Terni 01/2025

  • 06.01.2025
  • Ternana Calcio – US Città di Pontedera 0:0
  • Serie C – Girone B (III)
  • Stadio Libero Liberati (Att: 4.447)

Nach unserem großartigen römischen Derbyabend schliefen El Glatto und ich am Montag schön bis 10 Uhr. Dann stand ein Abstecher nach Terni auf der Agenda, wo um 17:30 Uhr bei Ternana Calcio der Ball rollen sollte. Doch bevor wir den Ausflug in die mit ca. 106.000 Einwohnern zweitgrößte* Stadt der Region Umbrien guten Gewissens antreten konnten, musste erst einmal etwas in den Magen.

Die Jungfrau Maria in unserem Hausflur

Heute war in allerdings ein gesetzlicher Feiertag (Epifania) in Italien und in unserem Wohnquartier fanden wir zunächst kein geöffnetes Café. Erst in Bahnhofsnähe sah das besser aus. Wir ließen uns im Café Cornetto nieder und bei dem Namen mussten natürlich gleich zwei Cornetti her (Vollkorn mit Honigfüllung). Außerdem gab es noch Schokocroissants und koffeinhaltige Heißgetränke. Kostete alles zusammen 8,20 €.

Colazione

Anschließend ging es um 12:22 Uhr für 8,65 € pro Kopf per Regionalzug ins rund 100 km entfernte Terni. Die einstige Hochburg der italienischen Stahlindustrie erreichten wir gegen 13:30 Uhr und somit blieben uns noch vier Stunden bis zum Anpfiff der Partie Ternana Calcio vs. US Città di Pontedera. Leider zu wenig Zeit für die sicher sehenswerten Wasserfälle im Umland von Terni, aber für einen ausgiebigen Streifzug durch’s Centro storico der vermutlich im 7. Jahrhundert v. Chr. vom italischen Volksstamm der Umbrer unter dem Namen Interamna gegründeten Stadt reichte es allemal.

Diese zum Denkmal umgewidmete Stahlpresse vor’m Bahnhof macht auf Ternis wichtigste Industrie aufmerksam

Dabei fanden wir zwar keine sichtbaren Spuren der umbrischen Epoche, aber zumindest von den Römern, unter deren Einfluss jenes zwischen den Flüssen Nera und Serra gelegene Interamna um das Jahr 300 v. Chr. gefallen war, gab es architektonische Hinterlassenschaften. So kamen wir bei unserem Spaziergang an den Überresten der römischen Stadtmauer (1. Jahrhundert v. Chr.) und des Amphitheaters (1. Jahrhundert n. Chr.) vorbei.

Das Anfiteatro Fausto wurde im vierten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts erbaut

Außerdem stößt man bei der Beschäftigung mit der antiken Geschichte der Stadt unweigerlich auf einen gewissen San Valentino da Terni. Der soll Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. einer der ersten Bischöfe Ternis gewesen sein, starb angeblich am 14. Februar 269 den Märtyrertod und gilt als Schutzpatron der Liebenden. Wahrscheinlich kam er zu diesem Patronat einfach nur, weil Mitte Februar auch das römische Fruchtbarkeitsfest der Lupercalien gefeiert wurde. Aber es gibt natürlich auch ein paar romantische Legenden, die Hagiographen später als Begründung niedergeschrieben haben und die in der Neuzeit bekanntermaßen erfolgreich kommerzialisiert worden.

Cattedrale di Santa Maria Assunta

Bischofssitz ist Terni übrigens bis heute. Die aktuelle Exzellenz dürfte am heutigen Vormittag einen festlichen Epiphaniasgottesdienst in der Cattedrale di Santa Maria Assunta gefeiert haben. Jene der Himmelfahrt der Jungfrau Maria gewidmete Kathedrale war nun allerdings verrammelt. Deshalb mussten wir uns mit der Fassade aus dem 17. Jahrhundert begnügen, während im Inneren, neben barockem Interieur, wohl auch viele Relikte älterer Bauphasen zu entdecken sind. So soll die Krypta noch aus dem 7. Jahrhundert stammen.

Chiesa di San Salvatore

Auch außen sehr alt sind hingegen die frühromanische Chiesa di San Salvatore aus dem 11. Jahrhundert und die frühgotische Chiesa di San Francesco d’Assisi aus dem 13. Jahrhundert. Aber die Pforten dieser mittelalterlichen Gotteshäuser waren am frühen Nachmittag ebenfalls fest verschlossen. Dazu schlenderten wir die ganze Zeit durch menschenleere Gassen. Klar, es war Feiertag. Aber geht das Epiphaniasfest in Terni etwa mit einer nachmittäglichen Ausgangssperre einher?

