Darmstadt 05/2015

  • 24.05.2015
  • SV Darmstadt 98 – FC St. Pauli 1:0
  • 2.Bundesliga (II)
  • Stadion am Böllenfalltor (Att: 16.150)

Der 23.Mai war wieder mal ein guter Tag für Hannover 96. Es stand wie schon 1954 und 1992 ein Endspiel für die Roten aus Niedersachsens Landeshauptstadt an und wieder wurde es siegreich bestritten. Diesmal ging es allerdings nicht um einen großen Titel wie die Deutsche Meisterschaft oder den DFB-Pokal, sondern schlicht um den Verbleib in Deutschlands höchster Spielklasse. Das war für mich der Grund mal ausnahmsweise das Niedersachsenstadion zu besuchen und live beim packenden Saisonfinale dabei zu sein. Feuerwehrmann Frontzeck und seine Mannen schlossen die Mission Klassenerhalt mit einem 2:1 gegen den SC Freiburg erfolgreich ab. Doch Lust diese Riege zu feiern hatte ich nicht und Kind muss natürlich weiterhin unbedingt weg! So verzog ich mich zügig nach Abpfiff in Richtung Heimat.

Am nächsten Morgen sollte schon gegen 8:30 Uhr ein ICE nach Südhessen rollen, ergo zahlte sich frühes zu Bett gehen am Folgetag aus. Ein Mitglied der Reisegruppe (ausgerechnet InterCityBerger) übertrieb dagegen das Feiern nach dem Freiburg-Spiel, so dass aus acht sieben Reisende wurden. Schade für Berger, aber wir passten nun wenigstens zu siebt in ein 6er-Abteil. Jedenfalls mit der Aufteilung vier schmale links und drei kräftige Typen rechts (ein weiterer Fettsack hätte das zunichte gemacht).

Eine Bahnfahrt die ist lustig

Mit belegten Brötchen, Dubliner Dunkelbier und guter Musik bahnten wir uns den Weg in den Süden. In Kassel bekamen wir dann überraschenden Besuch von der Bundespolizei. Das war seltsam, da unser Verhalten für unsere Verhältnisse sehr gesittet war. Aber die Beamten wollten uns auch nichts Böses, sondern wissen von welchem Verein wir eine Fangruppe sind und zu welchem Spiel wir fahren. Es ging ihnen darum den Kollegen in Frankfurt bzw. Darmstadt die Menge der Pauli-Fans in diesem ICE mitzuteilen, aber wir erhöhten die Summe nicht und lösten als vorgebliche Darmstadt-Anhänger aus Niedersachsen Verwunderung bei den Uniformierten aus. Nichtsdestotrotz wünschten sie uns eine angenehme Weiterfahrt und scannten bis Fulda den Rest des Zuges.

Weißer Turm

In Frankfurt sah man dann in der Tat einiges an braun-weißem Fanvolk aus unserem ICE aussteigen. Mit dem Regionalzug ging es wenig später weiter nach Darmstadt, wo wir bereits gegen 10:30 Uhr aufschlugen. Dort zog es uns zum Luisenplatz, an dem der offizielle Fanmarsch starten sollte. Allerdings erst in zwei Stunden, so dass natürlich bisher nur ein paar Kutten mit Pfungstädter Dosenbier dort lungerten. Wir ruhten kurz und verabredeten uns telefonisch mit unserem Ticketbeschaffer Sebbo am Marktplatz. Dort ist der vorzügliche Ratskeller und bei bei milden Temperaturen gelang es uns zum Glück noch einen Tisch draußen zu ergattern. Für das an alter Bausubstanz leider arme Darmstadt eine sehr schicke Location. So hat man auf der einen Seite das Schloss im Blick und auf der anderen das schöne alte Rathaus und den repräsentativen Turm der Stadtkirche im Hintergrund.

Marktplatz in DA

Wir verweilten unzählige Biere trinkend, mit ständig wechselnden Tischnachbarn (denn schon ab 12 Uhr wurde es brechend voll), für mehrere Stunden an diesem Ort. Außerdem bekamen wir hier unsere Tickets und gaben unser überschüssiges Ticket vom Langschläfer an eine andere hannoversche Reisegruppe weiter (von deren Anwesenheit ich bis dahin noch gar nichts wusste). Ferner lauschten wir Alberto Coluccis Spontanauftritt (den er aus einem Fenster im 1.Stock des Ratskellers gab) und schauten uns den vorbeiziehenden Darmstädter Fanmarsch an. Der war schon recht früh, aber gut, die Jungs hatten ja auch noch eine Choreo vorzubereiten.

