Roma (Rom) 01/2025 (II)

  • 05.01.2025
  • AS Roma – SS Lazio 2:0
  • Serie A (I)
  • Stadio Olimpico (Att: 65.042)

Ausschlafen war gestern… Am Sonntagmorgen ging es wieder um 7 Uhr aus den Federn. Denn am ersten Sonntag eines jeden Monats sind in Roma etliche Museen und andere Kulturgüter gratis. In unseren Augen ideal für eine Visite des antiken Dreigestirns Colosseo (Kolosseum), Palatino (Palatin) und Foro Romano (Forum Romanum), für das ansonsten 18 € Eintritt fällig werden. Allerdings war auch klar, dass wir die Idee nicht exklusiv haben würden. Entsprechend reihten sich El Glatto und ich bereits um 8:15 Uhr in die Schlange ein.

Sehenswürdigkeit von Weltrang in Sicht

Eine Viertelstunde später sollte das zwischen 72 und 80 n. Chr. im Auftrag von Kaiser Vespasian erbaute Amphitheater öffnen. Aufgrund des Andrangs passierten wir den Eingang allerdings erst kurz nach 9 Uhr. In der einst für 50.000 Zuschauer ausgelegten Arena verteilten sich die ganzen Frühaufsteher jedoch überraschend gut, so dass es dort nicht wirklich crowdy war. Das dürfte in der Hauptsaison alles viel schlimmer sein.

Das Kolosseum hat auf seinen drei Ebenen jeweils 80 Rundbögen

So konnten wir bei unserem Rundgang ganz entspannt die vielen Schautafeln und Exponate in Augenschein nehmen. Dabei erfuhren wir allerhand über die Geschichte des mit einer Länge von 189 m, einer Breite von 156 m und einer Höhe von 48 m größten Amphitheater der Welt. Der Name leitet sich hingegen nicht von den kolossalen Ausmaßen des Bauwerks, sondern von seinem einstigen Nachbarn ab. Einer ca. 35 m hohen Bronzestatue des Kaisers Nero (Colossus Neronis), die aber im Gegensatz zum Colosseo nicht mehr existiert. Das war selbst mir neu.

Schon ’ne geile Cancha

Davon, was den römischen Bürgern in der Antike im Colosseo geboten wurde, hatte ich aber wenigstens eine grobe Ahnung. Russell Crowe und ein paar Seminaren im Studium sei Dank… Dennoch war ich beeindruckt, mit welchem technischen Aufwand Munera (Gladiatorenkämpfe), Venationes (Hetzjagden auf exotische Tiere) und Naumachiae (nachgestellte Seeschlachten) dereinst inszeniert wurden. Ein unterirdisches Konglomerat aus Kammern, Käfigen, Aufzügen und Falltüren sorgte seinerzeit für Spezialeffekte und andere Überraschungsmomente. Ferner konnte die Arena für die erwähnten Seespektakel binnen kurzer Zeit geflutet und auch wieder entwässert werden.

Blick in die Katakomben

Obendrein fand ich die Parallelen zu heutigen Stadionveranstaltungen wie Profifußball interessant. Es gab Cateringstände im Umlauf und fliegende Händler zogen mit Wein, Wasser und Snacks durch die Ränge. Außerdem fanden Lotterien bei den tagesfüllenden Spektakeln statt, bei denen Sachpreise verlost wurden und es gab Wettbuden, wo man Geldsummen auf Gladiatoren setzen konnte. Die Zuschauer sollen entsprechend leidenschaftlich mit ihren Favoriten mitgefiebert haben und mitunter kam es im Publikum sogar zu handfesten Konflikten.

Geschätzt 13,12 Mio Menschen besuchten das Colosseo im Jahr 2024 (2023 waren es amtlich 12,3 Mio)

Dazu war das Massenspektakel sehr gut organisiert. Zwar waren die Spiele ein Geschenk der Herrscher an die Untertanen und demgemäß der Eintritt für römische Bürger frei. Allerdings musste man sich dennoch im Vorfeld an Ausgabestellen Tessarae (Eintrittsmarken) besorgen. Es sollten aus Sicherheitsgründen schließlich nur so viele Zuschauer in die Arena, wie guten Gewissens hineinpassten. Auf den Tessarae stand wiederum die Nummer eines der 80 Eingänge des Colosseo und das entsprechende Treppenhaus zum zugewiesenen Stadionbereich war damit auch klar.

