Berlin 05/2024

  • 04.05.2024
  • Berliner FC Dynamo – FC Energie Cottbus 0:2
  • Regionalliga Nordost (IV)
  • Stadion im Sportforum (Att: 4.500)

Am Samstagmorgen klingelte mein Wecker um 6:30 Uhr in Warszawa (Warschau). Exakt zwei Stunden später sollte mein EuroCity gen Berlin abfahren, aber zuvor musste im Ibis Styles Warszawa City (***) nochmal ausgiebig gefrühstückt werden. Nach den Deftig- und Süßigkeiten ging es um 8 Uhr zu Fuß zum 1,312 km vom Hotel entfernten Hauptbahnhof der polnischen Hauptstadt. Die rund 500 Schienenkilometer bis zum Berliner Ostbahnhof wurden bequem binnen 5,5 Stunden in der 1.Klasse überwunden und für’s Verfassen erster Berichtsfragmente der Reise genutzt (mein Routing Warszawa-Berlin-Halle-Hildesheim hatte übrigens lediglich 49,90 € gekostet).

Breakfast before Berlin

Am Ostbahnhof deponierte ich mein Gepäck in einem Schließfach und machte mich anschließend zum Sportforum in Hohenschönhausen auf. Zeitgleich mit zwei Wahlberlinern mit niedersächsischem Migrationshintergrund traf ich dort gegen 14:45 Uhr ein. Während Fluppi und Lumi bereits den vollen Preis am Kassenhäuschen entrichtet hatten (18 €, inklusive 3 € „Pyroaufschlag„), sprach mich beim Anstellen so’n Piefke an. “Ey, ich hätt‘ noch eins über. Kriegste für’n Zehner.” Statt ihn zu korrigieren, dass es übrig anstatt über heißen müsste, ließ ich heute mal Fünfe gerade sein und griff umgehend zum Portemonnaie.

Prost Mahlzeit

Auf mein “jutes Jeschäft”, wie man im lokalen Idiom wohl sagt, stieß ich im Stadion sogleich mit meinen beiden Freunden an. Weil eh noch ’ne Stunde Zeit bis zum Anpfiff war, konnten wir uns ganz entspannt auf das Spiel einstimmen und schon mal das Schaulaufen des BFC-Anhangs genießen. Im heute mit 4.500 Zuschauern ausverkauften Stadion im Sportforum waren echt einige Originale und Unikate unterwegs. Dazu gefühlt alles, was der BFC heutzutage noch an schlagkräftigem Klientel für besondere Spiele mobilisieren kann.

Prächtige Kutte

Dabei hatte das Spiel für die Berliner sportlich leider nicht mehr die von allen erhoffte Bedeutung. Vor vier Wochen, als es an meine Reiseplanung ging, sah das noch ganz anders aus. Da war der Rekordmeister der DDR Tabellenzweiter der Regionalliga Nordost. Punktgleich mit dem Spitzenreiter Greifswalder FC und einen Punkt vor den drittplatzierten Cottbusern. Es schien auf ein Triell um die Meisterschaft und den damit verbundenen Aufstieg* in die 3. Liga hinauszulaufen. Mit dem heutigen Heimspiel gegen Energie als potentiell vorentscheidendem Schlüsselspiel.

Die Gegengerade im Sportforum

Doch Dynamo schlitterte katastrophal in die Wochen der Wahrheit. Erst eine Klatsche bei Viktoria Berlin, dann ein fades Remis gegen Rot-Weiß Erfurt im Sportforum und letztes Wochenende ein Offenbarungseid beim designierten Absteiger FC Hansa II an der Ostsee. Konsequenz des geplatzten Aufstiegstraums: Der am Saisonende auslaufende Vertrag von BFC-Cheftrainer Dirk Kunert wird nicht verlängert (Kunert hatte im September 2023 übrigens den nach Aachen abgewanderten Heiner Backhaus beerbt, der wiederum just mit der Alemannia den Aufstieg in die 3. Liga realisieren konnte).

Die Gäste aus der Lausitz

Der FC Energie gewann unterdessen das Spitzenspiel gegen Greifswald, das brandenburgische Prestigeduell gegen Babelsberg 03 und jüngst mit etwas Dusel auch noch gegen den 1.FC Lokomotive Leipzig. So ging der Ex-Bundesligist aus der Lausitz (64 P.) mit sieben Punkten Vorsprung auf den BFC (57 P.) in das heutige Kräftemessen. Bei nur noch drei ausstehenden Spieltagen, hätte selbst ein heutiger Heimsieg den BFC Dynamo nicht mehr realistisch ins Aufstiegsrennen zurückgeholt.

