- 15.02.2025
- Atalanta BC – Cagliari Calcio 0:0
- Serie A (I)
- Stadio Atleti Azzurri d’Italia (Att: 21.485)
Als ich auf meiner ersten Italienreise des Jahres am 6. Januar in St. Valentins Heimatstadt Terni war (siehe Terni 01/2025), kam mir die Idee an dessen Gedenktag am 14. Februar gleich das nächste Mal nach Bella Italia zu reisen. Dazu buchte ich im ersten Step eine preiswerte Bahnreise (36,30 €) von Hildesheim nach Chiasso (Pias), die mir am Valentinstag ab 8:19 Uhr besonders viel gemeinsame Zeit mit meiner großen Liebe DB ermöglichte.

Mein Schnuckiputz auf Schienen geizte heute auch wirklich nicht mit seinen Reizen. Statt Blumen oder Pralinen schenkte mir der geliebte Mobility Partner eine Signalstörung irgendwo in Hessen, das Warten auf Anschlussreisende in Fulda, die Vorfahrt eines anderen Zuges in Hanau, eine spontane Umleitung über Frankfurt Südbahnhof und eine Streckensperrung zwischen Karlsruhe und Baden-Baden (Personen im Gleis). Weil wir irgendwann zwangsläufig +60 min auf der Anzeige stehen hatten, endete der ICE obendrein bereits am Badischen Bahnhof von Basel. Hass! Liebe!

Es ging dann kurz nach 15 Uhr mit dem nächstmöglichen und nebenbei ebenfalls reichlich verspäteten EuroCity weiter nach Basel SBB, wo mein geplanter Anschluss natürlich schon seit über einer Stunde weg war. Die erstbeste Alternative führte mich nun über Luzern und Arth-Goldau in Richtung Italien. Doch auch die sonst so zuverlässige SBB beschenkte mich an diesem besonderen Tag mit einer satten Verspätung. Wir standen leider 45 min außerplanmäßig vor dem Gotthard-Basistunnel rum.

Anschließend endete der InterCity heute vorzeitig in Bellinzona (Bellenz). Per weiterem Umstieg in Lugano (Lauis) erreichte ich Chiasso schließlich 20:06 Uhr (anstatt wie geplant 17:26 Uhr) und 25 Minuten später ging es von dort per 6 € teurem Regionalzug weiter nach Milano (Mailand). In meinem eigentlichen Zielort wäre ich im Idealfall 18:17 Uhr angekommen. Nun wurde es 21:17 Uhr…

Ich versuchte mich noch für den eigentlich angedachten Restaurantbesuch zu motivieren. Aber zu dieser späten Stunde nahm ich aus Bequemlich- und Müdigkeit doch lieber mit dem Mercato Centrale am Hauptbahnhof der lombardischen Hauptstadt Vorlieb. Jener Viktualienmarkt versorgte mich nun mit einem großen Bier vom Fass (Baffo d’oro) und einer noch größeren Pizza Piccante (mit u. a. Spianata calabrese und Nduja calabrese) aus dem Steinofen. War köstlich, kostete zusammen 20 € und versöhnte mich wieder mit der Welt.

Anschließend ging es ins gute zehn Fußminuten entfernte Hotel Dorè (***) an der Piazza Argentina, wo ich mich für die nächsten drei Nächte zum Preis von insgesamt 168 € eingebucht hatte. Bisschen in die Jahre gekommen, aber gute Lage, freundliches Personal, sehr sauberes Zimmer und bequemes Bett. Da konnte man für die aufgerufene Summe nicht meckern.

Außerdem war im Preis sogar Frühstück inbegriffen. Diesem widmete ich mich am Samstagmorgen natürlich gerne, ehe es 9:05 Uhr per Regionalzug (6 €) ins 50 km entfernte Bergamo (Bergen) ging. In der 120.000-Einwohner-Stadt kam ich kurz vor 10 Uhr an und hatte dadurch ein rund fünfstündiges Zeitfenster, bis erstmals auf dieser Tour der Ball rollen sollte.

Ich war zwar schon zweimal in Bergamo gewesen. Aber der umfangreiche Stadionumbau zwischen 2019 und 2024 und der jüngst geschaute Film A guardia di una hatten mich zur Wiederkehr motiviert. Außerdem ist Bergamo eine wirklich schöne Stadt, die regelmäßige Revisits verdient. Erst recht an einem sonnigen, fast schon frühlingshaften Tag wie heute.