Blick ins antike Treppenhaus

Die Stadionsektoren waren dabei streng hierarchisch eingeteilt. Der Kaiser und sein Gefolge hatten natürlich einen eigenen Eingang und eine Ehrenloge, während den Senatoren und anderen Honoratioren nebst Angehörigen der Unterrang vorbehalten war. Der Mittelrang war dann für Männer mit römischem Bürgerrecht reserviert, wohingegen Männer ohne Bürgerrecht, Frauen und Sklaven mit dem Oberrang Vorlieb nehmen mussten.

An early bird like us

Mit der Oberschicht aus dem Unterrang beschäftigten wir uns nach dem Rundgang im Colosseo gleich weiter. Es ging auf den benachbarten Palatino, wo der Legende nach ein von einer Wölfin gesäugter Brudermörder namens Romulus die Stadt im Jahre 753 v. Chr. gegründet haben soll. Allerdings deuten Ausgrabungen darauf hin, dass Menschen mindestens schon im 10. Jahrhundert v. Chr. auf diesem Hügel gesiedelt haben.

Überreste des Domus Augusti (Palast des Kaisers Augustus)…

Wahrscheinlich sorgte die Gründungslegende dafür, dass der Palatino unter den sieben römischen Hügeln bereits zu republikanischen Zeiten der am vornehmsten bewohnte wurde. Daher ließ dort auch der erste römische Kaiser Augustus ab 36 v. Chr. seinen Palast errichten und mehrere seiner Nachfolger taten es ihm gleich. So spazierten wir hier durch die Ruinen von insgesamt fünf Kaiserpalästen und konnten ein wenig vom herrschaftlichen Leben in der Antike erahnen. Obendrein haben wir gelernt, dass sich Palazzo und damit auch Palast etymologisch von Palatin ableiten.

…und des Domus Flavia (Palast des Kaisers Domitian)

Dort oben konnte sich die Oberschicht ins Private zurückziehen, während unterhalb des Palatino im Foro Romano das römische Leben pulsierte. Auf jenem großzügigen Platz fanden nämlich gleichermaßen Märkte, politische Kundgebungen und religiöse Zeremonien statt und drumherum standen wichtige Bauwerke wie der Aedes Saturni (Saturntempel), der Aedes Castoris (Castortempel), die Curia Iulia (Sitzungsgebäude des Senats) und die Basilica Iulia (Gerichtsgebäude).

Überreste des Castortempels im Forum

Ferner verlief die Via Sacra (heilige Straße) durch’s Forum. Sie war dereinst Schauplatz von religiösen Prozessionen, Trauerzügen und Triumphzügen. Dazu sorgten besonders große Triumphe für den Bau von Triumphbögen. So erhebt sich direkt hinter dem Eingang zum Foro Romano der Arco di Tito (Titusbogen). Dieser wurde zum Gedenken an den Triumph von Kaiser Titus im jüdisch-römischen Krieg (66 – 70 n. Chr.) nach dessen Tod im Jahre 81 errichtet und ist der älteste erhaltene Triumphbogen der Stadt. Zugleich ist der Arco di Tito Vorbild für viele neuzeitliche Triumphbögen wie den Arc de Triomphe in Paris gewesen.

Der Titusbogen

Man kann in diesen archäologischen Stätten sicher einen ganzen Tag lang in die Blütezeit der Hauptstadt des antiken Weltreichs abtauchen, aber bei uns ließ die Entdeckerlust leider bereits in den Mittagsstunden rapide nach. Stattdessen bestimmte ein aufgekommenes Hungergefühl vorerst vollends unser Handeln. Davon gesteuert, kehrten wir gegen 13:00 Uhr in unsere temporäre Wohngegend zurück, wo wir aber zunächst nur vor verschlossenen Restaurants standen.

