Strasbourg & Karlsruhe 05/2024

am
  • 12.05.2024
  • Karlsruher SC – Hannover 96 1:2
  • 2. Bundesliga (II)
  • Wildparkstadion (Att: 32.140)

Der ruhmreiche Hannoversche SV von 1896 sollte sein letztes Auswärtsspiel der Saison 2023/24 in Karlsruhe bestreiten. Nachdem dieses Spiel auf Sonntag den 12. Mai angesetzt wurde, überlegten mein Kumpel Henrik und ich uns einen vorigen Abstecher ins Elsass. Denn an jenem Wochenende sollte der Racing Club seinen Erzrivalen FC Metz in Strasbourg empfangen und vielleicht würde dieses Derby de l’Est freundlicherweise am Samstag ausgetragen werden. Als die Preise der potentiellen Zugverbindungen so langsam in die Höhe schnellten, wollten wir die fixe Terminierung der Franzosen jedoch nicht mehr abwarten und buchten zumindest schon mal die Hinfahrt. Um 7:41 Uhr sollte es per ICE von Hannover bis Karlsruhe gehen (26,90 € p. P.) und von dort wollten wir die Fahrt nach Strasbourg per Nahverkehr fortsetzen (13,30 €), wo wir dann planmäßig um 13:40 Uhr angekommen wären.

Stammleser wissen Bescheid: Sobald ich im deutschsprachigen Raum südlich der Benrather Linie unterwegs bin, muss ich zwanghaft Leberkässemmel frühstücken

Doch wenig später kommunizierte die geschätzte DB nochmal eine Planänderung. Aufgrund von Baumaßnahmen an der Strecke und somit deutlich verlängerter Fahrzeiten, sollte unser gebuchter ICE 71 bereits um 5 Uhr irgendwas in Hannover abfahren. Da gleichsam die Zugbindung aufgehoben war und wir wenigstens halbwegs ausschlafen wollten, entschieden wir uns alternativ für einen ICE um 8:01 Uhr und würden nun erst 15:40 Uhr an unserem französischen Zielbahnhof ankommen. Zwar unerfreulich, aber weil Strasbourg vs. Metz mittlerweile leider auf Sonntagabend gelegt wurde, hatten wir Samstag eh keine Termine… Ärgerlich war eigentlich nur, dass wir jetzt ca. 7,5 statt 5,5 Stunden unterwegs sein sollten. Doch mit dem Rekapitulieren sämtlicher 96-Spieler der letzten 20 Jahre, verging die lange Bahnfahrt wie im Fluge. An dieser Stelle beste Grüße an u. a. Salvatore Zizzo, Valdet Rama, Stanko Svitlica, Henning Hauger und, aufgrund der heutigen Tour, natürlich besonders an Gaëtan Krebs.

Meine Schlafkammer in Strasbourg

Fünf Minuten nach unserer Ankunft in Strasbourg standen wir an der Rezeption des Hôtel Graffalgar (***), wo ich uns zwei Einzelzimmer à 80 € gebucht hatte. Dieses Hotel bestach nicht nur durch die zentrale Lage, sondern auch mit seinem Designkonzept. Alle Zimmer waren von unterschiedlichen regionalen Künstlern gestaltet. Henrik hatte Werke des Illustrators Le Roi de Ballons erwischt und an meinen Zimmerwänden hatte sich Ferdinand Kayser a. k. a. Ferni verewigt.

Ausblick von der Schleusenbrücke Barrage Vauban

Doch wir würdigten die Kunstwerke nur kurz. Bereits um 16 Uhr spazierten wir in die nahe Altstadt, um noch möglichst viele der architektonischen Kleinodien genießen zu können. Während Henrik Strasbourg schon einmal mit seiner Frau besucht hatte, war das für mich übrigens der Erstbesuch. Umso neugieriger folgte ich meinem Begleiter zur Barrage Vauban. Ein 120 m langes Wehr, welches der französische König Louis XIV (Ludwig XIV.) zwischen 1681 und 1688 vom berühmten Festungsbaumeister Sébastien Le Prestre de Vauban über dem Fluss Ill errichten ließ.

