- 23.08.2024
- Leeds United FC U21 – Aston Villa FC U21 1:1
- Premier League 2 (I / U21)
- York Community Stadium (Att: 173)
Am Freitag gab es eigentlich ein schönes Spiel direkt vor der Haustür. Sheffield Wednesday sollte Leeds United im Hillsborough Stadium empfangen und ich wäre einem Revisit gegenüber nicht abgeneigt gewesen. Allerdings wollte Wednesday mir kein Ticket verkaufen. Nur mit Booking History aus der Vorsaison war man bezugsberechtigt. Da zwischen Themse und Humber sonst nicht viel möglich war, lief es letztlich auf die U21 von Leeds United hinaus. Die kickt komischerweise in York und ich wollte auf dieser Tour eh einen Tagesausflug in diese wunderschöne Stadt machen. Egal ob mit oder ohne Spiel.

Zugtickets gab es für £ 22.90 (ca. 27 €) return und erfreulicherweise war die Hinfahrt gleich mal ordentlich verspätet. Es gab also einmal mehr 50 % Refund. Letztlich war ich erst 12:25 Uhr anstatt 11:30 Uhr in York, aber das war überhaupt kein Problem. Mein gebuchtes Time Slot für die Besichtigung des Minster begann schließlich erst um 14 Uhr. Bis dahin wurde über die vielen fein heraus geputzten Menschen gestaunt. Im ebenfalls sehr schicken Bahnhofspub The York Tap fand ich nun heraus, dass heute das Ebor Festival begann. Ein Rennwochenende der Spitzenklasse und sicher besuchenswerter als mein Fußballkick. Irgendwann muss ich auch mal ein renommiertes Pferderennen in UK beehren. It’s definitely on the list…

Nachdem im York Tap ein Pint Fortitude der Bristol Beer Factory für £ 4.40 (ca. 5,20 €) genossen war, vergnügte ich mich erstmal eine Stunde als Flaneur im sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern der jahrhundertelang nach London zweitwichtigsten Stadt Englands. Dabei stellte der vom früheren Castle erhaltene Clifford’s Tower die erste große Landmarke auf meinem Rundgang dar. Hier kommen wir historisch einmal mehr auf William the Conqueror (Wilhelm der Eroberer) zurück. Denn nach der normannischen Invasions Englands (1066) ließ der neue König in den späten 1060er Jahren auch in York eine seiner zahlreichen Burgen errichten und setzte einen Sheriff als seinen lokalen Verwalter ein. Von der einst mächtigen Burganlage sind heute jedoch nur noch die Motte und der in dieser Form erst im 13. Jahrhundert unter King Henry III (Heinrich III.) erbaute Donjon a. k. a. Clifford’s Tower erhalten. Der Vorgängerbau war dagegen aus Holz und ist im späten 12. Jahrhundert abgebrannt.

Als ich auf einer Hinweistafel die Hintergründe des entsprechenden Feuers las, erkannte ich zumindest gewisse Parallelen zu den jüngsten Unruhen in Großbritannien (Vgl. Rotherham & Nottingham 08/2024). Denn 1190 war ein Feuer in York ausgebrochen und das infame Gerücht, dass die Juden die Stadt angezündet haben, breitete sich auch ohne Social Media beinahe schneller als die Flammen aus. Wer dem rasch formierten Lynchmob noch rechtzeitig entkommen konnte, flüchtete sich in den Donjon des Castles (denn die Yorker Juden standen seinerzeit unter dem besonderen Schutz des Königs und somit auch des Sheriffs). Die mordlustige Masse belagerte allerdings das Castle und als die königliche Garnison angesichts der Übermacht vor den Toren offenbar nicht mehr für ihren Schutz garantieren wollte, entscheiden sich die Juden schließlich für einen Massensuizid. Am nächsten Sabbat töteten die Männer zuerst ihre Frauen und Kinder und steckten anschließend den Donjon in Brand, um ihren Familien in den Tod zu folgen.