Zurück an der Porta Maggiore

Jetzt war guter Rat nicht teuer, sondern im Mobilfunktarif inklusive. Eine kurze Internetrecherche ergab, dass ein ca. 500 m entferntes Restaurant namens Pinsa e buoi geöffnet haben sollte. Stimmte tatsächlich und dort hatte man erfreulicherweise noch einen kleinen Tisch für uns. Entgegen unserer Befürchtung bot die Speisekarte außerdem deutlich mehr als Pinsa. Hier konnten wir wie an den Vortagen schön zwei Gänge römische Spezialitäten genießen.

Strozzapreti alla gricia

El Glatto wählte als Primo die Fettuccine mit Lammragout und frittierter Artischocke. Ich hingegen entschied mich für die Strozzapreti alla gricia, für deren Zubereitung nach meiner Bestellung ein schönes Stück Guanciale di cinta aus der Schinkenvitrine geholt wurde. Als Secondo folgte meinerseits Spezzatino di manzo con carciofi (geschmortes Rinderhackfleisch mit Artischocke), während bei meinem Gegenüber Saltimbocca alla romana (Kalbsschnitzel mit Schinken und Salbei) serviert wurde.

Spezzatino di manzo con carciofi

Als Getränke fanden außerdem eine Flasche Wasser, zwei Gläser Syrah (ein würziger Roter aus der Region Latium) und – zum Abschluss der Mahlzeit – zwei Espressi (mit Gebäck) den Weg an unseren Tisch. Zusammen mit Coperto ergab das am Ende glatt 100 € Rechnungssumme.

Ein bisschen Gebäck zum Kaffee

Und wo wir gerade beim Summieren sind… Frühes Aufstehen, eine sehr aktive erste Tageshälfte und ein opulentes Mittagsmahl ergaben zusammen maximale Trägheit. Dazu das heutige Schietwetter, welches ebenfalls nicht zu weiteren Kulturspaziergängen anregte. Ergo lockte jetzt am meisten die nahe und warme Bude. Zumal da auch noch kaltes Bier auf uns wartete, mit welchem wir uns zwei Stündchen nach dem Mittagsschlaf so langsam auf das heutige Derby della Capitale einstimmten.

Die Milvische Brücke

Um 18 Uhr waren wir dann mit Vito an der Ponte Milvio (Milvische Brücke) verabredet, wo wir uns den Mob von Lazio mal aus der Nähe angucken wollten. An ihrem Treffpunkt stimmten sich die Laziali angeblich bereits seit heute Mittag auf das Derby ein und gut 2,5 Stunden vor Anpfiff herrschte definitiv eine knisternde Atmosphäre. Da wunderte es auch nicht, dass es hier kurz nach unserer Visite zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen sein soll. Die wiederum präsentierte den Medien am nächsten Morgen unzählige vor dem Spiel sichergestellte Knüppel, Ketten, Feuerwerkskörper und Stichwaffen (aus beiden Fanlagern).

Die Laziali stimmen sich auf das Derby ein

Wir vergewisserten uns unterdessen an der 500 m entfernten Ponte Duca d’Aosta (Herzog-von-Aosta-Brücke), dass auch die Anhänger der AS Roma heiß auf’s 184. Derby der beiden Rivalen waren. Hier wurde sich ebenfalls schon seit Stunden eingesungen und im doppelten Wortsinn vorgeglüht. Dazu war an diesem Nadelöhr quantitativ noch etwas mehr los. Denn der andere Verein der Hauptstadt hatte heute das Heimrecht und sollte somit im seit 1953 von Lazio und AS gemeinsam genutzten Stadio Olimpico di Roma rund drei Viertel der Ränge besetzen.

Die Romanisti ließen es an ihrem Treffpunkt ebenfalls lodern

Mit Kaltgetränken fieberten wir an der Brücke und auf dem benachbarten Stadionvorplatz ebenfalls dem Spielbeginn entgegen und tauschten uns nebenbei noch über die unterschiedlichen Erlebnisse der letzten 1,5 Tage aus. Denn Vito war, wie im vorigen Bericht erwähnt, zwischendurch mal nach Firenze (Florenz) gedüst und hatte dort am Vorabend u. a. dem Duell der Fiorentina mit Napoli beigewohnt. Ferner entschuldigte er mit der Rückkehr nach Mitternacht seinen Frevel, dass er sich nicht unserem morgendlichen Kulturspaziergang angeschlossen hatte.