Wehrtürme der mittelalterlichen Stadtbefestigung.

Vom begehbaren Dach des Wehrs schaut man direkt auf die Ponts couverts (einstmals gedeckte, mittlerweile aber offene Illbrücken), die von markanten Türmen der mittelalterlichen Stadtbefestigung eingerahmt werden. Dahinter warteten das frühere Gerber- und Mühlenviertel La Petite France und der Rest der großen Altstadtinsel Grande Île mit der weithin sichtbaren Cathédrale Notre-Dame de Strasbourg (Liebfrauenmünster zu Straßburg) auf unseren Besuch.

La Petite France hat viel Fachwerk zu bieten

Jene Grande Île wird vollständig von der Ill und dem Canal du Faux-Rempart umschlossen, die sich wiederum bei der Petite France gabeln. Dieses der eigentlichen Altstadt vorgelagerte Quartier bietet enge Gassen mit besonders schnuckeligen Fachwerkhäusern. Ferner ist es von Kanälen und zahlreichen Brücken durchgezogen. Anderswo werden solche Quartiere gerne „Kleinvenedig“ genannt, aber in Strasbourg wurde es schon zu deutschsprachigen Zeiten „Frankreichlein“ genannt. Das hat den historischen Hintergrund, dass hier 1503 ein Hospiz für an der so genannten Franzosenkrankheit (Syphilis) leidende Mitbürger errichtet wurde, welches der Volksmund „Zum Französel“ nannte.

Unterwegs in der einstigen Syphilishochburg „Kleinfrankreich“

Jetzt können wir gleich mal historisch aufarbeiten, warum die Syphilis zunächst landläufig unter dem Namen Franzosenkrankheit (morbus gallicus) ihr Unwesen trieb. Dazu müssen wir der Strasbourger Hospizgründung nur wenige Jahre vorgreifen. 1494 wollte Frankreichs König Charles VIII (Karl VIII.) dynastische Ansprüche auf den Thron des Königreichs Neapel geltend machen und fiel mit einem Heer in Süditalien ein. Blöd, dass ein Jahr zuvor die Schiffe eines gewissen Christoph Kolumbus den Syphiliserreger Treponema pallidum vom amerikanischen Kontinent nach Europa eingeschleppt hatten. Zumindest in den großen Hafenstädten des Kontinents breitete sich der Erreger in Windeseile aus und wartete so auch schon in Neapel auf neue Opfer. Da kam ein auf Suff und Huren fixiertes Franzosen- und Söldnerheer gerade genau richtig.

Abendstimmung an der Ill

Deren Feldzug missglückte am Ende zwar militärisch, aber das französische Heer hatte Neapel lange genug besetzt, um sich in hoher Anzahl zu infizieren und den Erreger anschließend in ihre Heimatregionen einzuschleppen. So grassierte die Krankheit ab 1496 auch in Strasbourg, welches damals zwar als Freie Reichsstadt* noch zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR) gehörte, aber dem französischen König seinerzeit viele Söldner stellte. Jener König Charles VIII, den zeitgenössische Chronisten als besonders liebestollen Stelzbock charakterisierten, hatte sich in Süditalien beim Rumhuren übrigens sehr wahrscheinlich selbst mit dem Erreger infiziert. Er starb am 7. April 1498 mit nur 27 Jahren auf Schloss Amboise. Offiziell sollen es die Folgen eines Sturzes gewesen, aber viel deutet darauf hin, dass er an der damals noch unheilbaren Syphilis erkrankt war. Erst nachdem Alexander Fleming 1927 die antibiotische Wirksamkeit von Penicillin nachgewiesen hatte, wurde die das zentrale Nervensystem schädigende Syphilis heilbar.