Vom Bahnhof in der Città Bassa (Unterstadt) machte ich gerne die zwei Kilometer und 120 Höhenmeter in die Città Alta (Oberstadt). Dabei konnte ich nach erster kleiner Anstrengung einen herrlichen Ausblick von der alten venezianischen Stadtmauer der Oberstadt genießen. Jene Mauer wurde ab 1561 errichtet, um das bereits 1428 an die Repubblica di Venezia (Republik Venedig) gefallene Bergamo vor der Bedrohung durch spanische und französische Invasionsheere zu schützen.

Innerhalb der Stadtmauern erzählen wiederum zahlreiche Bauwerke von noch älteren Epochen der Stadtgeschichte. Die reicht insgesamt über 2500 Jahre zurück und beginnt mit der nicht exakt datierbaren Siedlungsgründung durch die Orobier. Jene Orobier waren ein gallischer Volksstamm, der sich in der Eisenzeit zwischen Alpen und Po niederließ. Ihr cisalpinisches Siedlungsgebiet wurde jedoch 196 v. Chr. von den Römern erobert und rasch romanisiert. Nach dem Zerfall des Weströmischen Reichs folgte ab 569 eine weitere Blütezeit als Residenzstadt eines langobardischen Herzogtums, ehe 774 die fränkische Eroberung des heutigen Norditaliens eine spätere Zugehörigkeit zum von deutschen Königen und Kaisern beherrschten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR) vorbestimmte.

Auf der Piazza Vecchia im Herzen der Oberstadt vertiefte ich nun ein wenig die weitere Geschichte Bergamos. Dort erinnern u. a. der Palazzo della Ragione, der Torre Civica (beide aus dem 12. Jahrhundert), die Basilica di Santa Maria Maggiore (ursprünglich ebenfalls 12. Jahrhundert, später barockisiert) und die Cattedrale di Sant’Alessandro Martire (15. Jahrhundert) an die mittelalterliche Blütezeit der Stadt.

Denn Bergamo war im Hochmittelalter eine vom Reich relativ autonome norditalienische Stadtrepublik mit Territorialbesitz, deren Patriziergeschlechter zu reichlich Macht und Wohlstand gekommen waren. Zugleich gab es aber auch Konkurrenz mit anderen Städten der Region. Insbesondere mit Brescia (Welsch-Brixen) führte man im 12. Jahrhundert eine lange Fehde, welche die Wurzel einer bis heute andauernden und in jüngerer Vergangenheit insbesondere im Fußballkontext ausgelebten Städterivalität ist.

Die vielen Rivalitäten der mächtigen oberitalienischen Städte wollte sich im 12. Jahrhundert auch Kaiser Friedrich I. (HRR), genannt Barbarossa, zunutze machen. Der Staufer stellte die Privilegien der oberitalienischen Städte infrage und versuchte mit Waffengewalt direkten politischen Einfluss in den Stadtrepubliken durchzusetzen. Dabei wurde auch Bergamo in einen längeren und komplizierten Konflikt gezogen, in dessen Verlauf man sich 1198 der von Milano geführten Lega Lombarda (Lombardenbund) anschloss.

Im Jahre 1333 geriet Bergamo endgültig unter den direkten Einfluss der damals von mächtigen Familie Visconti beherrschten Nachbarstadt und gehörte 1395 folglich zur Gründungsmasse des sich über fast die gesamte Lombardei erstreckenden Ducato di Milano (Herzogtum Mailand). Aber wie schon erwähnt, lösten bereits 1428 die Venezianer die Milanesen als Herren von Bergamo ab. Wahrscheinlich zum Vorteil der Bergamasken. Denn die Serenissima Repubblica di San Marco (Durchlauchtigste Republik des Heiligen Markus) gewährte der Stadt an der äußersten Nordwestgrenze ihres Staatsgebiets wieder weitgehende Autonomie.

Unter venezianischem Banner kam es außerdem nicht nur zur zeitgemäßen Befestigung der Stadt, sondern obendrein zu einer regen sakralen und profanen Bautätigkeit. So finden sich in der Oberstadt auch viele Bauwerke aus der Renaissance und dem Barock. Heute steht die komplette Città Alta als Gesamtensemble unter Denkmalschutz, während die venezianische Stadtmauer als exzellent erhaltenes Zeugnis der Stadtbefestigungsarchitektur des 16. Jahrhunderts sogar im Jahre 2017 ins Welterbe der UNESCO aufgenommen wurde.