Buntes Treiben auf der Ponte Duca d’Aosta

Wirklich zeitig, nämlich eine Stunde vor Spielbeginn, gingen wir schließlich ins 1932 eröffnete Stadion und hatten dazu gleich zwei Ticket-, Taschen- und Ausweiskontrollen zu überwinden. An dieser Stelle könnte ich auch erwähnen, was die AS Roma uns pro Ticket abgeknöpft hat. Aber ich lasse es lieber. Sagen wir mal, der Betrag geht gerade noch als unterer dreistelliger Eurobereich durch und auf Zweitmarktplattformen wäre es nur noch teurer geworden. In jedem Fall meine bisher teuerste Eintrittskarte für ein Fußballspiel.

Feuerwerk auf der Ponte Duca d’Aosta

Dafür wurde uns im Colosseo der Neuzeit wenigstens einiges geboten. Beide Kurven waren bereits weit vor Spielbeginn prall gefüllt und die Romanisti trugen leidenschaftlich ihre Hymnen wie „Roma, Roma, Roma“ und „Forza Roma, Forza Lupi“ vor. Auch tauschten die Lager schon fleißig verbale und optische Sticheleien aus. So präsentierte die Curva Sud beim Vorgeplänkel u. a. einen großen Doppelhalter mit einem schlafenden Lazio-Fan. Dieser hatte offenbar immer noch Alpträume vom letzten Aufeinandertreffen im April 2024, als Gianluca Mancini mit dem Tor des Tages für den 68. Derbysieg der Giallorossi gesorgt hatte.

Vorgezogene Replik auf die Roma-Choreo

Doch auch die Curva Nord wusste Stiche zu setzen. So machte der himmelblau-weiße Anhang mit dem Spruchband „Anti Lazio? M’arrendo, chi dovreste da esse?“ (Anti Lazio? Ich gebe auf, sag mir, wer du bist?)* deutlich, dass man bereits vorab vom Motiv der Choreo in der Curva Sud wusste. Denn dort formten rote, weiße und gelbe Papptafeln kurz vor Spielbeginn schlicht, aber eindrucksvoll die Parole „Anti Lazio“, die noch mit „Oggi come ieri“ (damals wie heute) garniert wurde.

Choreo der Romanisti

In der Curva Nord wurde derweil eine etwas aufwendigere Choreografie präsentiert. Man entrollte eine Blockfahne mit einem liebevoll gestalteten Segelschiff und drumherum wurde mit Papptafeln eine raue See visualisiert. Dazu die Parole: „Dal 1900 padroni del nostro destino, capitani della nostra anima“ (Seit 1900 Meister unseres Schicksals, Kapitäne unserer Seelen). Das ist die italienische Übersetzung der Schlusszeile aus dem 1875 von William Ernest Henley veröffentlichten Gedicht Invictus. Jenes „I am the master of my fate, I am the captain of my soul.“ verbindet man heute übrigens in erster Linie mit Nelson Mandela, der aus Henleys Worten in seiner Haftzeit viel Kraft geschöpft hatte und sie gerne rezitierte.

Choreo der Laziali

Dass die Curva Nord ausgerechnet ein eng mit Nelson Mandela und dem Ende der Rassentrennung in Südafrika verknüpftes Zitat aufgreift, will irgendwie nicht zu den gängigen Lazio-Klischees passen. Aber es bleibt Interpretationsspielraum. Denn Mandela war nicht der einzige berühmte Henley-Leser. Zufällig hat auch der rechtsextreme Terrorist Timothy McVeigh das Gedicht vor seiner Hinrichtung zitiert. Doch ich will keine bewusste Doppeldeutigkeit unterstellen. Vielleicht ist die Curva Nord wirklich auf dem Pfad zu mehr Weltoffenheit unterwegs?