Die gotische Église Saint-Thomas (zwischen 1196 und 1521 erbaut) ist die Hauptkirche der protestantischen Gemeinde Strasbourgs

Während der Mensch über 400 Jahre ohne wirksame Medizin mit der Syphilis koexistieren musste, kam man dem Infektionsweg deutlich schneller auf die Schliche. Der Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr, respektive Ehebruch und der schlimmen Krankheit war rasch offenkundig. Das rief im 16. Jahrhundert natürlich die Kirche auf den Plan, deren Vertreter die ausgebrochene Seuche in ihren Predigten als Strafe Gottes für einen sündhaften Lebenswandel propagierten.

Auf zum Münster

Passenderweise zog es uns als nächstes zu dem Ort, wo dereinst die zur Keuschheit mahnenden Worte von der Kanzel gepredigt wurden. Am frühen Abend nahmen Henrik und ich das 1439 vollendete gotische Münster in Augenschein und waren durchaus beeindruckt von dessen Dimensionen und der reichen Zier an seinen rötlichen Sandsteinfassaden. Allerdings sollte das imposante Sakralbauwerk in wenigen Minuten seine Pforten für Besucher schließen, so dass uns das Innere verborgen blieb. Aber an dieser Stelle bekunde ich die Absicht, dass mein erster nicht zugleich mein letzter Besuch Strasbourgs war. Dort gibt es für mich einfach noch zu viel zu entdecken und historisch aufzuarbeiten.

Die prächtige Rosette des Straßburger Münster misst 14 m im Durchmesser

Auch die wechselvolle Stadtgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert verdient wenigstens eine kurze Würdigung. Als wir dem Abendessen noch einen kurzen Streifzug durch die Neustadt voranstellten, wurde man zwangsläufig auf das Thema gestoßen. Denn der Deutsch-Französische Krieg (1870/71) hatte einerseits zur deutschen Reichsgründung und damit zur Entstehung des modernen deutschen Nationalstaats geführt, andererseits fiel dem Deutschen Reich das bisher französische, aber mehrheitlich deutschsprachige Elsass zusammen mit Lothringen als territoriale Kriegsbeute zu.

Auf dem Place de la République (früher Kaiserplatz) in der Neustadt steht seit 1936 das Kriegerdenkmal „Mutter Elsass“ (sie betrauert einen für Frankreich und einen für Deutschland gefallenen Sohn)

Im zur Hauptstadt des so genannten Reichslands Elsass-Lothringen erkorenen Straßburg begann sogleich ein städtebauliches Großprojekt. Die Deutschen gründeten dort eine Universität und errichteten einen Palast für Kaiser Wilhelm I. (heute Palais du Rhin), der die Elsässer und Lothringer unterdessen nur mühsam als treue Untertanen gewinnen konnte (insbesondere die katholische Bevölkerungsmehrheit hatte Vorbehalte gegen einen protestantischen Kaiser). Als weitere repräsentative Bauwerke rund um den zentralen Kaiserplatz (mittlerweile Place de la République) entstanden in der Neustadt außerdem das Nationaltheater und der Justizpalast. Sternförmig von jenem Platz zog man wiederum Straßenzüge mit Wohn- und Geschäftshäusern im Jugendstil hoch. Und auch unser heutiger Ankunftsbahnhof Gare de Strasbourg-Ville ist ein Bauwerk aus wilhelminischer Zeit. Er wurde 1883 als neuer Hauptbahnhof eröffnet. So hat die verhältnismäßig kurze deutsche Episode zwischen 1871 und 1918 das Stadtbild sehr nachhaltig geprägt.

Der doppelgesichtige Janusbrunnen von 1988 wendet ein Gesicht der Altstadt und das andere der Neustadt zu

Nach dem Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) fiel Elsass-Lothringen wieder an Frankreich. Doch bekanntermaßen blieb es im 20. Jahrhundert nicht bei nur einem weltumspannenden Orlog und im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) war die Region von Sommer 1940 bis Herbst 1944 de facto vom Deutschen Reich annektiert. Dessen nationalsozialistische Machthaber wollten den deutschsprachigen Elsässern und Lothringern nun besonders rigoros die frankophilen Tendenzen austreiben. So wurde die französische Sprache komplett aus dem Alltag getilgt, inklusive Säuberungen der öffentlichen Schulen und Bibliotheken. Zugleich wurden französische Muttersprachler aus der Region vertrieben, während Juden und politische Gegner in Konzentrationslager deportiert wurden. Am 29. August 1942 erhielt die verbliebene Bevölkerung zwangsweise die deutsche Staatsbürgerschaft und damit einhergehend wurde die wehrfähige männliche Bevölkerung von Elsass-Lothringen in Wehrmacht und Waffen-SS eingezogen.