Ein paar leckere Ratskeller

Unser Mob dagegen konnte einfach nicht von dem leckeren Gerstensaft der Hausbrauerei Ratskeller lassen. Erst eine Stunde vor Anpfiff brachen wir schweren Herzens zum Stadion auf, wo die Lilienschänke wie erwartet zum Bersten gefüllt war. Unsere Darmstädter Freunde und die anderen Hannoveraner hingen dementsprechend auch nicht dort rum, sondern beim Italiener Da Leo auf der Terrasse. Das ist die Vereinsgaststätte des TEC Darmstadt (übrigens der Tennisclub von Andrea Petkovic), deren Anlage Nachbar des SV Darmstadt 98 ist. Die Lage sorgte auch dafür, dass einige Fußballfans dort auf’s Dach kletterten, von wo das Bölle gut einsehbar ist. Wir hatten glücklicherweise die begehrten Zugangsberechtigungen zum Stadion und nutzten jene wenige Minuten vor Anpfiff. Überraschenderweise gab es an unserem Eingang keine Schlange. Die Darmstädter Fans waren also an ihrem großen Fußballtag mehrheitlich frühzeitig ins Stadion gegangen.

Die erste Alkoholleiche des Tages

Wir hatten Karten für die große Stehtribüne auf der Gegengerade, deren Ränge gut gefüllt, aber nicht übervoll waren. Vernünftig stehen, was vom Spielgeschehen sehen und zum Bierstand gehen war zum Glück problemlos möglich. Hier dröhnte nun Alberto Coluccis Vereinshymne erneut aus den Boxen und Tausende Fan-Kehlen stimmten mit ein. Als die Mannschaften aufliefen, präsentierte das Stadion derweil ein buntes Intro aus kleinen und großen Fahnen, Konfetti, Luftballons und Folienbahnen. Chaotisch, aber durchaus attraktiv. Und der Gästeblock fügte sich mit braunen und weißen Luftballons und vielen Schwenkfahnen ganz gut ins Gesamtbild ein.

Intro DA

Dann begann ein Spiel, in dem der Gast druckvoll begann. Die Hamburger Stadtteilkicker wussten, dass ein Sieg am Böllenfalltor den sicheren Klassenerhalt bedeuten würde und dementsprechend wollten sie diesen auch einfahren. Beflügelt von ihrem jüngsten 5:1 gegen Bochum, spielten die Paulianer mutig nach vorne. Aber Darmstadts Defensive war wieder einmal mehr Premium und nach einer Viertelstunde bekamen die Hausherren auch insgesamt das Spiel unter Kontrolle. Denn für sie war ebenfalls Angriff die beste Verteidigung. Um im Aufstiegskampf nicht von den Ergebnissen auf den anderen Plätzen abhängig zu sein (in diesem Fall der Karlsruher Wildpark und der Lauterer Betzenberg), wollten sie dieses Spiel unbedingt gewinnen.

Die Brownies

Beide Teams schafften bis zur Halbzeitpause den schwierigen Spagat zwischen mutigem Offensivspiel und stabiler Defensive. In der Pause werden sie wohl die Zwischenstände von den anderen Plätzen erfahren haben. Während es für die Norddeutschen im Abstiegskampf ganz gut aussah, führten Darmstadts Mitbewerber um den Aufstieg (KSC & 1.FCK) beide. Die Lilien legten entsprechend nochmal eine Schippe drauf und waren besonders bei Standards gefährlich. Folglich fiel das 1:0 in der 71.Minute auch durch einen sehenswerten Freistoß von Tobias Kempe aus 30 Metern. Der Jubel der bis dahin immer optimistisch gebliebenen Darmstadt-Fans war natürlich ekstatisch. Für die Schlussphase bauten die Lilien nun ganz auf ihre Defensivkünste und die Anhänger des SV Darmstadt 98 machten nochmal lautstark klar, dass aktuell auch der FC St. Pauli, trotz Rückstand, drin bleiben würde. Sowohl Aue (in Heidenheim) als auch 1860 (in Karlsruhe) lagen 2:0 zurück.

Das Bölle

Logischerweise wogen sich die kickenden Angestellten eines Hamburger Lifestyle & Fashion Labels nicht in dieser trügerischen Sicherheit und versuchten nochmal anzugreifen. Das war auch sinnvoll, da Aue in den letzten Minuten die zwei Tore Rückstand aufholen konnte und den Bergsachsen am Ende nur ein Tor zum Klassenerhalt fehlte. Der FCSP kam dagegen, trotz aller Bemühungen, nur noch zu ein, zwei Torschüssen. Ansonsten war immer kurz vor dem Strafraum ungewolltes Ende der Paulianer Angriffsbemühungen. Einfach schwer zu knacken, diese Därmstädter Defensive (nur 26 Gegentore in 34 Spielen und damit Ligaspitze!). Kurz vor Schlusspfiff drangen am Bölle die Endstände von den anderen Plätzen durch und die Darmstädter versuchten mittels Sankt-Pauli-Gesängen eine Verbrüderung mit den Fans des Kiezclubs. Also irgendwann ist ja auch mal gut mit der Fairness und Gastfreundlichkeit!

