Edinburgh 07/2025 (I)

  • 09.07.2025
  • Hibernian FC – Rot-Weiss Essen 3:2
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  • Easter Road Stadium (Att: 12.622)

Am Mittwoch ging es nach dem Frühstück um 10:02 Uhr von Glasgow für £ 16.80 (ca. 19,90 €) return rüber nach Edinburgh. Nach 68 Minuten Fahrzeit erreichte ich den zentralen Bahnhof Waverley und machte mich von dort umgehend zu nahen Royal Mile auf. Denn jene zentrale Achse zwischen dem Edinburgh Castle und dem Holyrood Palace sollte heute mutmaßlich zur Fanmeile eines deutschen Fußballclubs werden.

Genießerfrühstück in Glasgow

Rot-Weiss Essen gastierte am Abend zu einem Freundschaftsspiel beim Hibernian FC und hatte für dieses Saisonvorbereitungsschmankerl über 2.000 Tickets für den Gästesektor des Easter Road Stadium absetzen können. Nach den müden Testkicks der letzte Tage schien diese Ansetzung fantechnisch echt etwas zu versprechen. Zumindest auf einer der vier Tribünen des Stadions.

Die Royal Mile am heutigen Vormittag

Mir bekannte Sängerknaben von der Essener Hafenstraße waren natürlich auch am Start, so dass man sich gleich mal zum Frühschoppen verabredete. Ich wurde im Pub Biddy Mulligans am Grassmarket erwartet, wo ich mir beim ersten von vielen je £ 6.50 (ca. 7,60 €) teuren Pints Innis & Gunn Lager vom wilden Vorabend erzählen ließ. Denn natürlich waren schon etliche Essener am Dienstag angereist und hatten den von zahlreichen Pubs gesäumten Grassmarket zur Rüttenscheider Straße Schottlands erklärt.

Trinken mit Essen

Ab 12 Uhr öffnete schließlich auch der Außenbereich unseres Pubs und bei praller Sonne wurde weiße zwangsläufig zu roter Haut. Essen wollte nun auch gleich was zum Mittag schmausen und ich empfahl die Hausspezialität Haggis. Mundete allen ganz vorzüglich und ich ärgerte mich, dass mein üppiges Frühstück erst drei Stunden her war. Sonst hätte ich natürlich ebenfalls beim schottischen Nationalgericht zugeschlagen.

Einfach mal fremdes Essen fotografieren

Derweil kam auch der Mob rund um die Gruppen Vandalz, Freaks und Rude Fans von der Royal Mile hinunter zum Grassmarket, da hier einfach der bessere Ort zum Einstimmen auf das Spiel war. Jetzt war der Platz endgültig in ein Meer aus rot und weiß getaucht und die Insassen der vorbeifahrenden Touribusse zückten stets die Smartphones oder Fotoapparate, um diese Szenerie visuell einzufangen.

Der Grassmarket ein Meer in rot und weiß

Auch erfreuten sich die von der aktiven Szene feilgebotenen Mottoartikel großer Beliebtheit. Für je 10 € waren eine Fahne mit einem weißen Andreaskreuz auf rotem Grund oder eine weiße Schiebermütze mit einem Stick dieser RWE-Version der schottischen Nationalflagge zu bekommen. Mit diesen Accessoires gab der zu 96 % in roter Oberbekleidung angetanzte Anhang ein noch einheitlicheres Bild ab.

Der rot-weiße Fanmarsch aus der Seemöwenperspektive

Damit noch weitere Teile der Stadt von der Anwesenheit der Essener Fanszene erfuhren, war am späten Nachmittag natürlich auch ein Fanmarsch vom Grassmarket zum ziemlich genau 3.333 m entfernten Easter Road Stadium obligatorisch. Als dieser sich so langsam abzeichnete, entfernte ich mich zu einem passenden Spot für schönes Bildmaterial des Spektakels.

Der Mob erreicht die Easter Road

16:30 Uhr setzte sich der Mob schließlich in Bewegung und durch die Häuserschluchten der Old Town schallten nun die Schlachtrufe des Deutschen Meisters von 1955. Inklusive des eigens für den heutigen Tag gedichteten Zweizeilers „Eines Tages, eines Tages, eines Tages wird’s gescheh’n. Und dann fahren wir nach Schottland, um den RWE zu seh’n“. Dem spontanen Publikumsinteresse nach zu urteilen, war jener eindrucksvolle Corteo für diesen Moment die größte Attraktion der Stadt.