Chiesa di San Francesco d’Assisi

Am heute als Rathaus genutzten Palazzo Spada (16. Jahrhundert) und der benachbarten, quasi als Marktplatz der Stadt fungierenden Piazza Europa war ebenfalls nicht los. Zwar war hier immer noch ein Weihnachtsmarkt aufgebaut, aber die Betreiber der Fahrgeschäfte und die Verkäufer in den Buden warteten bisher vergeblich auf Kundschaft.

Palazzo Spado

Wir flanierten anschließend noch ein wenig ohne Ziel durch die Altstadtgassen und dann wussten wir nach 96 Minuten Kulturspaziergang echt nichts mehr mit unserer Zeit anzufangen. Da wir immerhin eine geöffnete Bar am Marktplatz gesehen hatten, beschlossen wir dorthin umzudrehen und dem dortigen Personal wenigstens etwas Umsatz und Beschäftigung zu verschaffen.

Terni… oggi una città fantasma

Doch auf dem Weg zurück zur Piazza Europa passierte Seltsames. Es tauchten plötzlich Menschen auf. Pärchen, Familien, Grüppchen… Es wurden von Minute zu Minute mehr und sie alle schienen ebenfalls den Marktplatz anzusteuern. Den hatte die Polizei mittlerweile mit Fahrzeugsperren abgesichert und hinter einer dieser Sperren erwartete uns nun auf einmal buntes Treiben. Offenbar hatte sich ganz Terni für 15:30 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt verabredet. Zwei Minuten später und wir hätten beim Caffè Repubblica keinen Tisch mehr bekommen.

Aperitivo

Dort genossen wir u. a. Aperol Spritz (à 5 €) und Ichnusa non filtrata (50 cl für 6 €) und hätten es in diesem plötzlich so lebendigen Umfeld durchaus ein paar Stündchen aushalten können. Aber wir hatten ja noch einen Termin. Le Fere** sollten wie erwähnt um 17:30 Uhr kicken und eine halbe Stunde vor Anpfiff musste es schnellen Schrittes zum 1969 eröffneten Stadio Libero Liberati gehen. Übrigens benannt nach einem tödlich verunglückten Motorradrennfahrer aus Terni (* 1926; † 1962), der 1957 auf einer in Pontedera gefertigten Gilera die 500-cm³-Weltmeisterschaft gewonnen hatte.

Skulptur von Ternis Wappentier** im Innenhof des Palazzo Spado

Alles andere als weltmeisterlich war hingegen das Arbeitstempo an den Kassenhäuschen. Leider gab es keinen Online-VVK, so dass wir uns 15 Minuten vor Anpfiff am Ticketcontainer anstellen mussten und erst in der 9. Spielminute auf unseren 18 € teuren Plätzen auf der Gegengerade saßen. Es stand zwar noch 0:0 und irgendwelche besonderen Fanaktionen hatten wir auch nicht verpasst. Aber ich bekomme dennoch jedes Mal schlechte Laune, wenn ich nicht pünktlich zum Anpfiff im Stadion bin.

In die Jahre gekommenes Freundschaftsgraffitti von der Curva Nord und Ultras Inferno***

Jenes Stadion stimmte mich allerdings schnell wieder positiv. Gerne würde ich den Architekten fragen wie viele Borghetti im Spiel waren, als er auf die Idee kam eine Betonschüssel für maximal 22.000 Zuschauer – aktuell übrigens nur noch für 14.398 zugelassen – mit drei Rängen zu planen. Erinnerte mich ein wenig ans Estádio do Morumbi in São Paulo, nur eben als Miniversion. Darüber hinaus wurden im Mini-Morumbi in den letzten 50 Jahren allenfalls kleine, kosmetische Veränderungen vorgenommen. Im Grunde sieht das Stadion weiterhin so aus wie in den 1970er Jahren, als Ternana Calcio, gefördert von der damals noch boomenden lokalen Stahlindustrie, seine größten sportlichen Erfolge feiern durfte.