Vom Clifford’s Tower aus schlenderte ich dann über’s historische Straßenpflaster zur berühmten Shambles (zu deutsch: Fleischbänke). Diese mittelalterliche Gasse war einst das Zentrum des Fleischerhandwerks in York und ist an ihren schmalsten Stelle nur 4,6 Meter breit. Dabei ragen die oberen Stockwerke der dortigen Fachwerkhäuser (14. und 15. Jahrhundert) teilweise fast einen Meter über das Erdgeschoss hinaus, was das Straßenbild besonders pittoresk wirken lässt. Ergo zieht die Shambles die Touristen magisch an und soll obendrein die Schöpferin von Harry Potter zur Diagon Alley (Winkelgasse) inspiriert haben. So wundert es auch nicht, dass die zahlreichen Souvenirshops in dieser Gasse zuhauf Potter Merchandise feilbieten.

Anschließend ging es weiter zum nahen York Minster, wo ich zunächst auf die römischen Wurzeln der Stadt aufmerksam gemacht wurde. Denn das Römische Reich hatte hier 71 n. Chr. ein Militärlager errichtet, aus welchem mit der Zeit eine Stadt namens Eboracum erwuchs. 197 wurde Eboracum zur Hauptstadt der römischen Provinz Britannia inferior erklärt und war fortan mehrfach kaiserliche Residenz. So wurde u. a. der in Naissus (heute Niš, Serbien) geborene Flavius Valerius Constantinus (Konstantin der Große) in Eboracum anno 306 zum Kaiser ausgerufen. Ihr wisst ja; dem haben wir mehr oder weniger das Christentum im Abendland zu verdanken.

Wie passend, dass ich nun um 14 Uhr die Cathedral and Metropolitical Church of Saint Peter, die aber eigentlich alle nur Minster (Münster) nennen, betreten sollte. Dafür hatte ich meine Kreditkarte bereits im Voraus mit £ 18 (ca. 21,15 €) belasten lassen, so dass es während des gebuchten Zeitfensters ohne Wartezeit hinein ging. Man entschuldigte diese hohe Gebühr übrigens mit Unterhaltungskosten in Höhe von durchschnittlich £ 30.000 pro Tag. Da fragte ich mich zwangsläufig, ob es auf Sicht nicht günstiger ist das alte Gemäuer abzureißen und durch einen modernen Neubau zu ersetzen. Aber da fehlt es dem Eigentümer wohl einfach an wirtschaftlicher Kompetenz.

Doch Spaß beiseite… Mir war diese zwischen 1220 und 1472 errichtete gotische Kathedrale natürlich jeden Penny wert. Mit einer Länge von 158 Metern, einem 76 Meter breitem Querschiff und einer maximalen Höhe von 72 Metern ist das Minster schon allein durch seine Dimensionen mehr als eindrucksvoll. Nördlich der Alpen gibt es mit dem Kölner Dom angeblich nur eine noch größere gotische Kathedrale. Dazu erwarteten mich auf ca. 6.000 m² Grundfläche etliche Kunstwerke wie wunderschöne mittelalterliche Glasfenster, ein majestätische Chor und ein prachtvoller Lettner.

Außerdem konnte ich im Undercroft des Minsters buchstäblich in die Frühgeschichte Yorks hinabsteigen. Fragmente römischer Straßen und Gebäude erinnerten mich nochmal an die antiken Ursprünge der Stadt vor fast 2.000 Jahren. Dabei erfuhr ich nebenbei, dass die heutige Stadtstruktur noch immer dem römischen Grundriss mit den Hauptstraßen Via Praetoria (heute Petergate) und Via Principalis (Stonegate) entspricht.

Freigelegte Fundamente der Vorgängerkirche aus dem 7. Jahrhundert machten wiederum auf die angelsächsische Periode im Frühmittelalter aufmerksam, während archäologische Fundstücke wie ein Trinkhorn Zeugnis der Wikingerzeit ablegten (im November 866 wurde York von einem Wikingerheer erobert und war anschließend als Jórvík fast genau 200 Jahre Hauptstadt eines nordischen Königreichs auf englischem Boden).