Die Ära der Serenissima endete schließlich 1795. Napoleon Bonaparte war mit seiner Grande Armée in Oberitalien einmarschiert und gliederte Bergamo in von ihm geschaffene und an Frankreich gebundene Repubblica Cisalpina (Cisalpinische Republik) ein. Doch nachdem Napoleon 1815 von einer Koalition aus Großbritannien, Österreich, Russland und Preußen endgültig geschlagen und entmachtet wurde, ging Bergamo im habsburgischen Regno Lombardo-Veneto (Lombardisch-Venezianisches Königreich) auf.

Zwar entwickelte sich die Stadt unter den Habsburgern zu einem wohlhabenden Zentrum der italienischen Textilindustrie, aber nichtsdestotrotz fielen die italienischen Nationalstaatsbestrebungen Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Bergamo auf sehr fruchtbaren Boden. 1859 marschierten schließlich Giuseppe Garibaldis Cacciatori delle Alpi (Alpenjäger) nach ihrem Sieg über die Habsburger durch die altehrwürdigen Tore in die Città Alta ein und Bergamo wurde dem Regno di Sardegna (Königreich Piemont-Sardinien) angegliedert.

Und mehr noch; die Bergamaschi stellten 1860 bei Garibaldis berühmter Spedizione dei Mille (Zug der Tausend) 174 der 1.067 Freiwilligen, die unter dem Kommando des Revolutionsführers nach Sizilien zogen und die Insel für die nationale Sache von der Herrschaft der Bourbonen befreiten. Nachdem die Mehrheit der italienischsprachigen Lande endlich als Nationalstaat vereinigt war, gehörte Bergamo selbstverständlich auch zum Territorium des 1861 ausgerufenen Regno d’Italia (Königreichs Italien) und bekam für ihren großen Beitrag zur Einigung Italiens den bis heute stolz getragenen Ehrennamen Città dei Mille (Stadt der Tausend).

Nachdem ich mich über drei Stunden mit der Geschichte und den Sehenswürdigkeiten Bergamos beschäftigt hatte, widmete ich mich um 13 Uhr schließlich gern den kulinarischen Künsten dieser Stadt. Meine Wahl fiel auf das Restaurant Circolino Città Alta, wo man in der heutigen Mittagssonne bereits sehr schön im Hof an der frischen Luft sitzen konnte.

Als Primo bestellte ich dort Pasta pasticciata (gratinierte Rigatoni mit Schinken und Champignons) und als Secondo wählte ich mit Coniglio al forno alla bergamasca außerdem eine lokale Spezialität. Jenes knusprige Kaninchen aus dem Ofen wurde mit einer deftigen Buchweizenpolenta serviert und mein bestelltes Honigbier passte ganz gut zu diesem Gang. Am Ende wurden für die zwei Gänge, 40 cl Bier, eine Flasche Wasser, Brot und Coperto faire 34,50 € verlangt.

Satt und zufrieden steuerte ich nach Essen das 1928 eröffnete Stadio Atleti Azzurri d’Italia in der Città Bassa an. Dieses kam gegen 14:30 Uhr in Sicht und hatte sich insbesondere hinter den Toren optisch stark verändert. Dort sind nun keine offenen Kurven mehr, sondern die beiden Tribünen sind direkt ans Spielfeld gerückt und überdacht worden. An den Längsseiten zwang der Denkmalschutz der historischen Fassaden den Verein hingegen zu moderateren Umbaumaßnahmen. So sind Haupttribüne und Gegengerade innen zwar auch modernisiert worden, aber durch der Erhalt der Fassaden deutlich niedriger als die Hintertorseiten.

Im direkten Stadionumfeld war natürlich 30 Minuten vor Anpfiff viel los und die Fans hatten an der Straße einige Bettlaken mit Botschaften gespannt. Es ging um Reise-, respektive Ticketbeschränkungen, die heute die Gästefans aus Sardinien trafen. Zwar war für sie der Gästeblock geöffnet, jedoch gab es Tickets nur für Besitzer einer Fancard und ausschließlich im Onlinevorverkauf. Das wurde mit der Einstufung als Risikospiel begründet und da die Ultras von Cagliari Calcio die Fancard boykottieren, waren sie mal wieder vom Stadionerlebnis ausgeschlossen. Diese Umstände kommentierten die Heimfans u. a. mit „Ma quali rischi, ma quale prevenzione… Trasferte vietate agli ultas senza una reale motivazione!“ (Aber welche Risiken, aber welche Prävention? Auswärtsfahrten für Ultras ohne echte Begründung verboten!).

