- 21.09.2024
- SG Dynamo Dresden – FC Hansa Rostock 1:1
- 3. Liga (III)
- Rudolf-Harbig-Stadion (Att: 31.434)
Heute war wieder einer dieser Tage, an dem ich David Hasselhoff besonders dankbar für den Fall der Berliner Mauer war. Es ist einfach schön, dass in der ehemaligen DDR regelmäßig besuchenswerte Fußballspiele stattfinden und man für solche Kracher wie Dynamo gegen Hansa kein Visum benötigt.

Außerdem ist unser wiedervereinigtes Land mittlerweile so fortschrittlich, dass es seine Bürger für einen monatlichen Unkostenbetrag in Höhe von 49 € die marode Bahninfrastruktur nahezu grenzenlos nutzen lässt. Durch jenes Deutschlandticket war meine Anreise nach Dresden quasi kostenneutral. Sie startete um 6:14 Uhr in Hildesheim und verlief beinahe reibungslos. Jedenfalls klappten alle Umstiege. Lediglich die Überfüllung des RE zwischen Leipzig und Dresden sorgte für eine etwas verspätete Ankunft am Zielort.

Letztlich war ich aber dennoch zwei Stunden vor Anpfiff in Elbflorenz und nach so einer langen Bahnreise wollte ich mir gern die Füße vertreten. Ein kleiner Altstadtspaziergang bietet sich in Dresden immer an und obendrein gibt es da einen neuen Touristenmagneten. Denn am 11. September 2024 stürzte mit der 1947 erbauten Carolabrücke eine der wichtigsten Dresdner Elbbrücken teilweise ein. Zum Glück kam aufgrund der frühen Einsturzzeit (2:58 Uhr) kein Mensch zu Schaden und ein terroristischer Hintergrund wurde zunächst auch ausgeschlossen (Experten sprachen von Korrosion als wahrscheinlicher Einsturzsache).

Doch just unter Woche tauchte in den Medien plötzlich ein mit dem Konterfei von Osama bin Laden versehenes Bekennerschreiben aus Rostock auf:
“In tiefster Verbundenheit zu dem einzig wahren Fürst des Terrors, machten wir Hansakrieger uns am 11. September auf, um die Verschmutzung unserer Strände durch die dreckige Sachsenbrut zu rächen. Die Carolinabrücke war erst der Anfang! Unser Hass steigt täglich wie die Elbe! Hansa ist gross!”
Die steigende Elbe aus dem Bekennerschreiben ist nebenbei noch ein gutes Stichwort. Am Vorwochenende war es in u. a. Österreich, Tschechien und Polen zu sintflutartigen Regenfällen gekommen. Dieses Extremwetterereignis hatte die Pegel diverser Flüsse in Mitteleuropa stark steigen lassen und zu Überschwemmungen mit mehreren Todesopfern und Schäden in Milliardenhöhe geführt. Da im betroffenen Gebiet auch einige Flüsse in die Elbe entwässern, stieg deren Pegel ebenfalls bedenklich an. So wurde in Dresden unter der Woche die 6-Meter-Marke geknackt (Normalwert sind 1,42 m) und ich sah das heutige Spiel schon buchstäblich ins Wasser fallen. Allerdings hatte Dresden Glück und seit Donnerstag sinkt der Pegel wieder langsam (am heutigen Vormittag waren es „nur“ noch 4,82 m).

Rätselnd, ob Klimaschutz vielleicht teuer, aber kein Klimaschutz noch viel teurer ist, spazierte ich kurz nach 13 Uhr von den Trümmern der Carolabrücke zum Rudolf-Harbig-Stadion. Dabei machte ich bei herrlichem Spätsommerwetter noch einen kleinen Umweg durch den Großen Garten und sollte wenig später erfahren, dass an diesem schönen Ort vor wenigen Stunden mächtig was los war.

Denn noch vor den Dynamo-Spähern, war gegen 9 Uhr offenbar eine Polizeistreife auf eine große Menschenansammlung von Tagestouristen aus Rostock und Umgebung aufmerksam geworden. Rasch rückte die Bereitschaftspolizei mit einem Großaufgebot im Großen Garten an und setzte die vermeintlichen Radaubrüder im Zuge der Gefahrenabwehr fest. Man führte die Rostocker sodann im Polizeikessel zum Gästeparkplatz des Rudolf-Harbig-Stadions und stellte dort die Identitäten der insgesamt 159 Personen umfassenden Reisegruppe fest. Sprengstoffe für weitere Anschläge auf Elbbrücken fand man bei ihnen zwar keine, aber im Großen Garten lagen nach dem Eintreffen der Beamten wohl diverse herrenlose Zahnschutze, Handschuhe und Vermummungstextilien herum.