Nach dem Minster stand als nächstes ein Spaziergang auf den historischen Stadtmauern auf meiner Tagesordnung. Mit einer Länge von 3,4 Kilometern handelt es sich um die längsten und zugleich auch besterhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern Englands. Ihre Geschichte reicht sogar bis in die Antike zurück, als 71 n. Chr. die ersten Befestigungen des bereits erwähnten römischen Militärlagers errichtet wurden.

In den folgenden Jahrhunderten wurden die städtischen Befestigungsanlagen von den Angelsachsen und den Wikingern erweitert, bevor vom 12. bis 14. Jahrhundert die bis heute erhaltene Baugestalt entstand. Ein besonderer Blickfang sind natürlich die vier Haupttore Bootham Bar, Monk Bar, Walmgate Bar und Micklegate Bar. Warum die Tore hier Bars anstatt Gates genannt werden, ist übrigens auch nochmal ein Erbe aus der Wikingerzeit. Denn als Gates werden in York die mittelalterlichen Straßen bezeichnet. Die Endung -gate leitet sich dabei von gata, dem altnordischen Wort für Straße ab.

Am schönsten fand ich aus diesem Stadttor-Quartett übrigens das Micklegate Bar, welches seinen Namen von der altnordischen Bezeichnung mykla gata (große Straße) hat. Wahrscheinlich ist es noch repräsentativer als anderen drei, weil es schon immer das zeremonielle Eingangstor für die englischen Monarchen war. Ferner spiegelt das Micklegate Bar sehr gut die bereits erwähnten Bauphasen der Stadtmauer wider. Am Fuße ist noch antikes römisches Mauerwerk zu erkennen, darüber Steine aus der Wikingerzeit, während der Torbogen aus der normannischen Zeit stammt (12. Jahrhundert). Die Stockwerke über dem Torbogen wurden wiederum im 14. Jahrhundert erbaut und beheimateten heute ein kleines Museum.

Außerdem musste auf Höhe des Micklegate Bar noch ein reichlich verspätetes Mittagessen her. Dort ist ein Wetherspoon’s namens The Punch Bowl zu finden und die hatten gerade einen guten Afternoon Deal. Es gab Lasagne mit Beilagensalat und einem Pint Jorvik Blonde der hiesigen Rudgate Brewery für £ 7.56 (ca. 8,95 €). Schmeckte natürlich nicht wie beim Lieblingsitaliener, aber für den Preis war es in Ordnung.

Nach meinem Mittagessen setzte ich den Spaziergang auf der Stadtmauer fort und landete letztlich irgendwann wieder am Clifford’s Tower. Jetzt war 17 Uhr durch und mir fehlte die zündende Idee, wie ich das Intervall bis zum heutigen Anpfiff in knapp zwei Stunden am sinnvollsten füllen kann. Doch für solche Situationen wurde bekanntlich Bier erfunden und mit Brew York war ein nettes Brauhaus nicht weit entfernt.

In der breiten Palette der experimentierfreudigen Brauer entschied ich mich für ein Pint des hiesigen Milk Stout für £ 4.60 (ca. 5,40 €). Als das dunkle Bier mit seinen dezenten Kakao- und Vanillearomen meinen Gaumen betörte, wurden Nase und Augen parallel von den asiatischen Speisen auf den Nachbartischen verführt. Da noch etwas Platz im Magen war und es später im Stadion gar nichts oder nur Mist geben würde, bestellte ich mir nun Udon Noodles mit Chicken Katsu für 14.30 (ca. 16,80 €). In der Tat ein Hochgenuss.

Gegen 18:30 Uhr stieg ich dann irgendwo zwischen Brew York und Shambles in einen £ 2 (ca. 2,35 €) teuren Bus zum York Community Stadium. Ein leider uncharmanter Neubau am Stadtrand (eröffnet am 21. Februar 2021), der offenbar zusammen mit einem großen Retailpark, einem Multiplexkino und einem Leisure Complex hochgezogen wurde und von außen kaum als Stadion zu erkennen ist. Absolutes Downgrade zum mittlerweile abgerissenen Vorgänger Bootham Crescent.