Kurz vor’m Easter Road Stadium gönnt man sich nochmal eine lautstarke Marschpause

Auch abseits der Altstadt änderte sich das nicht wirklich. Wenngleich rund um die Easter Road nicht mehr Touristen aus aller Welt, sondern die Anhänger der Hibs die Smartphones zückten und oft auch Applaus für die Gäste aus dem Ruhrpott spendeten. Ich bin sicher, dass manche Einheimischen ihren Lokalmedien in den letzten Tagen Übertreibungen unterstellten, als diese über 2.000 anreisende Fans von einem deutschen Drittligisten angekündigt haben. Für ein Saisonvorbereitungsspiel unter der Woche wohlgemerkt.

Essen fotografieren

Doch auch wenn die Essener mehrfach mit einem Augenzwinkern von einem „Ganz normalen Mittwoch“ sangen. Einmal Essen international war eben für zahlreiche Fans des 1907 gegründeten Traditionsvereins ein großer Traum. Da es mit der Qualifikation für den internationalen Wettbewerb allerdings Jahr für Jahr nicht klappen will, muss es halt so ein Freundschaftsspiel in der Saisonvorbereitung sein. Erst recht, wenn der Spielort dazu noch touristisch* sehr reizvoll ist.

Er lebt es richtig

Selbst an einer Choreografie mangelte es seitens der Essener Fanszene nicht. Man hatte rote und weiße Aufblaselemente im Away End des 1893 eröffneten Stadions verteilt und ergänzte diese so genannten Folienstäbe beim Einlaufen der Mannschaften ferner mit einigen Fackeln. Dazu verkündeten die an den Brüstungen angebrachten Banderolen: „Rot-Weiss Essen international – Wie einst der Opa mit dir durch Europa“ (siehe Titelbild).

Ankunft am fünfgrößten Fußballstadion Schottlands (20.421 Plätze)

An diese Botschaft anknüpfend, will ich die historische Dimension der heutigen Ansetzung nicht länger außen vor lassen. Ein ganz profaner Sommervorbereitungskick, der über irgendwelche Trainingslager, Sponsoren oder Agenturen zustande kam, war es nämlich mitnichten. Es steckte große Fußballgeschichte dahinter, dass ausgerechnet dieses Jahr dieser Gast nach Edinburgh an die Easter Road eingeladen wurde.

Abendessen (Scotch Pie) in meiner Loge des kleinen Mannes

Denn der im August 1875 von irischstämmigen Gemeindemitgliedern der katholischen St Patrick’s Church in Edinburgh gegründete Hibernian Football Club ging in seine große Jubiläumssaison. So eine besondere Spielzeit braucht beim allerersten Auftritt auf heimischen Geläuf natürlich einen besonderen Gegner. Dass dieser ausgerechnet Rot-Weiss Essen hieß, lag wiederum an einem zweiten Jubiläum.

Pyrotechnik im Gästesektor

So ist einer der großen Meilensteine der 150jährigen Clubgeschichte, dass der Hibernian FC im Jahre 1955 der erste britische Europapokalteilnehmer war. In der Erstausgabe des von französischen Sportzeitung L’Équipe ersonnenen internationalen Wettbewerbs Coupe des clubs champions européens, der später zur UEFA Champions League werden sollte, trafen die Schotten dabei auf den amtierenden deutschen Meister Rot-Weiss Essen. Sie schlugen den RWE bereits im Hinspiel auf deutschem Boden mit 0:4, so dass ihnen ein 1:1 im Rückspiel an der Easter Road geschmeidig zum Weiterkommen genügte.

Eine historische Saison wird feierlich eröffnet

Das Easter Road Stadium soll übrigens ein wesentlicher Grund gewesen sein, warum die Hibs von der L’Équipe zum europäischen Meisterwettbewerb eingeladen wurden. Denn die schottische Meisterschaft hatte in der Saison 1954/55 der Aberdeen FC gewonnen, während der Hibernian FC gerade einmal Fünfter geworden war. Doch das Stadion an der Easter Road hatte seinerzeit als eine der ersten Sportanlagen in Schottland eine für Abendspiele unter der Woche unerlässliche Flutlichtanlage. Dass die Hibs außerdem 1948, 1951 und 1952 schottischer Meister geworden waren und seinerzeit Europa und sogar Südamerika für mehrere internationale Vergleiche bereisten (übrigens genau wie Rot-Weiss Essen**), war außerdem ein Faktor.