Flammkuchen-Schneppe und Hamburger-Henrik

Bei den allermeisten Menschen in dieser Region stießen die Nazis mit ihrer Ideologie und ihren Maßnahmen auf das Gegenteil von Begeisterung. Folge war nach 1945 eine von Frankreich zwar forcierte, aber größtenteils auch intrinsisch motivierte Abkehr der Elsässer (und Lothringer) von der deutschen Sprache und Identität. Daher ist das Deutsche als Mutter- und Umgangssprache nahezu vollständig aus dem heutigen Ostfrankreich verschwunden und die Nazis waren sozusagen daran Schuld, dass Henrik und ich unser Abendessen in Strasbourg nicht auf Deutsch bestellen konnten. Aber das Notwendigste von meinem Schulfranzösisch ist immer noch abrufbar (Merci, Madame Pihet!) und wir mussten die Bedienung im Biergarten der Brasserie Le Grand Tigre nicht in die Verlegenheit bringen auf Englisch mit uns zu parlieren.

Lager im La Lanterne

Nach dem leckerem Abendessen und dem Probieren von mehreren hausgebrauten Biersorten, starteten Henrik und ich ab 21 Uhr einen erneuten Spaziergang. Die Altstadt machte bei Sonnenuntergang und in der Blauen Stunde natürlich ebenfalls eine gute Figur. Gegen 22 Uhr kehrten wir schließlich nahe des Münsters nochmal auf ein Bier in die Brasserie de la Lanterne ein und eine Stunde später ging es zu Bett. Aber wie gesagt, ich kehre irgendwann bestimmt nochmal für Fußball und weiteres Sightseeing zurück.

Ihr wisst ja…

Im Anschluss an die ausreichende Nachtruhe fuhren wir am Sonntagmorgen um 8:20 Uhr per ÖPNV nach Karlsruhe (wieder 13,30 € p. P.), wo wir exakt 96 Minuten später am Hauptbahnhof eintrafen. Hier trennten sich unsere Wege allerdings. Henrik hatte den Trip mit montäglichen Geschäftsterminen in Karlsruhe verbinden können und weil die Business Partner praktischerweise KSC-Fans sind, traf man sich heute schon mal privat zum sonntäglichen Frühschoppen in der Brauereigaststätte Vogelbräu. Würde zwar ’ne ganz lockere Runde werden, bei der ich auch herzlich willkommen war, aber ich hatte tatsächlich eine eigene Verabredung.

In einem stadionnahen Gründerzeitviertel waren meine Freunde in Karlsruhe untergekommen

Ein paar Freunde aus Hildesheim, von denen zumindest einer beste Verbindungen in Karlsruhe hat, waren bereits am Vortag angereist. Nachdem ich mich noch schnell bei einem Bäcker am Karl-Wilhelm-Platz leberkäsig gestärkt hatte, klingelte ich bei den sie beherbergenden Karlsruhern und sah in viele fertige Gesichter. Hier war es am Vorabend offenbar ziemlich heftig zur Sache gegangen. Als kluge Akademiker konterten aber alle fleißig und auch mir wurde schnell eine Flasche Bier gereicht.