Blick zur Kurve

Beim für die Fans erlösenden Schlusspfiff gab es selbstredend kein Halten mehr auf den Rängen und in Windeseile entleerten sich die Blöcke in Richtung Spielfeld. Auch ich muss es nochmal ansprechen, was die Darmstädter da vollbracht haben war wirklich ein Fussballwunder! Klassenerhalt in der 3.Liga 2013 nur dank Offenbachs Lizenzentzug, dann der Überraschungsaufstieg 2015 mit diesen Wahnsinns-Relegationsspielen, denen ich Gott sei Dank auch live beiwohnen durfte. Nun direkter Aufsteiger in die 1.Bundesliga mit einem Haufen Nobodys und vermeintlich Gescheiterten. Ich weiß noch, wie ich nach dem guten Saisonstart mit meinem Darmstädter Ex-Mitbewohner witzelte; Einfach so machen wie letztes Jahr, mindestens bis März nur vom Klassenerhalt und einer Momentaufnahme reden, alles mit permanenten Hinweisen auf den Mini-Etat und die schlechte Infrastruktur garnieren, und am letzten Spieltag minimum auf Platz 3 einfahren. Hat ja wieder ganz gut geklappt. Die Qualifikation für die UEFA Champions League müsste eigentlich der logische nächste Schritt sein, während sich alle in der Bundesliga wundern, wieso sie gegen diese Restposten-Truppe nur 0:0 spielen oder 0:1 verlieren.

Pitch Invasion

Realistischer betrachtet war dieser Aufstieg immerhin die Garantie auch übernächste Saison noch in der 2.Bundesliga zu spielen, sozusagen der doppelte Klassenerhalt auf einmal. Aber in den letzten 30 Monaten habe ich dank der Lilien gemerkt, wie irre sogar Profifußball manchmal noch sein kann und das Dirk Schuster vielleicht einer der besten Trainer der Republik ist. Gerade auch weil diese Wahnsinnstruppe sich immer wieder füreinander zerreißt und nichts zu verlieren hat, bin ich mir sicher, in der 1.Bundesliga wird sich so mancher Gegner umgucken. Ob es für’s nächste Wunder reicht, wissen wir dann in einem Jahr. Aber solange die Darmstädter nicht abgeschlagen Letzter sind, muss man mit ihnen sicher bis zum Schluss rechnen.

Selfie Kingz

Hier und Heute war der Abstiegskampf in der 1.Bundesliga aber noch weit weg. Jetzt zählte nur das Feiern. Und während die Mannschaft erstmal in den abgerockten Katakomben des Bölle die Sau raus ließ, feierten die Fans fröhlich auf dem Rasen. Schockierenderweise gab es kein Freibier, sondern nur Pils zum Sonderpreis von 1,98 € (0,4 l). Bei aller Armut dort, war das für uns doch enttäuschend. Der Andrang an den Buden war allerdings so, als wäre das Siegerbierchen doch umsonst und nach gefühlten 18,98 Minuten meldeten alle Bierstände sold out. Der Tenor unserer Reisegruppe war nun „No Beer, No Party!“ und wir verließen das Nostalgiestadion am Böllenfalltor früher als die meisten anderen Besucher.

Gutes Bier gab es dann wieder in der Hausbrauerei Grohe, wo wir im Außenbereich noch einen Tisch bekamen. Dort beobachteten wir weitere Fraternisierungen zwischen norddeutschen Totenkopfschwadronen und südhessischen Lilienzüchtern. Sehr zum Ärger der kleinen Anti-Pauli-Fraktion in unserer Reisegruppe, die sich mehr und mehr in ihren Hass reinsteigerte und sich gar nicht mehr so recht für die Darmstädter freuen wollte. Als heimlicher Respektierer des so genannten Zeckenclubs und größter Freund der Lilien in unserer Runde, konnte ich mich da nicht so reinsteigern, aber die Pöbelsprüche gegen Darmstadt und Pauli in unserer Runde waren schon ganz witzig und natürlich auch nicht frei von Ironie.

Der Ratskeller

Für die große Sause in Darmstadts Innenstadt fehlte letztlich die Kraft, so dass wir, wie gebucht, einen der letzten ICE nach Hause nahmen und nicht durchmachten. Wäre sicher ein attraktiver Suff geworden und in so einer Aufstiegseuphorie findet man doch immer mal eine junge Dame mit Mitschlafgelegenheit, aber nun ja, die letzten 48 Stunden waren bei fast allen sehr schlafarm und alkoholreich. Dafür gab es jetzt eine schöne Bordbistroparty. Zunächst mit dem, was der Darmstädter Bahnhofsmarkt (wo jeder zeigen konnte, was er so kann) zu bieten hatte und später mit frisch gezapften Pils vom Personal. Als ich am Folgetag nachmittags aufwachte, lief gerade die offizielle Aufstiegsfeier der Lilien auf HR3. Sehr sympathisch, wie zugezecht diese Mannschaft doch wirkte und der erste Satz den ich vernahm, kam von Trainer Dirk Schuster. „Keine Ahnung, ich war voll“ war seine Antwort auf die Reporterfrage, wie lang es denn letzte Nacht noch ging.

Dann mal viel Erfolg in der 1.Bundesliga, SV Darmstadt 98!

Song of the Tour: Der Liliensong muss natürlich auch mal gewürdigt werden.