Grüße und Gesten gen Gästeblock

Für den FC Energie waren drei Punkte am heutigen Nachmittag hingegen immens wichtig. Schließlich befand sich der Greifswalder FC (62 P.) weiterhin in Schlagdistanz. Dazu herrschte ganz unabhängig von etwaigen Tabellenkonstellationen auf Fanebene große Brisanz. Denn im Januar 2023 wurde ein Mitglied der Ultras BFC vor seiner Haustür von einer Personengruppe überfallen. Die Täter konnten seinerzeit einiges an Material der Gruppe erbeuten. Die Ultras BFC lösten sich daraufhin auf, schworen aber Rache an den vorerst unbekannten bzw. nicht genannten Räubern. Spätestens im Mai 2023 war jedoch endgültig klar, wer hinter dem Überfall steckte. Die Cottbuser Szene hatte ein Video veröffentlicht, welches die Verbrennung der Fahnen der Ultras BFC auf den Rängen des Berliner Sportforums zeigt (die Aktion fand abseits eines Spieltags im leeren Stadion statt).

Schalparade der Südbrandenburger

Nach bereits zwei Aufeinandertreffen im Cottbuser Stadion der Freundschaft seit dem Fahnenverlust, war Energie heute erstmals wieder beim BFC zu Gast. Die offenen Rechnungen der Fans schienen längst noch nicht beglichen, so dass im Vorfeld für viel Diskussionsstoff gesorgt war. Der FC Energie fürchtete im altehrwürdigen Stadion im Sportforum (1959 eröffnet) gar um die Sicherheit seiner Angestellten und Anhänger und bat um eine Verlegung in ein vermeintlich geeigneteres Stadion. Der gastgebende Verein und der Verband sahen aber genau wie die Polizei keinen Grund für eine örtliche Verlegung. Letztere versicherten, dass sie mit über 1.000 Beamten auch in Hohenschönhausen für einen reibungslosen Ablauf des Risikospiels sorgen können.

Dynamo fackelt Energie-Material ab

Die ersten 27 Minuten blieb es auch tatsächlich nur bei verbalen Provokationen zwischen den 800 Gästefans und den Heimsektoren auf Gegengerade und Haupttribüne. Doch dann vermummten sich diverse mutmaßliche Mitglieder der 2023 gegründeten Banda Invicta (die als Nachfolgeorganisation der aufgelösten Ultras BFC gilt) und verbrannten geraubtes Energie-Material auf der Gegengerade (vorwiegend Fanschals). Zugleich wurde einiges an Pyrotechnik gezündet (siehe auch Titelbild), während ein Teil der Vermummten in die Richtung des Gästeblock marschierte. Mit den ebenfalls erregten Lausitzern tauschte man rasch erste Leuchtkugeln aus. Die Polizei schritt zwar umgehend ein, aber nichtsdestotrotz musste das Spiel für 18,96 Minuten unterbrochen werden.

Eine Kugel für Cottbus

Auf dem Feld war es hingegen vor und nach der Unterbrechung ohne echte Aufreger geblieben. Der FC Energie hatte zwar im gesamten ersten Durchgang ein Chancenplus, aber Zählbares sollte vorerst nicht dabei rumkommen. Ergo ging es nach einer insgesamt 66 Minuten langen 1. Halbzeit torlos in den Kabinentrakt.

Retourkugel

Die zweiten 45 Minuten konnten zunächst auch wieder ohne besondere Vorkommnisse auf den Rängen beginnen. Auf dem Rasen wurde es allerdings interessanter. Der BFC machte mittlerweile mehr für’s Spiel und schickte sich an dem FCE noch in die Aufstiegssuppe zu spucken. Bis in der 67. Minute beinahe aus heiterem Himmel das 0:1 fiel. Winterneuzugang Maximilian Krauß platzierte den ersten Energie-Torschuss seit Wiederanpfiff im Netz der Weinrotweißen und ließ die mitgereisten Fans ausgelassen jubeln. Aber wer dabei auf den Zaun kletterte, wurde jedoch sofort von der weiterhin im Innenraum (und Gästeblock) sehr präsenten Polizei runtergeprügelt.