Nachdem mich das Drehkreuz £ 6 (ca. 7 €) ärmer gemacht hatte, wurde es drinnen nicht wirklich besser. Alles zu neu, zu steril und eigentlich auch zu bunt. Dazu herrschte gähnende Leere auf den bis 8.500 Menschen Platz bietenden Rängen, weil sich selbstverständlich sich nur Familienangehörige, Funktionäre oder Freaks für diesen U21-Kick interessierten. Hm, war da eigentlich ein Verwandter von mir auf dem Platz oder war ich in irgend einer offiziellen Funktion hier?

Andererseits, was waren die Alternativen? In den Abendstunden hatten die Museen und sonstigen Sehenswürdigkeiten der Stadt bereits geschlossen. Sonst hätte ich diesem Fußballspiel natürlich das Jorvik Viking Centre oder das National Railway Museum vorgezogen. Gegessen hatte ich heute schon genug. Sonst hätte ich diesem Fußballspiel natürlich einen Restaurantbesuch vorgezogen. Alkoholiker bin ich leider auch keiner. Sonst hätte ich diesem Fußballspiel natürlich einen Pub Crawl vorgezogen.

Am Ende haderte lediglich mit mir, dass es ein Spiel der U21 von Leeds United war (warum spielen die überhaupt im 40 km entfernten York?), anstatt eines des eigentlichen Platzhirsches York City FC. Da wären in der 5. Liga wenigstens 1.730 anstatt 173 Zuschauer gekommen und vielleicht wäre ab und an mal etwas gesungen worden. Immerhin war das heutige Spiel recht flott und chancenreich. Nur die Effizienz vor’m Tor fehlte beiden Nachwuchsteams, so dass ein von Luca Thomas ausgeführter Strafstoß in der 39. Minute für die Halbzeitführung des LUFC sorgen musste.

Nach dem Seitenwechsel drängte der Gast aus Birmingham auf den Ausgleich und sollte sein Ansinnen letztlich in der 79. Minute dank eines Treffers von Charlie Lutz erfolgreich umsetzen. Nach jenem zweiten und schließlich auch letzten Tor des Abends, sagte ich vorzeitig Adieu. Denn so bekam ich bereits den Bus um 20:40 Uhr (anstatt den um 21 Uhr) und konnte die „gewonnenen“ 20 Minuten nochmal für einen kleinen, abendlichen Altstadtbummel nutzen. War definitiv die richtige Entscheidung, denn nach Einbruch der Dunkelheit sind die Shambles in meinen Augen noch fotogener als tagsüber (siehe Titelbild). Und natürlich auch deutlich weniger frequentiert.

Um 21:19 Uhr ging es schließlich via Doncaster zurück nach Sheffield und die Rückfahrt hielt noch einige Highlights bereit. Denn egal ob heimreisende Besucher des Pferderennens oder junges Feiervolk; gefühlt jeder zweite Zugreisende war extrem betrunken. Da fiel die oder andere beim Torkeln durch’s Abteil auch schon mal in einen Schoß, in den sie eigentlich nicht gehörte. Außerdem erbrach sich eine besoffene Mitreisende auf den schönen Teppich des Azuma**.
Beim Umstieg in Doncaster sollte wiederum einem vollgekachelten Typen die Beförderung nach Sheffield verweigert werden. Er war aber nicht d’accord und die British Transport Police wurde gerufen. Nachdem die Beamten ihn abgeführt hatten, konnte die Fahrt mit 20 Minuten Verspätung fortgesetzt werden. Kurz nach 23 Uhr war ich letztlich wieder in Sheffield und zehn Minuten später lag ich zum dreizehnten und letzten Mal in meinem dortigen Hotelbett. Verdammt, das Urlaubsende naht!
*Die Principia waren die zentralen Verwaltungsgebäude in jeder römischen Garnisonsstadt.
**Der Azuma von Hitachi ist der Schnellzug der London North Eastern Railway (LNER), die seit 2018 mit diesem Modell den Intercity-Verkehr entlang der East Coast Main Line (London – Edinburgh) betreibt.