Willkommen in der Cancha von Ternana Calcio

Denn in jenem Jahrzehnt mischten die Ternani regelmäßig in der Spitzengruppe der zweitklassigen Serie B mit und 1972/73 und 1974/75 spielte der Club sogar jeweils eine Saison in der Serie A. In dieser Blütezeit gründeten sich in der Ostkurve des Stadions auch die ersten organisierte Fangruppen wie die Ultras (1974) und Fedayn (1975), ehe 1980 schließlich erstmals die legendären Freak Brothers**** in Erscheinung traten. Da die „Stahlstadt“ Terni seinerzeit eine Hochburg der Sozialisten und Kommunisten war, prägten derlei politische Strömungen auch die Kurve und insbesondere die Freak Brothers vernetzten sich sehr rege mit gleichgesinnten Fanszenen im In- und Ausland. Vor Ort zählte die Gruppe wiederum zu Spitzenzeiten über 6.000 Mitglieder und erwarb sich landesweit für ihren Tifo und konstant hohe Auswärtsfahrerzahlen einen exzellenten Ruf.

Die Curva Est

Aber weil in den letzten Jahrzehnten auch in Terni viel passiert ist, stand am heutigen Abend nur ein relativ kleiner Mob in der Curva Est. Dort pflegen Gruppen wie Intaccati, Mamboo und Acciaio Ternana mehr oder weniger das Erbe der Freak Brothers, während sich in der Curva Nord ein deutlich größerer Haufen hinter dem gleichnamigen Banner versammelt hatte. Jene Nord hat sich ab den 1990er Jahren zur zweiten und tendenziell eher apolitischen Kurve von Ternana Calcio entwickelt, was offenbar in jüngerer Vergangenheit eine höhere Anziehungskraft entfaltete.

Die Curva Nord

Doch aller Unterschiede zum Trotz, sind beide Kurven natürlich gleichermaßen daran interessiert, dass die Clubfarben grün und rot (zugleich Ternis Stadtfarben) erfolgreich auf dem Felde reüssieren. Das gelingt dem Absteiger aus der Serie B bisher ausgesprochen gut in dieser Saison. Denn Ternana Calcio ging als es Tabellenführer der drittklassigen Serie C in diesen 21. Spieltag und war somit haushoher Favorit gegen die gegenwärtig abstiegsbedrohten Gäste aus Pontedera (aktuell Sechzehnter).

Die Gästefans aus dem 280 km entfernten Pontedera

Der 1925 aus einer Fusion des Terni Football Club und der Unione Sportiva Ternana entstandene Hausherr, der heute übrigens erstmals in seinem Sondertrikot zum 100. Geburtstag auflief, war auch tatsächlich drückend überlegen. Nur war die Chancenauswertung unterirdisch. Entsprechend ging es mit 0:0 in die Pause und auch im zweiten Durchgang sollte der Knoten nicht platzen. Am Ende rechnete ich fast schon mit der Pointe, dass Pontedera in der Schlussphase mal einen Konter erfolgreich abschließt und plötzlich mit drei Punkten in die Toskana zurückreisen darf. Hätte die zehn Gästefans sicher sehr gefreut.

Strafraumszenen gab es viele, Tore jedoch keine

Doch am Ende blieb die Partie auf beiden Seiten torlos. Die Rossoverdi verteidigen damit zwar vorerst ihre Spitzenposition, aber der ärgste Verfolger Virtus Entella war parallel siegreich und ist nun punktgleich. Nichtsdestotrotz hatte in meinen Augen allein das geile Stadion den Spielbesuch gerechtfertigt und die Stimmung war für’n unterklassiges 0:0 auch ganz okay. Jetzt noch irgendwo in Terni richtig schön schmausen und es gäbe nichts an der Tagesgestaltung zu bereuen.

Frittierte Köstlichkeiten

Erfreulicherweise war das Stadtzentrum nach Spielschluss weiterhin sehr belebt und die Restaurants hatten mittlerweile auch fast alle auf. Wir entschieden uns nun für das Ristò da Ale, wo einerseits Fußball im TV lief (das heute in Saudi-Arabien ausgetragene Finale des italienischen Supercups zwischen Inter und Milan) und andererseits lokale Leckereien auf uns warteten.

Ciriole alla ternana

Kulinarisch ließen wir uns erst einmal was frittieren. Zum Teilen kamen Supplì con ragù (Ragoutkroketten) und Fiori di zucchini ripieni con mozzarella e alici (mit Mozzarella und Sardellenfilets gefüllte Zucchiniblüten) auf den Tisch. Danach servierte man El Glatto Ciriole alla ternana (eine lokale Pastaspezialität mit Tomaten, Knoblauch, Chili und Petersilie), während ich mich für die Fettuccine al ragù di cinghiale (Bandnudeln mit Wildschweinragout) entschieden.