Außerdem stand der Spieltag heute seitens der Bergamaschi im Zeichen des Gedenkens an den früheren Spieler Federico Pisani und dessen Freundin Alessandra Midali. Pisani, der Atalantas eigener Jugend entstammte und am 15. März 1992 als Siebzehnjähriger sein Debüt in der Serie A feiern durfte*, war am 12. Februar 1997 zusammen mit Midali bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dem tragischen Unglück wird jährlich von Fans und Verein beim ersten Heimspiel nach dem Todestag gedacht. Außerdem wird Pisanis Nummer 14 nicht mehr vergeben und die Curva Nord des Stadions trägt seinen Namen.

Ab Anpfiff erwartete mich auf meinem 40 € teuren Platz (Gegengerade) ein relativ gefälliger Tifo der Heimfans. Nach der 2021 vollzogenen Auflösung der Dachgruppe Curva Nord Bergamo 1907 (1998 ursprünglich unter dem Namen Dell’Atalanta Supporters gegründet) geben auf der Nord nun Gruppen wie Per chi non può esistere, Ultras Tanto Tornano und die Vecchia Guardia den Ton an und taten dies phasenweise mit guter Lautstärke und Mitmachquote. Bereits vom Stadionvorplatz bekannte fanpolitische Statements wurden außerdem während des Spiels nochmals in der Kurve postuliert.

Auf der Süd, wo nach wie vor die 2006 gegründete Gruppe Forever Atalanta am sichtbarsten ist, lief der Tifo dagegen quantitativ in kleineren Dimensionen ab. Aber insgesamt kann man weiterhin von zwei aktiven Kurven bei Atalanta sprechen. Wobei die Nord auch ohne neue Dachgruppe sicher noch den Ansatz der großen und verschiedene politische Strömungen vereinenden Fankurve verfolgen dürfte, während im Süden das linke Erbe der 1976 gegründeten und 2005 aufgelösten Brigate Neroazzurre gewissermaßen bis heute gepflegt wird.

Der ebenfalls auf der Süd befindliche Gästesektor war auch passabel gefüllt. Jedoch fehlte es ohne Ultras an Koordination, Konstanz und Lautstärke beim Support des italienischen Meisters von 1970. Der wiederum machte Atalanta Bergamasca Calcio auf dem Rasen das Leben ziemlich schwer. Die Rossoblù standen als Außenseiter erwartungsgemäß sehr tief und den favorisierten Nerazzurri fehlten die zündenden Ideen zum knacken der sardischen Abwehrphalanx. So musste das Publikum tatsächlich auch 35 Minuten auf den ersten Torschuss der Partie warten. Der vorerst einzige Abwehrfehler der Gäste ermöglichte Atalanta eine Balleroberung in Strafraumnähe und Samardžić zwang Cagliaris Schlussmann Caprile zu einer Glanzparade.

Chef- und Erfolgstrainer Gasperini, der Atalanta in den letzten Jahren zu einem italienischen Spitzenteam und zum amtierenden Sieger der UEFA Europa League geformt hat, stellte folgerichtig in der Halbzeit um. Zwar wurde der angeschlagene Superstar Lookman weiterhin für das wichtige Rückspiel gegen Brügge in der Champions League geschont, aber immerhin de Ketelaere und Vlahović sollten für frischen Wind im Offensivspiel des derzeitigen Dritten der Serie A sorgen.

Die Umstellungen schien in der 60. Minute endlich die gewünschte Wirkung zu entfalten, als Marco Brescianini das vermeintliche Führungstor erzielte. Doch der VAR hatte etwas dagegen und ansonsten waren Caprile und seine Vorderleute bis zum Abpfiff wieder auf Zack. Somit feierte der Tabellendreizehnte aus der Inselhauptstadt einen Punktgewinn am Fuße der Alpen, während Atalanta ’ne gute Gelegenheit verpasste, um auf das an diesem Spieltag ebenfalls patzende Führungsduo Napoli und Inter aufzuschließen.