Manchmal kann man sich das Bier nicht aussuchen…

Nachdem unbedingt auch noch eine Flasche Wodka kreisen musste, brachen wir gegen 12:30 Uhr zum lediglich 1,312 m entfernten Wildparkstadion auf, wo mir glatt die nächste Trennung bevorstand. Matteo, Pota & Co besaßen natürlich alle Karten für den Gästeblock, während ich mal wieder so’n gepolsterten Schnöselplatz auf der Haupttribüne hatte. Aber immerhin konnte ich dort konfliktfrei von Bier auf Apfelschorle umsteigen und ferner war’s ganz nett mal neben Marcus Mann zu sitzen und obendrein Lars Stindl aus nächster Nähe applaudieren zu können.

Feurige Wurst und eisige Apfelschorle

Denn Letzterer durfte ausgerechnet gegen seinen ehemaligen Club Hannover 96 sein letztes Heimspiel als Fußballprofi bestreiten. Da er den roten Dress mit der 96 auf der Brust in einer der erfolgreichsten Phasen der Vereinsgeschichte trug und damals maßgeblichen Anteil an vielen schönen Momente hatte, gab es natürlich auch vom Gästeanhang Applaus, Sprechchöre und ein schönes Spruchband: „Das Telefon schellt bis heute in unseren Ohren – Danke, Lars!“

Kleine Choreo des Karlsruher Fannachwuchses

Ich muss jetzt einfach nochmal auf einen kalten Novemberabend im Jahre 2011 zurückblicken. 96 gastierte in der Gruppenphase der UEFA Europa League beim FC København und Lars Stindl sollte an diesem Abend für einen unvergesslichen Moment sorgen. Dass 96 sich damals überhaupt für den Europapokal qualifiziert hatte, war bereits eine Sensation. Dann gelang im Play-off gegen den Sevilla FC ein weiteres nicht möglich gehaltenes Fußballwunder und in der dadurch erreichten Gruppenphase schlug man sich auch unerwartet gut. Ein Auswärtssieg in Kopenhagen wäre am 4. Spieltag bereits die halbe Miete für ein Überwintern auf europäischer Ebene gewesen.

Karlsruher Schalparade vor’m Anpfiff

Über 10.000 mitgereiste Hannoveraner hofften auf einen weiteren magischen Europapokalabend und wurden in der 74. Minute beim Spielstand von 1:1 ungläubige Zeugen, wie Lars Stindl zunächst seine Gegenspieler an der Strafraumgrenze überlupfte und dann das Leder aus 17 Metern unhaltbar ins lange Eck hämmerte. Alle 96er waren komplett aus dem Häuschen und Stindl tat beim Torjubel so, als ginge er an ein bimmelndes Telefon. Ihr wisst ja; „In Kopenhagen schellt das Telefon…“ Was für ein geiles Tor, was für ein geiler Jubel (für einen detaillierten Tourbericht inklusive Videolink siehe København 11/2011).

Worte des Dankes an Lars Stindl

Aber Lars Stindl bei 96 war nicht nur dieses eine Tor und der epische Jubel danach. Nachdem Stindl bei seinem Heimatverein KSC erste Erfahrungen als Profi sammeln konnte, wechselte er 2010 mit 21 Jahren an die Leine und sollte dort insgesamt fünf Jahre als Stammspieler, Leistungsträger und zeitweilig auch als Kapitän wirken. Er lief insgesamt in 161 Pflichtspielen für den Hannoverschen SV von 1896 auf und erzielte dabei 26 Tore. Nur leider konnten seine meist tadellosen Leistungen die ab 2013 einsetzende sportliche Abwärtsspirale bei 96 nur bedingt bremsen. Nachdem Stindl in der Saison 2014/15 nochmal maßgeblich zum erst am 34. Spieltag geglückten Klassenerhalt beigetragen hatte, wechselte er zur damals in der UEFA Champions League reüssierenden Borussia nach Mönchengladbach. Dort reifte er sogar noch zum A-Nationalspieler und schoss u. a. das Siegtor im Endspiel des FIFA Confederations Cup 2017 für die DFB-Auswahl.