Die Essener hatten richtig Bock heute

Aus vielfältigen Gründen*** nahmen am ersten Coupe des clubs champions européens nur sechzehn Mannschaften teil (darunter acht europäische Landesmeister). Aber im dennoch sehr namhaften Teilnehmerfeld schalteten die Hibs nach Rot-Weiss Essen auch noch den amtierenden schwedischen Meister Djurgårdens IF aus. Erst im Halbfinale unterlag man dem französischen Landesmeister Stade de Reims, der wiederum im Endspiel gegen den spanischen Meister Real Madrid den Kürzeren zog. Nichtsdestotrotz blieb es aufgrund der sportlichen Übermacht einer gewissen Old Firm die einzige Teilnahme des Hibernian FC in Europas Königsklasse. In anderen europäischen Wettbewerben tauchte man die vergangenen 70 Jahre allerdings in schöner Regelmäßigkeit auf und nimmt auch diese Saison an der Qualifikation zur UEFA Europa League teil. Die erste Hürde heißt dabei in zwei Wochen FC Midtjylland.

Vielleicht die einzige Enttäuschung der Essener auf diesem Trip: Seit 1981 sind die schottischen Stadien leider alkoholfrei

Für Rot-Weiss Essen kamen seit 1955 hingegen keine weiteren europäischen Pflichtspiele hinzu. Denn bekanntermaßen überwogen bei den Bergeborbeckern in den letzten sieben Dekaden die Tiefen die Höhen deutlich. Zwischen 2008 und 2022 war man sportlich ja sogar in den Grenzen Nordrhein-Westfalens gefangen. Umso schöner, dass man sich jüngst in der 3. Liga etablieren konnte und parallel der Zuschauerzuspruch eine prächtige Entwicklung nahm. Ferner hätte der Hibernian FC wohl trotz aller Nostalgie keinen deutschen Viert- oder gar Fünftligisten für die Eröffnung der Jubiläumssaison angefragt.

Der East Stand an der Easter Road heisst jetzt Pat Stanton Stand

Übrigens nutzte der Jubilar den heutigen festlichen Rahmen auch gleich zur Würdigung einer großen Clublegende. So heisst die Gegengerade an der Easter Road fortan Pat Stanton Stand. Jener Pat Stanton, der zwischen 1963 und 1976 das smaragdgrüne Trikot mit den weißen Ärmeln in 617 Spielen getragen hat, überbrachte obendrein den Spielball, mit welchem zunächst nur eines der beiden Teams etwas anzufangen wusste. So sorgten Jamie McGrath (2.) und Junior Hoilett (14.) mit ihren Toren schnell für vermeintlich klare Verhältnisse. Anschließend lag das 3:0 mehrfach in der Luft, während der deutsche Drittligist der Musik lange hinterher laufen musste.

Die Haupttribüne applaudiert Pat Stanton

Aber die knapp 2.200 Essener unter den insgesamt 12.622 Zuschauern ließen sich davon nicht die Feierlaune vermiesen. Sie schmetterten einen Gassenhauer nach dem anderen und durften direkt nach dem Seitenwechsel sogar prompt den Anschlusstreffer bejubeln. Dominik Martinović (46.) brachte die nun auf allen elf Positionen veränderte Koschinat-Elf endlich ins Spiel. Und mehr noch; der deutsch-kroatische Stürmer besorgte wenige Minuten später sogar den Ausgleich (51.). Plötzlich war es nicht nur eine eindrucksvolle Fanparty auf den Rängen, sondern auch ein spannender Kick auf dem Rasen.

Der RWE-Anhang feiert den zwischenzeitlichen Ausgleich

Weil Martin Boyle (75.) nochmal für die Grün-Weißen traf und Torben Müsel kurz vor Abpfiff vom Elfmeterpunkt die Chance auf den neuerlichen Gleichstand nicht nutzen konnte, blieb eine sportliche Krönung der Schottlandreise jedoch aus. Aber ein Achtungserfolg war es allemal. Denn am Ende hatte die Mannschaft sich auf der ungewohnten internationalen Bühne teuer verkauft und der Anhang wurde mit Anerkennung regelrecht überschüttet.