Das ZEK (Zauneinsatzkommando) der Berliner Polizei

Der BFC-Anhang forderte unterdessen lautstark eine Reaktion der in Rückstand geratenen Heimmannschaft, aber die sollte ausbleiben. Die Wollitz-Elf verwaltete die Führung fortan aufstiegsreif und strahlte zugleich weitere Torgefahr bei Kontern aus. In der 82. Minute wurde einer davon auch tatsächlich zur Vorentscheidung verwertet. Der Ex-Hildesheimer und gegenwärtige Energie-Toptorjäger Tim Heike durfte sein mittlerweile 19. Saisontor feiern.

Nachdem die Sorben und sonstigen Ethnien des Gästesektors auch dieses Tor gebührend gefeiert hatten, griffen sie gern nochmal in die Provokationskiste. Offenbar können sie immer noch vom erwähnten Raub aus dem Vorjahr zehren und entflammten nun weiteres Material der Ultras BFC. Mit höhnischen „Wo sind eure Fahnen hin?“-Gesängen wurde sprichwörtlich weiteres Öl ins Feuer gegossen. Wutentbrannte Ostberliner versuchten sofort wieder eine Annäherung auf den Rängen. Aber Polizei und Ordnungsdienst hielten die Fanlager hier weiterhin erfolgreich auf Distanz.

Der Aufstieg ist für Energie zum Greifen nah

Als Schiedsrichter Christopher Gaunitz abpfiff, war der BFC auch rechnerisch endgültig aus dem Aufstiegsrennen raus. Der FC Energie machte dagegen einen großen Schritt in Richtung 3. Liga. Dem war sich auch ihr streitbarer Erfolgstrainer Claus-Dieter „Pelé“ Wollitz gewiss und suchte nach Spielende die Nähe zu den Fans. Gemeinsam feierten sie frenetisch die drei Big Points, während sich hinter den Rängen des Stadions etwas Unheilvolles zusammenbraute.

FCE-Fans zünden ihr Berliner Beutegut an

Auf verschiedenen Wegen versuchte aufgebrachte BFC-Mobs an die Gästefans heranzukommen. Dabei musste die Polizei massiv Reizgas und Kampfhunde einsetzen, um etwaige Durchbrüche zu verhindern. Zwar wurden ein paar Angreifer durch Hundebisse verletzt, aber das so genannte Pfefferspray ballerten sich die überforderten Beamten hauptsächlich gegenseitig in die Atemwege. Später sollten die Behörden insgesamt 155 in Einsatz verletzte Polizisten bilanzieren, wovon die überwältigende Mehrheit (116) durch Reizgas geschädigt wurde (Quelle).

Berliner versuchen zu den Cottbusern durchzubrechen

Während ein Teil der Polizei eine Viertelstunde nach Abpfiff noch immer auf dem Stadiongelände mit den schwer zu bremsenden Hooligans beschäftigt war, formierte sich auf der Konrad-Wolf-Straße ein zweiter großer Mob. Der versuchte von dort zu den mittlerweile aus dem Stadion eskortierten Gästen vorzudringen, die über die Hohenschönhauser Straße zum S-Bahnhof Landsberger Allee geführt werden sollten.

Who let the dogs out?

Es flogen Flaschen und weitere Wurfgeschosse auf die eingesetzten Beamten, die wiederum mit Reizgas und Schlagstöcken antworteten. Als der gewaltbereite Mob sich dennoch nicht auflösen wollte, kamen auch die beiden aufgefahrenen Wasserwerfer zum Einsatz. Unterdessen war der Verkehr rund um’s Sportforum vollends zum Erliegen gekommen. So gab es weder per Tram, noch per Taxi die Möglichkeit zum S-Bahnhof Landsberger Allee zu gelangen. Solange die Energie-Fans noch nicht endgültig auf der Heimreise waren, würde die Polizei hier gewiss nichts und niemanden durchlassen.