Die früher auf der Gegengerade beheimatete Fanszene machte auch hinter dem Tor eine gute Figur

Ich glaube niemand in Hannover hatte Stindl den Wechsel damals krumm genommen und die heutigen Gesten aus dem Gästeblock unterstrichen das nochmal. Dem guten Lars hätte ich heute sogar ein Abschiedstor gegönnt (natürlich im Optimalfall nur den buchstäblichen Ehrentreffer), aber sein Ex-Club spielte da nicht mit. Bereits in der 19. Minute ging 96 durch Voglsammer in Führung und hatte danach bis zur Pause ein, zwei ungenutzte Möglichkeiten den Vorsprung auszubauen. Der KSC blieb offensiv hingegen erstmal blass, schaffte kurz vor dem Seitenwechsel aber doch noch den Ausgleich. Nebel kam aus kurzer Distanz frei zum Kopfball und Lührs leider zu spät. Es sah zwar so aus, als hätte der 96-Verteidiger das runde Leder noch von der Linie gekratzt und selbst die Torlinientechnik schlug nicht an. Aber der VAR belegte letztendlich, dass der Ball doch bereits vollumfänglich über der Linie war.

In der 2. Halbzeit durfte Stindl dann gerade einmal zehn Minuten mittun. Es ging in der 55. Minute raus mit Applaus, während sich unterdessen ein munterer Schlagabtausch zwischen den Tabellennachbarn KSC (Fünfter) und 96 (Sechster) entwickelte. Nachdem der Karlsruher Sport-Club Mühlburg-Phönix** ein bisschen was liegen gelassen hatte, sorgte Marcel Halstenberg bei einem Eckstoss für die neuerliche Führung des Hannoverschen Sportvereins (65.). Daraufhin erhöhte der Hausherr nochmal seine Bemühungen und verpasste durch Beifus (71.) und Gondorf (72.) beste Gelegenheiten für eine schnelle Antwort auf den Rückstand.

Ein ganz Großer geht

Als der Schlusspfiff nahte, hatte Karlsruhes Toptorjäger Igor Matanović in der 89. Minute und in der Nachspielzeit noch zweimal den Ausgleich auf dem Fuß, aber Zieler hielt den Auswärtssieg fest. Dadurch hat die Leitl-Elf nun mindestens Platz 6 in der Abschlusstabelle sicher. Gewinnt man nächsten Sonntag das letzte Saisonspiel gegen die KSV Holstein, zieht man vielleicht sogar noch am nun punktgleichen KSC vorbei und selbst den Hamburger SV (gegenwärtig 4. Platz) könnte der Hannoversche SV im Optimalfall noch hinter sich lassen. Am Ende werden es mindestens 8 Punkte mehr als in der Vorsaison sein und das Torverhältnis wird auch deutlich besser ausfallen. Maximal acht Saisonniederlagen sehen statistisch sogar schon aufstiegsreif aus. Aber anders als die tatsächlichen Aufsteiger, hat 96 zu wenig Siege, respektive zu viele Unentschieden eingefahren.

Die Mannschaft und die mitgereisten Fans feiern den Auswärtssieg

Wir dürfen gespannt sein, ob Cheftrainer Stefan Leitl in seinem dritten Jahr eine weitere Leistungssteigerung hinbekommt und in zwölf Monaten der von Martin Kind als alternativlos postulierte Aufstieg gefeiert werden darf. Weil der Gürtel finanziell nochmal enger geschnallt werden muss, wird es allerdings nicht einfach die notwendigen Verstärkungen auf dem Transfermarkt zu finden. Von daher könnten Kinds Ansprüche einmal mehr an der Wirklichkeit scheitern. Ferner will Kind diesen Sommer offenbar mit selektiven Preiserhöhungen in der Nordkurve einen Teil der enormen DFB-Strafen für Pyrotechnik auf die Fans abwälzen. Da droht eine neue Zuspitzung des ewig jungen Konflikts zwischen dem greisen Geschäftsführer und der aktiven Fanszene, was das Saisonziel mit ungünstigen Nebengeräuschen torpedieren könnte.