Fettuccine al ragù di cinghiale

Es folgte Einigkeit beim Hauptgang. Wir bekamen beide Cinghiale stufato con polenta griglia (geschmortes Wildschwein mit grillierter Polenta). Auf den am Ende doch ganz netten Tagesausflug stießen wir außerdem mit zwei Gläsern vom roten Hauswein an. Zusammen mit einer Flasche Wasser, einem Brotkorb, zwei Kaffee und Coperto waren letztlich für’s durchweg leckere Mahl 86 € fällig. Als wir die Rechnungssumme beglichen, gab es obendrein noch zwei Gläschen Amaro alle erbe von der Brennerei Vecchia Umbria auf’s Haus.

Cinghiale stufato con polenta griglia

Um 21:20 Uhr waren wir dann zurück am Bahnhof, wo unser abermals pro Person 8,65 € teurer Regionalzug allerdings nicht planmäßig um 21:26 Uhr, sondern gute 20 Minuten verspätet fahren sollte. Nichtsdestotrotz waren wir noch vor 23 Uhr wieder in der Capitale und wenig später begann die Nachtruhe.

Un orso polare

Da wir am Dienstag erst mittags zurück nach Dortmund flogen, konnten wir gleich nochmal ausschlafen und machten uns nach einem Restefrühstück im Apartment (Käse, Kekse, Taralli…) per Bahn gegen 10 Uhr zum Flughafen Roma-Fiumicino auf (8 € pro Nase). 13:12 Uhr hoben wir dort mit WizzAir ab und kurz vor 15 Uhr betraten wir wieder deutschen Boden.

Kein Käse und kein Krümel sollte am Abreisetag zurückbleiben

Es ging zeitnah per Bus und Bahn in die Dortmunder Innenstadt und dort musste dank der Pünktlichkeit unseres Fliegers noch ein nicht benötigter Zeitpuffer mit Leben gefüllt werden. Bei zwei ziemlich leeren Mägen lief das selbstverständlich auf einen Restaurantbesuch hinaus. Nachmittags war die Auswahl zwar nicht besonders groß, aber zumindest die Hausbrauerei Hövels warb mit durchgehend warmer Küche. Noch ganz im Italomodus, bestellte ich dort als Primo einen Salzkuchen mit Mett und Zwiebeln und als Secondo Currywurst mit Pommes. El Glatto hingegen orderte das Jägerschnitzel. Zusammen mit zwei Bieren schuldeten wir dem Lokal dafür am Ende 48,50 €.

La cucina tradizionale della regione Vestfalia

Am späten Nachmittag fuhren wir schließlich per ICE (13,49 €) gen Niedersachsen und am nächsten Morgen musste ich erstmals seit zweieinhalb Wochen wieder für mein Einkommen aktiv werden. Aber wenigstens ging es am Donnerstag nach Feierabend quasi nochmal zurück nach Italien. In Hannover gab es ein privates Screening des zur Zeit durch Deutschland tourenden Dokumentarfilms A guardia di una fede. Ein echtes Meisterwerk. Nochmal ein Dankeschön an alle, die diese Aufführung ermöglicht haben.

Song of the Tour: Ternis bekanntester Act

*Die größte Stadt in Umbrien ist Perugia (ca. 165.000) und jetzt ratet mal mit welchem Club Ternana Calcio eine der erbittertsten Rivalitäten im italienischen Fußball pflegt…

**Le Fere lässt sich wohl am ehesten mit Bestien übersetzen und referenziert im lokalen Dialekt auf das heraldische Symbol von Stadt und Fußballclub gleichermaßen. Beides ziert nämlich ein Drache, bzw. genauer gesagt ein Wyvern. Dieses Symbol fußt auf der Legende vom Drago Thyrus, der in grauer Vorzeit in den Sümpfen rund um Terni gehaust haben.

***Außer zu den Ultras Inferno aus Liège existieren u. a. Freundschaften mit Fans von Sampdoria, Atalanta, Casertana und St. Pauli.

****Die namensgebenden Freak Brothers sind die Protagonisten der zwischen 1971 und 1997 publizierten Comicserie The Fabulous Furry Freak Brothers des us-amerikanischen Zeichners Gilbert Shelton. Sheltons Geschichten drehen sich satirisch und selbstironisch um drei verpeilte Kiffer, deren Alltag fast immer von der Beschaffung und dem Konsum von Marihuana geprägt ist.