Ersthelfer

Gegen 19 Uhr geriet ich allerdings bezüglich meines gebuchten Zuges so langsam unter Zeitdruck und meine beiden Kumpels wollten natürlich auch irgendwann mal den Heimweg zu ihren Berliner Domizilen antreten. Als Kleingruppe kamen wir immerhin über Umwege und vor allem ohne Platzwunden, tränende Augen oder nasse Klamotten zum rund zwei Kilometer entfernten S-Bahnhof durch. Doch dort trafen wir um 19:30 Uhr ausgerechnet zeitgleich mit den Gästefans ein, für jene laut des Aggressive Leader der hier eingesetzten Bundespolizeihundertschaft die nächste S-Bahn exklusiv reserviert war.

Die Konrad-Wolf-Straße nach Abpfiff

Um meinen um 20:24 Uhr am Hauptbahnhof abfahrenden InterCity noch pünktlich zu bekommen, musste jetzt leider ein Taxi bzw. Uber zum Ostbahnhof her. Lumi buchte mir rasch letzteres für rund 10 € und zum Glück war der Fahrer einerseits gleich um die Ecke und andererseits spielten die Ampeln gut mit. Kurz vor 20 Uhr konnte ich am Ostbahnhof mein Gepäck einsammeln und um 20:06 Uhr bestieg ich die nächstbeste und zugleich für meinen Anschluss auch letztmögliche S-Bahn zum Hauptbahnhof.

Abfahrt

Es ging also wie gebucht um 20:24 Uhr binnen zwei Stunden in einem InterCity der SBB nach Halle (Zugziel übrigens Zürich). Fand ich deutlich attraktiver, als alternativ mit Regionalzügen erst nach Mitternacht an meinem Zwischenziel anzukommen. Zugleich konnte ich entspannt im erstklassigen SBB-Sessel erste Pressemeldungen und Videos vom just gesehenen Fußballspiel studieren. So behauptete Gästetrainer Wollitz im MDR-Interview, dass er während des Spiels von den Zuschauern mit Steinen beworfen wurde und allgemein sehr um seine Unversehrtheit fürchtete.

„Wenn wir zehn Spieltage vor Schluss beim BFC gespielt hätten, wäre ich hier niemals mitgefahren, weil mein Leben und meine Verantwortung gegenüber meiner Familie, meinen Spielern und meinen Freunden ist mir wichtiger, weil, wenn man so bedroht wird, weiß man nicht, wie weit diese Menschen gehen“

Energie-Trainer Wollitz nach dem Spiel im MDR

Komischerweise hatte niemand anderes die Steine gesehen oder sonstwie bemerkt und Widerspruch von allen Seiten war ihm sicher. Als Wollitz nach Abpfiff freudetrunken in die Gästekurve rannte, dort auf den Zaun sprang und sich ausgiebig von den Fans feiern ließ, sah das für mein ungeschultes Auge nebenbei auch nicht gerade nach der vom ihm im Interview skizzierten Angst aus. Aber nun gut….

Im Ibis Styles Halle ging statt Welcome Drink auch Welcome Icecream

Bleibt zum Schluss nur noch die Frage, was ich eigentlich in Halle wollte? In Halle hatte ich mich direkt am Bahnhof für eine Nacht im Ibis Styles (***) einquartiert (kostete mich ohne Frühstück 63,90 €), um von dort am nächsten Morgen bequem weiter nach Leipzig zu fahren. Denn in Sachsens großer Messestadt sollte der 1.FC Lok am Sonntagnachmittag vor stattlicher Kulisse den Stadtrivalen BSG Chemie zum 111. Leipziger (Pflichtspiel-)Derby empfangen. Aber auch dieses Spiel hat seine eigene Geschichte und selbstredend seinen eigenen Bericht verdient.

Song of the Tour: Ihn ließ Erich Mielke regelmäßig auf den Meisterfeiern des BFC singen

*Während die Regionalligen West und Südwest grundsätzlich einen direkten Aufsteiger in die 3. Liga entsenden, verteilen sich die zwei weiteren Aufstiegsplätze auf die drei übrigen Regionalligen Nord, Nordost und Bayern. Diese Saison stellt die Regionalliga Nordost turnusgemäß einen der drei Direktaufsteiger, wohingegen Nordmeister Hannover 96 II und Bayernmeister Würzburger Kickers in zwei Entscheidungsspielen den vierten Aufsteiger ermitteln müssen. Der BFC Dynamo (2022 gegen Oldenburg) und der FC Energie (2023 gegen Unterhaching) haben jüngst als Nordostmeister in solchen Entscheidungsspielen den kürzeren gezogenen. Umso mehr gier(t)en sie diese Saison auf den 1. Platz.