Die KSC-Kurve aus der Nahdistanz

Für mehr als nur Nebengeräusche dürfte wiederum der Bundesgerichtshof (BGH) in der Sommerpause sorgen. Hier in Karlsruhe wird der BGH bald ein letztinstanzliches Urteil zu Kinds im Juli 2022 erfolgten Abberufung als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH und damit zugleich auch als Geschäftsführer der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA fällen. Zwar konnte Kind zunächst beim LG Hannover und auch beim OLG Celle erfolgreich gegen die Abberufung durch den Hannoverscher Sportverein von 1896 e. V. (Alleingesellschafter der Hannover 96 Management GmbH) vorgehen, aber der BGH ließ erfreulicherweise eine Revision zu.

Der KSC verabschiedete neben Stindl noch neun weitere Spieler nach Abpfiff

Es ist nun gut möglich, dass die obersten Richter der Republik den Fall anders als die Vorinstanzen bewerten. Zwar wäre Kind dennoch nicht ganz weg und bliebe dem 96-Kosmos weiterhin als Mehrheitsgesellschafter erhalten, aber es wäre eine deutliche Stärkung der Position des Vereins gegenüber der Kapitalseite. Folgt der BGH hingegen der rechtlichen Bewertung der Vorinstanzen, schiene eine Außerkraftsetzung der 50+1-Regel durch das komplizierte 96-Konstrukt diskussionswürdiger denn je. Dann droht eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen der DFL und der weiterhin von Kind geführten Hannover 96 GmbH & Co. KGaA. Ergo wird es für Freunde von Paragraphen, Satzungen und Aktenzeichen so oder so ein spannender Sommer.

Bei Rani Dhaba in Göttingen gab es noch schön Chicken Jalfrezi und ’nen Lassi

Für mich war es beinahe ebenso spannend, ob meine heutige Rückreise nach Hildesheim reibungslos klappt. Um 16:51 Uhr sollte es mit einer Freifahrt im ICE gen Heimat gehen. So umging ich übrigens einen dreistelligen Fahrpreis, der nebenbei schon Wochen vorher auf eine sehr hohe Auslastung hinwies. Entsprechend gönnte ich mir wenigstens für 4,90 € noch einen der letzten freien Sitzplätze im Ruheabteil und hatte tatsächlich eine angenehm ruhige Rückreise. Wenngleich ich wegen der eingangs erwähnten Baumaßnahmen meinen Anschluss in Göttingen verpassen sollte. Aber so war in der südniedersächsischen Universitätsstadt wenigstens noch ein kleines Abendessen drin, ehe um 22:10 Uhr das letzte Teilstück der Tour angetreten wurde und ich keine 45 Minuten später im heimischen Schlafzimmer das Licht ausknipsen konnte.

*Die Gallier hatten die Grande Île schon in der Antike besiedelt und wurden im Jahr 12 v. Chr. von den Römern beerbt. Aus deren Militärlager Argentoratum entwickelte sich eine Stadt, die wahrscheinlich bereits Mitte des 4. Jahrhunderts Bischofssitz wurde. 982 gewährte der römisch-deutsche Kaiser Otto II. den Straßburger Bischöfen schließlich auch die weltliche Herrschaft über das Bistum. Fortan war das Bistum zugleich Hochstift und die Bischöfe als Fürstbischöfe dessen weltliche Landesherren. 1681 wurde jenes Hochstift Straßburg von Frankreich annektiert und blieb bis zunächst 1871 französisches Territorium.

**Der am 6. Juni 1894 gegründete Karlsruher FC Phönix (Deutscher Meister 1909) fusionierte am 16. Oktober 1952 mit dem 1905 gegründeten Verein für Bewegungsspiele Mühlburg zum Karlsruher Sport-Club Mühlburg-Phönix. Unter gemeinsamer Fahne sollte man zweimal den DFB-Pokal gewinnen (1955 & 1956) und 1963 zu den 16 Gründungsmitgliedern der Bundesliga gehören. Der Verein kommt bisher auf insgesamt 24 Spielzeiten in der 1. Bundesliga und belegt in der Ewigen Tabelle den 20. Platz.