Das Segelschiff der Laziali mit dem römischen Adler am Bug

Dazu passt fast schon, dass die Curva Sud ihr Gegenüber heute mit dem Spruchband „Curva Nord Africa“ zu provozieren versuchte. Außerdem hatten anonyme Urheber in der Nacht zuvor die mit zwei Hakenkreuzen garnierte Parole „Laziale ebreo“ (Juden Lazio) an einer Autobahnbrücke angebracht und im Stadionumfeld sind jüngst deutschsprachige Sticker mit der Aufschrift „Eins, zwei, drei. AS Roma Sieg Heil.“ verklebt worden. Es haben eben leider beide Kurven der Hauptstadt ein Problem mit rechtsextremen Strömungen.

Kurz vor Anpfiff qualmte es nicht nur in den Kurven

Aber über die beiden Kurven, ihre historischen Gruppen und Strömungen, ihre komplexen Strukturen und die Konflikte der Vergangenheit und Gegenwart könnte man sowieso ganze Bücher schreiben. Hier müssen wir uns notgedrungen auf das Erlebte am heutigen Spieltag beschränken, anstatt oberflächlich große Themen anzureißen und letztlich wahrscheinlich doch nur die üblichen, klischeehaften Kurzformeln zu reproduzieren.

Stolz in die Höhe gereckte Roma-Schals in unserem Sektor

Die heutige Stimmung war in jedem Fall sehr beeindruckend und dazu trug sicherlich auch der Spielverlauf bei. Lazio hatte bereits 35 Punkte gesammelt und ging als Vierter in die Partie, während die AS Roma mit satten 15 Punkte weniger auf Rang 10 logierte. So waren die Rollen eigentlich klar verteilt. Doch dass Derbys für Buchmacher und ihre Kunden besonders schwer einzuschätzen sind, machte AS-Kapitän Lorenzo Pellegrini gleich in der 10. Spielminute deutlich. Er bekam ein Zuspiel an der Strafraumgrenze, verschaffte sich mit einer schönen Finte etwas Platz und zirkelte den Ball anschließend unhaltbar in den Torwinkel.

Hier wurde Deutschland 1990 Fußballweltmeister (und Hannover 96** 1960 Olympiasieger)

Eine schönere Ouvertüre hätte dieser Fußballabend aus Sicht der Giallorossi wohl kaum bekommen können. Sie ließen ihrer Freude über den Führungstreffer natürlich freien Lauf und durften wenige Minuten später gleich nochmal jubeln. Alexis Saelemaekers überwand in der 18. Minute im Nachschuss Lazios Schlussmann Provedel. So einen Traumstart hatten wahrscheinlich selbst die Berufsoptimisten unter den AS-Anhängern kaum für möglich gehalten.

Freude über die frühe Führung

Was allerdings alle Romanisti von der Mannschaft eingefordert hatten, war Leidenschaft und Kampfbereitschaft. Das unterstrich auch eine weitere Fanaktion kurz nach Anpfiff, bei der vier Doppelhalter die AS-Spieler Giovanni Cervone, Gianluca Mancini, Antônio Carlos Zago und Daniele De Rossi in vier sinnbildlichen Aktionen bei vergangenen Derbys zeigte. Begleitet mit dem Spruchband „In campo, sugli spalti e in ogni angolo della città, un odio eterno chiamato antilazialità“ (Auf dem Spielfeld, auf den Tribünen und in jeder Ecke der Stadt herrscht ein ewiger Hass, der sich Anti-Lazio nennt).

Vier legendäre Derbymomente auf Doppelhaltern

Diese für ein Derby selbstverständlichen Attribute waren im Laufe des Abends natürlich auch noch gefragt. Denn der zweifache italienische Meister (1974 & 2000) nahm das Spiel nach den zwei Schockmomenten an sich und suchte nach Antworten. Die wiederum versuchten Mats Hummels & Co zu unterbinden und hielten die Biancocelesti mit einer konzentrierten und kämpferischen Defensivleistung immerhin noch bis zur Pause weitgehend aus der Gefahrenzone fern.