Als am späten Vormittag nach und nach die restlichen Rostocker am Rudolf-Harbig-Stadion eintrafen und die erkennungsdienstliche Behandlung der 159 Frühaufsteher immer noch nicht abgeschlossen war, kam es laut Polizeidarstellung zu Solidarisierungsszenen vor’m Eingang. Zugleich soll es zu erheblichen Verzögerungen beim Shuttlebusverkehr der Gästefans vom Hauptbahnhof zum Stadion gekommen sein. Letztlich waren deshalb bei Anpfiff noch längst nicht alle Karteninhaber drin und so wurde die 1. Halbzeit gästeseitig ohne Banner und koordinierte Stimmung gestaltet.

Der Heimanhang erfreute hingegen kurz vor Spielbeginn mit einer Choreographie (siehe auch Titelbild). Auf ihrer riesigen Blockfahne war ein Jäger mit dem Dynamo-Flecktarn-Fischerhut abgebildet (legendäres Kleidungsstück seit Karlsruhe auswärts im Mai 2017). Im Zielfernrohr seines Jagdgewehrs war ein auf dem Kopf stehendes Wappen des FC Hansa zu erkennen, während den hölzernen Schaft ein H in der Schriftart Old English zierte. Ferner war auf dem Gewehrlauf noch der Schriftzug „Jagdgesellschaft zu Elbflorenz“ zu lesen.

Auf dem Banner am Zaun war das Ganze mit „Die Jagdsaison ist eröffnet, Waidmannsheil“ untertitelt und begleitend erklang nun aus den Lautsprechern des Stadions ein Halali von Jagdhornbläsern. Das entpuppte sich wenig später als das Intro des mir bisher unbekannten Songs „Waidmanns Heil“ von der Formation Rammstein. Während deren brachiale Rockmusik aus den Boxen dröhnte, stilisierten die Fans außerdem mit Vogelschreck-Singleshots das Abfeuern des Jagdgewehrs. Das war ein stimmiges Gesamtkunstwerk. Respekt!

In der Gästeecke herrschte dagegen wie gesagt mehr oder weniger Stimmungsboykott. Aber alle in weiß machte optisch trotzdem was her und als Reaktion auf die Dresdner Provokationen konnte man sich zumindest das Anstimmen von „Es kommt die Zeit, in der das Wasser wieder steigt“ nicht verkneifen. Denn auch wenn der Pegel der Elbe nun wieder sinkt; die Erinnerung an vergangene Katastrophen dieser Art dürfte den meisten Stadionbesuchern noch präsent gewesen sein und das 21. Jahrhundert hat für Dresden wahrscheinlich leider noch ein paar weitere Jahrhunderthochwasser parat. Mein Trost an dieser Stelle: Für Rostock wird’s nach dem Schmelzen der Polkappen auch nicht nett.

Auf dem Platz wollte Dynamo gleich mal beweisen, dass man zurecht als Tabellenführer in dieses prestigeträchtige Duell zweier DDR-Altmeister gegangen war und der von der Ostsee als Achtzehnter angereiste FC Hansa seine dringend benötigten Punkte woanders holen muss. So folgte auf das Jagdgewehr im K-Block prompt ein erster Warnschuss von Kutschke (1. Minute), während sein Sturmpartner Daferner in der 9. Minute die Dresdner Anfangsoffensive mit dem 1:0 krönte.

Angetrieben vom Publikum, drängte die einstige Sportgemeinschaft der Volkspolizei auf einen zeitigen Ausbau der Führung. Doch Hansa verteidigte wacker und hatte obendrein das Glück der Tüchtigen bei den weiteren Abschlüssen der Dynamo-Offensive. Außerdem setzte ihr schwedischer Stürmer Nils Fröling mit einem Pfostentreffer ein erstes Signal in Sachen Torgefahr. Eine kleine Warnung, dass so’n 1:0 auch bei drückender Übergelegenheit eben nur ein 1:0 ist und dem Gegner lediglich ein genialer Moment zum Spielverderben genügt.

Bis zum Pausenpfiff passierte anschließend in den Strafräumen nichts mehr und es mit der hochverdienten, aber denkbar knappen Führung in die Kabine. Meinerseits musste nun endlich ein Mittagessen her. Wie gut, dass im Rudolf-Harbig-Stadion mittlerweile ein schöner (n)ostalgischer Nudeltopf angeboten wird. Für 6 € bekam ich eine ordentlich sättigende Portion Nudeln mit Tomatensauce und – passend zur Choreo – feinem Jagdwurstbrät. Garniert war das Ganze mit einem geschmacksneutralen, aber den Magen schließenden Reibekäse.

