dieser 1873 eröffnete Veranstaltungsort liegt so exponiert, dass die BBC hier seit 1935 einen Sendemast betreibt und zwischenzeitlich auch Studios im Alexandra Palace unterhielt.

Welcome to Ally Pally

Eines der wichtigsten Events im vom Volksmund liebevoll Ally Pally getauften Veranstaltungspalast ist zweifellos die PDC World Darts Championship. Sie wird jährlich von Mitte Dezember bis Anfang Januar ausgetragen und erfreut sich seit einigen Jahren auch steigender Beliebtheit in Deutschland. Vor Weihnachten hielt sich die Kartoffelinvasion noch in Grenzen, aber mittlerweile dürften an die 50 % der Zuschauer einen deutschen Pass gehabt haben. Da in der heutigen Nachmittagssession die deutschen Hoffnungsträger Martin Schindler und Gabriel Clemens ihre Matches der 3.Runde austragen sollten, war der deutsche Mob natürlich besonders on fire.

Ein Mann, ein Wort

Gesänge wie „Ohne Deutschland wär‘ hier gar nichts los“, „Heimspiel in England, wir haben Heimspiel in England“ und „Hurra, Hurra, die Deutschen, die sind da“ gehören meiner Meinung nach allerdings ins Fußballstadion und nicht zum Darts. Ich verfolge das professionelle Darts nun mittlerweile seit gut 15 Jahren und früher kam am TV immer das gemeinsame Feiern einer großen Party rüber. Seit die Deutschen in Scharen in den Ally Pally strömen, scheinen die aber lieber ihre eigene Party feiern zu wollen.

Zwischen den Matches ging die Party im Foyer weiter

Doch auch die englischen Sportsfreunde schalteten schnell auf nationalen Modus. „En-ge-land, En-ge-land, En-ge-land…“ und „The Germans got battered, everywhere they go…“ waren u. a. ihre Repliken auf die Gesängen der schwarz-rot-geilen Meute. Ich hatte unterdessen Touristen aus den USA (Bruder + Schwester) und aus Österreich (Mutter + Tochter) als Sitznachbarn. Man kam schnell ins Gespräch, holte abwechselnd ’ne Runde Bier (2 l à £ 29) und tauschte sich über London, England und Darts aus. Insbesondere die beiden Besucher aus den USA hatten bisher null Bezug zum Darts, aber bei der Suche nach Sportveranstaltungen während ihres Aufenthalts waren sie auf die PDC World Darts Championship gestoßen und bereuten den Besuch nicht. Nur das von ihnen so sehr ersehnte Nine-dart finish sollte ihnen und dem Rest der Halle leider versagt bleiben.

Mein POV

Dafür war insbesondere das Duell zwischen Scott Williams und Martin Schindler herrlich spannend. Schlussendlich setzte sich der Engländer knapp mit 4:3 gegen den Deutschen durch und war davon so euphorisiert, dass er im anschließenden Interview unbedingt nochmal die Gewinne von zwei Weltkriegen und einer Weltmeisterschaft erwähnen musste. Das nächste englisch-deutsche Kräftemessen zwischen Dave Chisnall und Gabriel Clemens war anschließend weit weniger hitzig. Wahrscheinlich einerseits, weil Chisnall das englische Publikum nicht so anheizte wie Williams im Match zuvor. Andererseits, weil der letztjährige WM-Halbfinalist aus dem Saarland zunächst überhaupt keinen Stich sah und Chizzy die ersten drei Sätze allesamt für sich entscheiden konnte. Am Ende setzte sich der Engländer souverän mit 4:1 durch.

Walk on von Rob Cross

Die dritte und letzte Begegnung dieses Nachmittags sollte wieder etwas mehr Spannung bieten. Ex-Weltmeister Rob Cross fand gut ins Match, aber Jeffrey de Graaf verkürzte zwischenzeitlich auf 3:2 und konnte zunächst auch im sechsten Satz das erste Leg für sich entscheiden. Danach ließ Voltage jedoch wieder seine Klasse aufblitzen und machte den sechsten zum letzten Satz. Mit 4:2 musste sich der mittlerweile für Schweden antretende Niederländer gegen den Engländer geschlagen geben.

Abschied vom Ally Pally

Nach der Session machte ich noch einen Abstecher zum nahen Pub Spouter’s Corner, wo eine Reisegruppe um Tourischweine-Lennart sich auf die heutige Abendsession einstimmte. Am nächsten Tag hatten wir nebenbei alle Tickets für die Abendsession, so dass wir natürlich gemeinsam anreisen und zechen würden. Heute ging es für mich dagegen schon bald weiter zur Stamford Bridge, um den Chelsea FC gegen den Crystal Palace FC reüssieren zu sehen. Aber das ist ein anderes Thema, bzw. wird ein eigener Bericht.

Song of the Tour: Late 70s Punk from Leyton

*Superloop sind neue Expressbuslinien, die seit Sommer 2023 ringförmig die äußeren Bezirke Londons verbinden. Kosten wie jeder andere ÖPNV-Bus in London gegenwärtig £ 1.75 (2 €).