Die Curva Nord zu Beginn der 2. Halbzeit

Die 2. Halbzeit läutete die Curva Nord mit ordentlich Pyrotechnik ein, während Trainer Baroni in der Kabine offenbar auch eine explosive Ansprache gehalten hatte. Jedenfalls kamen die Laziali hochmotiviert zurück auf’s Feld und machten fortan deutlich mehr aus ihrem vielen Ballbesitz (67,1 %). Der aus dramaturgischen Gründen auch meinerseits gewünschte Anschlusstreffer wurde jedoch mehrfach von AS-Keeper Svilar oder dem Aluminium verhindert.

„Im Namen der Hauptstadt darf nur spielen, wer den imperialen Adler auf der Brust trägt“

So blieb das Tor des dreifachen italienischen Meister (1942, 1983 & 2001) bis in die Schlussphase wie vernagelt und alle Romanisti fieberten dem Anpfiff entgegen. Kurz bevor der erfolgte, war die Spannung leider weg, aber die Anspannung wohl nicht. Denn ein Zweikampf von Hummels und Castellanos sorgte in der Nachspielzeit noch für eine Massenschubserei an der Mittellinie. Danach durfte Castellanos als erster Laziali duschen gehen, während der Rest der Mannschaft sich noch bei den enttäuschten Fans entschuldigen musste. Die SS Lazio wird ihren 125. Geburtstag in vier Tagen also als „Derbyversager“ begehen.

Mit gereckten Schals singt der Lazio-Anhang sich trotzig der Derbyniederlage entgegen

Beim über ein Vierteljahrhundert jüngeren*** Lokalrivalen herrschten nach Abpfiff natürlich umgekehrte Vorzeichen. Die Mannschaft von Claudio Ranieri – der 73jährige Ex-Rentner versucht seit sechs Wochen eine sportliche Trendwende einzuleiten – hatte endlich mal etwas zu feiern in dieser bisher verkorksten Saison. Entsprechend sahen wir um uns herum nur glückliche und stolze Menschen. Zwar bleibt die Associazione Sportiva auch mit drei Punkten mehr noch meilenweit von den internationalen Plätzen entfernt und wird am Saisonende zu 96 % hinter der Società Sportiva landen. Aber jeder Fußballfan weiß; jetzt zählte für die Anhänger nur das Momentum.

Die feiernde Curva Sud nach Abpfiff

Zufrieden waren auch Glatto, Vito und ich. Ihr habt es ja alle gelesen… Knisternde Atmosphäre schon weit vor Spielbeginn, große Choreographien, permanent Pyro, zwei sehr gute Kurven, viele Provokationen und ein aus neutraler Sicht relativ brauchbarer Spielverlauf. Klar, Tore auf beiden Seiten und ein bis zum Abpfiff knappes Ergebnis wären noch besser gewesen. Aber man kann nicht alles haben. Viele Torten sind auch ohne Kirsche auf der Sahne ein Hochgenuss.

Mitternachtssnack in unserem Quartier

Zurück in unserem Viertel, trennten sich wieder die Wege von Vito und uns wieder. Er sollte nach kurzer Nachtruhe am nächsten Morgen zurück nach Hamburg fliegen und musste dann direkt vom Flughafen ins Büro. Glatto und ich hatten hingegen weiterhin Urlaub und für Montag war ein Tagesausflug nach Terni geplant. Doch davon lest ihr im nächsten Bericht.

Song of the Tour: Eine von Antonello Venditti gesungene Clubhymne aus dem Jahr 1974

*Bei „M’arendo: chi dovresti da esse?“ handelt es sich um einen Satz aus einer berühmten Szene der italienischen Filmkomödie Compagni di scuola.

**Der gebürtige Sarstedter Walter Mahlendorf gewann als Leichtathlet des Hannoverschen SV von 1896 bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom mit der deutschen Staffel im 4-mal-100-Meter-Lauf die Goldmedaille.

***1927 forcierten Funktionäre unter Federführung von Italo Foschi im Zuge faschistischer Umstrukturierungen des Fußballsports die Bildung eines römischen Großvereins. Vorgesehen war eine Fusion der vier Clubs SS Alba-Audace Roma, Fortitudo Pro Roma (beides selbst bereits Fusionsprodukte), Foot Ball Club di Roma und SS Lazio. Doch letztere scherten am Ende aus, so dass sich nur ein Trio am 7. Juni 1927 zur Associazione Sportiva Roma zusammenschloss.