Mit vollem Magen erlebte ich nun endlich volle Kapelle im Gästeblock. Die Fans der Kogge legten richtig gut los und plötzlich wurden meine Ohren im restlos ausverkauften Stadion von zwei Seiten betäubt. Außerdem hatte die Hansa-Szene zwei provokante Botschaften für ihr Gegenüber auf Tapete gepinselt. Einerseits streuten sie das Gerücht, dass der K-Block seine Motive mittlerweile per KI erstellt und andererseits griffen sie die Anbahnung einer neuen Freundschaft von Dynamo mit einer polnischen Szene auf. Nein, es ist nicht wieder GieKSa… Diesmal soll es für Freundschaftsbesuche noch weiter nach Osten gehen.

Auf dem Rasen ging es derweil ähnlich weiter, wie im ersten Durchgang. Dynamo dominierte und hatte noch ein-, zweimal das 2:0 auf dem Fuß. Aber größtenteils waren die Abschlüsse zu unpräzise und ansonsten war Hansas Tormann Uphoff stets zur Stelle. Es blieb also weiterhin bei der knappsten aller Führungen und in der 74. Minute gelang dem Gast von der Ostsee tatsächlich der Lucky Punch. Bei einem der wenigen Hansa-Angriffe stand ausgerechnet der vor 21 Jahren in Dresden geborene Ryan Naderi sträflich frei im Strafraum seines einstigen Ausbildungsvereins und schloss cool zum Ausgleich ab.

Es folgte ein ekstatischer Torjubel der 3.000 Gästefans und auf dem Platz sollte die passende Antwort der Hausherren tatsächlich ausbleiben. Die Heimkurve hatte hingegen noch eine weitere Provokation vorbereitet. Kurz nach dem Gegentor wurden die Zaunfahnen eingerollt und eine gebastelte Elster tauchte auf. Die hatte bereits diverse stibitze Devotionalien der gegnerischen Fanszene in ihrem stilisierten Federkleid hängen, während um sie herum noch etliche weitere Hansa-Textilien wie Fahnen, Schals und Shirts gruppiert wurden. Selbstredend wurde das Beutegut noch vor Spielende verbrannt.

Das Spiel plätscherte indes ereignisarm gen Abpfiff. Die ganz große Schlussoffensive blieb die geschockte Dynamo-Elf ihren Fans schuldig. Beinahe hätte Naderi in der 83. Minute sogar noch den Doppelpack geschnürt. Aber seinen schönen Schlenzer konnte Tim Schreiber mit einer Glanzparade parieren. So wurde der Spielverlauf aus Dresdner Sicht wenigstens nicht komplett auf den Kopf gestellt und für Hansa fühlte sich die Punkteteilung trotzdem fast wie ein Sieg an. Ein Lebenszeichen, welches 3.000 Gästefans gerne mit ihrer Mannschaft feierten.

Ich verließ das Stadion hingegen zeitig und kam auf dem Weg zur Tram noch am Gästeeingang vorbei. Dessen eingezäunter Vorplatz war hermetisch von der Polizei abgeriegelt, aber an der Straße standen natürlich einige Einheimische Spalier, um die Busse der Rostocker noch nett zu verabschieden. Mehr als Folklore wird da allerdings nicht passiert sein. So fehlte mir die Schaulust und die nächstbeste Bahn gen Südvorstadt war die meine.

Ich hatte mich in jenem Stadtteil für 53 € ohne Frühstück im neuen B&B Hotel Dresden City-Süd (**) in der Bamberger Straße einquartiert und sichtete auf dem Zimmer erstmal in Ruhe mein Bildmaterial. Aber da ich bekanntlich nicht wegfahre, um viel Zeit in Hotels zu verbringen, ging es alsbald zurück in die Innenstadt. Ich wollte die Abenddämmerung, den Sonnenuntergang und die Blaue Stunde in der Altstadt genießen. Architektonische Beschreibungen oder Auszüge aus der Stadtchronik spare ich mir jedoch an dieser Stelle. Dazu habe ich in früheren Berichten aus Dresden bereits einiges niedergeschrieben. Insbesondere im Bericht Dresden 09/2019.




Nach meinem kulturhistorisch wertvollen Abendspaziergang musste natürlich auch noch ein Abendessen her. Deshalb suchte ich gegen 20:30 Uhr Watzkes Wurstküche am Dr.-Külz-Ring auf. Für 4,80 € bestellte ich mir dort als erstes 0,5 l des hausgebrauten Monatsbiers. Das war im September der so genannte Sommerhopfen. Ein feinherbes und naturtrübes Bier mit fruchtigen Hopfennoten. In Sachen Essen entschied ich mich unterdessen für mit Kraut gefüllte und mit Speck umwickelte Schweinsrouladen, die von Bratkartoffeln und Bratensauce begleitet wurden (15,90 €).

Nach dem köstlichen Essen brachte mich ein Bus direkt vom Dr.-Külz-Ring zum Hotel, wo ich nach diesem langen Tag schon sehr bald die Nachtruhe einläutete. Am nächsten Morgen stand dann noch ein Ausflug nach Eilenburg auf dem Programm, aber davon könnt ihr zeitnah in einem separaten Bericht lesen.