Dienstag steht nun im selben Stadion das bereits erwähnte Duell gegen Brügge an, in dem die Dea (Göttin)** für den Einzug ins Achtelfinale der Champions League eine 2:1 Niederlage aus dem Hinspiel umbiegen muss. Da befinde ich mich allerdings bereits wieder in Deutschland und muss mir somit keine Gedanken darüber machen, ob jener Spielbesuch besser als heute werden könnte.
- 15.02.2025
- AC Milan – Hellas Verona 1:0
- Serie A (I)
- Stadio Giuseppe Meazza (Att: 69.578)
Nach einem weiteren kleinen Spaziergang fuhr ich um 18:02 Uhr von Bergamo zurück nach Milano (abermals 6 €) und dort stand gleich das nächste Fußballspiel auf dem Programm. Es ging vom Hauptbahnhof per Metro (2,20 €) raus nach San Siro, wo die AC Milan um 20:45 Uhr ein Heimspiel gegen Hellas Verona bestreiten sollte. Das ließ sich heute wirklich perfekt mit Atalanta doppeln. Denn schon über eine Stunde vor Anpfiff stand ich einmal mehr vor’m meinerseits hochverehrten Stadio Giuseppe Meazza.

Da wäre theoretisch sogar noch ein Zwischenstopp für eine Pizza o. ä. drin gewesen. Aber ein Panino mit Salamella, Paprika und Zwiebeln (8 €) von einem der Food Trucks vor’m Stadion tat es auch. Zumal sich mit einem nur bedingt vollen Magen die ganzen Stockwerke in den 3. Rang der Haupttribüne viel besser meistern ließen. Denn wie schon vor wenigen Monaten gegen Brügge in der UEFA Champions League (siehe Milano 10/2024), saß ich erneut auf einem der billigsten Plätze. Damals kostete ein Sitz in besagtem Stadionbereich 29 €, heute verlangte die Associazione Calcio sogar nur 12 €.

Und apropos Champions League… Da gibt es gerade gewisse Parallelen zu Atalanta. Auch Milan bangt nach einem verkorksten Hinspiel (1:0 Niederlage bei Feyenoord) um den Einzug ins Achtelfinale. Dienstag wird das Rückspiel in San Siro stattfinden, aber anders als Atalanta durfte sich Milan dafür heute nicht wirklich schonen. Der aktuell Siebte der Serie A braucht dringend Siege, um den Rückstand auf Platz 4 zu verkürzen und somit die Chance auf eine erneute Teilnahme in der europäischen Königsklasse zu wahren.

Sportlich ist das also bisher eine eher durchwachsene Saison für die Rossoneri und fantechnisch haben wir hier auch weiterhin eine große Baustelle. Wie im vorigen Erlebnisbericht aus diesem Stadion bereits dargestellt, kam es vergangenen Herbst nach einer tödlichen Auseinandersetzung innerhalb der teils mafiösen Strukturen der Curva Nord von Inter zu einer Verhaftungswelle in beiden Fanszenen der Stadt. Denn auch führenden Köpfen von Milans Curva Sud werden Verstrickungen in die Unterwelt und kriminelle Aktivitäten rund um die Fußballspiele der AC Milan vorgeworfen, gegen die der Staat jetzt offenbar konzentriert vorgehen will.

Während bei meinem Besuch gegen Brügge aus Protest noch 80 Spielminuten geschwiegen wurde, supportet die Curva Sud mittlerweile jedoch wieder über die gesamte Spieldauer. Allerdings hängen weiter keine Banner an der Brüstung und an Fahnenmeere oder Choreographien ist zur Zeit ebenfalls nicht zu denken. Letzteres aber meines Wissens vor allem aus Protest gegen die Clubführung. Und da geht es wiederum nicht nur um Verwerfungen im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die Kurve, sondern zuvorderst um die maue sportliche Situation.

Als Schuldigen hat die Fanszene den Clubeigentümer Gerry Cardinale ausgemacht. Jener italienischstämmige Sportinvestor aus den USA, der mit seiner Gesellschaft RedBird Capital Partners u. a. auch Miteigentümer beim Toulouse FC (85 %) und Liverpool FC (10 %) ist, erwarb im Sommer 2022 99,93 % der Anteile der Associazione Calcio Milan. Ihm wird seitdem eine Reihe von personellen und finanziellen Fehlentscheidungen und mangelndes Interesse am Club und dessen Befindlichkeiten vorgeworfen. So ist Cardinales letzter Besuch in Italien, trotz sportlicher Krise, schon wieder ein halbes Jahr her. Stattdessen scheint er Zlatan Ibrahimović als seinen Statthalter in Milano eingesetzt zu haben. Der frühere Milan-Star ist zwar eigentlich nur ein auf der Gehaltsliste von RedBird stehender externer Berater, mischt jedoch mächtig im operativen Geschäft der AC Milan mit und vertrat zuletzt sogar den wegen eines Trauerfalls verhinderten Cheftrainer bei einer Pressekonferenz.