Das große Erinnerungsfoto

So zog die siegreiche Heimmannschaft nach Abpfiff applaudierend vor die Gästetribüne, ehe sie ihre eigentliche Ehrenrunde drehte. Auch die Homepage der Hibs und viele schottische Zeitungen sparten anschließend nicht mit Lobeshymnen:

The visitors were backed by a huge, raucous support that packed out the lower tier of the South Stand in the Leith sunshine.

(Hibernian FC)

The visiting support, who arrived early and en masse at Easter Road, were loud, enthusiastic and relentless. Imagine what they’ll be like if/when Rot-Weiss return to a more deserving position in the Bundesliga pyramid.

(Edinburgh News)

The visitors packed out the lower tier of the South Stand and their presence known, chanting and cheering throughout the game.

(The Edinburgh Reporter)

More than 2000 Rot-Weiss Essen followers packed into the South Stand to noisily cheer on their team. A generation of their fans have not watched their team outside of Germany. They soaked up the pre-match sunshine in central Edinburgh and put on a sort of pyrotechnic display when the teams emerged that the SFA does not like.

(The Scotsman)

Nach dem Spiel stand ich nun vor der Frage, ob ich den erstbesten Zug um 22:15 Uhr nach Glasgow nehme oder noch ein Stündchen länger bleibe und in Sachen Pints noch fix zweistellig werde. Aber die Prohibition im Stadion hatte meinen Pegel bereits so weit runtergefahren, dass die Vernunft schon wieder viel zu dominant im Oberstübchen geworden war. Dementsprechend wünschte ich meinen Essener Freunden nur noch auf virtuellem Wege einen fantastischen Ausklang ihrer Auslandsreise und stieg in besagte Bahn.

Es ist Abend geworden in Edinburgh

96 Minuten später war ich zurück im Hotel und ein Kopf voller Bilder sank zufrieden in die Kissen. Echt schade, dass die Schande von Burnley (siehe Burnley 08/2017) anscheinend immer noch nicht verjährt ist. Denn am heutigen Tag habe ich natürlich oft daran gedacht, dass sehr geil wäre nochmals mit dem Hannoverschen SV auf der Insel aufzuschlagen.

Song of the Tour: Die inoffizielle Hymne der Hibs passte heute auch gut zum Wetter

*Für touristische Tipps und Eindrücke von mir verweise ich an die unter dem Menüpunkt Touren zu findenden älteren Reiseberichte aus Edinburgh. Außerdem werde ich auf dieser Reise nochmals in der schottischen Hauptstadt aufkreuzen und zwangsläufig einen weiteren Bericht mit eher touristischen Schwerpunkten verfassen.

**Seit 1949 absolvierte RWE jedes Jahr mehrere internationale Vergleiche. Höhepunkt war im Frühjahr 1954 eine neunwöchige Nord- und Südamerikareise. Dabei trafen die Essener in Buenos Aires auf Independiente und San Lorenzo und in Montevideo auf Peñarol und die uruguayische Nationalmannschaft, ehe man noch in vielen weiteren amerikanischen Ländern (u. a. Boliven, Peru und USA) eine fußballerische Visitenkarte hinterließ.

***Aufgrund der politischen Großwetterlage (die meisten Länder des so genannten Ostblocks entsendeten zunächst keine Vertreter), Desinteresse (der englische Verband riet seinen Topteams beispielsweise an der Teilnahme dieses Wettbewerbs ab) oder eben infrastrukturellen Anforderungen wie Flutlicht, war die Idee eines reinen Meisterwettbewerbs einfach noch nicht umsetzbar. Ein Kuriosum unter den Erstteilnehmern ist nebenbei auch der 1. FC Saarbrücken. Der war wie Rot-Weiss Essen im deutschen Ligasystem unterwegs (Dritter der Oberliga Südwest in der Saison 1954/55). Aber da das Saarland 1955 noch ein politischer Sonderfall war, durfte es mit dem 1. FC Saarbrücken ebenfalls einen Vertreter entsenden. Der 1. FCS traf in der 1. Runde auf die AC Milan und gewann beim italienischen Meister sensationell mit 4:3, musste sich im Rückspiel in Saarbrücken jedoch mit 1:4 geschlagen geben. Bereits bei der Zweitauflage 1955/56 nahmen allerdings – außer Titelverteidiger Real Madrid – nur noch Landesmeister am Wettbewerb teil. Ein Grundsatz, der erst wieder 1997 aufgegeben wurde.