Jener Trainer heißt seit dem 1. Januar 2025 übrigens Sérgio Conceição. Der Portugiese folgte auf seinen nach nur einem halben Jahr Tätigkeit beurlaubten Landsmann Paulo Fonseca. Conceição konnte eine Woche nach seiner Vertragsunterzeichnung sogleich die Supercoppa in Saudi-Arabien gewinnen (3:2 im Endspiel gegen Inter), aber in der Serie A und in der Champions League blieben die Auftritte weiterhin durchwachsen. Entsprechend grasten Conceição und Quasi-Sportdirektor Ibrahimović vor wenigen Tagen nochmal den Transfermarkt ab. Durch Leihen von Kyle Walker (Man City) und João Félix (Chelsea) und die ca. 30 Mio € teure Verpflichtung von Santiago Giménez (Feyenoord) glaubt man ein paar Versäumnisse bei der Kaderplanung korrigieren zu können.

Die drei namhaften Neuen standen heute alle gegen Hellas in der Startelf, schienen aber zunächst keinen Unterschied zu machen. Der Außenseiter (aktuell 15. Platz) begann zur Freude der aus Verona mitgereisten Fans sehr forsch und Ondrej Duda prüfte gleich in der 2. Minute Milans Schlussmann Maignan. Die AC brauchte hingegen 25 Minuten, bis sie erstmals gefährlich vor das Gästetor kam. Doch auch auf der anderen Seite zeigte sich der Torhüter reaktionsschnell. Montipo entschärfte den platzierten Schuss von Reijnders. Fortan schien der neunzehnfache italienische Meister etwas besser im Spiel. Doch mehr als ein wegen einer Abseitsstellung abgewunkenes Tor von Giménez kam bis zur Pause trotzdem nicht zustande.

Der abermals magere Auftritt animierte die Curva Sud wieder mehrfach zum Schlachtruf „Cardinale, devi vendere“ (Cardinale, du musst verkaufen) und an dieser Forderung wird auch die etwas gefälligere 2. Halbzeit am heutigen Abend wohl nichts ändern. Denn mit den frischen Offensivkräften Rafael Leão und Álex Jiménez war Milans Angriffsspiel etwas schneller und variabler. Nachdem die Neuen zunächst mit Fernschüssen den veronesischen Abwehrbeton überwinden wollten, entschieden sie das Spiel letztlich mit einer schönen Kombination in der 75. Minute. Jiménez setzte Rafael Leão an der Strafraumgrenze in Szene und der legte wiederum direkt quer auf den frei vor’m Tor stehenden Giménez. Der Mexikaner musste nur noch seinen Fuß zum einigermaßen verdienten 1:0 hinhalten.

Der italienische Meister von 1985 war dadurch in der Schlussviertelstunde zu einer totalen taktischen Kehrtwende gezwungen, scheiterte jedoch an dieser Aufgabenstellung. Demgemäß konnte Milan die Führung bis zum Abpfiff verwalten. Ein glanzloser Arbeitssieg, der aber vielleicht etwas Selbstbewusstsein für die wahrscheinlich deutlich größere Herausforderung am kommenden Dienstag verleiht. Doch ich glaube selbst ein Sieg gegen Feyenoord wird höchstens temporär für eine verbesserte Gemütslage im Umfeld der Rossoneri sorgen.

Nach Abpfiff ging’s meinerseits schnurstracks zur Metrostation und von dort für 2,20 € fast direkt unter mein Hotel. Das betrat ich knapp 40 Minuten nach Spielende und war somit noch deutlich vor Mitternacht im Bett. Ich schlief dank der vielen Schritten und Stockwerke auch sofort ein und ließ die Lider gute acht Stunden geschlossen. Anschließend stand natürlich am Sonntag ein weiterer Fußballausflug an, aber davon werde ich zeitnah gesondert berichten.
*Übrigens gegen Cagliari Calcio (Endstand 0:0)
**Atalanta ist nach einer gleichnamigen sportlichen Heldin aus der griechischen Mythologie benannt, die zwar eigentlich zu den Sterblichen zählt, aber in Bergamo trotzdem nur die Göttin genannt wird.